Kommunikationsprobleme
Hallo Matthias,
den folgenden Text fand ich vor einiger Zeit mal im Netz. Leider habe ich die URL der FA. nicht mehr. Ich weiss nur noch, dass es sich dabei um eine Firma für Kommunikationsmanagement handelte.
Ich mag diesen Text, weil sein Inhalt mir vieles deutlich gemacht hat, was zwischenmenschliche Kommunikation anbelangt. Vielleicht hilft er Dir ja auch ein wenig, Deine Fragen zu beantworten?
Lieber Gruss
Alexa
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Sokrates (480-399 v. Chr.) war der Ansicht, daß Menschen dazu neigen, ihre Gewißheiten (das sind Überzeugungen, an deren Stimmigkeit sie nicht mehr ernsthaft zweifeln) mit Wahrheiten (das ist die Qualität einer Aussage, die semantisch zutreffend einen realen Sachverhalt abbildet) zu verwechseln. Real wollen wir einen Sachverhalt nennen, der auch unabhängig von unserer Erkenntnis existiert. (S. 19)
Gewißheiten können sehr verschieden zustande kommen. Vor allem aber sind sie bestimmt durch unsere psychischen und sozialen Bedürfnisse (etwa durch das Bedürfnis, die Selbstachtung nicht zu verlieren, dazuzugehören, zu siegen, anerkannt zu werden und Erfolg zu haben) sowie durch Interessen, Erwartungen, Stimmungen. Sie sind von Mensch zu Mensch sehr verschieden.
Daraus folgt unmittelbar, daß sie ausschließlich eine eigenpsychische Realität darstellen, die in keiner Weise für andere Menschen verbindlich gemacht werden kann. Aussagen, die über solch gewisse Sachverhalte handeln, sind bestenfalls authentisch, niemals aber wahr, da wir Menschen – außer in trivialen Fällen – nicht in der Lage sind, Täuschung in der Erkenntnis und Irrtum in der Interpretation des Erkannten auszuschließen.
Die modernen Entscheidungstheorien haben diese Einsicht aufgegriffen, und sie zeigen, daß nahezu alle nichttrivialen Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden müssen.(S. 19)
Wahrheit dagegen fordert intersubjektives Gelten, weil sie Irrtum und Täuschung ausschließt. Eine wahre Aussage ist für jeden Menschen wahr, der in der Lage ist, den geäußerten Sachverhalt zu erkennen, und dem Satz gleiche (oder doch sehr ähnliche) semantische Bedeutung beilegt wie der Aussagende.
Zwar gibt es auch konkurrierende wahre Aussagen, da eine Aussage über eine reale Welt niemals den ganzen realen Sachverhalt vollständig beschreibt, sondern stets nur bestimmte Aspekte hervorhebt. Der eine Mensch kann andere Aspekte erkennen und aussagen als ein anderer.
Auch die Erkenntnis des realen Sachverhalts ist, selbst wenn sie frei von Täuschung und Irrtum sein sollte, selektiv von Interessen, Erwartungen, Stimmungen und Bedürfnissen bestimmt, Dennoch ist im Prinzip eine wahre Aussage intersubjektiv gültig, während eine Aussage, die sich auf (bloße) Gewißheiten stützt, nur subjektiv gilt, also bestenfalls authentisch ist.
Sokrates sah in der Verwechslung von Wahrheit und Gewißheit, von subjektivem und intersubjektivem Gelten den Grund allen Übels, das Menschen anderen Menschen antun.
· Ein Mensch, der um die Art seines Wissen (ob wahr oder nur gewiß) nicht weiß, ist dumm. Dummheit bezieht sich also – nach Sokrates – nicht auf Wissensquantitäten, sondern auf Wissensqualitäten. Wer seine Gewißheiten für wahr halte, sei dumm, so sagt er
· Ein Mensch, der die Art seines Wissens nicht erkennt, ist intolerant. Toleranz heißt nicht: „Ich weiß es zwar besser als du, aber ich bin bereit und fähig, dein eingeschränktes Wissen, deinen Irrtum gar zu akzeptieren!“ Toleranz meint vielmehr: „Wir beide verfügen nicht über die Wahrheit, sondern nur über verschiedene Arten der Gewißheit - und sind insoweit in genau derselben Situation. Wir können jedoch sinnvoll streiten, wessen Gewißheiten zu brauchbareren und nützlicheren Handlungen führen!“
· Ein Mensch, der zwischen der verschiedenen Arten seines Wissens nicht unterscheiden kann, ist wahngestört. Das Wesen des Wahns besteht darin, daß ein Mensch seine Gewißheiten für wahr hält. So wird ein eifersuchtswahnkranker Mensch das Verhalten seines Gegenübers als Bestätigung für die Berechtigung seiner Eifersucht auslegen.
So interpretierten die Nazis – kollektiv wahngestört – alle Handlungen oder Theorien von Juden als Ausdruck von deren charakterlicher Minderwertigkeit. Eine Interpretation, die psychoanalytisch leicht als Projektion auszumachen ist. (S. 19 ff.)
Sokrates war der Ansicht, daß in einem kontroversen Dialog niemals die Wahrheit des einen gegen die Wahrheit des anderen stehe, sondern stets nur Gewißheit gegen Gewißheit. Wollen die beiden Partner ihren Dialog rational fortsetzen, bietet sich ihnen nur eine rationale Möglichkeit:
Beide versuchen, durch gemeinsamen Erkenntnisfortschritt zu einer neuen gemeinsamen Gewißheit zu gelangen. Wegen dieses Musters These–Antithese–Synthese wird die Dialektik nicht selten von solchem Dreischritt her bestimmt. (S. 23)