Hallo Mike
ich schaue mir mal den Check genauer an.
1) Können Sie problemlos hineinschnuppern und ebenso leicht wieder aussteigen, ohne bedrängt, geschnitten, verfolgt zu werden?
Spricht für sich.
2) Geht’s an Ihr Erspartes? Müssen Sie Schulden machen, sich Geld leihen? Werden Sie dazu gedrängt, sich zu irgend einer Summe über einen längeren Zeitraum finanziell zu verpflichten?
Spricht auch für sich.
3.) Die Frage aller Fragen: Sind die Beziehungen zu Ihren Eltern, Kindern, Partner/in, Nachbarn, Berufskollegen/innen, Vorgesetzten … - nachdem Sie sich einer Gruppe angeschlossen haben - besser oder schlechter geworden? Was sagen diese Personen über Sie? Kommen diese Menschen besser oder schlechter mit Ihnen zurecht? Wenn Sie den Eindruck haben, dass sich hier irgend etwas zum Schlechteren verändert hat, dann sollten Sie sich schleunigst von dieser Gruppe trennen. Hüten Sie sich davor, sich von Gruppenmitgliedern oder deren Führern gegen irgend jemanden in Ihrem Umfeld aufhetzen zu lassen (Ausnahme: Gewalt bzw. starke Repression in Beziehungen, Mobbing am Arbeitsplatz u.ä.).
Dieses Argument ist zweischneidig. Das verschlechterte Verhältnis kann sowohl vom Konvertierenden als auch vom Umfeld ausgehen. Wenn ein Moslem in Ostanatolien zur Evangelischen Kirche konvertiert, wird er unabhängig von seinem Verhalten massive Probleme mit seinem Umfeld bekommen -> Was eine „Sekte´“ ist, hängt somit auch von der Toleranz der Mitmenschen ab.
4.) Können Sie problemlos Ihren bisherigen Lifestyle beibehalten, wenn Sie das wünschen? (Hobbys, Freunde, Bekannte, Mitgliedschaft in anderen Organisationen).
Auch ein zweischneidiges Argument.
Ein gewünschter Effekt von Religionen ist es, Menschen zu einem „besseren“ Lebenswandel zu führen. Wenn ein Alkoholiker, der Frau und Kinder schlägt, behauptet, er hätte zu Gott gefunden, erwartet jeder, dass er etwas an seinem Lifestyle ändert. Wenn keinerlei Bemühen erkennbar ist, taugt seine neuer Glaube nicht viel.
5.) Werden Sie aufgefordert, andere zu missionieren?
Das Missionieren ist oder war der Bestandteil der großen Religionen Christentum, Islam und Buddhismus. Wenn die meisten Konfessionen dies nicht mehr tun hat das was mit Erhaltung des Status Quo zu tun. Andererseits ist Missionierung nichts anderes als aktives Marketing. Wieso soll ist es legitim für ein Waschmittel oder der Mitgliedschaft in einem Verein zu werben, aber nicht für eine Religion?
6.) Ist das Programm der Gruppe eher auf „sich selbst und anderen verzeihen“ oder auf „Kampf und Krieg gegen ‘falsch’ Denkende, ‘falsch’ Handelnde und dem ‘falschen’ Glauben Angehörende“ angelegt?
Der hintere Teil spricht für sich selber. Aber warum muss der vordere Teil von einer Religion erfüllt werden? Für den Islam oder Shintoismus würde man dies so nicht behaupten, oder sind das etwa insgesamt Sekten?
7.) Findet eine Hetze gegen die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften statt?
Spricht zunächst für sich selbst. Aber einer Religion sollte es gestattet sein, in einzelnen Fragen eine eigene Meinung haben zu dürfen.
8.) Hat die Gruppe/Organisation einen Meister-Führer-Vater-Guru-Messias-Prophet-Vordenker, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist, absoluten und bedenkenlosen Gehorsam verlangt und eine sehr autoritäre Führung praktiziert? Problematisch vor allem dann, wenn dieser Führer nur sich selbst als göttliche Inkarnation, seine Anhänger jedoch als „noch unreif“, „sündig“, also als nicht göttlich ansieht.
Ziemlich klar.
