Warum die Eile bei Zeckenstichen?

Hallo zusammen,

ich nehme den unten stehenden Thread mal zum Anlass für eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, wenn ich einen Zeckenstich-Artikel lese:

Welchen Nutzen hat es, bei einem abgerissenen Zeckenkopf oder einem akuten Zeckenstich sofort zum Arzt zu gehen?

Ein abgerissener Zeckenkopf erhöht das Risiko einer Infektion nicht mehr. Im Normalfall befördert der Körper solche Fremdkörper von selbst nach draußen - in jedem Fall reicht es aber wohl, bis zum nächsten (Wochen-)Tag zu warten, um den Kopf entfernen zu lassen. Wegen eines Holzsplitters im Finger geht man im Normalfall auch kaum sofort zum Arzt.

Weder eine Borreliose- noch eine FSME-Erkrankung ist kurz nach dem Zeckenstich festzustellen. Eine eventuelle Rötung der Einstichstelle ist kein Hinweis auf eine Infektion, sondern bestenfalls auf eine Entzündung. Mehr als die Einstichwunde zu desinfizieren, kann auch der Arzt nicht tun.

Borrelienrelevant ist im frühesten Fall eine Hautrötung, die nach 1-2 Wochen auftritt. Man kann die Zecke untersuchen lassen, wobei man die Kosten für die Laboruntersuchung (je nach Labor zwischen 10 und 100 Euro) selbst tragen muss. Ob eine Infektion vorliegt, weiß man dann allerdings auch noch nicht - man kann lediglich Wahrscheinlichkeiten klären.

Einen Hinweis auf FSME gibt es meines Wissens frühestens 3 Tage nach dem Stich durch das Auftreten grippeähnlicher Symptome. Ein Antiköpernachweis ist aber auch erst nach ca. 2 Wochen möglich bzw. sinnvoll.

Der Sinn entsprechender Panikreaktionen und eines sofortigen Arzt- (oder gar Krankenhausbesuches) erschließt sich mir deshalb nicht wirklich. Warum wird es dann empfohlen?

Schöne Grüße,
Jule

Da sieht man leider wieder einmal die erschütternde Unkenntnis fast Aller zu Zeckenstichen. Bei dem aber jeder mitredet.
Seit wann steckt eigentlich die Zecke ihren Kopf in die Stichwunde?
Die Zecke steckt wie jedes andere Stechinsekt wie Mücken, Bienen, Wespen etc. doch nicht ihren ganzen Kopf in die Haut!
Sondern allein nur ihren „Stachel“. Der Stechapparat, das sogenannte Hypostom.
Wen das beim Entfernen abreißt ist das völlig ungefährlich, wie ein kleiner Holzsplitter.
Den kann man selbst mit einer desinfizierten Nadel entfernen oder der wird vom Körper nach kürzester Zeit selbst entfernt.
Man kann deshalb sogar die Zecke einfach abrasieren, Dann ist die Gefahr einer Übertragung von gefährlichen Erregern aus den Zeckenkörper sofort gebannt.
Das wichtigste ist deshalb eine Zecke möglichst schnell zu entfernen und dabei nicht den Zeckenkörper quetschen. Denn dabei werden erst recht die Erreger in die Stichwunde gepresst. Speziell vor den die billigen Plastikzeckenzangen waren alle Experten, weil mit dessen viel zu groben Backen die Zecke unweigerlich gequetscht wird, das man unbedingt vermeiden sollte!
Nur alle die sich dabei nicht auskennen, geraten gleich in Panik und raten zum sofortigen Arztbesuch.
Man sollte jedoch nach jeden Zeckenstich in den nächsten Wochen auf alle möglichen Gesundheitsbeschwerden achten und dann sofort zum Arzt.
Eindeutig für eine Borreliose-Infektion wäre eine sich vergrößernde Rötung, die aber nicht immer kreisförmig sein muss. Das ist ein 100%iges Zeichen einer Borreliose bei der man unbedingt sofort mind. 4 Wochen Antibiotika geben muss.
Eine vorherige Blutuntersuchung wie es viele Ärzte machen, ist unsinnig, da in diesem Stadium das noch fast nie im Blut nachweisbar ist.
Nur tritt diese Rötung nur bei weniger als der Hälfte aller Borreliose-Infektion auf.
Deshalb muss man bei allen anderen möglichen Symptomen an eine Infektion denken.
Wie leichte Sommergrippe ähnlichen Beschwerden sind ein höchstes Alarmsignal.
Übrigens sollte man auch ohne bemerkten Zeckenstich immer bei diesen Symptomen an einen Zeckenstich denken. Denn die meisten bleiben völlig unbemerkt. Da junge Zecken kleine als ein Millimeter sind und nur mit der Lupe zu erkennen. Wer sucht denn schon seinen ganzen Körper, von hinten bis vorn, auch an uneinsehbaren Stellen und unter den Haaren und im Genitalbereich mit der Lupe ab?

