Selbstbestimmungsrecht der Völker

Hallo,

in Südtirol wird momentan wieder über die Selbstbestimmung der
Völker diskutiert.
Im Internationalen Paket über Bürgerliche und Politische Recht steht
unter Artikel 1,
Absatz 1: " Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft
dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und
gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Entwicklung." Was versteht man unter politischen Status? Welchen Staat
man zugehören will? Im Gruber-De-Gasperi-Abkommen ist von Autonomie
aber nicht von Selbstbestimmung die Rede. Kann man 60 Jahre auf die
Autonomie hinarbeiten und dann plötzlich wieder das
Selbstbestimmungsrecht fordern? Kann man die Autonomie nicht als Teil der inneren Selbstbestimmung sehen, womit dann auch mit der Autonomie (Südtirol hat heute in vielen Bereichen primäre (ausschließliche)Gesetzgebungsbefugnis, der Staat hat die ausschließliche Befugnis im Bereich des Steuerwesen, des Militärs und der Polizei) ein wesentlicher Teil des Selbstbestimmungsrecht erfüllt würde. Vielleicht könnte man mit dem Selbstbestimmungsrecht auch in diesen, dem Staat zustehenden Bereichen, dem Staat noch Zuständigkeiten abringen. Die aüßere Selbstbestimmung in Richtung Sezession wäre doch nur bei grober Missachtung der Menschenrechte möglich und somit in Südtirol auszuschließen. Kann ein Gremium wie die Generalversammlung der UNO nicht entgegenhalten, dass Südtirol nicht ein unterdrücktes Land ist, und durch die Autonomie der deutschsprachigen und ladinischsprachigen Volksgruppe schon Rechnung getragen wurde, so dass sie den Anspruch auf Selbstbestimmung unter gegebenen Umständen nicht unterstützen kann? Hat ein Gremium der UNO überhaupt solche Befugnisse?

Mir ist schon klar, dass momentan in Südtirol die Mehrheit der Bevölkerung nicht an einer Abspaltung von Italien interessiert ist. Es geht mir rein um die rechtlichen Möglichkeiten, die das Selbstbestimmungsrecht einem Volk gibt.

Vielen Dank
Martin Unterholzner

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Hallo!

in Südtirol wird momentan wieder über die Selbstbestimmung der
Völker diskutiert.
Im Internationalen Paket über Bürgerliche und Politische Recht
steht
unter Artikel 1,
Absatz 1: " Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung.
Kraft
dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen
Status und
gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und
kulturelle
Entwicklung." Was versteht man unter politischen Status?
Welchen Staat
man zugehören will? Im Gruber-De-Gasperi-Abkommen ist von
Autonomie
aber nicht von Selbstbestimmung die Rede. Kann man 60 Jahre
auf die
Autonomie hinarbeiten und dann plötzlich wieder das
Selbstbestimmungsrecht fordern? Kann man die Autonomie nicht
als Teil der inneren Selbstbestimmung sehen, womit dann auch
mit der Autonomie (Südtirol hat heute in vielen Bereichen
primäre (ausschließliche)Gesetzgebungsbefugnis, der Staat hat
die ausschließliche Befugnis im Bereich des Steuerwesen, des
Militärs und der Polizei) ein wesentlicher Teil des
Selbstbestimmungsrecht erfüllt würde. Vielleicht könnte man
mit dem Selbstbestimmungsrecht auch in diesen, dem Staat
zustehenden Bereichen, dem Staat noch Zuständigkeiten
abringen.

Also ich denke, es ist nicht richtig, dass man in Südtirol zunächst auf die Autonomie hingearbeitet hat. Man muss das im geschichtlichen Zusammenhang sehen, sonst erkennt man ja die Problematik gar nicht. Vorab sage ich, dass ich persönlich der Meinung bin, dass man eine Volksabstimmung über den Status abhalten sollte (und zwar möglichst ohne Einfluss von außen), denn nur dadurch, kann ein Ende der Diskussionen erreicht werden.

1918 zerfiel die österreichisch-ungarische Monarchie. Nach dem Willen des amerikanischen Präsidenten (übereinstimmend mit den republikanischen Kräften in Österreich) sollte die Monarchie ethnisch geteilt werden unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker (damals nahmen die USA ihre eigenen Werte noch ernst). Vor allem Frankreich war da dagegen, die Grenzen wurden daher in den Pariser Vororteverträgen unter Missachtung der ethnischen Grenzen und des Selbstbestimmungsrechtes gezogen. ME eine politisch sehr unkluge Vorgangsweise, da die Pariser Vororteverträge u.a. auch Basis waren für das Erstarken des Nationalsozialismus. Ich möchte jetzt da nicht den Franzosen die Schuld geben, aber der weise Sieger lässt den Gegner immer das Gesicht wahren und demütigt den Besiegten nicht noch dann, wenn eh schon alles aus ist.

Wenig bekanntes Detail am Rande: am 12.11.1918 wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen (der Vorläufer der Republik Österreich -> das heutige Österreich gründet seine Eigenstaatlichkeit noch immer auf diese Unabhängigkeitserklärung). Diesem Staat erklärten sich sämtliche deutschsprachigen Teile der Monarchie zugehörig. Also auch Südtirol, oder auch das Sudetengebiet in Böhmen (in Böhmen wurden sogar teilweise Volksabstimmungen abgehalten). Im ersten österreichischen Parlament waren auch Abgeordnete dieser Teile vertreten. Erst 1919 wurden diese Gebiete durch die Vororteverträge wieder abgetrennt. Die Befragung des Volkes wurde insb. von Frankreich ausdrücklich abgelehnt. Volksabstimmungen gab es nur in Südkärnten und in Ödenburg/Sopron, wobei nur die Volksabstimmung in Südkärnten demokratisch in Ordnung war (interessanterweise haben die Kärntner Slowenen mehrheitlich für Österreich gestimmt - eine Tatsache, die Nationalisten wie Jörg Haider bis jetzt nicht kapiert haben).

