Mäeutik?

Ich habe gelesen, dass Sokrates die sogenannte Mäeutik in Diskusionen angewendet hat. Wie funktioniert sie genau? Kann
mir jemand Beispiele dafür geben?
Danke

Hallo,

Mäeutik (oder Maieutik) ist die Hebammenkunst. Sokrates handelt wie eine Hebamme, die das Kind, dem sie zum Leben verhilft, ja auch nicht selbst gebiert. Sokrates gebiert seine Gedanken nicht selbst, sondern verhilft anderen zu ihren eigenen Gedanken, zu einer besseren Einsicht.

Gruß

Thomas Miller

Ich habe gelesen, dass Sokrates die sogenannte Mäeutik in
Diskusionen angewendet hat. Wie funktioniert sie genau? Kann
mir jemand Beispiele dafür geben?

ein bekanntes beispiel ist, wie er einen sklaven (also ungebildeten) dazu führt, selbst auf das gesetz des thales zu kommen (a-quadrat + b-quadrat = c-quadrat)
ähnlich ist auch seine vorgehensweise, scheinbare fachmänner nach begriffen zu fragen (z.b. den feldherrn nach tapferkeit) also: was ist tapferkeit, um dann mit ihm zu der einsicht zu gelangen, dass man es nicht wissen kann :smile:
grundsätzlich gilt: fragen stellen, statt antworten zu geben, damit der andere selbst darauf komme.

Danke euch beiden:smile: Buchtips?
Vielen Dank an euch beide. Habt ihr oder andere eventuell Buchtips zu diesem Thema?

Hallo,

  • Romano Guardini, Der Tod der Sokrates; 1945 ( Der Klassiker und in vielen Bibliotheken vorhanden, oder über Fernleihe zu bestellen)
  • Karl Jaspers, Die maßgebenden Menschen: Sokrates, Buddha, Konfuzius, Jesus; 9. Aufl. München 1999 (noch ein Klassiker)

Neuer:

(problematisierend)

  • Gernot Böhme, Der Typ Sokrates; 2. Aufl. Frankfurt 1998

(beschreibend)

  • Christoph Taylor, Sokrates; Freiburg 1999
  • Karl Pestalozzi, Der fragende Sokrates; Stuttgart u. a. 1999
  • Eva-Maria Kaufmann, Sokrates; München 2000

Englisch:

  • Thomas C. Brickhouse, The Philosophy of Socrates; Boulder, Col., 2000

Genug?

Gruß

Thomas Miller

Buchtips? - Ergänzung
Hallo,

außerdem gibt es noch ein wenig Literatur für Lehrer (!), also pädagogische Literatur, die sich mit der Anwendung der sokratischen Methode im Unterreicht befasst. Da diese Literatur in der Hauptsache für Pädagogen interessant ist und nicht so sehr allgemeinen Charakter hat, mögen sich diejenigen, die daran interessiert sind, bei mir per Email melden.

Gruß

Thomas Miller

Dialogtechnik
Hi Philipp

was Cordula dir schrieb, trifft ziemlich genau die Sache um die es damals ging - vermutlich - denn wie der historische Sokrates mit seinen Gesprächspartnern umging, weiß man nur indirekt über seinen Schüler Platon, der teils (möglicherweise) Dialoge des Sokrates wiedergegeben hat, teils aber auch neue erfunden hat.

Die Dialogtechnik wurde von Sokrates selbst mit der Kunst/Technik der Hebamme verglichen - siehe:

Platon „Theaitetos“ 148d-151d, 184b, 201b-d.

Dabei geht es keineswegs (jedenfalls nicht primär) darum (wie Cordula anführte), Fachleute jeglicher Richtung (Politiker, Rechtsgelehrte, Künstler, Philosophen…) eines nur vermeintlichen gesicherten Wissens zu überführen, sondern Sokrates war wirklich auf der Suche mit der Frage, wie kommen wir zu den Begriffen, die wir haben, woher wissen wir immer so gewiß, was mit „Gerechtigkeit“, „Tapferkeit“, „das Gute“, „Tugend“ gemeint ist, obwohl es niemand eigentlich gelernt hat…

Sein „Erfindung“ war dann eben, es im Dialog herauszufinden, mit dem Hintergrund der Frage „Wie genau wissen wir, was mit den Begriffen gemeint ist?“… und für diesen Dialog bot sich an, für jeglichen Begriff diejenigen zu fragen, die es am besten wissen sollten.