Außerdem sollte man daran denken, dass Zecken neben der extrem häufigen Borreliose mit 800.000 Erkrankungen pro Jahr in Deutschland und der sehr seltenen FSME mit 260 Erkrankungen eine ganze Reihe weiterer gefährlicher Krankheitserreger übertragen können. Wie Rickettisen, Anaplasmen, Bartonellen, Babesien, Coxiella burnetii, Francisella tularensis usw. Insgesamt sich schon über 80 verschiedene Zeckenerkrankungen bekannt.
Nur wissen das leider die meisten Ärzte und Gesundheitsämter nicht einmal.

Hossa :smile:

Was ich hier lese, habe ich früher (vor 2 Wochen) auch noch geglaubt. Vor 2 Wochen habe ich eine kleine Zeckenattacke über mich ergehen lassen müssen. 13 Stiche insgesamt. Dann habe ich mich mal richtig „schlau“ gemacht. Das Folgende habe ich dabei herausgefunden:

  1. Der „gemeine Holzbock“, unsere Standard-Zecke in Deutschland, durchlebt 3 Entwicklungsstadien, die Larve, die Nymphe und die adulte Zecke. Jeder Lebenszyklus ist mit einer Blutmahlzeit verbunden. Die Larve erkennt man daran, dass sie nur 6 Beine hat. Nymphen und adulte Zecken haben 8 Beine.

  2. In einer amerikanischen Studie wurde herausgefunden, dass offenbar nur die Nymphen Borreliose übertragen. Warum das so ist, weiß man noch nicht. Es wird diskutiert, ob die Ergebnisse auf Europa übertragbar sind. In der Studie wird erwähnt, dass man erwartet hatte, dass Larven kaum Borreliose übertragen, weil sie ja noch keinen Wirt zuvor gehabt haben, bei dem sie sich infiziert hätten können. Überraschend war, dass adulte Zecken offenbar keine Borreliose übertragen.

  3. Das Infektionsrisiko steigt mit der Saugdauer der Zecke. In unabhängigen Tierversuchen wurden nach 24 Stunden Saugdauer nur vereinzelt infizierte Laborratten festgestellt. Nach 72 Stunden sind jedoch fast alle Laborraten mit Borreliose infiziert. Hintergrund ist der, dass die Zecke das getrunkene Blut eindickt, indem sie überschüssiges Sekret aus ihrem Körper in die Wunde „erbricht“. Dabei werden die Borreliose-Erreger in die Wunde abgegeben. Dieser Vorgang beginnt jedoch erst nach etwa 24 Stunden, weil die Borreliose-Bakterien aus dem Darm der Zecke erst „mobilisiert“ werden müssen.

  4. Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein Quetschen des Zeckenkörpers beim Herausziehen die Infektionsrate mit Borreliose erhöht, wenn der Zeckenstich nach dem Herausziehen der Zecke sorgfältig desinfiziert wird.

  5. Ein steckengebliebener Zeckenkopf erhöht die Infektionsrate mit Borreliose nicht. Die Erreger sitzen im Darm der Zecke und der ist weg.

  6. Sollte nach einem Zeckenstich die berühmte Wanderröte auftreten, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, dass man sich mit Borreliose infiziert hat. Dann sollte man schnell zum Arzt gehen und eine Antibiotika-Therapie beginnen.

  7. In der Hälfte der Infektionsfälle kommt es zu keiner Wanderröte, sondern lediglich zu grippeähnlichen Symptomen mit Fieber. Wer diese an sich feststellt, sollte immer auch an einen Zeckenstich denken.

Mit anderen Worten, wenn ihr eine Zecke an euch feststellt, muss diese schnellstmöglich entfernt werden. Danach die Wunde unbedingt sorgfältig desinifzieren. Dann den Stich beobachten, ob die Wanderröte kommt. Und auf Fieber achten, das unerwartet auftritt.

Viele Grüße

Hasenfuß

Sofortigen Arztbesuch zu empfehlen wäre auch Unsinn. Nach einem Zeckenbiss hat man aber max 5 Stunden Zeit, das Biest zu entfernen, bevor eventuell in der Zecke wohnende Borrelien in die Wunde kommen.
Wenn der Kopf in der Haut stecken bleibt, können Borrelien weiter eindringen. Außerdem juckt ein Zeckenkopf wochenlang.
Wichtig ist das Beobachten nach dem Biss unter Beachtung der möglichen Anzeichen für eine Infektion. Dann evtll zum Arzt.
Udo Becker

Danke für die gute Frage
und an alle anderen: Danke für die informativen Antworten. :smile:
Claudia

Erste Zusammenfassung
Hallo,

bis hierher erst einmal danke für die Antworten. Ich versuche mal eine Zusammenfassung:

  1. Eine abgerissene Zecke kann keine Borrelien oder Viren mehr übertragen.
  2. Die verbliebenen Saugwerkzeuge sind nicht gefährlicher als ein Holzsplitter in der Haut.
  3. Eine sofortige Blutuntersuchung ergibt in Bezug auf den Nachweis von Borrelien-Antikörper keinen Befund. Hier ergänze ich: Serologische Nachweise sind auch später problematisch, weil die Testverfahren offenbar nicht zwischen alten und neuen Infektionen unterscheiden können.

