Wo das beste Teutsch zu finden im Jar 1673

Folgenden längeren Text stelle ich den Freuden der regionalen Sprachen, die aber auch an der Hochsprache interessiert sind, mit Freuden vor:

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CAPUT XI

Wo das beste Teutsch zu finden

Ich habe etwan einen groben Esel einen andern seines gleichen auf die Kürbe laden hören oder eine schandliche Arbeit, welche gleichwohl kein Herrn-Gebot ist, mit unflätigen Worten tun heißen, daran er henkte: Dies ist gut Teutsch! Ich kann aber solche garstige Zoten nicht loben, wann sie gleich noch so fein teutsch, so viel die Aussprach anlanget, klingen und herausfließen, als wann einem der Hals mit Speck geschmiert wäre; begehre auch hier nichts darvon zu melden, sondern nur zu sagen, wo und durch welche das beste und zierlichste Teutsch geredet werde.

Den Ruhm dieser Ehr hat von langen Zeiten her zwar die Stadt Mainz gehabt, welches ich ihr als meiner lieben Landsmännin von Herzen gern gönnen möchte; aber ich sorge, daß solcher jetziger Zeit nicht ihr, sondern vor ihr und allen anderen Städten und Provinzen in ganz Teutschland der Stadt Speyer und ihrem nächsten Bezirk gebühre, dann da wird man einen guten Strich bis überhalb Durlach und Baden hinauf auch bei manchen Bauern besser Teutsch finden als in vielen vornehmen Städten, welches meines Davorhaltens das Kaiserlichen alldorten befindliche Kammer-Gericht, die Fürstlich Baden-Durlach und Baden-Baden, wie auch die Bischöflich-Speyerischen Hofhaltungen in der Nachbarschaft, und dann so viel Gelehrte, geistlich und weltliche, die sich immer in selbiger Stadt aufhalten, verursachen; dann dies ist gewiß: wer mehr liest und schreibt, als er mit Leuten, die nicht recht teutsch reden, mündlich conversiert, der lernet unvermerkt eins und anders also aussprechen, wie ers zu lesen und zu schreiben pflegt; wann dann zween oder mehr zierlich redende Literati von andern gehöret werden, die gleichwohl ungelehrt oder wohl gar nur Weiber oder Kinder sein, so öhmen sie jenen alsobalden entweder ohngefähr oder auch wohl mit Fleiß ihre Sprach nach; dahero es dann kommt, daß Speyer und seine Benachbarte wegen der vielen Gelehrten beständigen Beiwohnung je länger je besser Teutsch machen.

Auf der kleinen Seiten zu Prag wird so gut teutsch geredet als irgendswo in ganz Teutschland; das macht, daß die Teutschredende keine baurische Nachbarn auf den umliegenden Dörfern haben, die ihnen ihre Sprach verderben; dahingegen die Frankfurter von den Wetterauern, die Straßburger von den Kochersbergern, die Tübinger von den Schwaben, die Regensburger von den Bayern, die Marburger von den Hessen, die Leipziger von den Meißnern und also auch andere von ihren grobteutschredenden Nachbarn viel Unzierden an sich nehmen müssen, ob gleich ihrer viel ziemlich gelehrte Leut, ja gar Academien voller jungen Studenten haben, die sich alle eines zierlichen Teutschen befleißen; sintemal das Volk mehr mit denen Bauern als mit den Gelehrten zu handlen hat.

Unter allen teutschen namhaften Städten aber bedunkt mich keine läppischer teutsch reden als das sonst majestätische Köln , deren Sprach. sonst niemand besser anstehet als dem Weibervolk; doch nur denen, die sonst auch schön sein.

