Asyl: Betrug an deutschen Behörden
Durch eine
falsche Identität
kann man
Abschiebungen
dauerhaft
blockieren
Demonstration gegen das
Hamburger Ausländeramt
Von Friedrich Kurz
Abgelehnte Asylbewerber verschleiern
neuerdings mit falschen Angaben Identität und
Herkunftsland. So können sie nicht mehr
abgeschoben werden und bekommen den
behördlichen Duldungsstatus und Sozialhilfe.
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ARCHIV: Rot-grüne Kritik an Schilys Asylvorschlägen
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In Hamburg demonstrieren Schwarzafrikaner gegen
das Ausländeramt. Es hat sie zur Feststellung ihrer Identität
vorgeladen. 219 von ihnen stehen im Verdacht, falsche
Herkunftsangaben gemacht zu haben. Ein Diplomat aus
Sierra Leone soll bei der Identifizierung helfen.
Mit Identitätsverschleierung können Ausländer ihre
Abschiebung dauerhaft blockieren. Man kann sie nicht
einfach irgendwohin abschieben. Deutschland muss dem
Abschiebeland nachweisen, woher der Illegale tatsächlich
kommt - sonst gibt es kein Visum. Eine Festnahme zur
Abschiebung ist nur möglich, wenn das Visum bereits
zugesagt ist. Wer seine Herkunft jedoch durch Lügen
verheimlicht, bekommt die Duldung plus Sozialhilfe, denn
der Sozialstaat darf ja niemanden verhungern lassen.
Johannes Richter von der Innenbehörde Hamburg ist
von dem Versuch der Identifizierung enttäuscht: “Bisher sind
erst 15 Personen angehört worden, obwohl es ungefähr 70
hätten sein müssen. Von denen sind bisher drei als
sierra-leonische Staatsangehörige identifiziert worden. Den
Rest weiß man nicht. Da ist die Staatsangehörigkeit
weiterhin unbekannt.”
POLITISCHES ASYL IST OUT
Bei der Zentralstelle für Asylbewerber in Braunschweig
sind nur wenige am politischen Asyl interessiert, denn die
Ablehnungsquote ist zu hoch. Eine Duldung bekommt man
leichter: Man muss nur durch Identitätslügen zum
“ungeklärten Asylfall” werden, der nicht abgeschoben
werden kann. 90 Prozent aller Ankömmlinge kommen illegal
über die Grüne Grenze.
In 95 Prozent aller Fälle sind Identitätsangaben falsch,
wissen die Beamten. Doch der Antrag läuft, und der Beweis
des Gegenteils ist kaum möglich. In einem Modellprojekt
versucht Niedersachsen jetzt, von über 1200
Identitäts-Schwindlern die hartnäckigsten auszuforschen.
Der magere Erfolg: Von 132 Vorgeladenen kamen nur 70
zur ersten Befragung, 40 tauchten unter, 22 sind noch im
Verhör - und schwindeln weiter. Nur zehn konnten bisher
abgeschoben werden, einer ging freiwillig.
GEFÄLSCHTE PAPIERE
“Frontal” fragt einen Asylbewerber nach seiner
Herkunft und seinen Papieren. Er gibt vor, er stamme aus
der Ukraine und lebe bereits seit zwei Jahren in
Deutschland. Auch sei er mit offiziellen Papieren eingereist,
angeblich mit seiner Geburtsurkunde. Die Urkunde ist
gefälscht. In der Ukraine existiert noch ein zweiter Mann mit
denselben Personendaten, erklärte die ukrainische
Botschaft.
Für Heiko Haferlach von der Zentralen Anlaufstelle
Asylbewerber Braunschweig ist es wie ein Kampf gegen
Windmühlen: “Die Identität ist weiter ungeklärt. Ich habe
einen neuen Passersatzantrag an die ukrainische Botschaft
geschickt mit der Bitte um Prüfung, die Prüfung läuft jetzt
seit fast einem Vierteljahr. Und wenn das negativ verläuft,
dann müssen wir erst mal weitersehen. So lange wird er
weiter geduldet.”
“Die
Verschleierung der
Identität ist aus
meiner Sicht das
letzte große
Schlupfloch, um in
Deutschland
verbleiben zu
können.”
— LOTHAR DEUTSCH
Zentrale Anlaufstelle für
Asylbewerber, Braunschweig
Beliebt sind auch angebliche Heimatländer, in die
Abschiebungen praktisch unmöglich sind: Weil Bürgerkrieg
ist, weil Rücknahmeabkommen fehlen oder Direktflüge.
Nach Sierra Leone könnte man zwar abschieben, doch es
dürfen keine Begleit-Polizisten mitfliegen. Wer also am
Flughafen randaliert, darf hier bleiben.