Vorläufiges Fazit: Ein sofortiger Arzt- oder Krankenhausbesuch ist nicht notwendig. Eine Blutuntersuchung macht erst nach etwa 10-14 Tagen (wenn überhaupt?) Sinn.

Nun zur FSME. Die beste Prophylaxe scheint hier die Impfung zu sein. Ist man nicht geimpft, kommt man - so mein Wissensstand - im Fall einer Infektion um eine Erkrankung nicht herum, die aber symptomatisch sehr unterschiedlich verlaufen kann: Von beinahe völliger Symptomfreiheit bis hin zum Tod.

Auch hier stellt sich mir wieder die Frage nach dem Nutzen eines sofortigen Arztebesuchs:
Eine Blutuntersuchung innerhalb der ersten Tage kann FSME-Viren nachweisen, eine spätere Antikörper. Allerdings nutzt es nicht viel, wenn man um die Infizierung weiß, weil man die FSME - wie alle Virenerkrankungen - nur symptomatisch behandeln kann (also z.B. Fieber senken).

Da sie Symptome ähnlich denen der Borreliose sein können, macht ein serologischer Nachweis nach meinem Verständnis primär deswegen Sinn, um die FSME von einer Borreliose abzugrenzen, da die Gabe von Antibiotika bei FSME kontraindiziert wäre. Das würde aber auch bedeuten, dass bei einer Blutuntersuchung nicht nur auf Borrelien hin untersucht werden sollte.

Vorläufiges Fazit: Sofortiger Arztbesuch ist auch für den Fall einer FSME nicht notwendig.

Bei jedem Zeckenstich ist aber ein Beobachten der Stichstelle und des Gesamtbefindens wichtig.

Ich hoffe, ich habe das nun richtig verstanden.

Schöne Grüße,
Jule

Welchen Nutzen hat es, bei einem abgerissenen Zeckenkopf oder
einem akuten Zeckenstich sofort zum Arzt zu gehen?

Ein abgerissener Zeckenkopf erhöht das Risiko einer Infektion
nicht mehr.

Das ist leider falsch. Wenn eine Zecke nur teilweise entfernt wird, spuckt sie die Erreger in den Stichkanal. Zecken sind relativ primitive Tiere, da funktioniert auch der Kopf allein. Man kann sogar sagen:
Wird ein Zecke vollständig entfernt, läuft man nur ein geringes Risiko hinsichtlich einer nach folgenden Infektion.

Ist die Zecke mit ihrer Mahlzeit fertig, dann spuckt sie auch.

Zeckenköpfe rauseitern lassen - das gehört wie bereits richtig gesagt, in Uromas Gruselkabinett. Die Biester haben schließlich nicht nur Borreliose und FSME mit sich, sondern auch ganz normale Bakterien.

Schönen guten Tag Jule,

Unser Organismus reagiert recht unterschiedlich in Sachen „Heftigkeit“ auf einen solchen Fremdkörper. Meine Empfehlung, recht schnell hier einen Arzt aufzusuchen, basiert nicht darauf, dass ich der Meinung bin, man kann dadurch das FSME-Risiko oder ähnliches senken!

Wenn man den Artikel korrekt und gewissenhaft liest, basiert meine Aussage auf einem anderen Schwerpunkt, und zwar der Abwehrreaktion des Körpers. Gerade bei Kindern sind solche Reaktionen oft verstärkt.
Es ist gewiss nicht förderlich, den Zeckenkopf in der Haut zu lassen, und die gute alte Meinung, es wird ja schon irgendwann „rauseitern“ oder ähnliches, ist längst überholt =)…die Gefahr einer Abszessbildung, Entzündung odr sonstigen Abwehreaktion besteht zu jeder Zeit. Es gibt heute genügend Umwelteinflüsse, Umweltgifte, mutierte Bakterien / Viren die man bei weitem noch nicht kennt, und man auch nicht weiß in welchem Zusammenhang sie mit Tieren im Wald stehen, drum ist es doch absoluter Irrsinn, eine potenzielle Gefahr in seinem Körper stecken zu lassen.

Gruß,
Marc

Hallo Marc,

danke für deine Antwort. In Bezug auf den Zeckenkopf kann ich das nachvollziehen (auch wenn ich selbst deswegen nicht gleich zum Arzt gehen würde).

Ich hatte meine Frage allerdings gar nicht explizit auf dein Post bezogen, mich wundert generell, warum beim Thema Zeckenstich reflexartig zum sofortigen Arztbesuch geraten wird.

Schöne Grüße,
Jule