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Nur Fliegen ist schlimmer
Die Jobangst macht’s möglich: Arbeitgeber bestimmen mehr und mehr die Bedingungen. Privilegien werden gekappt, es wird länger gearbeitet und weniger verdient. Und das ist erst der Anfang
von Sonja Banze, Mitarbeit: Cornelia Schmergal, Michael Schneider

Die Commerzbank machte den Anfang und kündigte die Betriebsrente für 24.000 Mitarbeiter
Foto: dpa
Vierundzwanzigtausend Commerzbanker, für die keine Beiträge mehr zur Betriebsrente gezahlt werden. 3,4 Millionen Metall-Arbeiter sollen allenfalls eine Lohnerhöhung von 1,4 Prozent erhalten, womit sie dann auf Grund der Inflation am Ende weniger in der Tasche haben dürften. 38,3 Millionen Deutsche, die künftig 40 Stunden in der Woche arbeiten sollen.

Drei Meldungen, eine Wahrheit: harte Zeiten für die deutschen Arbeitnehmer. Forderungen stellen war gestern. Klein beigeben ist heute. Friss oder stirb.

4,3 Millionen Arbeitslose und drastisch sinkende Stellenzahlen - der Arbeitsmarkt ist von beiden Seiten in der Zange; auch der für 2004 erwartete kümmerliche Aufschwung wird daran nichts ändern. Da kann man doch froh sein, überhaupt noch einen Job zu haben. Länger arbeiten? Okay. Weniger verdienen? Wenn es denn sein muss. Kündigungsschutz los? Besser als gar nichts. Betriebsrente weg? Egal. Urlaubsgeld gestrichen? In Deutschland ist es doch auch schön. 38,5 Grad Fieber? Bloß nicht. Versetzung an einen anderen Ort von heute auf morgen? Geben Sie mir nur kurz Zeit zum Packen. Arbeitnehmer vogelfrei. Sicher ist nichts mehr. Zahlungen werden gestrichen, Betriebsrenten entfallen über Nacht, Nachricht per E-Mail, Sozialleistungen werden von einem Jahr zum anderen gekürzt, Verträge aufgelöst.

„Die Lage vieler Arbeitnehmer in Deutschland verschlechtert sich“, sagt Hartmut Seifert, Arbeitsmarktexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in Düsseldorf. „Der Druck ist offenbar so groß geworden, dass die Mitarbeiter jetzt bereit sind, sich auf Dinge einzulassen, die sie im Normalfall nie mitmachen würden.“

Bestes Beispiel: die Banker. Gerade noch umworben und geködert mit Boni und üppigen Zusatzzahlungen, reichen bei vielen die paar Euro, die ihnen die Betriebsrente jetzt noch bringt, oft gerade mal für einen Kaffee. Und wem das nicht passt, der kann gern einen Blick aus seinem Fenster im Commerzbank-Turm werfen. In der Ferne erkennt er das große rote A wie Arbeitsamt, wo schon tausende von Ex-Kollegen in Reserve stehen.

Der Trend: Die Konzerne fahren nicht tariflich festgezurrte Lohn- und Gehaltsbestandteile in letzter Zeit immer deutlicher zurück, stellen die Ökonomen der Bundesbank fest. Jahressonderzahlungen und Prämien werden gekappt, Tarifsteigerungen mit außertariflichen Gehaltsbestandteilen verrechnet, sodass am Ende doch wieder nicht mehr auf dem Konto landet - gezahlt wird bald nur noch das, was Pflicht ist. Alles freiwillig Versprochene, wie etwa im Fall der Commerzbank die Betriebsrente, wird zur Spielmasse von Sanierung und Shareholder-Value.

Der Versicherungskonzern Gerling ahmte die Commerzbank-Entscheidung vergangene Woche umgehend nach. Die Hypo-Vereinsbank bezahlt für neue Mitarbeiter schon seit Frühjahr 2003 keine Betriebsrenten mehr. Der Pharmakonzern Schering bemisst die Betriebsrente für Neue nicht mehr am Entgelt, sondern an den eingezahlten Beiträgen. Neu sein ist ganz schlecht.

