Tritte, Tränengas und Faschistenlieder
Der Kasseler Wissenschaftler Ulrich Brand hat am 21. Juli in Genua nach eigenen Angaben friedlich gegen den Weltwirtschaftsgipfel demonstriert, als er plötzlich verhaftet wurde. 30 Stunden hielt ihn die italienische Polizei fest. In SPIEGEL ONLINE beschreibt er sein Martyrium.
AFP/DPA
Die Polizei ging in Genua mit äußerster Härte gegen die Demonstranten vor.
Zu siebt nahmen wir am Samstag, 21. Juli, an der Großdemonstration in Genua während des G-8-Treffens teil.
Die Demonstration war genehmigt und fand außerhalb der Sperrzone statt.
Wir entschlossen uns, gegen 15.30 Uhr mit dem Demonstrationszug durch das Zentrum zu laufen. Die Stimmung war sehr gut, trotz der Vorfälle vom Freitag.
Entfernt waren erste Auseinandersetzungen mit Rauchbomben zu beobachten, jedoch in sicherer Entfernung der Demonstrationsroute.
Wir schlossen uns einem Teil des Demonstrationszuges an, in dem auch eine Gruppe italienischer Gewerkschafter mitliefen und kamen so an eine Straßenkreuzung im Zentrum der Stadt, an der die Veranstalter die TeilnehmerInnen aufforderten, schneller zu gehen, damit der Zug nicht stockte.
Plötzlich wurde sowohl hinter als auch vor uns Tränengas in die Menge geschossen.
Unter den Demonstranten brach Panik aus.
Ich blieb mit zwei anderen Mitgliedern meiner Gruppe zusammen, wir wollten zurückgehen. Dann entdeckten wir eine offene Haustür und suchten zusammen mit etwa hundert anderen Menschen Schutz.
Wir waren alle relativ ruhig, damit beschäftigt, mit Wasser die Augen auszuwaschen und das Gesicht abzuwischen. Eine Hausbewohnerin öffnete die Tür und bot Hilfe an.
Real Video: Gewalt und Gegengewalt – was geschah beim Polizeieinsatz von Genua?
Ulrich Brand
Nach etwa 20 Minuten ging die Meldung durch den Flur, dass unten die Polizei stehe und uns rauslassen würde. Wir gingen hinunter, und im Erdgeschoss - ich dachte an überhaupt nichts Böses - riss mich plötzlich ein wütender Polizist an meinem schwarzen T-Shirt, zeigte auf das darauf abgebildete Porträt des mexikanischen Zapatistenführers Marcos, und schrie: „Terrorista!“
Ich versuchte weiterzugehen, wurde aber festgehalten und musste dann meinen Ausweis zeigen, der mir sofort abgenommen wurde. Etwa fünf Minuten lang wurde ich im Hauseingang festgehalten, meine beiden Begleiterinnen mussten weitergehen, im Flur hinter mir wurden Leute geprügelt. Ich musste den Rucksack öffnen, er wurde auf den Boden geworfen, zwei Kniebandagen, Fotoapparat, den Rucksack selbst und eine Uhr sah ich nicht wieder.
Ulrich Brand, 34, ist wissenschaftlicher Assistent an der Universität Kassel und forscht über Politik und Globalisierung. Er ist aktiv im Bundeskongress Entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) und im Dritte-Welt-Haus Frankfurt. Brand veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel zum Thema Globalisierung. Die Demonstration in Genua war erst die dritte in seinem Leben.
Zu zweit wurden wir festgenommen, ein Italiener (ich nenne ihn in Unkenntnis seines Namens Massimo) und ich. Wir waren diejenigen gewesen, die schwarze Kleidung trugen: Er war ganz in Schwarz gekleidet, ich trug das schwarze Marcos-T-Shirt, blaue Hosen und Turnschuhe. Vor einem Polizeiwagen mussten wir auf den Boden knien und uns wurden Handriemen angelegt, die wir bis zur Einlieferung in die Bolzaneto-Kaserne umhatten. Mit einem Kombi wurden wir in etwa fünf Minuten zu einem Gebäude (wie sich später herausstellte, war es das Polizeipräsidium) in der Innenstadt gefahren. Man spürte bereits die Wut und den Hass der Polizisten. Massimo wurde permanent mit einem Polizeiknüppel geschlagen, mein „Nachbar“ war zahmer. Dann wurden wir vom Auto in das Gebäude geführt. Der Polizist neben mir drohte (die Verständigung war die ganze Zeit auf Englisch), wenn ich fliehen würde, würde er mich umbringen (I will kill you).
