Jens-Daniel Herzog's 'Tannhäuser'-Inszenierung

Hallo!
Habe soeben auf 3sat „Tannhäuser“ gesehen, eine Aufzeichnung aus dem Züricher Opernhaus (2003). Kurz und bündig gesagt, ich bin sehr enttäuscht, was Jens-Daniel Herzog sich da einfallen ließ. Die seltsame Schnittechnik der Aufzeichnung dürfte zwar ihren Teil dazu beigetragen haben, aber so rechte Tannhäuser-Stimmung wollte beim besten Willen nicht aufkommen - in meinen Augen eine lieblose und völlig danebenliegende Inszenierung dieser normalerweise fantastischen Oper.
Wer hat die Inszenierung noch gesehen? Teilt jemand meine Meinung oder sehe ich da etwas falsch?
Es wäre mir ein Vergnügen, andere Ansichten zu lesen.
Bis dahin
Alex W.

Hallo Alex,

Es wäre mir ein Vergnügen, andere Ansichten zu lesen.

die liefere ich gerne, denn mir hat die Inszenierung - summa summarum - gefallen. Ich habe zwar die Geschichte nur auf einem alten Fernseher verfolgen können (zwar in Farbe, aber aufgrund von Farbmangeln fast nur in schwarz-weiß und leider aus technischen Gründen - antiker Fernseher! - unangemessen), aber mir hat die Bemühung im Distanz zum Vorbild durchaus Respekt abgenötigt. Die Einblendungen der Umkleideräume fand ich durchaus interessant, die Einblendung der Harfenpartien sogar erhellend. Wenn man von dem sehr groben Patzer fast am Ende des zweiten Aktes absieht, wo Tannhäuser, ganze zwei Takte überschlägt (was vielleicht nur Kennern der Partitur aufgefallen iist), dann fand ich diese Inszenierung durchaus durchdacht, wenn auch nicht gerade vorbildlich im klassischen Sinn.

Was hat dir denn speziell missfallen?

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas!

Vielen Dank für deine Zeilen.
Was mir speziell missfallen hat waren vor allem die Kostüme (Elisabeth ausgenommen), und das Bühnenbild.
Ebenfalls missfallen hat mir, daß Venus und Tannhäuser im ersten Aufzug erst ungefähr in der Mitte der zweiten Szene überhaupt einmal aufgestanden waren und vorher im Sitzen und Knien gesungen haben. Das fand ich äußerst unpassend bzw. der Stimmung abträglich, da gerade Tannhäuser viel mehr Kraft und Leben in seinen Sang bringt, wenn er aufgebracht hin- und hergeht - anstatt da zu sitzen.
Weiterhin wurde ich mit Wolfram von Eschenbach nicht warm - er brachte nicht das rüber, was eigentlich in dieser Rolle steckt.
Die Harfen- und Kabineneinblendungen fand ich auch durchaus interessant, doch kann ich mich daran erinnern, dass ich mich oft über die häufigen und zu langezogenen Vogelperspektiven des Orchesters ärgerte, da ich viel lieber das Bühnengeschehen verfolgt hätte.
Der gröbste Patzer - beziehungsweise, was mir den Spass gänzlich verdorben hat - war das völlig grausame Finale; aus dem weder hervorging, wie Elisabeth zu Grabe getragen wurde und die jüngeren Pilger den toten Tannhäuser dann an den Haaren hochziehen um ihn eine Latte als Stab des Papstes vor’s Gesicht zu halten - das war zu viel für mich.
Der Patzer, den du erwähntest, ist mir gar nicht aufgefallen - ich dachte, Venus hat im ersten Aufzug desöfteren mal gepatzt, aber nur geringfügig und eigentlich für die meisten nicht auffällig.

Dass die Inszenierung im klassischen Sinne nicht vorbildlich ist, das scheint klar; jedoch dachte ich das auch über David Alden’s Tannhäuser von 1994, bis ich ihn dieses Jahr in München gesehen habe - und trotz meiner vielen Vorurteile über diese Inszenierung absolut Feuer und Flamme war, und noch bin.

Nochmals vielen Dank für dein Feedback
&
herzliche Grüsse

Alex

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Hallo Axel,

ich finde deine Kritik zum Teil zutreffend, zum Teil aber auch nicht, weshalb ich ein paar Anmerkungen machen möchte.

