Varela/Maturana vs. Schopenhauer
Hi.
Ich denke, Semjon hat die richtige Richtung gewiesen, wenn er sagt, dass Willensfreiheit mit der Auswahl der Reize zu tun hat, die das Bewusstsein trifft.
Zunächst Zitate:
http://www.schmidt-salomon.de/freiheit.htm
"Er (Schopenhauer) gab das Beispiel eines Mannes, der abends in der Gasse steht und zu sich selbst spricht:
„Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spaziergang machen; oder ich kann in den Klub gehen; ich kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne untergehen zu sehen… thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach Hause, zu meiner Frau.“
SCHOPENHAUER folgert:
"Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: "Ich kann hohe Wellen schlagen (ja! nämlich im Meer und Sturm), ich kann reissend hinabeilen (ja! nämlich im Bette des Stroms), ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen (ja! nämlich im Wasserfall… ebenso kann jener Mensch was er zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich: dann aber MUSS er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist…
(Schopenhauer:smile:… Ich kann thun was ich will: Ich kann, WENN ICH WILL, Alles, was ich habe den Armen geben und dadurch selbst einer werden, - wenn ich WILL! - Aber ich vermag nicht, es zu WOLLEN; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als das ich es könnte…"
Zitat ENDE.
Schopenhauer nimmt hier ganz klar die Lehre vom Unbewussten voraus, die später mit Freud und Lacan systematisiert wurde. Das Ich ist hier keine initiatorische, willens-schöpferische Instanz, es ist dem Wollen, das aus dem Nicht-Ich (dem Unbewussten) kommt, mehr oder weniger ausgeliefert.
Schopenhauer sagte: "„Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will“.
Er kann also bestenfalls nachgeben oder sich dem Drang verweigern - ein Wollen aber aus dem Nichts heraus zu schaffen, das ist ihm nicht möglich. Dieses Wollen kommt aus dem Weltwillen, aus dem Unbewussten.
http://www.textlog.de/5459.html
"Die »Wahlentscheidung« des Menschen (»Deliberationsfähigkeit«) ist nichts als »die Möglichkeit eines ganz durchgekämpften Konflicts zwischen mehreren Motiven, davon das stärkere ihn dann mit Notwendigkeit bestimmt«
Zitat ENDE.
F r e i ist für S. nur der unbewusste Weltwille, der sich im Einzelnen manifestiert. Der Einzelne, der Mensch, ist dagegen wesentlich unfrei, er kann seinem Charakter gemäß nur zusehen, wohin der Wille („mit Notwendigkeit“) ihn treibt.
Das ist logisch kaum zu entkräften. Allerdings kann diese Sicht der Dinge auch positiver formuliert werden: der Freiheitsspielraum, den S. dem Menschen zugesteht, ist genuin entwicklungsfähig. Der Mensch kann, analog zu autopoeitischen Systemen à la Varela/Maturana, immer einen Schritt über die Systembedingungen hinausgehen und diese rückkoppelnd beeinflussen. Das ist auch der buddhistische Grundgedanke bei der Bewusstseinstransformation: Bahnungen, Gewohnheiten werden schrittweise abgebaut und geben so einem freieren Bewusstsein Raum.
Gruß
Horst