Mensch, Kunst und Ästhetik
Hi.
Ist Hässlichkeit überhaupt ohne den Begriff ( Gegenpart )Schönheit zu denken ?
Natürlich nicht, was ja für alle konträre Begriffe gilt (heiß-kalt, groß-klein usw.).
Die bisherigen Antworten entsprechen der modischen Tendenz unserer („postmodernen“) Zeit, das Thema möglichst relativ zu sehen, also kultur- oder subjektivitätsbedingt. Dieser relative Standpunkt macht es sich zu einfach, z.B. wenn er eher geringfügige Varianten des Geschmacks bereits als grundsätzliche Unterschiede wertet (genanntes Beispiel: gelb-orange Kleidung; außerdem kann man mit diesen Farbtönen durchaus Schönes produzieren). Das genannte Kitsch-Beispiel (hinduistische Kunst) hat mit Hässlichkeit gar nichts zu tun, Kitsch bedeutet eher: zu schön, um wahr zu sein. Ich denke, dass dieses Kitsch-Beispiel mehr auf Unverständnis des künstlerisch Intendierten als auf „Geschmack“ beruht, jedenfalls ist es kein gutes Beispiel.
Zur eigentlichen Frage:
Hässlichkeit kommt von Hassen, ganz klar. Das hat bisher gerade mal Franz angedeutet. Es ist das, was abstößt. Aber warum?
Im Falle der Ästhetik menschlicher Schönheit scheint mir die Sache klar zu sein: hier gilt als hässlich, was an Tiere erinnert. Wenn z.B. ein Gesicht in einer oder mehreren Hinsicht an die Gesichter/Köpfe von Tieren erinnert, ist es - in der Regel - (mehr oder weniger) hässlich. Bekanntlich belegt der Mensch andere Menschen, um sie zu erniedrigen, gerne mit Tiernamen (Du Ratte, du Schwein, Du Esel usw.). Das beweist, dass der Mensch das Tierische im Menschen hasst und verachtet. Wenn nun ein Gesicht an einen Esel, Affen, ein Kamel oder eine Gans erinnert, dann gilt es als unschön und ab einem gewissen Maße als hässlich.
Was die Schönheit eines Gesichts betrifft, so ist diese also im Prinzip die Abwesenheit von tierischen Aspekten. Niemand wird ein schönes Gesicht mit einem Tier vergleichen. Niemand wird sagen: „Oh, ihr Gesicht ist so schön wie das einer Antilope.“ Eher greift man zu Metaphern wie Engel oder Göttin, also Gestalten aus der (religiösen) Kunst, die ein Schönheitsideal bereits vorgeben (und zwar im Sinne der Abwesenheit des Tierischen).
Solche Wertungen gelten in der Regel unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit. Ein Chinese ist sofort in der Lage, einen schönen (oder hässlichen) Europäer als solchen zu erkennen (und zwar in Übereinstimmung mit Europäern), ebenso wie umgekehrt ein Europäer in Übereinstimmung mit Chinesen ein schönen (oder hässlichen) Chinesen erkennt. Aus meinem intensiven Umgang mit Asiaten weiß ich das.
Eine gute Defintion der Schönheit des Menschengesichts gibt es in der Columbo-Episode „Selbstbildnis eines Mörders“: ein Gesicht ist dann schön, wenn es absolut durchschnittlich ist, wenn also alle Proportionen genau den Durchschnittswerten entsprechen, die sich ergäben, würde man alle Gesichter ausmessen.
Natürlich gibt es Ausnahmen, d.h. manches Individuum wird Menschen als schön (auch in erotischer Hinsicht) bewerten, welche die meisten anderen als hässlich empfinden. Das ist aber in der Regel krankhaft (Extremfall Nekrophilie). Daran ändert kein Relativismus etwas. Natürlich kann auch das Gesicht einer alten Frau/ eines alten Mannes als schön bezeichnet werden, aber doch nur in sehr relativer Hinsicht. Beweis: kein junger Mensch wäre bereit, sein Gesicht mit dem eines solchen alten Menschen einzutauschen.
Im Bereich der Kunst liegen die Dinge etwas komplizierter. Pollock und Picasso wurden genannt als Beispiele für Schönheits-Ästhetik, an der sich die Geister scheiden. Ich denke, das kann man so nicht sehen.
Keiner, der Pollock (aus Unverständnis) für einen Kunst-Barbaren hält, wird deshalb seine Malerei als „hässlich“ empfinden, sondern als chaotisch. Das ist etwas anderes.
Was Picasso betrifft, sollte man nicht päpstlicher sein als der Papst. Picasso war der Letzte, der auf „Schönheit“ pochte. Es ging ihm viel mehr um das Wahre. Wenn nun jemand seine kubistischen Porträts als hässlich wahrnimmt, warum nicht? Sie sind hässlich. Aber darum geht es hier nicht, denn sie sind Einblicke in eine andere (auch ästhetische) Dimension. Niemand - auch kein Fan - wird dabei ernsthaft von Schönheit sprechen können. Damit hätte man Picasso missverstanden.
Chan