Freud/Die Zukunft einer Illusion/ Kapitel II

Hi Leute,

Ich habe ein wenig Probleme zu verstehen, was Freud mit den Abschnitten "Von anderer Art ist die Befriedigung, welche die Kunst den Teilhabern an einem Kulturkreis gewährt, obwohl diese in der Regel den Massen, die durch erschöpfende Arbeit in Anspruch genommen sind und keine persönliche Erziehung genossen haben, unzugänglich bleibt. Die Kunst bietet, wie wir längst gelernt haben, Ersatzbefriedigungen für die ältesten immer noch am tiefsten empfundenen Kulturverzichte und wirkt darum wie nichts anderes aussöhnend mit den für sie gebrachten Opfern.

Anderseits heben ihre Schöpfungen die Identifizierungsgefühle, deren jeder Kulturkreis so sehr bedarf, durch den Anlaß zu gemeinsam erlebten, hocheingeschätzten Empfindungen; sie dienen aber auch der narzißtischen Befriedigung, wenn sie die Leistungen der besonderen Kultur darstellen, in eindrucksvoller Art an ihre Ideale mahnen" meint. Quelle: http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/freud/…

Den ersten Abschnitt verstehe ich so, dass durch Kunst die ältesten Triebverzichte (Kannibalismus, Mordlust und Inzest) eine Ersatzbefriedigung finden. Mit anderen Worten es muss Kunst sein in dem Morde, Inzeste oder Kannibalismus vorkommt, also z.B. ein Bild wo jemand einen Menschen umbringt, als Ersatz einen wirklichen Menschen um zu bringen.

Den zweiten Abschnitt verstehe ich so, dass natürlich, wenn ein Kunstwerk Ideale einer Kultur darstellt, narzisstische Befriedigung erfolgen kann.

Jetzt zu meiner wirklich wichtigen Frage (ich glaube das anderfe habe ich schon richtig verstanden, wenn nicht helft mir aus :smile:)

Was ist nun mit den Identifizierungsgefühlen? Warum werden die gestärkt, wenn man zusammen Kunst erlebt?

Ist es einfach die Tatsache, dass da mehrere Menschen sind, die sich für ein und dasselbe Kunstwerk interessieren und auf sich wirken lassen? unabhängig davon, wie denn jede einzelne dieses Kunstwerk interessiert? weil dadurch einfach das Gemeinschaftsgefühl bzw. die affektiven Bindungen zwischen den Menschen steigen?

Was ist nun mit den Identifizierungsgefühlen? Warum werden die gestärkt, wenn man zusammen Kunst erlebt?

Ist es einfach die Tatsache, dass da mehrere Menschen sind, die sich für ein und dasselbe Kunstwerk interessieren und auf sich wirken lassen? unabhängig davon, wie denn jede einzelne dieses Kunstwerk interessiert? weil dadurch einfach das Gemeinschaftsgefühl bzw. die affektiven Bindungen zwischen den Menschen steigen?

Es dürfte nicht unabhängig davon sein, wie jeder einzelne sich für das Kunstwerk interessiert, nicht einmal völlig losgelöst von einem kollektiven Verständnis des von allen betrachteten Kunstwerkes. Würde es jeder in völlig eigener Weise verstehen, gäbe es keine echte Gemeinsamkeit im Erleben, und das erst dadurch gestärkte Gemeinschaftsgefühl wiederum, müsste sich ebenfalls so erklären lassen, dass es eine Reihe angeborener (kollektiver, dem „ES“ innewohnender) Grundbedürfnisse gibt, die vom sittlichen Kodex („Über-ICH“) der patriarchalischen Gesellschaft zwar radikal verdrängt oder mindestens dämonisiert, aber eben in Kunstwerken sublimativ ‚ausgelebt‘ werden.

