Zur Erklärung des Textes
Hi Tychi
sorry daß ich erst jetzt antworte. Ab und zu muß ich meinem im Schnitt 12-stündigen Arbeitstag nachgehen …
Ich will ja nicht nerven, aber wenn du Fritzens Hegel-Zitat in eine
moderne, verstaendliche Sprache uebersetzen wuerdest, koenntest du :deine Behauptung, Fritz schreibe Albernheiten, staerken.
Gut gemeint. Aber die Albernheit besteht darin, daß ich von Fritz weiß, daß er mal ein paar Hegelvorlesungen gehört hat und daher einen Begriff davon haben müßte, daß es sich um eine Systemphilosophie handelt. Das heißt mit anderen Worten, daß kein einzelner Ausschnitt ohne seinen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden interpretierbar ist, nicht zuletzt deshalb, weil die jeweiligen Fachtermini immer vorher vorliegen müssen, ehe der Übergang zu neuen „Stufen“ [ebenfalls ein Terminus] daraus entwickelt wird.
Ein x-beliebiges Zitat ausgerechnet aus einem solchen Hegelschen Text herauszupicken [Enzyklopädie Ausgabe 1830, hier der §300], der nach dessen eigenen Aussagen als ausschließlich zum Gebrauch neben der Vorlesung bestimmt war, ein kurzgefaßtes Skriptum also, das in seiner Argumentationskette die Dialektik, die die Begriffe entwickelt, nur erwähnt, aber nicht aufzeigt … und das allein, um einen solchen Text und damit selbstverständlich *hüstel* den ganzen Philosophen der allgemeinen Volksbelustigung preiszugeben, um das ganze dann der vermeintlich besserwissenden Selbstbeweihräucherung dienen zu lassen: Das nenn ich, jedenfalls wenn es durch einen ernstzunehmenden Menschen geschieht, und ohne daß gerade an dieser Passage irgendwer eine spezielles Interesse angemeldet hat, eben eine Albernheit.
Nimm einfach an, ein bekannter User F. käme an und wolle beweisen, daß die Quantenmachanik Quatsch ist und führe als Beispiel dieses dir natürlich bekannte Ding an:
-h2/(8π2m) Δψ = Eψ - e2/r ψ
und fordere dich auf: Entweder du kannst das in Umgangssprache übersetzen oder es ist bewiesen, daß Schrödinger ein Spinner oder Scharlatan war und damit natürlich die ganze QM ein Quatsch. Wie würdest du antworten?
Die Hegelsche Sprache des Systems, das ist gerade das Schwierige daran, ist ähnlich einem mathematischen Algorithmus streng komponiert. Man muß die Termini schon vorher sehr gut „drauf“ haben, und die Formulierungen kann man oft auch dann nicht einfach so runterlesen, wenn man sich 40 Jahre mit Hegel eingehend befaßt hat. Das ist bei anderen Texten von ihm anders, obwohl man beim Lesen mancher Passagen in der PhdG lieber das Buch in die Ecke schmeißen möchte. Dennoch enthält gerade sie auch Passagen der Führung des Gedankengangs, die an Eleganz in der deutschsprachigen Philosophie und Literatur überhaupt Vergleichbares nicht findet.
Der von Fritz willkürlich herausgepickte §300 der Enz. 1830 ist tatsächlich ebensowenig wie die Schrödingergleichung in „Umganssprache“ zu übersetzen, ohne daß man lange Vorlesungen vorher hält, was seine Naturphilosphie überhaupt für ein Anliegen hat, was sie für ein Problem lösen will und wie überhaupt ihr Verhältnis zu den Natur wissenschaften [deren Begriffsbildungen und Forschungsergebnissen] zu beurteilen sei. Über Letzteres macht Hegel umfangreiche Ausführungen, die man wirklich vorher kennen muß, eh man in Details der Explikation der NP geht.
Siehe hierzu:
Manfred Gies: „Naturphilosophie und Naturwissenschaft bei Hegel“
in: M. Petry (Hrg.): Hegel und die Naturwissenschaften.
Stuttgart 1987
ISBN 3772811469 Buch anschauen
Dann ferner darüber, wie der Begriff der Natur, des Raumes, der Zeit, der Materie, der Schwere usw. sich prinzipientheoretisch aus dem Basisbegriff des Anfangs der NPh mit der dialektischen Methode entwickelt, ferner über die begrifflichen Voraussetzungen, die in der Logik bereits gegeben sind: Sonst führen Begriffe wie „Negation“, „Bestimmtheit“, „Übergehen“, „Außereinander“, „Form“, „Idealität“, „Inneres“ usw. heillos in die Irre. So hat z.B. die Erläuterung von Thomas unten (sorry, Thomas) mit der zitierten Passage nicht das geringste zu tun.
Wichtig ist auch zu wissen, daß die physikalischen Begriffe („Dichtigkeit“, „spezifische Schwere“, „Kohäsion“, „Oszillation“, aber sogar „Räumlichkeit“ und „Zeitlichkeit“) keineswegs in ihrer Konnotation kongruent sind mit ihrem Gebrauch in der theoretischen und empirischen Physik der damaligen Zeit.
