Folter in Geschichte und Gegenwart

Hallo MitleserInnen,

einen interessanten, wenn auch nicht „schönen“ Artikel habe ich vor einigen Stunden wieder entdeckt. (Hoffe, er kommt einigermassen richtig formatiert an.) Mehr gibt es auf der imho sehr interessanten Seite http://freunde.imperium.de/manuela/index.htm

(Das Buch selbst ist leider mehr im VLB vertreten, obwohl man von der Autorin sogar noch ältere Bücher beziehen kann.)

Der folgende Text stammt aus der Einleitung des Buches Folter in Geschichte und
Gegenwart von E. A. Rauter, Erstausgabe 1968, Nachdruck 1988, Verlag Vito von Eichborn
GmbH&Co., Frankfurt am Main.

In einem Land, in welchem Obdachlose und Milliardäre nebeneinander vorkommen, sind
Folterknechte nicht weit. Die Spannung zwischen arm und reich bringt Menschen leicht dazu,
Nachbarn, die den Unterschied verkleinern wollen, zu verstümmeln und zu Tode zu quälen.

Weil die Bürger gehorchen, glaubt keiner, daß Gesetze auch private Wünsche von Regierenden
ausdrücken. Wer foltern läßt, will private Interessen als öffentliche durchsetzen. Der private
Ursprung der Folter ist schwer zu erkennen, weil wir so wenig gemeinsam über das Wesen des
Privaten nachgedacht haben. Soziale Gerechtigkeit ist die einzige Methode, durch die sich Folter
abschaffen läßt.

Im antiken Rom durfen ursprünglich nur Sklaven gefoltert werden. Sie galten nicht als Menschen,
ihre Rolle war die »sprechender Werkzeuge«. In dem Maße, in dem sich die römische Republik zur
Kaiserdiktatur verwandelte, ließ der Kaiser jeden mit Folter bedrohen, der zeigte, daß er den
Kaiser nicht schätzte. Das Nichtschätzen von Herrschern gilt seither als »politisches Delikt«, als
»Majestätsbeleidigung«. Die »Politischen« wurden stets härter bestraft und leidenschaftlicher
verachtet als Einbrecher und Räuber. Was könnte privater sein als eine beleidigte Majestät? Wer
könnte grausamer sein? Absolutismus und Folter bedingen sch. Jeder absolute Herr kommt
irgendwann einmal zu dem Schluß, Folter sei unumgänglich. Während der Regierungszeit der
»Nationalsozialisten« konnte ein Witz über den Reichskanzler, öffentlich erzählte oder heimlich, das
Leben kosten.

Die bürgerlichen Freiheiten sind nie garantiert. Was wir Freiheit nennen, ist ein Zustand, der von
jeder Regierung ununterbrochen bedroht wird. Das liegt nicht am schlechten Charakter
irgendwelcher Individuen wenn es auch für jeden von uns gute Gründe gibt zu untersuchen, wie
jemand beschaffen sein muß, der beim Streben nach Macht das Gedränge der Mitbewerber hinter
sich läßt. Wir beobachten, zum Beispiel, die Verwandlung von Juso-Vorsitzenden auf dem Weg in
den Parteivorstand. Der Besitzer einer Würstchenbude, der sich sonntags stundenlang mit einer
Angelrute ans Rheinufer setzt und über die Privatisierung des Stromes durch die Eigentümer der
großen Chemiefabriken vor Wut und Machtlosigkeit verzweifeln möchte, vermag sich nicht mehr
mit derselben Leichtigkeit über das Fischsterben zu erbosen es eher mit heimlicher Befriedigung
registrieren , sobald er an den Vorteilen der Privatisierung teilhat, sei es durch Kauf von Aktien mit
einem Lottogewinn, sei es durch Erbschaft.

Wünsche wachsen mit den Möglichkeiten, sie zu erfüllen. Das bestätigen alte Sprichwörterwie
»Gelegenheit mach Diebe« oder der Aphorismus von der Macht, die korrumpiere und der
absoluten Macht, die absolut korrumpiert. Da hilft kein Appell an die Moral. Man muß die
Möglichkeiten beschränken, nicht das Wünschen verteufeln. Jeder, der Macht ausübt, wünscht,
Machtausübung möge bequemer vonstatten gehen und bis ans Lebensende dauern. Der Wunsch,
bequem und lange zu regieren, ist privat.