Ansonsten kann m.A.n. die narzißtische Befriedung erst darauf beruhen, dass ein von einem Narzißten erschaffenes Kunstwerk die Verdrängung der naturgemäßen Triebe irgendwie rechtfertig, es versäumend zu zeigen, dass solch ein Prozess etwas Pathologisches darstellt, immer und überall von psychischem „Leiden“ begleitet, wobei die Frage gestellt werden sollte, ob überhaupt sinnvol ist, das als „Kunst“ zu bezeichnen und die Verdrängung als „kulturelle Leistung“. Freud jedenfalls war nicht in der Lage, diesen Sachverhalt eindeutig zu beantworten (s. „Das Unbehagen in der (sog.) Kultur“), da seinerzeit kaum Klarheit gab, welche die Art, Zahl und Beschaffenheit der ES-eigenen „bio-ethischen“ Grundbedürfnisse wäre, bzw. wie diese von den zahllosen Perversionen zu unterscheiden seien (z.B. die sadistische Grausamkeit des patriarchalischen Menschen), die sich erst aus der (gewaltsamen) Verdrängung des ES - durch triebfeindliche Frühkindheitserziehung erfolgend - ergeben…

Danke. Du hast mir sehr geholfen. Einige Gedankengänge, die du genannt hast, hatte ich auch schon selber, aber ich dachte, dass ich da vielleicht zu weit vom Text abschweife.

Was vor allem die Kunst anbelangt, so stellt ja nicht jedes Kunstwerk automatisch eine Sublimation eines bestimmten verdrängten Triebes dar. So ein sublimiertes Kunstwerk kann ja nur dann durch einen Künstler entstehen, wenn ein Trieb verdrängt (was nach Freud ja zur Neurose führen kann)wurde und nun anders ausgelebt wird z.B. in einem Kunstwerk, womit sich dann die anderen Menschen, die es anschauen sich mit identifizieren und es gleichsam Erleben und so das Gemeinschaftsgefühl stärker wird.

Um nochmal die zwei Aspekte herausszustreichen:

  1. Gemeinsam ein Kunstwerk anschauen, bitet eine Plattform für gemeinsames Erleben, welches die affektiven Bindungen stärkt.

  2. Andererseits Kunstwerke in denen die Ideale einer Kultur gezeigt werden, um daran zu erinnern, sich an diese zu halten.

Wobei 1 und 2 natürlich in einem Kunstwerk zusammen auftauchen können.

Wobei 1 und 2 natürlich in einem Kunstwerk zusammen auftauchen können.

Wobei die Anpreisung gemeinsamer kultureller Ideale in einem Kunstwerk, das unter dem Leit(d)stern allein des Gewinns narzißtischer Befriedigung entworfen wurde, also die Ausblendung der neurotisierenden Wirkung der Triebverdrängung zur Vorabbedingung hat?

nicht jedes Kunstwerk (stellt) automatisch eine Sublimation eines bestimmten verdrängten Triebes dar.

Darin würde ich Dir zustimmen, ja einen bewusst kontrollierten körperlichen Trieb (- der also unverdrängt bleibt, lediglich zeitweilig ‚gezähmt‘ aus „Einsicht“) als weitaus bessere Voraussetzung zur Sublimierung seiner Energie auf dem Wege der Kunst erachten, als es der Fall ist bei einem verdrängten. Allerdings dürften sich von solch einem Kunstwerk, in dem also keine hochgradig verrätselten Symbole vorkommen können oder brauchen, nur gesunde Menschen angesprochen fühlen und über das gemeinsame Erleben vielleicht auch Kraft für die Aufrechterhaltung ihrer Kultur gewinnen… obwohl sie es eher nicht nötig haben. Eine Kultur, die auf bewusster Triebbeherrschung beruht, bedarf keiner massensuggestiver Wirkung…

Darf ich fragen, in welchem Kontext Du Dich mit Freud befasst?

Künstler und der Sex
Hi Elaminato.

(Freud:smile:

Die Kunst bietet, wie wir längst gelernt haben, Ersatzbefriedigungen für die ältesten immer noch am tiefsten empfundenen Kulturverzichte und wirkt darum wie nichts anderes aussöhnend mit den für sie gebrachten Opfern.

