Guten Morgen auch dir, Ralf,
wäre bei Städten nicht „verwinkelt“ zu bevorzugen?
Meiner Ansicht nach nicht! Und von mir würde dein „zu bevorzugen“ ein rotes „S“ bekommen! Alternative ist: „vorzuziehen“.
Aber du weißt: De gustibus …
Aber zu „winkelig“ und „verwinkelt“. Ich bin sicher, dass es da einen feinen Bedeutungsunterschied gibt.
Das ist einmal:
_ win|ke|lig, winklig [älter: winklicht]: viele Winkel (2) aufweisend: ein altes, -es Haus; eine -e Wohnung; ein -es Städtchen.
© Duden - Deutsches Universalwörterbuch 2001_
Hier handelt es sich um eine ganz simple, normale Ableitung vom Nomen „Winkel“ durch das adjektivbildende Suffix „-ig“, die einfach nur sagt: Es gibt Winkel.
Und da ist zum anderen:
_ ver|win|kelt : eng u. mit vielen Ecken, ohne geraden Verlauf o.Ä.: ein -es Gässchen; ein -er Flur.
© Duden - Deutsches Universalwörterbuch 2001_
Schon an der Angabe der Bedeutung siehst du, dass durch „eng“ und „ohnen geraden Verlauf“ hier negative Assoziationen auftreten.
Auch die Bildung dieses Adjektivs - es ist ein zum Adjektiv erstarrtes Partizip II vom Verb „verwinkeln“, das heute ungebräuchlich geworden ist; das Nomen: die Verwink(e)lung dagegen kann man noch hören - weist auf diese negariven Seiten hin.
Die Vorsilbe „ver-“ macht oft - nicht immer - , verbunden oft mit dem Reflexivpronomen, aus der Handlung des einfachen Verbs eine Handlung, zu der dieses Verb gehört, zu etwas Falschem, Schlechtem, UNgewolltem.
rechenen => sich verrechnen, wählen => sich verwählen, laufen => sich verlaufen etc. Ob „lieben => sich verlieben“ auch hierher gehört?
Ebenso: schlafen => verschlafen, schütten => verschütten etc.
Wenn ich also sage: „Tübingen ist eine verwinkelte Stadt“, dann schwingt da ein Missfallen der Verwinkelung mit, während die Bezeichnung „winkelig“ ausdrückt, dass man Tübingen „malerisch, romantisch“ und ähnliches mehr findet.
Ich möchte diese Unterscheidung nicht zum Dogma erheben, nicht in einer Zeit, da für eine positive Kennzeichnung fast nur noch „Cool und geil“ übrig geblieben sind.
Sprache ist zum einen wirklich nur ein Kommunikationswerkzeug; und men versteht mich auch, wenn ich beim Beck auf die Brezeln zeige und zwei Finger hebe.
Aber es gibt die Möglichkeit zu sagen: „Ach bitte, geben Sie mir doch zwei von den herrlich duftenden, die knusprigen dunkelbraunen Ärmchen so nett verschlingenden, sonst aber angenehm hellbraunen und gerade richtig weichen Brezeln.“
That’s the difference! Auch wenn die Verkaüferin dich wie ein Mondkalb anschaut. Also nicht du sie, sondern sie dich für so eins anschaut.
Zu Altersmilde möchte ich nichts sagen! ;-}
Gruß Fritz