Dann summte der hinter mir laufende Polizist ein Lied, worauf der neben mir fragte: „Do you know this song? No? It’s a fascist song.“
Vor dem Gebäude standen zig uniformierte und zivil gekleidete Polizisten. Drinnen wurden wir in einen schmutzigen Raum ohne Möbel und mit Kachelboden geführt, und ich wusste sofort, was jetzt passieren würde. Wir wurden auf den Boden geworfen, dann erst Massimo und danach ich verprügelt, dabei die ganze Zeit in Handschellen gefesselt. Um mich herum standen etwa 10 bis 15 Polizisten, etwa fünf von ihnen kamen nacheinander an mich heran und traten zu: Kopf, Gesicht, Rücken und Beine. Es war ein hasserfülltes Treten. Gleich zu Beginn wurde mir die Brille abgenommen, neben mich gelegt und jemand trat drauf. Dann lagen wir - die ganze Zeit gefesselt - in Ungewissheit auf dem Boden, uns wurden die letzten Sachen abgenommen (Geld, Adressen, Gürtel), wobei zwei Hosentaschen nicht geöffnet, sondern aufgerissen wurden. Die Schuhe wurden mir ausgezogen, ich bekam sie auch nicht wieder, sondern war die nächsten 15 Stunden nur auf Socken.
K O N T E X T
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Irgendwann kam ein Arzt, der meinte, jetzt sei alles in Ordnung. Er leuchtete in die Augen und maß den Puls. Ich dachte aber schon, wofür das gut sei. Irgendwann wechselten recht schnell die Leute im Raum, der Arzt und sein Gehilfe waren weg, es kamen Polizisten mit schwarzen Handschuhen: die zweite Runde. Diesmal wurde mir das T-Shirt zerrissen, wir wurden - wie die gesamte Zeit - beschimpft und nochmals mit Fäusten geschlagen und getreten. Dann wurde mir das T-Shirt abgeschnitten und ein neues über den Kopf gezogen. Doch auch dies wurde mir wieder abgenommen und durch ein farbiges ersetzt. Darüber war ich froh, denn ich hoffte, es würde in den nächsten Stunden „de-eskalierend“ wirken. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt extreme Angst, da die Polizisten alles mit uns hätten machen können. Hass und Willkür waren überwältigend. Falls Massimo herausgeführt worden und ich alleine geblieben wäre, hätte ich wohl Panik bekommen.
Plötzlich wurden wir rausgeführt, auf dem Weg zum Auto nochmals geschlagen, mein Kopf schlug gegen eine Wand. Dann ging es - in getrennten Autos - mit hoher Geschwindigkeit durch die unbelebte Stadt, dann über die Autobahn in ein Sammelgefängnis.
Wie ich später erfuhr, war es Bolzaneto. Die Handriemen wurden abgenommen, und ich wurde in eine Zelle (Nr. 7) geführt, auf dem Flur standen Polizisten wieder Spalier, von denen einige nach Belieben zuschlugen und -traten. Ich wurde mit den Worten „trattamento speciale“ zu einer Zelle geführt und bekam Angst, dass es gleich so weiterging. Es bezog sich aber wohl auf die vorherige „Behandlung“. In der Zelle (etwa sechs mal sechs Meter) waren wir zu acht und mussten mit dem Gesicht zur Wand stehen, die Nase an die Wand, die Hände nach oben. Die Aufpasser schrieen dauernd: „Alto gli mani!“ (die Hände hoch), gingen immer wieder durch die Zelle und zwangen die Gefangenen, die Hände noch höher zu strecken, hämische Rufe waren etwa „Comunista“, „Bastardi“, „global“, „Manu Chao“ und andere. Das Lieblingswort der Polizisten war „Cazzo“ (Schwanz). Hinter dem Fenster standen ebenfalls Polizisten, die hämisches Zeug redeten. Irgendwann ließ einer von dort Tränengas in den Raum ziehen und freute sich am Husten der Gefangenen.
Nach etwa zwei Stunden, es war noch hell, musste ich raus (wieder das Spießrutenlaufen über den Flur) und nochmals etwa 30 Minuten warten, dann kam ich zum Erkennungsdienst.
Elektronischer Fingerabdruck, normale Fingerabdrücke, Fotos, Daten angeben. Übrigens sehr gut ausgestattet mit Computern; ein irischer Gefangener erzählte mir anschließend, dass er bezüglich seiner Personenangabe auf dem Bildschirm gesehen hätten, dass er vor einem halben Jahr die Zeitung „The Internationalist“ abonniert hätte.
Beim Rausgehen wusch ich mir die Hände auf dem Hof, als plötzlich ein Polizist neben mir stand, etwas sagte, mir etwas im Abstand von 20 Zentimetern vors Gesicht hielt und abdrückte: Es war Tränengas. Glücklicherweise konnte ich mich wegdrehen und die Augen schließen. Abwaschen konnte ich es nicht, weil sich gleich der nächste Polizist von der anderen Seite näherte und ich Angst vor einem weiteren Übergriff hatte. Es tat in den kommenden Stunden höllisch weh.
****Ende******
Ohhhhh NEIN …ist noch nicht alles - diese Hass-Stories hats noch mehr - und HIER hats einige denen DAS alles egal ist - Hauptsache man folgt der Ordnung des Staates ?
Pfui Teufel auf diese HIER und DORT.
Gruss