Was mir speziell missfallen hat waren vor allem die Kostüme
(Elisabeth ausgenommen), und das Bühnenbild.

An die Art der Kostüme habe ich mich inzwischen gewöhnt (Kravatten etc.), aber du hast Recht - anfangs ist mir das auch negativ aufgefallen. Das Bühnenbild fand ich funktional und eigentlich ganz interessant.

Ebenfalls missfallen hat mir, daß Venus und Tannhäuser im
ersten Aufzug erst ungefähr in der Mitte der zweiten Szene
überhaupt einmal aufgestanden waren und vorher im Sitzen und
Knien gesungen haben. Das fand ich äußerst unpassend bzw. der
Stimmung abträglich, da gerade Tannhäuser viel mehr Kraft und
Leben in seinen Sang bringt, wenn er aufgebracht hin- und
hergeht - anstatt da zu sitzen.

Mir scheint das eher ein Mittel zu sein, dass auch die Sänger gerne nutzen, um sich nicht gleich im ersten Aufzug zu verausgaben. In der letzten Inszenierung, die ich gesehen hatte (Deutsche Oper Berlin, Zweitbesetzung) ist gerade dieser Effekt eingetreten, dass Tannhäuser am Anfang zu stimmgewaltig war und dann keine Kraft mehr für den Schluss hatte. Aber ich hatte auch den Eindruck, dass durch diese Ruhe das Geheimnisvolle des Venusberges betont werden sollte, was mir eingentlich einleuchtet.

Weiterhin wurde ich mit Wolfram von Eschenbach nicht warm - er
brachte nicht das rüber, was eigentlich in dieser Rolle steckt.

Das stimmt, allerdings lag das wohl eher daran, dass der Sänger zwar durch seine absichtliche Steifheit eben diesen Aspekt Wolframs betont hat, aber eben gerade dadurch nicht dessen ihm eigene Mittlerrolle zwischen Tannhäuser und dem Hof deutlich machen konnte. Da er aber stimmlich ohnehin nicht sonderlich ergiebig war, denke ich, dass es auch nicht besser geworden wäre, wenn er sich mehr bewegt hätte.

Die Harfen- und Kabineneinblendungen fand ich auch durchaus
interessant, doch kann ich mich daran erinnern, dass ich mich
oft über die häufigen und zu langezogenen Vogelperspektiven
des Orchesters ärgerte, da ich viel lieber das Bühnengeschehen
verfolgt hätte.

Da bin ich ganz deiner Meinung. Die Totale war völlig unnötig und störend.

Der gröbste Patzer - beziehungsweise, was mir den Spass
gänzlich verdorben hat - war das völlig grausame Finale; aus
dem weder hervorging, wie Elisabeth zu Grabe getragen wurde
und die jüngeren Pilger den toten Tannhäuser dann an den
Haaren hochziehen um ihn eine Latte als Stab des Papstes vor’s
Gesicht zu halten - das war zu viel für mich.

Da muss ich gestehen, dass ich den Schluss leider nicht ganz aufmerksam verfolgen konnte, sondern nur noch mit einem Auge hingesehen habe, allerdings aus Gründen, die mit der Inszenierung nichts zu tun haben :smile: . Unsere Verwandten kamen zurück und der Tannhäuser war nicht mehr zentral. Ich habe mich in diesem Augenblick geärgert, dass ich die Aufführung nicht aufgenommen habe, aber es war ohnehin ein Zufall, dass ich die Sendung gesehen habe, weil wir ganz andere Pläne hatten, die wir aber dann doch nicht umsetzen konnten, weil wir keinen Babysitter gefunden hatten. Außerdem gab am Schluss der Uraltfernseher (60er Jahre!) ohnehin seinen Geist fast auf, so dass ich fast nur noch ein dunkles Bild gesehen habe.

Der Patzer, den du erwähntest, ist mir gar nicht aufgefallen -
ich dachte, Venus hat im ersten Aufzug desöfteren mal gepatzt,
aber nur geringfügig und eigentlich für die meisten nicht
auffällig.

