Die Suche nach der Ursprache

Long, long ago, hörte ichmal in einem Unterseminar etwas über die Suche nach der Ursprache. Der Prof. erzählte damals die haarsräubende von einem deutschen Kaiser, der einen Säugling in absoluter Isolation aufwachsen ließ, da er hoffte, so die Frage nach der Ursprache des Menschen zu lösen. Da das arme Kind diesen Versuch nicht überlebte, konnte er das Rätsel nicht lösen.
Wer weiß mehr über solche Versuche?
Mit gutem Gruß, Alexander

Link wäre angenehm

Angeblich Friedrich II.
Hallo Alexander,

ich habe schon einmal einen längeren Artikel zu diesem Thema geschrieben. Ich stelle ihn Dir hier einfach rein. Ich hoffe, er hilft Dir weiter.

Da wir erst kürzliche eine ähnliche Anfrage bei uns in der Abteilung für Mittelalterlcihe Geschichte in Tübingen hatten (http://www.uni-tuebingen.de/mittelalter), hier unsere Ausführliche Antwort zum Thema Friedrich II. und die Babies:

Die Story findet sich bei Salimbene von Parma (1221-1287/88). Da Friedrich 1250 verstarb, können die Angaben bei Salimbene durchaus noch aus direkter Beobachtung stammen, wenn auch die Chronik wohl erst nach 1282 geschrieben wurde. Ob Salimbene aber je unmittelbaren Kontakt zu Friedrich hatte, weiß ich im Moment leider nicht.

Das Tusculum-Lexikon (Tusculum-Lexikon griechischer und lateinischer Autoren des Altertums und des Mittelalters, 1982, S. 712) über Salimbene:

„Salimbene von Parma (Ognibene degli Adami), 1221 bis 1287/88, aus Parma, Franziskaner, viel gereist in Italien und Frankreich, verfaßte eine für die Geschichte des 13. Jh.s wichtige Chronik, für deren Darstellungsweise zahlreiche, oft persönlich gehaltene Exkurse charakteristisch sind. Der Standpunkt des Verfassers ist gemäßigt päpstlich.“

Die Regierungszeit Friedrichs II. war vor allem von harten
Auseinandersetzungen mit dem Papsttum geprägt, die mehrmals zur Bannung und auch zur – zumindest durch den Papst verkündeten – Absetzung des Kaisers führten. Ein Streitgegenstand war z. B., dass Friedrich einen lang versprochenen Kreuzzug immer weiter hinausschob. Streit gab es auch um die Frage, wie weit die Herrschaft des weltlichen Herrschers in die Angelegenheiten der Kirche hineinreichte (Bischofserhebungen in Sizilien).

Der Hauptgrund für die Streitigkeiten war aber sicherlich in der
territorialen Konstellation zu finden: Die Staufer unter Friedrich hatten einerseits das Reich (Deutschland und Oberitalien) unter sich, Friedrich selbst war aber in Sizilien und Süditalien stark verankert, wo auch sein eigentliches Machtzentrum lag. Der Kirchenstaat in Mittelitalien war somit
im Norden und Süden durch die Staufer eingeklemmt (sogenannte „Staufische Zange“).

Die Auseinandersetzungen wurden nicht nur mit Waffengewalt, sondern auch auf beiden Seiten mit propagandistischen Mitteln aufs Schärfste ausgetragen. Von päpstlicher Seite wurde Friedrich zum Antichristen gestempelt. Vor allem die neu entstandenen Bettelorden (Dominikaner und Franziskaner, Salimbene war ja Franziskaner) taten sich in der Propaganda
gegen den Kaiser hervor.

Friedrich II. wurde in der modernen Geschichtsschreibung oft als „erster moderner Mensch auf dem Thron“ (J. Burckhardt) bezeichnet. Dies kann so von der neueren Forschung nicht bestätigt werden. Es finden sich bei ihm durchaus starke Züge mittelalterlicher Frömmigkeit, deren Ausgestaltung in
vielen Fällen aber politisch motiviert war. An seinem Hof umgab er sich mit Dichtern und Wissenschaftlern, verfasste selbst Gedichte in italienischer Sprache (daher wurde er von Dante verehrt). Intensiv beschäftigte er sich mit Aristoteles und dem von den Arabern in Sizilien vermittelten Wissen. In Neapel errichtete er eine Universität, zahlreiche gelehrte Schriften ließ er aus dem Arabischen übersetzen. Er selbst verfasste ein Buch über die Jagd mit Falken, das als wissenschaftliche
Leistung ersten Ranges gelten darf. Friedrich bediente sich bei seinen Forschungen und kritischen Fragen der Empirie und des Experiments.

Dieses Vorgehen war zwar nicht einmalig in seiner Zeit, aber doch für einen Herrscher so ungewöhnlich und befremdlich, dass diese geistige Grundhaltung von kirchlicher Seite zu Progagandazwecken eingesetzt werden konnte.