Der LKW-Hersteller MAN hat bereits vor längerem ein beitragsorientiertes Kombi-System eingeführt, bei dem die Zusage der Firma, die Beiträge zu leisten, an die Bereitschaft der Arbeitnehmer gekoppelt ist, selbst Eigenvorsorge zu betreiben. Auch bei Thyssen-Krupp gibt es eine solche Lösung.

Die Beamten sind nicht mehr sicher. Ihnen wird von diesem Jahr an das Urlaubsgeld ganz gestrichen, das Weihnachtsgeld um bis zu 60 Prozent gekürzt.

Keiner ist mehr sicher. Der Kündigungsschutz bröckelt, zunächst zwar nur an den Rändern des Arbeitsmarktes, für ältere Arbeitnehmer, Leiharbeit und Kleinstbetriebe. „Immer mehr Personen haben nur noch wenig oder gar keine Sicherheit mehr. Das führt tendenziell zu einer Polarisierung in Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse“, sagt Ulrich Walwei, stellvertretender Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Und weiter geht’s: „Die Arbeitnehmer“, so Walwei, „werden sich daran gewöhnen müssen, dass allen in Zukunft viel mehr Unsicherheit abverlangt wird.“

Schon jetzt verzeichnet das IAB eine starke Zunahme befristeter Verträge. Die Hälfte endet derzeit innerhalb eines Jahres. Besonders krass trifft das die unter 30-Jährigen; jeder Fünfte hat allenfalls einen Job auf Zeit. Vor zehn Jahren war es noch jeder Zehnte.

Auf den Tischen der Rechtsabteilungen bei den Gewerkschaften stapeln sich die Briefe. Der neueste Arbeitgeber-Trick: die Änderungskündigung. Mitarbeiter werden vor die Wahl gestellt: Entweder sie lassen sich versetzen, an einen anderen Ort oder in eine andere Abteilung - wobei es sich oft um solche handelt, die ohnehin bald dichtgemacht werden sollen - oder ihnen wird gekündigt.

Der Arbeitnehmer macht mit. Und schuftet. Krank? Egal, gearbeitet wird trotzdem. Bloß nicht fehlen. 2003 landete der Krankenstand in Deutschland auf seinem tiefsten Niveau seit Einführung der Lohnfortzahlung im Jahr 1970. Gerade mal neun Tage traute der Durchschnitts-Deutsche sich noch, ärztlich verordnet der Arbeit fern zu bleiben. Der Vorjahreswert wurde damit um zehn Prozent unterschritten, in manchen Monaten sogar um 29 Prozent.

Schuften, längst über die tariflich festgelegten 37,5 Stunden hinaus. 40-Stunden-Woche? Der Deutsche arbeitet im Schnitt längst 40,5 Stunden. Zwar erreichten die Überstunden 2003 ein angeblich historisch niedriges Niveau von 1,5 Milliarden, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn dabei handelt es sich nur um die bezahlten Überstunden; die Zahl Überstunden, die man einfach so nur länger im Büro sitzt und für die man nie eine müde Mark sieht, steigt weiter.

Denn die Unternehmen schmeißen zwar kräftig Leute raus, aber die Arbeit muss ja gemacht werden. Steffen Lehndorff vom Institut für Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen: „Es wird mehr Personal abgebaut, als der Arbeitsaufwand tatsächlich zurückgegangen ist. Jetzt wird oft das gleiche Arbeitspensum von weniger Leuten erledigt.“ Überstunden abfeiern? Keine Zeit. Die meisten Mehrstunden fallen nach IAT-Studien einfach unter den Tisch. Geschenkt.

Klappe halten, arbeiten - und zahlen. Praxisgebühren, höhere Zuzahlungen, höhere Beiträge in Kranken- und Rentenkassen, Entfernungspauschale und Eigenheimzulage gekürzt. Mehr zahlen, weniger bekommen. Vor allem im Fall der Arbeitslosigkeit. Armer Arbeitnehmer.

