Aw: sozialistische Gleichmacherei
Salve!
Du knetest ziemlich schroffe ideologische Kampfparolen über den Äther.
Traum der sozialistischen Gleichmacher
die Zahl der Abbrecher eifrig erhöhen
Voraussetzung für das Medizinstudium ist die allgemeine Hochschulreife
Da ich in der ehemaligen DDR zur Schule gegangen bin, brauche ich Deine Hilfe, weil ich etwas dumm bin und die sozialistische Gleichmacherei nicht verstehe. Ich hoffe, Du verzeihst mir meine ostdeutsche Einfältigkeit.
Du weißt bestimmt: Es gab ja nichts in der DDR!
Es gab kein Kurssystem!
Wir durften uns nicht nach tiefschürfender philosophischer Disputation und inneren Zerwürfnissen ein ultraschwieriges Superabitur zurechtbiegen!
Keine Kunst-Leistungskurse, keine Religionskurse in der Schule! Die armen Kinder mußten sich um ihre christliche Erziehung in ihrer Freizeit selber bemühen - bei den kinderliebenden Kirchen.
Es gab ja nichts in der DDR!
Wir durften Fächer nicht abwählen und nicht aussuchen, welche Fächer in die Abiturnote eingehen!
Wir hatten nichts in der DDR!
Kein ultraschwieriges Superabitur in Kursen sondern nur sozialistische Gleichmacherei in Form von einheitlicher, allseitiger Allgemeinbildung. Immer mußten wir alles können: Allgemeinbildung, Spezialbildung, theoretische Bildung, polytechnische Bildung, geistige Tätigkeit, praktische Tätigkeit, Kulturbildung, berufliche Grundbildung - immerfort und immer alles in einem.
Und erst die Gleichmacherei des Lehrplans!
Vier Abiturklassen einheitlicher Pflichtunterricht nach einheitlicher Stundentafel und einheitlichen Lehrplänen. Ein Trauma!
Wie konnte ich nur gezwungen werden, im Süden der DDR das gleiche zu lernen wie die Bouletten oder die Fischköppe. Vermaledeite Gleichmacherei!
Stellen wir uns dieses unübersichtliche Chaos heutzutage lieber nicht vor. Es wäre schlimm: Ein Schüler in Hamburg lernt das gleiche wie in Freiburg, benutzt vielleicht sogar die gleichen Lehrbücher, die mit dem Lehrplan 100% übereinstimmen, und die Lehrer haben das gleiche Studium absolviert und werden gleich bezahlt.
Das perfekte Chaos. Die Eltern würden überhaupt nicht mehr durchsehen.
Es gab in der DDR keine individuelle Freiheit, keine Möglichkeit, sich entscheiden zu dürfen zwischen der schülterzentrierten Rechtskunde-Lerntheke „Wie Du Lehrern juristisch Grenzen aufzeigst“ und dem in Altgriechisch rezitierten Bühnenspiel „Humanistische Erziehung in der Waffen-SS“.
Stattdessen für alle die Unvollendete von Schubert, unendliche Reihen, Goethes Fäuste, Hybridorbitale und Zyklotronstrahlung!
Einfach die mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächer den geisteswissenschaftlichen Fächern gleichstellen - sozialistische Gleichmacherei!!
Und erst die Gleichmacherei des Schulalltags!
Wir waren 14 Schüler (1.-8. Klasse), später 18 Schüler (9.-12. Klasse), in der Klasse, was uns psychisch sehr belastete!
Diese Gleichmacherei der Schülerzahlen in kleine, beengte Klassenkollektive. Erdrückend. Viele von uns prägten wegen der Einsamkeit psychische Störungen aus. Wir vermißten die 30, 35, 40 oder noch mehr Schüler in einer Klasse, wie es bis heute innovativ im westdeutschen Bildungssystem betrieben wird - Klassen, in denen die freiheitliche Kreativität der vielen Kinder, ihr ungezähmter Individualismus und ihre Lebendigkeit den Unterricht so bereichern!
Es gab ja nichts in der DDR!
Die Stunden waren kalt, karg, anstrengend und eintönig.
Unglaublich, aber wahr: Wir mußten das tun, was der Lehrer wollte.
Kann sich heute keiner mehr vorstellen, diese demütigende Unterdrückung der Schülers! Wir saßen gleichmacherisch mit dem Gesicht zur Tafel in Blickrichtung auf den Lehrer, schrieben in unsere Hefte, hörten zu… und viele weitere Menschenrechtsverletzungen, über die ich lieber nicht spreche!