An den Schweizern scheinet, als ob sie ihre Wörter wie die welsche Hahnen hinten im Rachen oder oben im Gaumen formierten; die Schwaben , möcht einen bedunken, brauchen die Nase auch zu ihrer Aussprach; die Franken nehmen das Maul gar zu voll, wann sie reden; die Bayern und Ostreicher ziehen etliche Wörter länger als der Schuster das Leder, und etliche stutzen sie so kurz ab wie die Franzosen die Schwänz an ihren Pferden; die Niederländer, und was gut alt sächsisch teutsch oder westfalisch redet , verfertigen ihre Wörter gleichsam vornen im Mund zwischen den Lefzen und vordern Zähnen; die Meißner und ihre Nachbarn brauchen zuviel überflüssige Wörter und Buchstaben; und wann man aus jeder Art dieser Sprachen einen nähme und sie zusammen sperrete, so würden sie mit der Zeit entweder ein recht mittelmäßig Teutsch zusammen bringen oder allesammen dem jenigen nachöhmen, der eintweder die leichteste Aussprach hat, oder dem, der am allermehristen papplet.

Von einzelen Personen aber reden am besten Teutsch erstlich, wie gemeldt, die Gelehrte , so viel lesen und schreiben; zweitens die Kaufleute und andere, die viel reisen, warunter auch die Soldaten zu rechnen; das allerbeste aber, beides, in Reden und Schreiben, wird hin und wieder in den fürstlichen Kanzleien gefunden, allwo man einen weit andern und ansehenlichern Stylum findet als bei etlichen Sprachhelden, die zwar darvor gehalten werden wollen, ob wüßten sie allein die teutsche Sprach zu reformiern und sie von aller Unsauberkeit, gleichwie der Drescher den Weizen, zu läutern, da sie doch ihre eigne Sitten nit corrigiern; diese vermeine ich, welche das Teutsch von allen fremden Wörtern gereiniget und geläutert wissen wollen, ihre Leiber und Gemüter aber nichts desto weniger mit französischen Kleidungen, Parücken und kleinen winzigen Knöbelbärtchern (wann sie nichts mehrers vermögen, gleich den natürlichen Franzosen verstellen, zieren und tragen, ja, wanns nur sein könnte, wohl was anders mehr auf französisch tun und dardurch, soviel an ihnen ist, das allergottsbeste Teutsch, welches da ist ohne alle Gefährden, Falschheit, Untreu und Argehst, fern redlich, aufrichtig, treu- und offenherzig, unerschrocken, ernst-, mann- und standhaft, gerecht &c., und was vor dergleichen teutscher Eigenschaften mehr sich finden, sein und leben, verderben helfen möchten und dörften. Jener Weise sagt recht und wohl: Gegenwärtiger Zeit Wörter soll man sich gebrauchen und der Alten Sitten nachfolgen.
Ist diesemnach der jenige der allerbeste Teutsche, welcher der alten Teutschen Tugenden übet und liebet, wann er gleich nit besser oder zierlicher redet als ein kropfiger Pingauer; und bei einem solchen ist auch das beste Teutsch zu finden.

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Für Fragen zu dem etwas antiken Deutsch stehe ich jederzeit zur Verfügung.
Wenn genug gerätselt wurde, nenne ich Interessenten gern auch Titel des Büchleins und Autor.

Gruß Fritz

…doch nicht im Pin(z)gau?
Servus, Fritz!

Interessant und amüsant!
Und natürlich dieser Satz:

Ist diesemnach der jenige der allerbeste Teutsche, welcher der
alten Teutschen Tugenden übet und liebet, wann er gleich nit
besser oder zierlicher redet als ein kropfiger Pingauer; und
bei einem solchen

einem Pin(z)gauer? :smile:)))

ist auch das beste Teutsch zu finden.

Das wär ja ganz was Neues!

Ich nehme einmal an, dass dem ‚Pingauer‘ das z verloren gegangen ist, denn die „kropfatn Pinzgauer“ sind immer noch ein stehender Ausdruck hierzulande. Sie sind verewigt in medizin. Fachliteratur, alten Reiseberichten und Spottliedern (z.B.„Znaxt bin i ban a kropfatn Pinzgerin glegn, de håt ma ihrn Kropf zan an Kopfpolster gebm“).