9.) Fühlen Sie sich moralischem Druck ausgesetzt - haben Sie, seit Sie dieser Gruppe angehören, häufiger als früher ein schlechtes Gewissen? Wird Ihnen gesagt, dass Sie „sündig“ seien und durch die Mitgliedschaft in dieser Organisation rein gewaschen werden können?
Den erste Satz finde ich problematisch. Wie erwähnt sollen Religionen den Menschen in seinen Wertmaßstäben beeinflußen. Ein schlechtes Gewissen wird da häufig die Folge sein, wenn man frühere Handlungsweisen mit dem neuen Wertmaßstäben betrachtet.
10.) Wird Ihnen gesagt, dass der Untergang der Menschheit bevorstehe und nur diejenigen gerettet werden, die dieser Bewegung angehören?
Spricht für sich, nur sollte man da ein wenig differenzieren.
Die Vorstellung von einem „letzten Tag“ sind Bestandteile des Islam und Christentums.
11.) Werden Sie gezwungen, sehr intime Gedanken, Erlebnisse und Gefühle preiszugeben, obwohl Sie das eigentlich nicht wollen?
Das ist eindeutig.
12.) Werden Ihre Fragen und kritischen Anmerkungen angenommen / ernst genommen oder „abgebürstet“? Dürfen Sie in der Gruppe offen über Ihre Zweifel reden, oder werden Sie als „Ketzer“ ausgegrenzt bzw. einer Gehirnwäsche unterzogen?
Spricht für sich.
13.) Wenn Sie bestimmte Rituale nicht mitmachen und erst einmal beobachten und prüfen wollen, werden Sie dafür schief angesehen - oder (mehr oder weniger nachhaltig) zum Mittun aufgefordert?
Ist klar, wobei man hier ein normales höfliches Verhalten beibehalten sollte. Wenn die Gruppe beispielsweise betet, wäre es kein Sekten-Zeichen, dass sie einen, bittet den Walkman auszumachen.
14.) Wird Ihnen die Verantwortung für Ihre (Alltags-)Entscheidungen abgenommen (entscheidet der Führer, Leiter, Meister, Guru etc. für Sie, was für Sie gut und richtig ist) - oder werden Sie dazu ermutigt und „empowered“, Ihre eigenen Entscheidungen für sich selbst zu treffen?
Völlig klar.
15.) Wird in der Gruppe „zum Lachen in den Keller gegangen“ - oder gibt es eine Kultur des Humors (nicht auf Kosten anderer) und der spielerisch-kreativen Selbstironie?
Das Fehlen von Humor ist nicht schön, aber daraus kann man kein Kriterium für eine Sekte ableiten. Während religiöser Riten kann er unpassend betrachtet werden und wieviel Humor die Mitglieder im alltäglichen Leben haben, sollte eine private Sache sein.
16.) Herrschen in der Gruppe rigide, starre Normen - oder erleben Sie ein gelassenes Klima gegenseitigen Respekts?
Dieses Kriterium geht nach hinten los. Regide und starre Normen finden sich sowohl im Vatikan wie in einem buddhistischen Kloster.
17.) Die „einfachste“ Frage zum Schluss: Lebt die Leitung der Gruppe / der Bewegung / der Therapie- oder Glaubensrichtung das, was sie lehrt? (Kommt der Kindertherapeut mit seinen eigenen Kindern gut klar? Lebt der Paartherapeut in einer intakten Beziehung? Lebt der, der zum Zölibat aufruft, selbst enthaltsam? …) Hält sich die „Spitze“ selbst an die Regeln, die der Basis anempfohlen oder auferlegt werden?
Das ist ein sehr schönes Kriterium für die Qualität einer Gruppe, aber völlig ungeeignet zur Definition einer Sekte. Viele Menschen verlassen ihre Kirche, weil sie ihr genau Obiges vorwerfen.
Bei diesem Check wurden Kriterien gesammelt, die man bei typischen „Sekten“ beobachten kann. Einige dieser Kriterien findet man aber auch bei Hochreligionen.
Selbst bei „typischen Sekten“ treffen nicht alle Kriterien zu, während einige Kriterien auf den eigenen Arbeitgeber oder den Freiwilligen Feuerwehrverein zutreffen. 
Fazit: Der Sekten-Check ist ein guter Ansatz, ist aber zur Beurteilung und Unterscheidung von Religionsgemeinschaften nicht ausreichend.
Gruß
Carlos