Gedichte über Großstadt im Expressionismus

Hi!

Ich suche dringend expresionistische Gedichte über die Großstadt und wäre über jeden Vorschlag dankbar.

LG
Tine

Hi Tine,

Ich suche dringend expresionistische Gedichte über die
Großstadt und wäre über jeden Vorschlag dankbar.

von Walter Rheiner (1895-1925)

Ein Augenblick Paris
Bin ich noch hier? Es ist kein Irren?
…Jetzt bist du Stadt in mir!..
Ist dieses nicht das Silberklirren
deines Asphalts im bunten Flirren

des Morgens, der in dir
auffliegt, hell, wie ein Vogelschwirren,
wie deiner Sprache Strahlen-Wirren…
-:Fühlst du? Jetzt sind wir -: Wir!

und

Ankunft
Der dumpfe Bahnhof in der Sommernacht
brüllt wie ein Tier, und in der weiten Halle
stehn tausend Menschen, stumm und dunkel alle
und in sich zu, als gingen sie zur Schlacht.

Und wie die Züge mit gewälztem Schalle
eindringen in des bösen Leibes Pracht,
ist eine schwarze Sonne aufgewacht
und hängt am Himmel, nah, als ob sie falle.

  • und in mir taumelt schwer und ungeschlacht
    furchtbare Kälte auf! - spannt ihre Kralle
    wie eine Fledermaus vors Licht; entfacht

das Dunkel neu zu grenzenlosem Wall.
Und platzend quillt mein Herz aus seinem Schacht, -

  • wird dröhnend groß, wird zum Lawinen-Ball.

(geschrieben bei seiner Ankunft in Berlin)

und ein letztes:

Schwarze Stadt
Schwarze Stadt in den Wolken verschüttet,
gurgelnd unter den klirrenden Eutern des Himmels
/…Luft zerhackt in Rhythmen mystischer Brandung…),
Meteor gigantischen Lichtes:

  • nimm mich auf, gnädig auf, Sterbendenden, der tief
    fallet in dich hinab, deß Haar,
    geborsten schon, strohicht, verbrannt, Scheiterhaufen,
    wirr verscharret die glühende Stirn,
    der entspringt der dunkle Sturm, die trägt
    das rote Zeichen Kains (…Fanal!..).

Schwarze Stadt trunken taumelnd unter dem Regenbogen
weithin erglänzten Abends magisch bunt:
nimm mich auf, nimm auf den Menschen, der
sich beseligt dir nahet. (…O unermessenes glück,
konkaves Dasein unter den Firmamenten, die golden
netzen das königliche, das Haupt, das sich lange
und tief ihnen neigt!..)

Nimm auf, du Empörerische, den Wanderer,
der kehret heim von unendlicher Sphären-Reise,
bettet das Antlitz schwer in die Kissen des Parkes,
badet den Körper im Licht deines Morgens,
fallet klein vor dich hin und küsset den Saum
deiner steinernen Schleppe mit tiefem Gruß.

Gruß,
Anja

befindet sich (Hallo Tine) der Hl. Brechtbertus:

Die Städte

Unter ihnen sind Gossen
In ihnen ist nichts
Und über ihnen ist Rauch
Wir waren dort, wir haben nichts genossen
Wir vergingen rasch
Und langsam vergehen sie auch

(Aus dem Gedächtnis, ohne Gewähr für Interpunktion und Titel)

Schöne Grüße

MM

Hallo, Tine,

ich habe drei Vorschläge:

Stadt

Zehntausend starre Blöcke sind im Tal errichtet,
aus: Stein auf Stein um Holz- und Eisenroste hochgeschichtet;
und Block an Block zu einem Berg gedrückt,
von Dampfrohr, Turm und Bahn noch überbrückt,
von Draht, der Netz an Netze spinnt.
Der Berg, von vielen Furchen tief durchwühlt:
Das ist das große Labyrinth,
dadurch das Schicksal Mensch um Menschen spült.

Fünfhunderttausend rollt im Kreis das große Leben
durch alle Rinnen fort und fort in ungeheurem Streben:
In Kaufhaus, Werkstatt, Saal und Bahnhofshalle,
in Schule, Park, am Promenadenwalle,
im Fahrstuhlschacht, im Bau am Kran,
treppauf und -ab, durch Straßen über Plätze,
auf Wagen, Rad und Straßenbahn:
da schäumt des Menschenstrudels wirre Hetze.

Fünfhunderttausend Menschen rollt das große Leben
durch alle Rinnen fort und fort in ungeheurem Streben.
Und karrt der Tod auch hundert täglich fort,
es braust der Lärm wie sonst an jedem Ort.
Schleppt er vom Hammerblock den Schmied,
schleppt er vom Kurvengleis den Wagenleiter:
noch stärker brüllt das Straßenlied:
Der Wagen fährt - der Hammer dröhnt weiter.

Gerrit Engelke
1882 - 1918

Stimme aus dem Leunawerk

Die Städte wachsen.
Immer einsamer wird der Mensch;
bald wird man weit reisen müssen,
zu sehen, wo grüne Erde ist.
Das Korn wird mager,
Asche färbt es braun,
und seine Lust zum Blühen stirbt.

Die Werke wachsen.
Immer höher werden die Zäune des Gleichmaßes,
Schornsteine dampfen ohne Hoffnung.
Bald werden unsere Gesichter Gruben der Nacht sein,
niemand wird uns erkennen,
die Erde wird vergessen haben,
was wir sind.

Walter Bauer
1904 - ?

Großstadtmorgen

In den Asphaltstraßen träumt es wie ein Ahnen,
daß es irgendwo noch Welt voll Stille gibt,
aber wenn die ersten Straßenbahnen
über Schienen poltern, jäh der Traum zerstiebt.

Donnern Straßen auf und ab erst die Motoren,
ist der Morgen hart und bleischwer wie der Tag.
Ein verscheuchtes Küchlein - im Gewühl verloren -,
irrt der Mensch ans Werk; doch heimlich in den Ohren
summt Erinnerung an Wald und Lerchenschlag.

Herbert Lipp
1886 - ?

Gruß
Scarlet

Hallo Tine! Es gibt auch die eine oder andre Anthologie mit Expressionismus-Gedichten, wo man dann sehr gut schon an mehreren Titeln das Thema stadt ablesen kann.
Du kannst zB mal in die erste derartige Sammlung schauen (die steht in relativ vielen Bibliotheken): Kurt Pinthus - Menschheitsdämmerung, da sind die ganzen „Klassiker“ wie Heym, Benn, Trakl, Lasker-Schüler etc drin, und ich meine mich zu erinnern, dass sich ein Abschnitt nur mit Stadt beschäftigt.
Leider hab ich grad wenig Zeit, aber wenn du irgendwelche speziellen Wünsche hast, kann ich mal nachschauen und abtippen, denn 2 Anthologien - u.a. ebend ie Menschheitsdämmerung - stehen in meinem Schrank.
Und als Tipp noch dazu: Wenn du noch was über Vorbilder der Expressionisten brauchst: Charles Baudelaire hat in „Die Blumen des Bösen“ das Thema für die Nachfolger schon sehr schön vorbereitet :wink:

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Tine!

Georg Heym

Der Gott der Stadt

Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn.

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
Die großen Städte knieen um ihn her.
Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik
Der Millionen durch die Straßen laut.
Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik
Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.
Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.
Die Stürme flattern, die wie Geier schauen
Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt
Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust
Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.

Viele Grüße
soneji