Dank jodierten Kochsalzes können sich die Pinzgauer nun aber auch normaler Halsweiten erfreuen :wink:

Wenn genug gerätselt wurde, nenne ich Interessenten gern auch
Titel des Büchleins und Autor.

Das tät mich wirklich interessieren! Muss einer sein, der im Pinzgau war… :smile:

An schen Tåg no!
Helene

Zugabe
Ich mußte mich einsmals ebenmäßig von meinem Wirt darunten deshalber gewaltig leiden; er zog mir ein jedes Wort aus dem Maul durch die Hechel, an ihm selbst aber konnte man ohnschwer merken, wie er sich zwang, alles orthographice auszusprechen, wann er mit mir oder einem andern Hochteutschen redete.

Ich schlief neben seiner Schlaf-Kammer, da man vermittelst einer dünnen Wand alles, was in der einen geredet würde, in der andern hören könnte; einsmals kam sein Weib zu ihm mit einem Rausch beladen, dann sie war bei einer Kindsschenke oder Hochzeit gewesen; die bewillkommte er mit diesen Worten:

Pfoich Taiffel Wey! d’stinckst holt wia Niltsbolg, vermaan d’hobst ins Heemat gschissn.

Sie antwortet: Ha! may Ma, ich hob holt a tlans Pfaistrl wolln lassn aussa straichn, da is ma d’Treeck mittananda ausse gepfitzt, ihns Heembt und auff d’Stögen. -

Ich mußt lachen, daß die Bettladen zittert, und wie mein Wirt und Wirtin vernommen, daß ichs gehöret und verstanden, wie sauber sein rein österreichisch Teutsch gegen meinem Schwäbischen sei, ließ er mich nicht allein fürderhin zufrieden, sondern ich kriegte auch hinfort so magere Suppen, daß ich mein Kosthaus verändern mußte.

Gruß Fritz

Hallo Fritz,

Wenn genug gerätselt wurde, nenne ich Interessenten gern auch
Titel des Büchleins und Autor.

Ich bitte recht herzlich darum!

Mit freundlichen Grüßen
Alexander Berresheim

Hallo, Fritz,
ich schließe mich Alexanders Bitte an - wenigstens das Jahr hättest Du als kleinen Hinweis wenigsten verraten können!
Der Text ist so schön, dass ich ihn mir aufgehoben habe.
Grüße
Eckard.

'n Abend zusammen -
warum sehe ich denn das jetzt erst??

Also - meine Vermutung: Das ist Grimmelshausen. Jetzt habe ich aber mal im Simplicissimus nachgeschlagen und komme nicht recht weiter: 1. Die vorangestellten Kapitel-Kurzzusammenfassungen geben es nicht her. 2. Die Kapitel heißen „Kapitel“ und haben keine lateinische Bezeichnung. Von den diversen 11. Kapiteln (sind ja mehrere Bücher) paßt keins. 3. Es paßt auch nicht so recht zur Hauptfigur, sich so quasi-akademisch über Sprache auszulassen. 4. Ich gebe auf. Dabei wäre es so schön gewesen, die Jahreszahl könnte passen, die Sprache stimmt auch - na ja.

Gespannt auf die Auflösung wartend und freundlich grüßend

Aia

Hallo Aia,

Mit Caput XI nähere sich der Traktat seinem Höhepunkt. G************ frage danach, wo „das beste Teutsch“ zu finden sei und wer es spreche. Wichtig sei die an dieser Stelle gegebene Bewertung: „Die Hochsprache“

Wenn du willst maile ich dir den Link :wink:) ich möchte nur Fritz die Spannung nicht klauen *winkewinke* an Fritz!

Liebe Grüße
Kerbi

Hallo Kerbi!

Jetzt sag bloß, du hast einen Link dazu!?!?