Der Trick war dann (Sokrates stellte es selbst als Enttäuschung dar): Sokrates verstand es, den Fachmann genauer und detaillierter nach seinem Wissen zu fragen, als dieser es selbst reproduzieren konnte. Er nahm einen ersten Antwortsatz des Befragten und zog dann seine Schlußfolgerungen daraus…„wenn du dieses sagst, dann meinst du doch womöglich auch folgendes… stimmmt das?“… Antwort „ja, o Sokrates, das stimmt“… und dann folgerte er, immer die Zustimmung des Befragten einholend, immer weiter, bis schließlich - oh Wunder - eine Konsequenz herauskam, die der ersten Äußerung des Befragten widersprach.

Die Technik war tatsächlich nur eine des Fragens, er belehrte nie (wie Cordula ja schon sagte) - er faßte zwischendurch lediglich zusammen, was man bisher gemeinsam herausgefunden hatte, und er ließ sich die Korrektheit dieser Zusammenfassung immer bestätigen…

Das Resultat dieser Dialogtechnik war Folgendes:
Sofern es überhaupt gesichertes Wissen über unsere Begriffe gibt, ist unklar, woher es denn kommt. Seine Idee war, es auf eine Erinnerung an ein „früheres“ Wissen zurückzuführen, das die Seele (= das Denkvermögen) hatte, bevor sie in den Kerker des Körpers eintrat. Philosophen sind Menschen, die noch ein geringes Erinnerungsvermögen daran haben… aber auch jeder andere Mensch kann durch geeignetes Fragen an dieses „eingeborene“ Wissen erinnert werden… Das ist die Hebammenkunst des Philosophen - nach Sokrates. Wenn man mit dieser Fragestellung allerdings an Leute gerät, die sich selbst eitel für Fachleute halten, dann kann das tödlich enden… Sokrates ist ja hingerichtet worden mit dem vorgeschobenen Grund, er verführe die Jugend zur Gottlosigkeite …

Ein bedeutendes Beispiel (und zugleich die beste Literaturempfehlung, die ich geben könnte) ist die Platonsche Schrift „Menon“, in der Sokrates einen jungen unausgebildeten Diener durch „Befragen“ dazu bringt, das Problem zu lösen, wie man mit geometrischen Mitteln aus einem Quadrat ein doppelt so großes konstruieren kann… (sorry Cordula, es nicht der Thales-Satz *zwinker*)

Gruß
Metapher

Bedenkenswert in diesem Zusammenhang …
… erscheint mir noch, auf welche Art von Erkenntnis die sokratische „Hebammenkunst“ zielt.

Die verbal-begriffliche Erkenntnisart kommt nicht so gut weg. Keine Sache scheint sich in ihrem Wesen auf eine Formel bringen zu lassen. So gerät der Erkenntnisprozess durchaus zu einer „schweren Geburt“. Die „Entbindung“ ist offenbar erst erreicht, wenn der in den Erkenntnis-„Wehen“ Liegende seine Seele von solchen Wesens-Bestimmungen freigemacht hat, denen noch wesensfremde Momente anhaften, z. B. sprachliche Konventionen (denn die Wahrheit spricht weder Deutsch noch Griechisch). Dazu hat Platon übrigens einiges im Siebten Brief gesagt.

Das Wesen einer Sache geht uns im Grunde ohne Worte auf. Die Gewohnheit, Reden zu halten, stellt beim Philosophieren durchaus ein Handikap dar, das aber „durchlitten“ sein will.

Wir müssen noch nichts verstanden haben, wenn wir uns griffige Erklärungen aus erster oder zweiter Hand zu eigen machen und dann musterschülerhaft reproduzieren können. Selbstverständlich schließe ich mich dabei ein und ziehe das ganz unbeholfen-verwegene Fazit:

Maieutik ist die Kunst, jemandes Wahrsinn zu entfachen, indem man sein Gerede auflaufen lässt.