'Selbst' anstatt 'Ich'

Stichwort Richtlinienpsychotherapie

Wenn ich nicht wie in der Verhaltenstherapie
nur das Verhalten vllt. durch Gewöhnung wegbekomme, sondern
eher den Kern der Sache treffe, dann ändere ich automatisch
das „Selbst“ über die Heilung der Neurose.

Spätestens wenn es ins Praktische, Allzu-Praktizierbare, gar in die von den Kassen scharf beobachtete Richtlinientherapie geht, werden die Unterschiede, von denen ich schrieb, sichtbar.
Gruß,
Branden

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Nicht ganz. Das Freudsche Unbewusste enthält ja ebenfalls neben dem ES Anteile des ÜBER-ICH.

Aus welchem der Bücher Freuds stammt diese Information?
Nach meinem bisherigen Verständnis hat Freud das Über-Ich dem Bereich des Vor-Bewussten zugerechnet, damit jene Schicht bezeichnend, durch die das ICH/ Bewusstsein) vom Un-Bewussten/ ES) getrennt wird. Und bleibt, so dem Über-Ich die treibfeindliche Moral implantiert wurde.

Ich denke, man kann wirklich die beiden Altmeister (Freud und Jung) an dieser topologischen Stelle nicht ganz deckungsgleich bekommen.

Nun. Wenn Freud ins Unbewusste Über-Ich-Anteile hineingelegt hätte, dann bestünde immerhin eine große Parallele zum Jungschen Verständnis des Begriffes das Unbewusste. Solche Freudsche Leistung wäre mir aber wie gesagt ganz neu. So lange Du mich nicht eines besseren belehrst (am besten eine geeignete Textpassage zitierst), würde ich deswegen dabei bleiben, das das Wort Das Unbewusste bei Freud und Jung völlig verschiedenes bedeutet.

Nach meinem bisherigen Verständnis hat Freud das Über-Ich dem
Bereich des Vor-Bewussten zugerechnet, damit jene Schicht
bezeichnend, durch die das ICH/ Bewusstsein) vom Un-Bewussten/
ES) getrennt wird.

Das sogenannte Vor-Bewusste war ja mehr oder minder ein Kompromissbegriff, den Freud erfunden hat, um Dinge, die nicht total unbewusst, aber auch nicht jederzeit voll im Bewusstsein sind, zu charakterisieren, wobei ihm natürlich klar war, dass auch das Unbewusste nicht überall gleich stark unbewusst ist. Daher k a n n man das Vor-Bewusste also zuimundest außerhalb des Bewussten ja einem ähnlich un- oder nicht-bewussten Zustand zurechnen. Du kennst ja sicherlich seine Topologie, die er im Laufe der Jahre mehrfach überdachte; am belkanntesten dürfte seine eine Zeichnung dazu sein.
Ergo ist der Tatbestand des Vor-Bewussten nicht gerade besonders dazu geeignet, eine Grundsatzdiskussion über die Frage der Deckungsgleichheiten des Freud’schen und des Jung’schen Unbewussten zu beginnen. :wink:
Gruß,
Branden

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Kannst du aus deiner praktischen Erfahrung ein Beispiel nennen, um den Unterschied deutlich zu machen?

Kannst du aus deiner praktischen Erfahrung ein Beispiel
nennen, um den Unterschied deutlich zu machen?

Eigentlich stellt sich die Frage implizit (manchmal auch explizit, wenn ich mit dem Patienten dies ausführlich diskutiere) jedesmal, denn bei jeder Therapie müssen ja beide, Patient und Therapeut, darüber nachsinnen, wie lang die Therapie etwa fgehen soll, ob man es bei einer Kurzeittherapie (dreiviertel Jahr, 25 Sitzungen, einmal wöchentlich) bewenden lässt oder ob 100 Sitzungen erforderlich bzw. sinnvoll sind usw. usf.
Es stellt sich also fast immer die Frage: Wie weit kann/soll/darf ich die Weiterentwicklung der Persönlichkeit durch die Behandlung veranschlagen. Das ist natürlich immer unterschwellig ein Interessenkonflikt mit der bezahlenden Krankenkasse. Die Kassen wollen ja nur das, was unbedingt notwendig zur Arbneitskrafterhaltung ist, bezahlen. Alles darüber ist sozusagen „Kür“ und geht schon in den Bereich der Selbstverwirklichkung.
Die Besserung der Symptomatik erfolgt sowieso oftmals erst im Nachinein und ist daher als Gradmesser nur wenig geeignet.
Gruß,
Branden