DULDUNG AUCH OHNE ASYLANTRAG
Lothar Deutsch, der ebenfalls in der Zentralen
Anlaufstelle für Asylbewerber in Braunschweig arbeitet,
sieht bei der Klärung der Identität Handlungsbedarf: “Die
Verschleierung der Identität ist aus meiner Sicht das letzte
große Schlupfloch, um in der Bundesrepublik verbleiben zu
können. Es wird kein Asylantrag mehr gestellt, man
bekommt seine Duldung auch auf diese Art und Weise.”
In Ingelheim baut das Land Rheinland-Pfalz ein
Abschiebegefängnis. Es liegt neben der Landesunterkunft
für Asylbewerber, als Warnung an Identitäts-Schwindler.
Auch hier versucht man, mutmaßliche Asylbetrüger genauer
auszufragen. Die in der Ingelheimer Landesunterkunft für
Asylbewerber anwesenden Afrikaner behaupten,
Sudanesen zu sein. Der Beamte Hermann-Josef Braum
vermutet jedoch, dass sie anderswoher stammen, denn sie
verwickeln sich in Widersprüche.
Hermann-Joseph Braum konfrontiert sie mit seinen
Recherchen: “Es gibt eine schriftliche Mitteilung der
sudanesischen Botschaft an die Ausländerbehörde, dass die
Geburtsurkunde falsch ist.” Der Afrikaner antwortet irritiert:
“Ich denke, wir haben keine falsche Geburtsurkunde. Ich
habe diese so weiter gegeben. Ich habe keine falsche
Geburtsurkunde.”
DETAILLIERTE RECHERCHEN
Hermann-Josef Braum hakt nach: “Auf Ihrer
Geburtsurkunde ist ein Foto von Ihnen. Ist das im Sudan
normal?” In Deutschland, so erläutert Braum dem
Afrikaner, seien auf einer Geburtsurkunde keine Bilder.
Lakonisch wirft der Mann ein: “Ja, das ist Sudan, das ist
Afrika.”
Es werden Fragen zur Geografie, zum Heimatort
gestellt. Die Antworten sind diffus und klingen auswendig
gelernt. In Ingelheim gibt es Unterkunft und Essen, jedoch
keine Arbeitserlaubnis. Hermann-Josef Braum erklärt die
Strategie seiner Behörde: “Wir müssen den Ausländern
bewusst machen, dass das dauernde Leben in einer
Landesunterkunft für Ausreisepflichtige nicht der Zustand
ist, der für den Ausländer erstrebenwert ist.”
Solange die Asylbewerber ihre wahre Identität
verheimlichen, können sie in der Landesunterkunft wohnen.
Es gäbe keine zeitliche Beschränkung des Aufenthalts, sagt
der Beamte. Die Taktik könnte aufgehen, denn wirklich
wohl fühlt sich der Bewerber nicht: “Hier ist… hier ist so wie
Knast. Hier ist Knast.” Knast ist eine Übertreibung. Dreimal
pro Woche ist Meldepflicht, sonst können die
Asylbewerber raus. Dann würden viele Schwarzarbeit oder
dunklen Geschäften nachgehen, sagt der Beamte.
500 GETÜRKTE LIBANESEN
In Bremen wohnen seit zwölf Jahren rund 500
Asylbewerber, angebliche Libanesen. Der Libanon
verweigert die Rückführung. Jetzt kam heraus: Alle sind
Türken mit falscher Identität. Der Sozialhilfe-Schaden
beträgt 20 Millionen Mark.
Der Bremer Senator für Inneres, Bernt Schulte,
erläutert die Methoden zur Identifizierung der Personen: “Es
ist durch Familienforschungsmaßnahmen erreicht worden,
diese Personen als Angehörige von verschiedenen
Familienclans zu identifizieren.” Dadurch sei es jetzt möglich,
einwandfrei festzustellen, dass es eben keine Libanesen,
sondern kurdische Türken seien. “Das Asylrecht wird in
Misskredit kommen, wenn es nicht gelingt, die
Asylmissbräuche aufzudecken. Ich glaube, die Öffentlichkeit
wird kein Verständnis haben für die Aufrechterhaltung des
Asylrechts, wenn es uns nicht gelingt, völlig hart und klar die
Asylmissbräuche zu verhindern.”
Allein in Hamburg leben 2000 Afrikaner mit
ungeklärter Herkunft. Bundesweit sind es schon mehrere
zehntausend abgelehnte Asylbewerber, die per
Duldungsstatus Sozialhilfe abkassieren. Sie fordern
Bleiberecht für alle. Ihr Kampf geht auf Kosten jener
Flüchtlinge, die wirklich politisches Asyl benötigen.
- April 2000