R. Gernhardt: Fehler im Gedicht?

Hallo, vielleicht kennt ihr das Bodenseereiter-Gedicht von Robert Gernhardt:
http://wwwspies.informatik.tu-muenchen.de/personen/p…

Ein schönes Gedicht, vor allem in der von Otto vertonten Version zur Melodie von Paperback writer. Nur verstehe ich eins nicht: In der ersten Strophe heißt es:

Ein Mann wollte schnellstens von A nach B,
zwischen A und B lag der Bodensee,

Später im Gedicht ist plötzlich von A als sein Ziel die Rede. Als er sich in A wähnt, aber erfährt, dass er in B ist, fällt er tot vom Gaul. Ich raff das nicht. Der schlaue Gernhardt wird sich doch irgendwas dabei gedacht haben, oder hat er schlicht einen Fehler gemacht?

Gruß
André

Kein Fehler im Gedicht
Hallo, André,

ich weiß ja nicht, wie es um deine literarischen Kenntnisse
steht, aber vielleicht nimmst du dir mal das Originalgedicht
von Gustav Schwab vor:

_ Der Reiter und der Bodensee

Der Reiter reitet durchs helle Tal,
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.

Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee,
Er will noch heut an den Bodensee;

Noch heut mit dem Pferd in den sichern Kahn,
Will drüben landen vor Nacht noch an.

Auf schlimmem Weg, über Dorn und Stein,
Er braust auf rüstigem Roß feldein.

Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,
Da sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.

Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,
Der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.

In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,
Die Bäume gingen, die Felsen aus;

So flieget er hin eine Meil, und zwei,
Er hört in den Lüften der Schneegans Schrei;

Es flattert das Wasserhuhn empor,
Nicht anderen Laut vernimmt sein Ohr;

Keinen Wandersmann sein Auge schaut,
Der ihm den rechten Pfad vertraut.

Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,
Wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?

Da bricht der Abend, der frühe, herein:
Von Lichtern blinket ein ferner Schein.

Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,
Und Hügel schließen den weiten Raum.

Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,
Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.

Und Hunde bellen empor am Pferd,
Und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.

»Willkommen am Fenster, Mägdelein,
An den See, an den See, wie weit mag’s sein?«

Die Maid, sie staunet den Reiter an:
»Der See liegt hinter dir und der Kahn.

Und deckt’ ihn die Rinde von Eis nicht zu,
Ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.«

Der Fremde schaudert, er atmet schwer:
»Dort hinten die Ebne, die ritt ich her!«

Da recket die Magd die Arm in die Höh:
»Herr Gott! so rittest du über den See!

An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,
Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!

Und unter dir zürnten die Wasser nicht?
Nicht krachte hinunter die Rinde dicht?

Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut,
Der hungrigen Hecht in der kalten Flut?«

Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,
Es stellen die Knaben sich um ihn her.

Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:
»Glückseliger Mann, ja, segne du dich!

Herein, zum Ofen, zum dampfenden Tisch,
Brich mit uns das Brot und iß vom Fisch!«

Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,
Er hat nur das erste Wort gehört.

Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,
Dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.

Es siehet sein Blick nur den gräßlichen Schlund,
Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.

Im Ohr ihm donnert’s, wie krachend Eis,
Wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß.

Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,
Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab._

Gustav Schwab hat diese schwäbische Sage mit historischem Hintergrund in einer Überlinger Chronik gefunden, in der berichtet wird, dass der elsässische Postvogt Andreas Egglisperger aus Ensisheim bei der Seegfrörne 1573 über den Bodensee geritten sei. Dort wird nichts von seinem Tod berichtet, doch sein Ritt wurde populär und ausgeschmückt, und Schwab machte daraus die Ballade.

Gernhardt hat diese Ballade parodiert und nicht besonders
toll, wie ich finde.

Die Sache mit von A nach B und glauben, er sei in A, und als
er hört, er sei in B, und vor Schreck tot vom Pferd fallen,
muss man sich so vorstellen:

A ist Hagnau auf dem deutschen Nordufer, B ist Münsterlingen
auf dem Schweizer Südufer.
Der Reiter kommt von C und das ist Markdorf, das etwa 20 oder 30 Kilometer von Hagnau landeinwärts liegt. In Hagnau will er einen Kahn finden, der ihn auf die Schweizer Seite übersetzt.

Er reitet in Markdorf © los, verpasst die Straße nach Hagnau
(A) und kommt auf den zugefrorenen See, reitet, ohne es zu
merken und wissen, über den See, der nur alle Hundert Jahre
ganz zufriert.
Als er nun in Münsterlingen (B) ankommt, glaubt er in Hagnau
(A) zu sein. Als er sich vergewissern will, ob er endlich in
Hagnau (A) ist, hört er, dass er schon in Münsterlingen (B)
ist.

Im Nachhinein bemerkt er, in welcher Gefahr er schwebte, und
der Schreck darüber tötet ihn.

Gruß Fritz, der schon von einer Seite des Bodensees auf die
andere wandelte, allerdings nur über den Gnadensee, also zwischen Hegne und der Reichenau.

Hallo Fritz,
tja, ich bekenne, dass ich Gustav Schwab seit der Schulzeit nicht mehr zur Hand genommen hab… Aber jetzt, nach deiner hübschen Instruktion, hab ich die Pointe tatsächlich verstanden. Dafür ein Sternchen!
Gruß
André