Das sogenannte Vor-Bewusste war ja mehr oder minder ein Kompromissbegriff,

Sagen wir lieber Hilfsbegriff, um etwas provisorisch zu umschreiben, für das es noch keine klareren Worte gab, da es gerade frisch entdeckt wurde. Das hat sich spätestens ab Einführung des zweiten Modells, durch das das Vorbewusste in weiten Strecken mit dem Über-Ich gleichgesetzt wurde, das Unbewusste wiederum mit dem ES, geändert…
Natürlich bedeuten diese Begriffe nicht, dass die Inhalte des ES und ÜBER-ICHS unfähig wären, die Instanz des ICH/ Bewusstsein zu erreichen…

Ergo ist der Tatbestand des Vor-Bewussten nicht gerade besonders dazu geeignet, eine Grundsatzdiskussion über die Frage der Deckungsgleichheiten des Freud’schen und des Jung’schen Unbewussten zu beginnen. :wink:

Das war von mir nicht geplant, und ist es auch unmöglich, das Vorbewusste/ ÜBER-ICH isoliert von den beiden anderen psychischen Instanzen zu diskutieren. Wenn Du aber schonmal einen Witz reisst über die Nicht-Ausweidung des Freudschen Unbewussten durch Jung, dann möchte ich Dir darin auch gerne beipflichten. Vor allem wenn man Freuds Bestehen auf und Jungs Abneigung gegen die biologisch verankerte Triebhaftigkeit des allen Lebewesen kollektiven ES bedenkt, und hinzurechnet die respektiv umgekehrte Beziehung beider Männer zum Religiösen, dann komme ich aus dem Lachen gar nicht mehr raus… „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“…

Jung (…) ist ja in vielem d’accord mit Freud.

Hör auf; ich kriege Lachkrämpfe (Oder meintest Du: in Übereinstimmung mit Freud bezüglich vielem Unwesentlichen?)

(sonst hätten wir ja auch nicht dieses recht gute Einvernehmen und Zusammenarbeiten von Freudianern und Jungianern heutzutage)

Freud käme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Aber ich denke, wir haben in diesem Thread viel erreicht mit der Klarstellung, dass der von Jung verwendete Begriff des SELBST eher ein Synonym der PSYCHE als des ICHs sein müsste, auch wenn Dir trotz 40jähriger Forschung noch nicht ganz klar wurde, wie realistisch die freilich verlockende Idee des damit verbundenen, über eine Reparatur des Kaputten hinausgehenden Individuationsprozesses ist.

Gibt es auch ein Beispiel aus der Praxis :

‚Haussanierung‘ vs. Individuationsprozess?

Wie äußerte sich mal konkret das eine und wie das andere bei den Patienten. Kannst du ein Entwicklungsbeispiel erläutern (Haussanierung bzw. Individuation)?

Wiegesagt, eigentlich ist es fast jedesmal die Frage: Sollen wir verlängern oder nicht?
Es spielen so viele Faktoren in jeder Behandlung eine Rolle. Nicht zuletzt die: Wie geeignet ist der Patient wirklich und dauerhaft für eine analytisch orientierte Behandlung? Hat es sich bis dato „gelohnt“ für beide (Pat. und Th.) so viel Zeit für analyt. Ther. aufzuwenden? Kann er seine Träume kontinuierlich behalten, kann er mit den Deutungen viel anfangen? Hat er schon etwas erreicht und ist da noch deutlich etwas, was zu erreichen wäre? Sind die Symptome verschwunden? Was haben wir beide, Pat. und ich, für ein Gefühl zu der bisher abgelaufenen Behandlung?
Literatur dazu übrigens: S.FREUD: „Die endliche und die unendliche Analyse“ und JUNG über den Individuationsweg usw, z.B. „Die Dynamik des Unbewussten“.
Gruß,
Branden

jetzt hab ich zufällig eben eine Quelle gefunden, in der es um die Entwicklung des Selbst geht:

„Die psychoanalytische Theorie entwickelte ihren Schwerpunkt einerseits vom Trieb über das Ich und den „Narzißmus“ zum Selbst“, schreiben Massing, Reich und Sperling ('Die Mehrgenerationenfamilientherapie", S. 36)
Als Quelle zum Nachlesen wird auf ThomÄ, 1980 verwiesen: „Auf dem WEg zum Selbst“ in: Psyche 34 (Zeitschrift)