Kopfzerbrechen über Hegel
Hi Tychi,
ja, Hegel ist schwer. Aber was würdest du von einem Pianisten denken, der in seiner Virtuositätsentwicklung gerade auf dem Level Mozart-Sonatinen steht, sich an die h-moll-Sonate von Liszt macht, daran verzweifelt und den Schluß zieht, Liszt sei ein Spinner?
Jedesmal war ich fasziniert, wie es einem Menschen gelingen kann, so in meiner Muttersprache zu schreiben, dass ich nichts verstehe.
Das ist eigentlich nur für Leute verwunderlich, die nicht sehen wollen, daß Philosophie eine Wissenschaft ist und somit etwas, in das man sich in jahrelanger Mühe einarbeiten muß.
Es gibt keinerlei Grund, weshalb Philosophie einfach sein müsse. Daß das gemeint wird, liegt oft daran, daß man „Philosphie“ nicht im Sinne der Wissenschaft versteht, sondern in jenem umgangssprachlichen Sinne, den ich in dem Artikel
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
[siehe Brettbeschreibung]
einmal umrissen habe.
Du weißt als Physiker, daß jedes Lehrbuch über ART Kenntnisse in Tensorrechnung und Differentialgleichungen voraussetzt. Mit einzelnen Schriften von Philosophen ist das genauso: Sie setzen einiges voraus an Kenntnissen der Begriffsgeschichte und Problemgeschichte. Und darüber hinaus entwickelt jeder Philosoph auch ein eigenes Vokabular, das man zugleich lernen und beherrschen muß.
Einen Auszug aus „Phaenomenologie des Geistes“ zeigte ich auch anderen Leuten und jedesmal das gleiche Staunen und Zweifeln am eigenen Verstand.
Zeig einem Physik-Erstsemestrigen ein Kapitel aus Ralph Abraham „Foundations of Mechanics“ und du wirst sehen, daß auch er an seinem Verstand zweifelt, da er ja erwartet, hier „Grundlagen“ zu lernen und meint, Grundlagen seien das Einfachste. Aber das ist ein Irrtum, sie sind das Ziel und nicht der Anfang einer Wissenschaft …
Ich habe auch versucht, mich ueber Lexikon-Artikel ueber die Grundelemente Hegelscher Philosophie zu informieren
… Aber tatsächlich gehört Hegel zu dem Schwierigsten auch in der Philosophiegeschichte. Und aus Lexikonartikeln allein kommt man da eher in Teufels Küche als zum Verständnis allein des Basis-Vokabulars seiner Philosophie. In manchen Passagen ist allein der Satzbau so kompliziert, daß man ohne umfangreiche Textanalyse der betreffenden Problemstellung nicht weiterkommt. Das ist schon wahr. Und fast alle bis dato gängigen grundlegenden Termini der Philosophie werden bei ihm in völlig neue Konzeptionen gefaßt - wie man in seiner Wissenschaft der Logik leicht erkennen kann.
Die „Phänomenologie des Geistes“ enthält unter seinen Schriften die extremsten Anforderungen an Virtuosität und Kohärenz im Denken. Und das gilt vor allem darin für die ca 50-seitige „Vorrede“, die man als die Grundlage seiner gesamten Philosophie ansehen kann - ich habe einmal allein über die ersten 20 Seiten eine 4-semestrige Lehrveranstaltung gemacht.
Man erkennt daran eben, daß auch dann, wenn man die deutsche Sprache und meinetwegen auch das hier nötige Grundvokabular beherrscht, Texte dennoch sehr unterschiedlich „dicht“ formuliert sein können. Insofern hast du Recht: Derselbe mentale Aufwand, mit dem du bei manchen philosophischen Texten ganze Kapitel „erfaßt“, reicht bei Hegel manchmal nur für wenige Sätze.
Es kommt ja dazu, daß Hegel eine ganz neue „Grundlagenforschung des Denkens“ (so möchte ich es bezeichnen) entwickelt, aus der auch der Blick auf die vorherige Philosophie_geschichte_ (Hegel hat als erster eine solche verfaßt) ganz ungewohnte Perspektiven zeigt.
Daß Hegel und sein „objektiver Idealismus“ bis heute immer noch nicht konsequenzenreicher gewesen ist, liegt auch nach allgemeiner Ansicht der Hegelforschung genau an dem Schwierigkeitsgrad, den er vorlegt. Man drückt sich da gerne vorbei. Und bei den meisten selbsternannten Hegel-„Kritikern“, die sich allzu lautstark artikulierten (Schopenhauer, Brentano, vor allem Popper), kann der Hegelexperte schnell erkennen, daß diese kaum mehr als ein paar Sätze wirklich gelesen haben. Daher gilt Poppers Hegelkritik unter Sachkundigen kaum mehr als ein Treppenwitz, denn seine Auseinandersetzung mit der Hegelschen Dialektik zeigt, daß er diese nicht einmal in den Grundzügen erfaßt hatte: So haben z.B. die Begriffe „These“, „Antithese“, „Synthese“ mit der Hegelschen Dialektik nicht die Bohne zu tun und gehören noch nicht einmal zum Hegelschen Vokabular („Antithese“ kommt überhaupt nicht vor und „Synthese“ höchstens im Ggs. zu „Analyse“ und das bezieht sich meist auf seine Kantkritik).
Auch Philosophen sind manchmal denkfaul. Und darin liegt der Grund für das bisherige Schicksal der Hegelschen Philosophie. Statt sich selbst in jahrelanger Bemühung in ihn einzuarbeiten, und dann zu sehen, wie leichtgängig, elegant und brilliant er im Grunde ist und welches ungeheuere Potential in seiner „Theorie des Denkens“ vorliegt, greift man lieber die rudimentäre Kritik einiger VIP-Philosophen auf, welche Hegel auch nicht gelesen haben.
Das Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ aus der PhdG ist wirklich meist das einzige, was gelesen wurde, und das reicht nicht, um zu begreifen, was Hegel mit seiner „Dialektik“ entdeckt hat.
Schopenhauer, den ich zumindest sprachlich gut verstehe, verspottete Hegel ja bei vielen Gelegenheiten.
Nun ja, das ist ja bekannt, wie entsetzlich Schopenhauer darunter gelitten hat, daß der gerade nach Berlin gekommene Hegel im überfüllten Nachbarraum seine Vorlesungen hielt, während bei ihm nur teils 3 Zuhörer saßen …
Zur Lektüre kann ich empfehlen (*räusper*):
Manfred Gies: „Einführung in Hegels Naturphilosphie“
Studienkurs für die Fern-Universität Hagen, 1989
Gruß
Metapher