Es kommt noch etwas dazu: Viele auf den ersten Blick kurios erscheinende Ausrdruckweisen in der NPh sind gar nicht von Hegel selbst, sondern es sind in der Geschichte der Naturwissenschaften längst untergegangene Formulierungen, die damals tatsächlich gebräuchlich waren, und Ideen, die tatsächlich in der zeitgenössischen Physik aktuell(!) diskutiert wurden. Das hat z.B.
Dietrich v. Engelhardt 1976 in:
Hegel und die Chemie. Studie zur Philosophie und Wissenschaft der Natur um 1800
bewiesen für die bis dato völlig unaufschlüsselbaren Kapitel Hegels über den „chemischen Prozess“: Hegel setzt sich darin in der Sprache der damaligen Chemie mit aktuellen Fach-Publikationen auseinander. Übrigens hat Hegel (aus rein logischen Argumenten) als einer der ersten die Phlogiston-Theorie widerlegt.
Die empirischen physikalischen Kenntnisse über Kohäsion, Dichte, der Natur der Schallausbreitung in Festkörpern (hier ist Metall und Glas gemeint), die in diesem §300 vorausgesetzt sind, sind einfach: Klang (wir würden heute sagen Schall) wird verstanden als Oszillation des „Inneren“ des Festkörpers, die sich Wellenförmig durch den Körper selbst ausbreitet, aus ihm heraustritt, und dadurch „ihm äußerlich“ wird. Man hat zwar (Dalton 1806) bereits den Begriff des Atoms, aber nur in der Chemie (daß Metalle mit ihren Eigenschaften durch spezielle Atome und ihre Bindungen untereinander zu verstehen sind, liegt historisch noch in weiter Ferne). Wie die Schallausbreitung im Festkörper funktioniert, ist also noch gar nicht theoretisch erfaßbar.
Die Hegelsche Analyse bringt dazu Folgendes zu Tage - und damit zur Erläuterung des zitierten Textes (in der ersten Zeie steht übrigens nur EINmal „der Bestimmhteit“:
Schall/Klang ist eine sich selbst fortsetzende innere Form der Bewegtheit des materiellen Körpers. Der Begriff „materieller Körper“ als zunächst lediglich räumlich extensiv bestimmt und in sich sich zusammenhaltend (Köhäsion) erfaßt also noch nicht diesen Begriff in seiner „Totalität“. Da Bewegung aber zunächst als Negation der Räumlichkeit (anschaulich besser „Örtlichkeit“) eine Zeitlichkeit im Begriff des Körpers voraussetzt, wird der Begriff „Körper“ (und das ist bei Hegel aus bestimmten Gründen, die ich hier nicht anreißen kann, der Körper selbst, und zwar hier, in dieser Etappe der NPh, als „individueller“ verstanden) als „Übergehen … in materielle Zeitlichkeit“ gefaßt. Man muß aber aufpassen, denn „Übergang“ ist ein in der Logik zugrundegelegter Terminus, den ich hier ebenfalls nicht näher explizieren kann.
Im Weiteren wird gezeigt, daß diese Bewegung, weil jeder Begriff immer auch unmittelbar seine Negation enthält (in der Logik wurde dargestellt, warum das so ist), ebenfalls negiert wird, und zwar duch sich selbst (in der Terminologie Hegels „an sich selbst“), so daß diese innere Bewegung sich selbst ebenso auch „aufhebt“ (Terminus der Dialektik) und sich zugleich(!) auch wieder erzeugt, sich also selbst (per Entäußerung) fortsetzt und den Körper in seiner Totalität erfaßt (terminologisch: ihn zum total bestimmten Begriff macht): Die Oszillation des gesamten individuellen Körpers. Diese kommt, eben wegen der „Negativität“ auch dieser Totalität, nach „außen“, d.h. sie tritt aus dem Körper heraus und wird zur „Erscheinung“.
Da nun aber die „Äußerlichkeit an sich selbst“ der prinzipiale Grundbegriff der Natur ist (ist hier als bekannt vorausgesetzt), der Raum und die Zeit (als Negation des Raumes bestimmt) konstitutiv für den Begriff der Materie sind (Materie als eine „Form“ von Raum und Zeit war zeitgenössisch ein revolutionärer Gedanke, der komplett übersehen wurde, bis er ca. 130 Jahre später in der Weiterentwicklung der ART Einsteins durch Wheeler - „Geometrodynamik“ - als Physikalische Theorie seine ideengeschichtliche Wiederauferstehung hatte), wird in diesem Kapitel nichts anderes geliefert als der wissenschafttheoretische Beweis, daß der Begriff „Klang“ (bzw. „Schall“) den Begriff des materiellen Körpers kategorial weiter bestimmt und er somit ein begründeter Grundbegriff der Physik (als Theorie der Materie) ist und damit die Akustik als Unterkategorie der Mechanik eine genuine Einzelwissenschaft der Physik ist.
Wir befinden uns im Anfang des 19. Jhdts und mit solchen Fragen hatte sich halt damals sowohl die Physik (zumindest zahlreiche Physiker, Georg Cantor ließ sich expliziert durch das Studium der Hegelschen Logik zur Mengenlehre inspirieren) als auch die Biologie, als auch die Philosophie befaßt.
Mit Gruß auch an Fritz und Thomas
Metapher