Der »Spitzenpolitiker« mauert sich ein in eine Festung aus gepolsterten Zimmertüren, Portierslogen,
Vorzimmern, Bannmeilen, Polizeikordons, teuersten Automodellen, unverständlicher Sprache,
Geheimakten, Verleumdungsklagen und Militärabschreitungszeremonien. Diese Felswände
schirmen ihn vom Volk ab oder, was dasselbe ist, von der Wirklichkeit. In seiner Sprache drückt
sich aus, daß er sich als das »Drinnen« betrachtet: In seinen Reden im Bundestag heißt es
forwährend »die Menschen draußen«, »draußen im Lande«; sind Demonstrationen gemeint, wird
das Volk zur »Straße«. Das Volk kommt ihm selbst unbehaust vor, so sehr fühlt er sich zu Hause.

Hinter den Mauern dieses Kafka-Schlosses entsteht eine Art Irresein, eine weihevolle
Inkompetenz. das befestigte Wohlleben macht feige und wehleidig. Und »Feigheit ist die Mutter der
Grausamkeit«. Der Grundzug der Geistesstörung der auf unseren Fernsehschirmen Wohnenden ist
Wehleidigkeit und Angst. Sie fürchten sich vor dem Erfolg des politischen Gegners, noch mehr vor
dem Ehrgeiz der Parteigenossen, am meisten fürchten sie die Machtlosigkeit. Die Angst der
Mächtigen vor Machtlosigkeit bestimmt schließlich die Gesetze und die öffentliche Meinung. Die
Angst vor dem Leben »draußen«, bei den bedauernswerten Regierten, kann so stark werden, daß
sich der eine oder andere das Leben nimmt.

Unsere »Repräsentanten« sind übermütig und verwöhnt. Niemals seit 1945 war die Macht der
Chefs in Konzernen und Parteien gefährdet. Vergleicht man die Gefahr, die den Mitgliedern des
Zentralkomitees der SED am 17. Juni von revoltierenden Bauarbeitern drohte, dann sind
Ostermarschbewegung, die Demonstrationen gegen die industrielle Ausrottung von Vietnamesen
durch US-Amerikaner, gegen den Bau von Atomkraftwerken und Plutoniumfabriken als
Bedrohung der großen Priviliegien nicht der Rede wert. Nicht einmal die Sprengstffanschläge und
Morde der »RAF«-Leute haben das Geringste daran geändert, daß private und öffentliche Armut
von Jahr zu Jahr größer werden, obwohl wir in jedem Jahr mehr produzieren; daß Firmenleiter
unangefochten ein Produktionsverbot über weit mehr als zwei Millionen (dzt. vier, Anm. M.G.)
von Arbeitenden verhängen; daß sie weiterhin selbst bestimmen, wie hoch ihre Einkommen sind,
wieviel sie sich von der Produktion der Arbeitenden aneignen; daß sie fortfahren, unsere Städte und
Wälder zu zerstören, Luft, Wasser und Erde zu vergiften und sich daran gemacht haben, den
UV-Strahlenschutz der Atmospähre abzubauen. Es scheint, außer einer kleinen Gruppe verfemter
Weitsichtiger, niemanden zu stören, daß zugunsten des Umsatzes einiger Chemie-Multis eines
Tages die Küstenstädte im Meer versinden sollen.

Die kleine Zahl Entscheider tut, was sie will, sie begeht Dummheiten und Ungerechtes beliebig,
nach dem Kalkül des augenblicklichen privaten Vorteils ihrer Mitglieder. Sie verzerrt die
landwirtschaftlichen Strukturen aller europäischen Länder durch Bestechungsgelder, um sich die
Wahlstimmen der Bauern zu erhalten, »subventioniert« mit Milliarden Mark Unternehmen, die
Milliarden Mark Gewinne in übersee investieren, weil sie bei uns keine rentablen
Anlagemöglichkeiten mehr finden, trotz Presse, Demonstranten, Terroristen.

Braucht die Minderheit die Folter?

Was die Bereitschaft der wirtschaftlichen und politischen Chefs betrifft, Folterknechte zu Hilfe zu
nehmen, so waren in diesen Wochen in der Zeitung drei Meldungen zu lesen, die bei besitzlosen
Freunden der Demokratie keine gute Stimmung aufkommen lassen können. Während der 70er
Jahre steigerten wir die Ergiebkeit unserer Arbeitsmethoden im Durchschnitt jährlich um fast drei
Prozent; die Produktion um etwa zwei Prozent. Experten schätzen, daß sich während der achtiger
Jahre die Schere weiter auseinander bewegt. Je mehr wir arbeiten, um so mehr Arbeitslosigkeit
stellen wir her wie die Fliege sich mehr und mehr fesselt, je heftiger sie sich aus dem Spinnennetz
befreien will. Die zweite Meldung nennt die westdeutschen Haushalte »gesättigte Märkte«, sie sind
bis nahe an 100 Prozent ausgestattet mit Fernsehern, Waschmaschinn, Pkws, Kühlschränken und
Telefonen. Drittens: Aus über 5000 alten Deponien sickern langsam und unkontrolliert Gifte von
Produktionskot in unser Grundwasser. Die Möglichkeit, daß sich Einwohner ganzer Ortschaften mit
dem Wasser aus der Leitung aus Versehen umbringen der Wasser-Gau rückt näher.