Die fast schon abgemeldeten Gewerkschaften haben wieder zu tun: „Arbeitsmarkt in der Zange, das heißt vor allem: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Zange“, sagt DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer und weiß auch, wer schuld ist: „Zu dieser Lage haben politische Entscheidungen beigetragen, die weniger darauf ausgerichtet sind, mehr Beschäftigung zu schaffen, sondern Beschäftigten und Arbeit Suchenden Belastungen auferlegen. Kein Wunder, dass dies all jene beflügelt, die schon immer meinten, bei uns werde zu viel abgesichert, zu viel verdient, zu wenig gearbeitet und zu viel mitgeredet.“

Doch die Arbeitnehmer müssen in Zukunft wohl noch mehr Abstriche machen. Deutschland gehört zu den teuersten Arbeitsplätzen auf dem Globus und killt die Konkurrenzfähigkeit, rechtfertigen die Arbeitgeber die Einschnitte, und der Ökonom nickt: „Dahinter steckt nicht die Willkür des Kapitals, sondern notwendiges Zurückstutzen auf ein gesundes Normalmaß“, sagt Hilmar Schneider, Leiter des Bereichs Arbeitsmarktpolitik im Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt und Strukturen geschaffen, die Arbeit teuer machen. Umso größer ist jetzt eben die Härte.“

Die 82,54 Millionen Deutschen können sich also weiter auf etwas gefasst machen. Sie haben von allen Industrieländern die meisten Urlaubstage und die meisten Feiertage. Sie haben ein Geldvermögen von 3658 Milliarden Euro, eine 4700-Milliarden-Euro-Immobilie, und bis 2010 werden 2000 Milliarden Euro vererbt. Da ist doch noch was zu holen.

Artikel erschienen am 11. Jan 2004

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Und wo soll das enden ?
denn so kanns ja wohl unmöglich weiter gehen !
Die armen jungen leute. wie sollen die planung für ein haus für kinder etc. übernehmen ?
mfg
t.

denn so kanns ja wohl unmöglich weiter gehen !
Die armen jungen leute. wie sollen die planung für ein haus
für kinder etc. übernehmen ?
mfg
t.

Hallo

Was genau stört Dich jetzt an dem Artikel? Daß wir über unsere Verhältnisse gelebt haben und jetzt die Konsequenzen tragen? Oder daß alle AG böse sind? Oder daß alle AN arm dran sind? Oder was ganz anderes?

Nur abschreiben ist keine Meinung.

(War das wirklich die W amS?

Gruß,
LeoLo

Räusper
Huhu!

Ich finde es immer ein wenig befremdlich, wenn sich die deutsche Arbeitnehmerschaft über die deutschen ach sooo schlimmen Verhältnisse beklagt!

Oder ganz anders gefragt:
In welchem Land der Erde genießt der Arbeitnehmer einen vergleichbaren Schutz?
In welchem Land der Erde hat der Arbeitnehmer vergleichbare Privillegien?

Oder:

Wusstest Du, dass der durchschnittliche Urlaubsanspruch in den Vereinigten Staaten (nur mal so als ein Beispiel) bei 12 Arbeitstagen im Jahr liegt und nur ca. jeder dritte Arbeitnehmer Geld in irgendeiner Form bei Erkrankung bekommt?

Oder:

Im weltweiten Vergleich hat der deutsche Arbeitnehmer im Durchschnitt 10 Tage Freizeit im Jahr mehr, als der Zweitplatzierte (43,5 Tage Deutschland - 33,5 Tage GB)

Oder:

Zahlen wir gerade den Preis dafür, dass wir in den „guten Zeiten“ der Meinung waren: „Das reicht!“ und anfingen, uns auf die faule Haut (überspitzt formuliert) zu legen?

Um Dir eine Antwort auf Deine Frage zu geben…

Wo soll das hinführen?

Zur Normalität?!

Liebe Grüße
Guido (kein Arbeitgeber - falls das so rüberkam)

