Vergleich Hundertwasser - Gaudi

Beide Architekten wollten sich nicht an zeitgenössischen Moden orientieren und erfanden jeweils ihren eigenen Stil. Was genau unterscheidet / verbindet sie nun?

Moin, Rockabella,
das lässt sich mit Worten fast nicht erklären. Frag mal Tante Gurgls Bildersuche nach Bauwerken, dann fällt Dir gewiss etwas ein.

Ganz nebenbei: Hat sich eigentlich schon mal jemand gefragt, warum Hundertwasser in seine Häuser keine Fenster einbaut, die seinem Formsinn entsprechen?

Gruß Ralf

Hallo Rockabella89,

seinen eigenen, unverwechselbaren Stil zu haben, ist das Bestreben jedes Künstlers. Allerdings fängt niemand bei Null an. Jeder hat eine Ausbildung oder eine andere Form von Beeinflussung aus der Gegenwart oder Vergangenheit erfahren und befindet sich in einer ständigen Auseinandersetzung. Die kunsthistorische Forschung sieht eine ihrer Hauptaufgaben darin, diese Einflüsse und Verbindungen zu erschließen.

Dazu zwei Zitate:

„Seine bunten Bilder waren durch weiche Naturformen und Spiralen geprägt. Von der Wiener Secession, insbesondere von Gustav Klimt und Egon Schiele inspiriert, entwickelte der Aktionskünstler und Umweltaktivist seinen eigenen „Hundertwasser-Stil“. Seine Popularität und die hohe Kunst der Massenvermarktung verhalfen ihm zu weltweiter Bekanntheit.
Hundertwasser bezeichnete die gerade Linie als gottlos, da sie in der Natur nicht vorkomme. Deshalb forderte er in seinem „Verschimmelungsmanifest“, dass die gerade Linie verboten werden sollte. Ein Auszug aus diesem Manifest: „Schon das Bei-sich-tragen einer geraden Linie müsste, zumindest moralisch, verboten werden.“[1]“ Aus: => http://de.wikipedia.org/wiki/Hundertwasser

Und:
„Gaudí war bekannt für seinen eigenwilligen Stil von runden, organisch wirkenden Formen. Er errichtete seine Bauwerke in der Formsprache des Modernisme, der katalanischen Spielart des Jugendstils. Die typischen Merkmale waren geschwungene Linien, unregelmäßige Grundrisse, schräge gemauerte Stützen, naturnahe weiche Formen mit Motiven der Flora und Fauna.“ Aus => http://de.wikipedia.org/wiki/Antoni_Gaud%C3%AD

Diese Gemeinsamkeiten werden noch klarer, wenn man sich stilistische Gegensätze vorstellt, z. B. Klassizismus, Bauhaus …

Freundliche Grüße
rotmarder

Ganz nebenbei: Hat sich eigentlich schon mal jemand gefragt,
warum Hundertwasser in seine Häuser keine Fenster einbaut, die
seinem Formsinn entsprechen?

Gruß Ralf

Ich denke das Problem hat er mit seinem „Fensterrecht“ gelöst.Drumherummalen um die Fenster verzerrt das Bild und lenkt von den geraden Linien des Fensters ab. Ich glaube, es wäre für ihn einfach zu aufwendig/kompliziert geworden.
Obwohl, wenn man dann an seine Feinarbeiten und den Detailreichtum denkt…? Wer weiß…?

Servus,

Ganz nebenbei: Hat sich eigentlich schon mal jemand gefragt,
warum Hundertwasser in seine Häuser keine Fenster einbaut, die
seinem Formsinn entsprechen?

Zwei - spekulative - Möglichkeiten:

  • Hundertwasser bleibt insgesamt dekorativ, er hat selbst in seinem programmatischen „Hundertwasser-Haus“ in der Kegelgasse Wien 30 außer einigen Überraschungen betreffend Fußböden und Treppen, einigen runden Ecken und dergleichen keine Elemente verwendet, die die Grundstruktur des Hauses wesentlich vom Üblichen abweichen lassen. Der Begriff der „Behübschung“ passt dazu ganz gut: Hundertwassers Handschrift bleibt an der Oberfläche. Gaudí dagegen war ein großer Baustatiker, er versuchte dort, wo dieses im Rahmen der Vorgaben möglich war, die Struktur der Gebäude aus Kästlein, Schubladen und Regalen zu befreien. Selbst in der „Pedrera“ findet man Ansätze dazu, und im - bei ihm programmatischen - Palau Güell hat er die gesamte innere Struktur des Hauses in die Senkrechte aufgelöst. Interessante statische Studien von ihm sind u.a. in der Sagrada Familia zu sehen: Beschwerte Schnüre, in Bogen hängend, illustrieren die „Verbesserung“ gotischer Gewölbe durch Gaudí, sozusagen auf dem Kopf stehend - er hat derartige Modelle für experimentelle Studien verwendet, um eine Art statischen „Idealbogen“ für Gewölbe zu finden.

  • Hundertwassers Werk liegt in einer Zeit, in der die Stundenlöhne am Bau (einschließlich aller Gewerke und Funktionen) übern Daumen wenigstens das Fünfzigfache derer ausmachen, mit denen Gaudí bauen konnte. Es liegt also nahe, dass in viel größerem Umfang auf standardisierte Elemente zurückgegriffen werden muss. Vgl. anthroposophische Architektur, in der die Abweichung vom rechteckigen Fenster eine ganz wichtige Rolle spielt, die aber in neueren Bauten von z.B. Waldorfschulen und -kindergärten nicht mehr so viel zu finden ist, schlicht weil auch Anthroposophen hie und da den Koffer voll Gold unterm Bett nachfüllen müssen, bevor Käptn Ephraim aus Taka-Tuka-Land vorbeischneit.

Insbesondere Gebrauchsarchitektur wie z.B. eine Siloanlage vom Rechten Winkel zu befreien, wäre allein schon für den Statiker und den Stahlbauer eine Herkulesarbeit, die bezahlt sein will.

Um bei Wohnbauten vom Rechten Winkel weg zu kommen, müssten Fenster, Türen, Rolläden etc. vollständig handwerklich angefertigt werden. Die Mieten für ein Gebäude, das dabei herauskommt, auf ein irgendwie bezahlbares Maß herunterzusubventionieren, war selbst für einen Lepold Gratz nicht im Budget unterzubringen - der ursprüngliche Entwurf Hundertwassers für das Hundertwasser-Haus hat ganz anders ausgeschaut.

Schöne Grüße

MM