Mädchenmord in Indien

Hallo, alle,
Gerade brachte der Report im Fernsehen die Nachricht: in einigen Gebieten Indiens werden 80% der neugeboren Mädchen getötet. Die, die man leben lässt, hat man meist deshalb am Leben gelassen, um Nachschub für die Tempelprostituirten zu haben… und zum Vergnügen der Ortsgewaltigen.
Wäre das nicht ein neues Aufgabengebiet für die emanzipierten Frauen (eigentlich für uns alle!)? Ebenso, wie die schon hier diskutierte Beschneidung der Mädchen.
Grüße
Raimund

Hallo Raimund,

ich habe den Bericht auch gesehen.

Dein Ansatz ist gut, nur: wie willst Du sie Sache praktisch durchsetzen. In den Flieger steigen und nach Indien fliegen, ist einfach. Und dann? Die wenigsten von uns sind eines der vielen indischen Dialekte mächtig; wir kennen uns kaum bis überhaupt nicht mit der dortigen Kultur, den Traditionen und den Lebensumständen aus. Wie willst Du dann als Fremder die Menschen davon überzeugen, daß es nicht richtig ist, Mädchen umzubringen? Mit unseren westlichen Weisheiten und ethischen Vorstellungen kommen wir da nicht besonders weit.

Du darfst auch nicht vergessen, daß diese grausige „Tradition“ eine uralte Geschichte hat und - mit Billigung der indischen Regierung - nach wie vor praktiziert wird, obwohl Mädchenmord in Indien bereits 1829 (!!!) verboten wurde. Genauso war es doch mit der Witwenverbrennung (seit 1832 verboten). Diesen alten Zopf wirst Du nicht von heute auf morgen abschneiden können.

Wenn Du den Bericht aufmerksam verfolgt hast, ist Dir sicherlich aufgefallen, welche abenteuerliche Begründung die Frau gebracht hat, die zwei ihrer neugeborenen Enkelinnen vergiftete: „wie hätten wir uns denn die Mitgift für vier (oder waren es sechs?) Mädchen leisten können“. Bei dieser Argumentation stehen einem doch die Haare zu Berge! Die Mutter der getöteten Mädchen saß daneben und sagte mit einem Lächeln nur „ich bin noch jung und muß gehorchen, was hätte ich denn machen sollen?“.

Und genau hier liegen die größten Probleme: erstens in der entsetzlichen Armut in Indien und zweitens in der mangelnden Aufklärung (auch über Verhütungsmöglichkeiten). Hier muß man also ansetzen. Es geht nicht um die Gewährung des x-ten Kredites oder um „Almosen“ aus Deutschland. Die vielzitierten Zauberworte sind auch hier die Hilfe zur Selbsthilfe und Aufklärung. Das ist das Prinzip, nach dem z. B. die Andheri-Hilfe (wurde auch in dem Beitrag erwähnt) und Plan-International verfahren. Es ist nicht damit getan, einem Einzelnen Geld zu schicken, wenn er sich davon ohnehin nichts kaufen kann, weil die Ernte wieder einmal mehr als mager ausgefallen ist oder eine Viehseuche grassiert. Viel sinnvoller ist meines Erachtens die Übernahme einer Patenschaft, weil mit dem Geld - meistens zwischen 40 und 50 DM im Monat, was für uns ein Witz, für indische Verhältnisse aber unerhört viel ist - nicht nur das einzelne Kind sondern das ganze Dorf unterstützt wird; ob nun durch den Bau eines Brunnen, sanitärer Anlagen, einer Schule oder Gesundheitsstation. Oder halt Projekte zu unterstützen, die seit Jahren erfolgreich vor Ort tätig.

Ob nun Mädchenmord in Indien oder Mädchenbeschneidung in Afrika, ohne Aufklärung der Frauen (die Männer halten sich in beiden Fällen meistens völlig aus den Ritualen raus) wird sich daran nichts ändern. Damit wären wir beim nächsten Problem, nämlich an der fehlenden (Aus)Bildung: Du wirst z. B. einer afrikanischen Dorfbewohnerin, die ein U von einem X nicht unterscheiden kann, schlecht ein Buch über die Folgen der Mädchenbeschneidung in die Hand drücken können oder einer indischen Mama empfehlen, bei ihrem Kind erst Fieber zu messen, wenn sie noch nie in ihrem Leben ein Thermometer gesehen hat. Da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz, gell?

Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als seriöse Projekte finanziell zu unterstützen.

So long

Tessa

Hallo Raimund,

die oft grausamen Rituale unterschiedlicher Art in allen Teilen der Welt werden oft ausgerechnet von den Betroffenen selbst- oft von Frauen - zelebriert, gepflegt und überliefert. Sie sind Teil von Kulturen, die sich unserem Verständnis entziehen und nicht unseren Wertvorstellungen entsprechen. Die hilflos-entsetzte Verständnislosigkeit will am Ritual ansetzen und wird damit nur vehementen Widerstand ernten, aber keine Änderung bewirken. Der einzig wirksame Hebel heißt Bildung für alle Bevölkerungsschichten. Nicht nur in Indien, nicht nur in Afrika.

Gruß
Wolfgang

hallo, Wolfgang,
so sehe ich das auch. Keine Hightec-Kampfflugzeuge, Supersturmgewehre, sondern Schulen und Hilfe zur Selbsthilfe. Doch damit bekommt man keinen afrikanischen Stammesfürsten dazu, sein Öl an uns zu verkaufen. Außerdem bringen Waffen blanke Dollars in die Kassen. Böhm hat in Ätiopien hervorragendes geleistet. Mit relativ wenig Geld. Wenn wir nur die Hälfte der Gelder, die wir den indischen, pakistanischen, afrikanischen Adeligen in den Hintern schieben für Bildung und Grundlagen zur Selbstversorgung verwenden würden, würde es weitaus weniger Leid geben. Und es wäre Kapital in den Regionen, um es wieder (durch Käufe) zu uns zurück zu bringen. Genauso ist es für unsere heutige Technik gar nicht mal unmöglich, unfruchtbare Gebiete wieder in fruchtbare zu verwandeln. Ein Beispiel sind hier die Emirate. Oder Israel.
Grüße
Raimund