Hi zusammen.
Das Thema bzw. die Hypothese ist nicht neu, aber ich erfuhr das erst, als mir von selbst dieser (rein hypothetische) Gedanke gekommen war (nach der Durchsicht eines theologischen Buches von Paul Verhoeven). Verhoeven, ein Atheist, aber Jesus-Fan (nach eigener Aussage), ist bekanntlich einer der erfolgreichsten Regisseure in Hollywood (u.a. Robocop, Basic Instinct, Showgirls, Hollow Man), seit 85 auch Mitglied des renommierten „Jesus“-Seminars, dem 47 amerikanische Professoren aus Theologie, Philosophie usw. angehören. Er errang in dieser Gruppe den Status eines „fellow“, kann somit durchaus als kompetent auf dem Gebiet der Bibelforschung gelten.
Ich nutze einige Passagen aus seinem Buch „Jesus - Die Geschichte eines Menschen“, um die Jesus=Schamane-These zu stützen. Verhoeven selbst zieht allerdings keine Parallelen zum Schamanismus.
Die These ist also, dass Jesus, wie viele andere in seiner Zeit, ein Exorzist war und damit den orientalischen Schamanen nicht nur vergleichbar, sondern - im Prinzip - gleichzusetzen ist. Ich habe schon vor einigen Wochen Autoren zitiert, die davon ausgehen, dass es auch in der abendländischen Antike Schamanen gab (Burkert, Kingsley), was hier im Forum z.T. auf Widerspruch stieß.
Was Jesus=Exorzist betrifft, schreibt Verhoeven:
„Theologen der unterschiedlichsten Richtungen stimmen gegenwärtig darin überein, dass Jesus ein Exorzist war und auch von seinen Zeitgenossen als solcher angesehen wurde (…) Jesus verdankte seine Bekanntheit vor allem seinen erfolgreichen Exorzismen, deshalb kamen die Menschen zu ihm: sie wollten von ihren Leiden geheilt werden (…)“ (Jesus, 105)
Ich schicke einigen relevanten Bibelstellen ein Zitat zum Thema voraus:
http://www.wurzelwerk.at/thema/schamanenblick09.php
"(Frage:smile: Auch monotheistische Religionen wie die katholische kennen den Exorzismus, die schulmässige Teufelsaustreibung. Lässt sich das nicht mit dem Einsatz eines Schamanen vergleichen, der einen Krankheit erzeugenden Geist bekämpft?
(Antwort:smile: Exorzismus ist eindeutig eine Reminiszenz an die schamanische Herkunft unserer Kultur. Auch Schamanen auf der ganzen Welt vertreiben Geister, die Besitz von einem Körper genommen haben und ihn schädigen. Im Unterschied zum Schamanen glaubt ein Priester jedoch, dass der Geist, den er austreibt, ein Teufel ist. Beim schamanischen Exorzismus wird zwar der Geist vertrieben, aber nicht, weil er der Böse ist, sondern weil es nicht richtig ist, in den Körper eines Menschen zu gehen."
Zitat Ende.
Nun folgt ein Teil der Verhoeven-Analyse des Markus-Berichts über einen durch Jesus getätigten Exorzismus. Es geht um die Heilung eines Leprakranken in Markus 1, 40-43. Dabei kann es laut V. auch um die Hautkrankheit Psoriasis gegangen sein.
Es heißt: „Jesus hatte Mitleid mit ihm, er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: ich will es - werde rein. Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz, und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg (…)“
V. merkt dazu an, dass es Differenzen gibt betreff des Ausdrucks „Mitleid“. Im griechischen Ursprungstext steht im Vers 41 „splangnistheis“, was „von Mitleid berührt“ bedeutet. Im „Codex Bezae Calabriensis“ dagegen ist von „orgistheis“ die Rede, was „in Zorn entbrannt“ heißt. Diese Version ist in späteren lateinischen Texten als „iratus“ erhalten geblieben.
Verhoeven: „Theologen suchen dann nach der ´schwierigeren´ Lesart (…) Wenn einige Codices in einem bestimmten Punkt voneinander abweichen, muss man gerade dem Text den Vorzug geben, der am schwersten zu verstehen ist“ (110)
Man steht also vor der Wahl, die eine oder die andere Version als die originale anzusehen. Da es aber keinen Grund gäbe, die „Mitleids“-Version in die „Zorn“-Version umzuwandeln, da es vielmehr verständlicher wäre, hätte ein Redakteur umgekehrt den Zorn zu Mitleid „geglättet“, spricht viel dafür, die Zorn-Version als die originale anzusehen - also die Version, die offiziell nicht im Bibeltext steht.
Was dafür spricht - um zu meiner These zu kommen - , dass Jesus ein typisch schamanisches Verhalten an den Tag legte, als er den „Dämon“ aus dem Leib des Kranken vertrieb. Es ist also nicht einfach eine „Kraft Gottes“, die aus ihm heraus wirkt, es ist sein Sich-hinein-Steigern in einen ekstatischen Geisteszustand, der ihm die exorzistischen Fähigkeiten gibt - wie im Schamanismus.
In Vers 43 heißt es in der offiziellen Bibel:
„Und Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich.“
V. weist aber darauf hin, dass im griechischen Text von Markus von „embrimesanenos“ die Rede ist, was nicht „drohen“, sondern „brüllen, schnauben“ bedeutet.
Dazu V.: „In Wirklichkeit war Jesus Verhalten bei den Exorzismen (…) so extrem, dass seine Familie glaubte, er sei verrückt geworden. Markus zufolge kamen seine Mutter und seine Brüder aus Nazaret nach Kaparnaum, um ihn ´aufzugreifen´“ (Jesus, 112)
Markus schreibt hier „kratein“, was als „aufgreifen“ übersetzt ist. An zwei anderen Stellen verwendet Markus „kratein“ mit der Bedeutung „festnehmen“. V. weist darauf hin, dass diese Textstelle bei Lukas und Matthäus nicht erscheint, welche sie also einfach weggelassen haben, als sie Markus kopierten. Der Grund ist klar: Jesus als wutrasender Dämonenaustreiber - für die Nachwelt nicht unbedingt eine schöne Vorstellung.
Ich will es bei diesen Ausführungen belassen, kann aber noch weitere Passagen aus Verhoevens Buch nachreichen, die eine Verbindung von Jesus zum Schamanismus nahelegen.
Wie seht ihr das?
Gruß
Horst