Tannhäuser hatte im Schlussensemble einen Einsatz verpasst und dann einfach zwei Takte seiner Partie ausgelassen (naja, was hätte er sonst auch tun sollen). Im Prinzip ist das verzeihlich bei der Partie, finde ich, zumal ich schon erheblich schlechtere Sänger in der Rolle gesehen habe, bei denen es richtig grausam ist, weil sie nicht einen Patzer machen und den Rest leidlich richtig, sondern umgekehrt mehr Patzer als anderes zu hören waren. Ich denke gerade mit Grauen an diese Inszenierung in Münster, 1984, zurück, in der ich im Chor selbst mitgesungen habe. Der Tenor war ein überalteter, die Stimme mehr quetschender als singender, Italiener, der weder den Text verstand, den er sang, noch eine einzige Phrase wirklich korrekt über die Lippen bringen konnte, ganze Passagen einfach auslies (man hörte streckenweise nur das Orchester, weil der Mann seinen Einsatz suchte) und Wagner wohl für einen Belcantokomponisten hielt (er hat dann nach dieser Inszenierung auch das Theater verlassen). Wer einmal so eine schlechte Partie gesehen hat, ist eigentlich für jeden halbwegs guten Sänger schon dankbar.

Dass die Inszenierung im klassischen Sinne nicht vorbildlich
ist, das scheint klar; jedoch dachte ich das auch über David
Alden’s Tannhäuser von 1994, bis ich ihn dieses Jahr in
München gesehen habe - und trotz meiner vielen Vorurteile über
diese Inszenierung absolut Feuer und Flamme war, und noch bin.

Ja, tut mir Leid, die kenne ich nicht. Erzähl doch mal …

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo!

Habe soeben auf 3sat „Tannhäuser“ gesehen, eine Aufzeichnung
aus dem Züricher Opernhaus (2003). Kurz und bündig gesagt, ich
bin sehr enttäuscht, was Jens-Daniel Herzog sich da einfallen
ließ. Die seltsame Schnittechnik der Aufzeichnung dürfte zwar
ihren Teil dazu beigetragen haben, aber so rechte
Tannhäuser-Stimmung wollte beim besten Willen nicht aufkommen

  • in meinen Augen eine lieblose und völlig danebenliegende
    Inszenierung dieser normalerweise fantastischen Oper.
    Wer hat die Inszenierung noch gesehen? Teilt jemand meine
    Meinung oder sehe ich da etwas falsch?

Wie kann eine subjektive Meinung denn falsch sein?
Ich habe leider nur den dritten Akt sehen können (war vorher arbeiten), den fand ich in seiner Inszenierung aber durchaus akzeptabel. Wolfram war in seiner Steifheit sicherlich so überzeichnet, daß er am Ende gar langweilig wirkte und beim eigentlich entscheidenden „Heinrich, du bist erlöst!“ nicht einmal durch das Orchester durchdrang (was aber natürlich auch an der Position der Mikrofone liegen könnte).
Den Tannhäuser selbst fand ich im dritten Akt gesanglich durchaus ansprechend (wenn auch sicherlich nicht perfekt, was man bei Liveaufnahmen auch nicht unbedingt erwarten kann).
Zur Inszenierung: Das praktisch nicht vorhandene Bühnenbild hat mir auf jeden Fall mehr zugesagt als so manch andere moderne Inszenierung, die versucht mit Rückprojektion alles mögliche in eine Oper reinzuinterpretieren. Besonders grausam finde (ganz allgemein, nicht nur in Bezug auf den Tannhäuser) ich das Bestreben, einen alten aber zeitlosen Stoff „in die Moderne“ übersetzten zu wollen. Insbesondere wenn die Oper schon zum Zeitpunkt ihres Entstehens historisch war, müßte das doch die Aufgabe des Zuschauers und nicht eines wichtigtuerischen Regiesseurs sein, oder?
Aber nochmal zum Tannhäuser: Elisabeths Leichentransport darzustellen wäre meiner Meinung nach in DIESES Inszenierung absolut inkonsequent gewesen, da Elisabeths Apotheose durch das Eindringen in das Licht gleichsam auch körperlicher Natur war. Das widerspricht zwar Wagner, ich halte das aber für dramaturgisch weniger wichtig.

Es wäre mir ein Vergnügen, andere Ansichten zu lesen.

Bitteschön.

Gruß
L.