Was tut eine Regierung, wenn die Unzufriedenheit der Regierten in Wut auf die Regierung
umschlägt? Formelhaft ausgedrückt, kann die Antwort heißen: Sie regiert mit den Bürgern, oder sie
regiert gegen die Bürger. Die beiden Entscheidungen gehören verschiedenen Zeitaltern an. Durch
unsere Anstrengungen, ob freiwillig oder gezwungen, wächst unsere Arbeitsergiebigkeit, die Zahl
der Entscheider schrumpft. Jeder der täglichen Firmenzusammenschlüsse verringert die Zahl der
Personen, die das letzte Wort darüber haben, was hergestellt, wie das Hergestellte verteilt und
verwendet wird. Da unsere Arbeitsergiebigkeit so hoch ist, muß sie von mehr Menschen
kontrolliert werden, um zu verhindern, daß wir uns durch die Folgen unserer Arbeit zerstören. Je
mehr die Menschen herstellen können, um so mehr sollten sie zu entscheiden haben. Je höher die
Arbeitsergiebigkeit, um so größer muß die Zahl derer sein, die bestimmen, was hergestellt und wie
das Hergestellte verwendet wird. Alle großen Probleme unserer Zeit kommen daher, daß die Zahl
der Entscheider für unsere Arbeitsergiebigkeit zu klein geworden ist.

Der Präsident einer Unternehmer-Vereinigung sagte vor Jahren: »In Gefängnissen, Kasernen und
Fabriken kann es keine Demokratie geben.« Denkt man sich die Produktion aus dem Leben weg,
bleibt für Demokratie nicht viel Spielraum, außer der Demokratie bei der Auswahl der Farbe von
Schuhen oder Unterhosen. Die Entwicklung endet in neuen Staatsverbrechen, es sei denn, die
Schöpferkraft der vielen Köpfe fließt nicht nur beim Produzieren, auch beim Regieren.

Seit Jahren ebnen unsere Parlamentarier den Gesetzesweg zum offiziellen Terror. Sie verstümmelten
das vorbildliche Grundgesetz, sie schufen mit den Notstandsgesetzen die formalen Vollmachten für
eine Militärdiktatur gegen »innere Unruhen« ob und wann innere Unruhen ausbrechen, bestimmt ihre
Angst vor den Regierten , sie rüsteten die Polizei zu einer paramilitärischen Truppe und statteten sie
mit Giftgas aus, mit Maschinengewehren und Handgranaten. Die Vorbereitungen für einen Krieg
gegen den Bürgen sind abgeschlossen.

Wer bei unseren Abgeordneten und Ministern nach Zeichen der Neigung sucht, unbequemeres
Regieren durch Staatsverbrechen zu vereinfachen, der stellt fest, im allgemeinen wächst die
Ungeduld mit der Macht: je weiter oben ein Politiker in der Hierarchie angesiedelt ist, um so stärker
ist seine Lust, Randgruppen niederschlagen zu lassen und deren Probleme geringzuschätzen, um so
geringer seine Kraft zur Selbstdisziplin im Umgang mit Minderheiten. Der Vorsitzende einer
Regierungspartei nannte das Zerquetschen von Hoden und die Vergewaltigung von Frauen in
chilenischen Gefängnissen »unliebsame Behandlung«, keiner der Vertreter »christlicher« Politik hat
die Ermordung farbiger Arbeiter durch südafrikanische Polizeibeamte öffentlich verurteilt.

Die Diskussion über schärfere Bestrafung von Demonstranten, die ihre Gesichter verbergen, hat die
Ungeduld noch deutlicher gemacht, mit der die meisten derer, die in unserem Staat Macht ausüben
»Verantwortung tragen«, wie sich sich ausdrücken, nach Ermächtigungen drängen. Die Mitarbeiter
in den großen Zeitungen und Fernsehanstalten ließen übrigens unerwähnt, daß Polizisten sich schon
seit Jahrzehnten hinter Anonymität verbergen und daß sie ebensolange friedliche Demonstranten
fotografieren und das Bildmaterial für spätere Auskünfte aufbewahren.