Hallo!
Ich möchte, dass meine Schüler verstehen, dass echte
Aufrichtigkeit einen anderen Stellenwert hat als das
mechanische Erfüllen von Formalitäten.
Ja, ich gebe dir vollkommen Recht. Aber wenn man das weit
genug ausreizt (und Schüler tun das) führt das zu einer
falschen „Aufrichtigkeit“ denn der Schüler lernt ja, dass er
mit sich dieser „Aufrichtigkeit“ jeglichen Konsequenzen
entziehen kann.
Jeglichen Konsequenzen entziehen? Ich sagte ausdrücklich, dass er im Wiederholungsfall die Konsequenzen tragen muss.
Wenn man die
Paragraphen stur wörtlich auslegt, dann bleibt der Schüler,
der sich selbst pünktlich falsche Entschuldigungen ausstellt,
stets ungeschoren,
Das ist leider auch richtig, aber die erkennt man. Glaub mir.
Und? Mir als Lehrer sind da die Hände gebunden (mit den in BaWü geltenden Regelungen). Wenn ich den Entschuldigungen meiner Schüler nicht glaube, kann ich eine amtsärztliche Untersuchung anordnen lassen. Und jetzt erklär mal juristisch einwandfrei, dass „Deinem Gefühl nach etwas faul mit der Entschuldigung ist.“ In der Praxis kommt es (fast) nie zu dieser Untersuchung, zumal der Arzt die „Kopfschmerzen“ des Entschuldigungszettels tags darauf auch nicht mehr nachweisen oder widerlegen kann.
Das wird von Schülern als
zutiefst ungerecht empfunden, und nach meinem Gefühl haben sie
damit vollkommen recht.
Aaaaaaaah, ein Schüler-Versteher
Nein im Ernst. Es gibt in der Tat Situationen, da ist das
durchdrücken einer Konsequenz in der Tat ungerecht. Aber
erstelle mir doch mal bitte einen vollständigen Katalog
mit Ausnahmeregelungen für so einen Fall.
Siehst Du, genau das ist mein zentraler Punkt: Einen solchen Katalog kann und wird es nie geben! Da ist Augenmaß und Menschlichkeit gefragt. (Nur zur Klarstellung: Das ist etwas anderes als Laissez-faire)
Außerdem ist der Schüler selbst ja nur zum Teil
verantwortlich. Wenn seine Mutter die rechtzeitige
Entschuldigung vertrödelt, während er mit Fieber im Bett
liegt, finde ich es eher fragwürdig, ihn dafür zu belangen.
Aaaaaah. Das löst alles: die Eltern nehmen alles auf sich,
somit drohen nie Konsequenzen.
Mein Sohn hat geschwänzt. Nein, ich hab ihm nicht gesagt dass
Unterricht ist?
Er hat sein Attest verschlampt? Nein, ich wars.
Er hat gelogen. Nönö, ich hab ihn nur falsch erzogen.
Geschlagen? dto usw usw usw. Merkst was?
Nein, ich merke nichts.
Nach meiner Überzeugung gibt es in der Erziehung keine „Präzedenzfälle“, sondern es geht immer um einen Einzelfall. Wenn ich sage, dass das Fehlen einer Entschuldigung in diesem Fall an der Schusseligkeit der Eltern liegen kann, dann spricht das Schüler nicht generell von ihrer Verantwortung frei.
Wäre eine Lösung, wenn es für so ein Problem überhaupt eine
gibt, evtl die praktikabelste. Das heißt aber dennoch in der
Umsetzung, dass jeder Schüler (pro Schuljahr, denn die
Lehrer wechseln ja) eine „Freiversuch“ hat. Ich weiß mal nicht
…
Nein, nein, nein, nein. Drücke ich mich so missverständlich aus? Es geht immer um den konkreten Fall.
Fall 1: Ein Schüler fehlt, versäumt zwei Arbeiten. Danach erscheint er wieder zum Unterricht, ohne etwas zu sagen. Spricht man ihn darauf an, sagt er: „Wieso??? Ich war doch krank!“ Man weist ihn auf die Entschuldigungspflicht hin. Zunächst kommt nichts. Erst nach erneuter Nachfrage kriegt man einen Entschuldigungszettel.
Fall 2: Ein Schüler fehlt. Mitschüler sagen, dass er mit Grippe zu Hause liege. Er versäumt zwei Arbeiten. Nach einer Woche ist er das erste Mal wieder in der Schule und möchte den Entschuldigungszettel abgeben. Man weist ihn auf die verspätete Abgabe hin. Er erschrickt und sagt: „Entschuldigung, das wusste ich nicht. Ich dachte, dass die Entschuldigung auch noch nachgereicht werden kann, weil Sie selbst mich doch am letzten Montag nach Hause geschickt haben, als Sie gesehen haben, dass ich krank war.“
Rein formal kann man beiden Schülern zwei Sechsen wegen unentschuldigtem Fehlen reinwürgen. Nach meiner Überzeugung handelt man aber nur dann gerecht, wenn man im zweiten Fall ein Auge zudrückt.
Mir geht es nicht um Recht, sondern um Gerechtigkeit. Da gibt es einen Unterschied.
Aber ich denke, unsere Positionen dürften klar geworden sein. Ich sehe auch durchaus ein, dass es einen Unterschied zwischen einem allgemeinbildenden Gymnasium und einer beruflichen Schule gibt.
Michael