In diese oftmals stark verzerrte Wahrnehmung passt auch die Chronik des Salimbene von Parma:

Salimbene beschreibt in dieser Chronik unter anderem sehr ausführlich sieben (!) Wahnideen („superstitiones“) Friedrichs.

Die erste Wahnidee bestand darin, dass Friedrich einem Schreiber den Daumen amputieren ließ, da dieser Friedrichs Namen „Fredericus“ statt „Fridericus“ geschrieben hatte [da sage noch einer, im Mittelalter habe man es mit der Rechtschreibung nicht so genau genommen!].

Die zweite Wahnidee ist die Säuglingsgeschichte:

– Lateinischer Text -------------------------

Secunda eius superstitio fuit, quia voluit experiri, cuiusmodi linguam et loquelam haberent pueri, cum adolevissent, si cum nemine loquerentur. Et ideo precepit baiulis et nutricibus, ut lac infantibus darent, ut mammas sugerent, et balnearent et mundificarent eos, sed nullo modo blandirentur eis nec loquerentur. Volebat enim cognoscere, utrum Hebream linguam
haberent, que prima fuerat, an Grecam vel Latinam vel Arabicam aut certe linguam parentum suorum, ex quibus nati fuissent. Sed laborabat in cassum, quia pueri sive infantes moriebantur omnes. Non enim vivere possent sine aplausu et gestu et letitia faciei et blanditiis baiularum et nutricum suarum.

– Ende Zitat --------------------------------

– Übersetzung -------------------------------

Seine zweite Wahnidee war, dass er herausfinden wollte, welche Sprache und Mundart die Kinder hätten, wenn sie heranwachsen würden, ohne je mit irgendwem sprechen zu können. Daher befahl er den Ammen und Nährmüttern, die Kinder zu säugen, sie zu baden und zu reinigen, aber ihnen niemals zu schmeicheln oder mit ihnen zu reden. Er wollte nämlich erfahren, ob sie die hebräische Sprache sprechen würden, welche die erste gewesen war, oder die griechische oder die lateinische oder die arabische, oder ob sie nicht immer die Sprache ihrer Eltern sprechen würden, von denen sie abstammten.
Doch er bemühte sich vergebens, denn die Kinder starben alle. Denn sie konnten nicht ohne den Beifall, die körperliche Zuwendung, die freudlichen Gesichter und die Schmeichelein ihrer Ammen und Nährmütter leben.

– Ende Übersetzung --------------------------

Die Idee zu diesem Experiment war keineswegs neu. In den Historien des Herodot (II, 1) findet sich eine ähnliche Geschichte (das folgende Zitat, wie auch große Teile der vorigen Übersetzung aus dem Lateinischen stammen aus Umberto Eco, Die Suche nach der vollkommenen Sprache, 1994 S. 13):

– Herodot -----------------------------------

Psammetich gab einem Hirten zwei Neugeborene von beliebigen Eltern; er sollte sie zu seiner Herde mitnehmen und so aufziehen, daß niemals in ihrer Gegenwart ein Wort gesprochen werde […]. So wollte er hören, was für ein Wort die Kinder als erstes aussprechen würden […]. Nachdem der Hirt die Kinder zwei Jahre lang so versorgt hatte, riefen sie ihm, als er
eines Tages die Tür öffnete und eintrat, bittend das Wort
„Bekos“ entgegen, wobei sie die Hände emporstreckten […]. [Psammetich] fand heraus, daß die Phryger das Brot „Bekos“ nannten. So räumten die Ägypter ein, daß die Phryger noch älter seien als sie.

– Ende Herodot ------------------------------

Weitere Wahnideen Friedrichs sollen unter anderem gewesen sein, dass er einen jungen Mann aus Sizilien so lange immer wieder auf den Meeresgrund tauchen ließ, bis er nicht mehr aus der Tiefe zurückkehrte (Schiller!). Bei dieser Geschichte nennt Salimbene sogar einen Gewährsmann für die Erzählung. Außerdem ließ Friedrich angeblich zwei Männer essen. Den einen schickte er danach zur Jagd, während der andere schlafen sollte. Dann wurde beiden der Magen geöffnet, um zu sehen, wer besser
verdaut hatte, wobei man herausfand, dass der Schlafende besser verdaut hatte.

Diese Anekdoten können im einzelnen natürlich nicht nachgeprüft
werden. Vermutlich sagen sie durchaus etwas über die
wissenschaftlich-kritische Grundhaltung Friedrichs aus und vor allem darüber, wie diese von seinen Gegnern wahrgenommen wurde. Gerade die Kindergeschichte ist ja offensichtlich nicht neu, sondern bereits in ähnlicher Form (aber mit anderem Ausgang) aus der Antike bekannt.

Grüße, Larissa

Liebe Larissa,
mit deinen Angaben konnte ich erfreulich viel anfangen. Ja, das war der Friedrich zwo, der im Mittelalter auf diese Weise herausfinden wollte, welches die erste Sprache war. Die Kinder haben mich mein ganzes Leben lang gedauert. Wie entsetzlich einsam müssen sie gewesen sein.
Herzlichen Dank, Alexander