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Hallo Alle,
wir genießen hier in D ein wirklich sehr gutes Leben. Die Dinge sind geordnet. Alles ist reguliert, keiner brauch sich um seine Existenz zu sorgen. Die tarifliche Arbeitszeit ist so geregelt, das immer noch schön viel Zeit bleibt um sich über die wichtigen Dinge des Lebens zu unterhalten und sich damit zu beschäftigen. Die Arbeit ist nebensächlich geworden. Sie stellt nur einen zeitlichen Abschlag innerhalb der Woche dar, den wir nur zu gerne rumkriegen und uns unserer Freizeit widmen zu können. Nun jedoch, seit einigen Jahren schleichender Prozeß) kommt die Zeit wo díe aufgebauten finanziellen Privilegien nicht mehr so bezahlt werden können, da die Unternehmen sich im nationalen und internationalen Vergleich behaupten müssen. Denn auch die Unternehmen außerhalb von D haben erkannt, welche finanzielle Potential hier steckt und wollen das für sicher vereinnahmen. Um dies zu erreichen, gehen die Unternehmen in einen Preiskampf der alle Branchen umfaßt. Nun wird geschaut, wie ein Unternehmen kosten sparen kann, um in der Zukunft auch noch existent zu sein. Man kommt natürlich auf den Punkt-> Lohnkosten/ Zusatzleistungen und Arbeitszeit. Und daran schraubt man nun. Das heißt auch, des deutschen liebstes Kind versuchen auszuhebeln. Und über was beschweren sich die Leute?? Das das nun abgeschafft werden soll, was mitverantwortlich für die Stagnation ist und das mit dem Ziel, den Standort D weiterhin zu stärken und für die Zukunft Fit zu machen. Ich möchte hier ganz klar nochmal sagen, das ein System welches nur auf „nehmen“ ausgerichtet ist, nicht funktionieren wird. Es muß ein „geben“ und „nehmen“ sein. Hier steht das „geben“ als erstes um klarzumachen, nur wer gibt hat die Berechtigung zum nehmen und das auch nur im gleichen Verhältnis. Diese Logik ist einfach und simpel. Sie funktioniert, nur wir wollten Sie gerne ignorieren und uns alle Vorteile sichern ohne etwas dafür zu geben. Das ist nun die Quittung und ich prognostiziere für die nahe Zukunft noch weitere harte Einschnitte, die aber nötig sind. Es geht nicht so weiter und wir müssen uns dessen bewußt werden. Vielleicht schauen wir ersteinmal, wie wir einen Teil dazu beitragen können, dieses Land weiterhin so hoch zu halten, das auch unsere Kinder auf uns stolz sein können, wie auch wir stolz auf unsere Eltern und Großeltern sind. Die haben aus nichts oder wenig, sich sehr viel erarbeiten können (nicht mit 38,5 Std. pro Woche). Laß uns das nicht aufs Spiel setzen. Nicht das es nachher von unseren Kindern heißt, wir hättens verbockt.

Das soweit dazu.

Gruß
Martin

„…Wusstest Du, dass der durchschnittliche Urlaubsanspruch in den Vereinigten Staaten (nur mal so als ein Beispiel) bei 12 Arbeitstagen im Jahr liegt und nur ca. jeder dritte Arbeitnehmer Geld in irgendeiner Form bei Erkrankung bekommt…“

Jawoll, und das ist der grund warum ich in Amiland nicht mal ein Bild von mir hängen haben möchte. Sehr erstrebenswert scheint es mir nicht, von seiner bevölkerung zu verlangen, dass sie drei bis vier verschiede Jobs nebeneinander ausüben muss, um überhaupt das geld für die Arztbesuche der kinder zusammenzukriegen.

Hallo Barbara,

Jawoll, und das ist der grund warum ich in Amiland nicht mal
ein Bild von mir hängen haben möchte. Sehr erstrebenswert
scheint es mir nicht, von seiner bevölkerung zu verlangen,
dass sie drei bis vier verschiede Jobs nebeneinander ausüben
muss, um überhaupt das geld für die Arztbesuche der kinder
zusammenzukriegen.

Da stimme ich Dir vollkommen zu. Ist auch ein Extrem-Beispiel. Trotzdem haben wir auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein Problem. Daher habe ich das Gefühl, dass wir auf sehr hohem Niveau jammern. Es würde uns garantiert nicht schaden, von der 35 Stundenwoche abschied zu nehmen…

Grüsse

Sven

Ist ja schön…
Hi!

…dass Du Dir ausgerechnet das extremste Beispiel rauspickst…

Aber mal ganz eindeutig: Vergleiche den Standard der deutschen Arbeitnehmer mit den „Besten“ der restlichen G8-Staaten, und Du wirst zusammenzucken!

Und da finde ich die Forderung, ein paar kleine Opfer zu bringen (von etwas größeren traut sich hier in D ja niemand zu sprechen) nicht sooo schlimm!!!

LG
Guido