Na dann, nur rein damit. Beim Projekt Gutenberg ist das Traktätlein nicht aufgeführt.
Ich habe das Büchlein per Zufall in der hiesigen Landesbibliothek entdeckt und den Text - inzwischen fast ganz - Blatt für Blatt gescannt, um ihn an Interessenten weitergeben zu können.
Habe also wieder nicht sorgfältig genug im Netz gesucht.

G*********:wink: ist insofern gerade jetzt für mich interessant, weil es sich mit der deutschen Sprache just in einer Zeit der Reform derselben zu Wort meldet und - trotz mancher Wunderlichkeiten - einige bedenkenswert Aspekte zur Sprache bringt.

Eben das Verhältnis von Dialekt und Hochsprache, der Dialekte untereinander und die Orthographie.

Also nun sag schon!

Fritz

Ein Link :wink:
http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Schiewe.html

Gruß
Uschi

3 Like

…und nichts gefunden.

Hallo Fritz,

Jetzt sag bloß, du hast einen Link dazu!?!?

Ja, den von Uschi :wink:)

Na dann, nur rein damit. Beim Projekt Gutenberg ist das
Traktätlein nicht aufgeführt.

Leider, ich setzt den Gutenberg-Link für Interessierte, mir hat er Spass gemacht.

http://gutenberg.spiegel.de/autoren/grimmels.htm

Ich habe das Büchlein per Zufall in der hiesigen
Landesbibliothek entdeckt und den Text - inzwischen fast ganz

  • Blatt für Blatt gescannt, um ihn an Interessenten
    weitergeben zu können.

Da gibts „Des Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey…“
zu kaufen.

http://www.niemeyer.de/infos/EDI_GRIMMELSHAUSEN.pdf

Aber noch lieber wäre mir, bitte bitte maile mir !

Habe also wieder nicht sorgfältig genug im Netz gesucht.

Doch hast du, es ist wirklich kein Onlinetex zu finden.

G*********:wink: ist insofern gerade jetzt für mich interessant,
weil es sich mit der deutschen Sprache just in einer Zeit der
Reform derselben zu Wort meldet und - trotz mancher
Wunderlichkeiten - einige bedenkenswert Aspekte zur Sprache
bringt.
Eben das Verhältnis von Dialekt und Hochsprache, der Dialekte
untereinander und die Orthographie.

Ja, der ist nicht so pingelig wie ihr im Deutschbrett :wink:)

Das Geburtshaus habe ich gefunden, schaut noch gut aus und ist jetzt ein Hotel und die zwei Links - alle anderen Link führen
sowieso nur zu Gutenberg.

http://www.grimmelshausen-hotel.de/

http://www.oberkirch.de/inhalt/oberkirch/pages/grimm…
http://www.ni.schule.de/~pohl/literatur/sadl/barock/…

Liebe Grüße
Kerbi

Hallo Kerbi,

Das Geburtshaus habe ich gefunden, schaut noch gut aus

stimmt auffallend. Wenn du mich mal besuchen kommst, zeige ich es dir. In der Barbarossastadt Gelnhausen bin ich oft (10Km von hier). Das ist da, wo ich immer tanzen gehe :wink:

und ist

jetzt ein Hotel

http://www.grimmelshausen-hotel.de/

Es gibt aber noch viele andere Sehenswürdigkeiten in dieser Stadt.

Und dann gibt es noch ein sehr schönes Buch über Gelnhausen:

Gelnhausen Das Magazin ISBN 3-929992-01-9 Buch anschauen, Herausgeber Kling/Vogel

da durfte ich dran mitarbeiten *ganzstolzbin*
Das Kapitel „… wenn man weiß, daß ich im Spessart geboren bin“ habe ich ganz alleine geschrieben und beschreibt die ersten Lebensjahre von Grimmelshausen in Gelnhausen.

Leider gibts das bei Amazon nicht mehr. In den Buchgeschäften bei uns kann man es aber immer noch kaufen.

Also komm mal vorbei. Dann schauen wir uns die Gegend an (Gelnhausen, Hanau), wo Simplicissimus seine Karriere gestartet hat.

Bis dann
Roland