Und diese gleichmacherische Stille, diese akustische Repression in den Stunden: Teilweise machten wir ausgedrehnte Stillarbeit, bei der es dermaßen still war, daß wir den Lehrer leise flüstern hören konnten, wenn er in der anderen Ecke des Zimmers einem Mitschuler half.
Es gab ja nichts in der DDR!
Nichts hatten wir.
Keine Geräuschkulisse in der Schulstunde, keine Freistunden zwischendurch, keinen Unterrichtsausfall, keine Klassenfahrten in Schulwochen.
Es gab ja nichts in der DDR!
Klassenfahrten mußten in den Ferien stattfinden, um keine Unterrichtswochen im Schuljahr zu verlieren.
Und die gleichmachenden Sozialisten zwängten uns einfach Unmengen Lehrstoff auf. Wir hatten viel mehr Wochenstunden als heutzutage oder im zeitgenössischen Westdeutschland. Trotzdem hatten wir tagtäglich immer gleichmacherisch mittags Unterrichtsschluß. Montags bis sonnabends mittags Schluß!
Es gab ja nichts in der DDR!
Nichtmal Nachmittagsunterricht hatten wir.
Und erst die sozialistische Gleichmacherei des Einheitsschulsystems!
Einheitliche Lehrpläne, einheitliche Stundenverteilung, einheitliche Stundentafel, einheitliche Prüfungen, einheitliche Lehrbücher, einheitliche Hefte, einheitliche Handreichungen und Unterrichtshilfen für die Lehrer, einheitliche Ausstattung der Schulen mit technischem Equipment, einheitlicher Notenmaßstab, einheitliche Lehrerbildung. einheitliches Schuljahr und, und, und.
Ihr im Westen dagegen hattet alles!
Bei euch gab es nichts, was es nicht gab!
Ihr hattet sogar ein Abitur, eine allgemeine Hochschulreife, die eigentlich diesen Namen gar nicht mehr verdiente.
Du sagtest, die allgemeine Hochschulreife sei die Voraussetzung für das Medizinstudium. Und wie muß ich das westdeutsche Schmalspurabitur einordnen? Es müßten doch wegen des eingeengten Abiturs in Westdeutschland (Kurssystem…) eigentlich sämtliche Studienabschlüsse von Medizinern ungültig werden, oder wie?
Und erst die sozialistische Gleichmacherei im Medizinstudium der DDR, die kürzlich wieder hochkochte!
Während die Studenten in Westdeutschland - beflügelt durch das differenzierte, individualistische Schulsystem - ungeahnte Höhen erreichten und das Medizinstudium mit dem Doktor der Medizin abschlossen, erhielten die Studenten in Ostdeutschland nur das Diplom.
Diplom-Mediziner. Dipl.-Med. statt Dr. med., richtig dumm, oder?
Da absolvierten die sozialistisch gleichgemachten DDR-Studenten ein sozialistisch gleichgemachtes Studium, das eine hohe fachliche und hohe akademische Güte hatte, das frühzeitig vielfältige und ausgedehnte berufspraktische Inhalte umfaßte, die immer wieder gelobt wurden, weil eine gute Vorbereitung auf die Patienten und den wirklichen Berufsalltag des Arztes in der Poliklinik, im Krankenhaus und in der niedergelassenen Praxis stattfand, und zum Schluß mußten diese Studenten eine Diplomarbeit schreiben, für die sozialistisch gleichgemacht höhere Ansprüche galten als für 98% der vermeintlichen Dissertationen im Medizinstudium der BRD.
Es gab ja nichts in der DDR!
Ihr im Westen dagegen hattet alles!
Es gab ja nichts, was es nicht gab!
Sogar die medizinischen Doktorgrade konntet ihr zum Fenster herausschmeißen.
Und wegen dieser sozialistischen Gleichmacherei, forderten auch kürzlich mehrere Experten im Zuge der Kontroverse um die erschlichenen Doktorgrade, daß eigentlich sämtliche ostdeutsche Diplom-Mediziner wegen der Spezifik des DDR-Medizinstudiums zum Dr. med. nachpromoviert werden sollten.
Und wie war das mit der Studienabbrecherquote in der gleichmacherischen DDR? (