In Südtirol kommt dazu, dass die Besetzung Südtirols durch Italien nach dem Waffenstillstandsabkommen erfolgte, also entgegen damals schon gültigem Kriegsvölkerrecht.

Es ist daher auch eine logische Folge, dass das immer wieder zu Diskussionen führt. Ich persönlich bin ja wirklich froh, dass die europäischen Staaten zum ersten mal alle Freunde und keine Feinde sind, aber dass die ehemaligen Entente Länder im Zuge dieser Freundschaft einmal eingestehen könnten, dass da vielleicht manches nicht ganz richtig war, wäre durchaus auch einmal ganz gut.

In Südtirol kam es ja dann in der Mussolini Zeit zu massiven Repressionen und der Italienisierung. Nach dem 2. Weltkrieg stellte sich die Situation so dar, dass Österreich (im Unterschied zu Deutschland aber auch Italien) nicht als Verliererstaat galt. In Südtirol wurden daher Unterschriften für eine Rückkehr zu Österreich gesammelt und dem österreichischen Bundeskanzler Figl übergeben. 1947 begannen die ersten Staatsvertragsverhandlungen mit den Alliierten und da stellte Österreich die Forderung, Südtirol wieder an Österreich anzugliedern (Jugoslawien bekam ja auch Istrien von Italien).

Dies wurde jedoch von den Alliierten abgelehnt, ebenso wie eine Volksabstimmung in Südtirol. Eine diskutierte Zwischenlösung, also die Rückgliederung nur des Pustertales an Österreich, wurde von Österreich abgelehnt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war das Gruber - De Gasperi Abkommen, das die Grundsteine der Autonomie legte. Es ist daher nicht so, dass auf eine Autonomie hingearbeitet wurde, sondern die Autonomie das Ergebnis war, da nach dem 2. Weltkrieg die Angliederung an Österreich nicht durchsetzbar war.

Die aüßere Selbstbestimmung in Richtung Sezession
wäre doch nur bei grober Missachtung der Menschenrechte
möglich und somit in Südtirol auszuschließen.

Welche Menschenrechte sollten dadurch verletzt sein? Die Italiener in Südtirol wären dann eine Minderheit (also in Südtirol sind sie das jetzt ja auch, aber ich meine im Verhältnis zum Gesamtstaat), meinst du das? Das wäre keine Menschenrechtsverletzung, es wäre aber eine Verletzung der Minderheitenrechte, würde man den Italienern nicht die entsprechenden Minderheitenrechte, die die Südtiroler heute in Italien haben, ebenfalls zugestehen. Das Problem könnte aus völkerrechtlicher Sicht allenfalls die Frage sein, ob die Italiener in Südtirol eine autochtone Minderheit darstellen (hier setzen bis heute ja Argumente von südtiroler und österreichischen Nationalisten ein - ich halte das für Unsinn, da die Italiener mittlerweile auch schon fast 80 Jahre dort ansäßig sind).

Kann ein Gremium
wie die Generalversammlung der UNO nicht entgegenhalten, dass
Südtirol nicht ein unterdrücktes Land ist, und durch die
Autonomie der deutschsprachigen und ladinischsprachigen
Volksgruppe schon Rechnung getragen wurde, so dass sie den
Anspruch auf Selbstbestimmung unter gegebenen Umständen nicht
unterstützen kann? Hat ein Gremium der UNO überhaupt solche
Befugnisse?

Auch hier muss man sehen, wie die Sache vor die Vollversammlung kam. Italien ignorierte das Gruber - De Gasperi Abkommen in weiten Teilen. In den 60er Jahren kam es dann zu den Terroranschlägen in Südtirol gegen italienische Einrichtungen. Österreich brachte das Problem vor allem auf Wunsch der Südtiroler Landesregierung vor die UNO Vollversammlung. Es hat ja was genützt, denn dadurch wurde die heute so vorbildliche Autonomie erst Wirklichkeit (und gedauert hat das bis in die 90er Jahre). Das Problem ist heute übrigens nicht mehr vor der UNO, da Österreich und Italien den Streit offiziell beendet haben.

Mir ist schon klar, dass momentan in Südtirol die Mehrheit der
Bevölkerung nicht an einer Abspaltung von Italien interessiert
ist. Es geht mir rein um die rechtlichen Möglichkeiten, die
das Selbstbestimmungsrecht einem Volk gibt.

Na ja, es hat ja niemand die Bevölkerung gefragt, das stört mich. Sonst denke ich, dass Südtirol eine international vorbildliche Autonomie mit vorbildlichen Minderheitenrechten genießt. Sicher war das eine Lösung, mit der alle gut eben können. Problematisch ist aber dennoch, dass es nie eine ehrliche Vergangenheitsbewältigung gab. Anders ist das Theater rund um den abgesagten Besuch des italienischen Präsidenten in Wien ja nicht zu erklären. Da wird im Zuge der österreichischen Verfassungsdiskussion nur andiskutiert, ob der (ohnehin von der UNO und Italien anerkannte) Schutzmachtstatus Österreichs für Südtirol in die österreichische Verfassung kommen soll und bereits das war für Rom ein diplomatischer Skandal.

Gruß
Tom