Ich glaube, hier muss man „Triebverzichte“ (durch Kultur bedingt) sehr allgemein auf alles beziehen, was Freud unter den Begriff „Trieb“ fasste, d.h. auch und vor allem die sexuellen Triebe, so wie sie in der psychosexuellen Entwicklung zum Ausdruck kommen (oral, anal, genital). Darüber hinaus auch auf die Konzepte vom Eros und des Todestriebs.

Inzest und Mord sind keine Triebe, sondern entspringen diesen (laut Freud). Das Inzestverbot ist eine Triebregulierung, die den Narzissmus beschneidet und das Kind in einem wichtigen Schritt in das Sozialsystem integriert.

Triebverzicht heißt bei Freud, das hemmungslose Lustprinzip zugunsten des sozial konstruktiven Realitätsprinzips aufzugeben. Darüber hinausreichende Formen (neurotischer Natur) sind eine pathologische Abweichung, die mit vernünftigem Triebverzicht nichts zu tun hat.

Es kann Freud also nicht in erster Linie darum gehen, Kunst als Kompensation neurotischen Triebverzichts zu verstehen, sondern als Kompensation des „normalen“ kulturnotwendigen Triebverzichts.

Hier muss ich allerdings darauf hinweisen, dass Freud (den ich sehr schätze) in manchen wichtigen Punkten ein ausgemachter Reduktionist war. Das zeigt sich auch in seiner Wertung der Kunst als Sublimation teilverdrängter sexueller Triebe und als identitätsstiftende Institution.

Ich sage:

Kunstschaffen ist völlig unabhängig vom Sexualleben des Künstlers. Ein Blick auf Künstlerpersönlichkeiten zeigt das mehr als deutlich. Also kann (neurotischer) Triebverzicht unmöglich als hinreichende Verursachung des Kunstschaffens gelten.

(gesunder Triebverzicht = die durch Sozialisation erfolgende Beschneidung der Triebe oral, anal, genital)

Bach: hatte viel Sex, übrigens auch 21 Kinder.

Händel: hatte nie Sex, starb vermutlich als Jungfrau.

Mozart: viel Sex und sehr freizügig.

Beethoven: kein Sex bekannt.

Wagner: viel Sex.

Bruckner: starb als Jungfrau.

Brahms: locker vom Hocker.

Ich kenne persönlich einen sehr erfolgreichen Bildhauer, der bisher weit über 1000 Frauen hatte. Phasenweise jeden Tage eine andere. Absolut kein Triebverzicht erkennbar. Dennoch ist er künstlerisch ungemein produktiv.

Freud hat die sexuelle Komponente im Kunstschaffen also weit übertrieben bzw. sie als alleinige Antriebsfeder missverstanden. Mit Sicherheit schwingen gefühlte 50 Prozent an sexueller Sublimierung in einem Kunstwerk mit (aufgrund des kulturbedingten normalen Triebverzichts), aber es gibt eine Dimension darüber hinaus. Nennen wir sie die spirituelle Dimension. Zahllose Künster(-kollegen) würden mir darin zustimmen.

Und diese zweite Dimension lässt sich nicht auf die erste reduzieren (was Freud tat).

Was ist nun mit den Identifizierungsgefühlen? Warum werden die gestärkt, wenn man zusammen Kunst erlebt?

Na ja, das sollte man nicht überbewerten. Klar, Kunst entstand aus Kult, also gemeinschaftlichem Erleben, aber ihre Dimensionen reichen weit über solche funktionalistischen Zwecke hinaus.

Gruß Horst

Darf ich fragen, in welchem Kontext Du Dich mit Freud befasst?

Klar darfst du fragen. Ich studiere Sozialpädagogik und ich bin da in einem Seminar welches „Kulturtheorie bei Freud“ heisst und in dem Rahmen beschäftige ich mich mit ihm. Freud begegnete mir aber auch schon früher öfter, da ich mich privat für Psychologie interessiere.

Wobei die Anpreisung gemeinsamer kultureller Ideale in einem Kunstwerk, das unter dem Leit(d)stern allein des Gewinns narzißtischer Befriedigung entworfen wurde, also die Ausblendung der neurotisierenden Wirkung der Triebverdrängung zur Vorabbedingung hat?

So krass würde ich das jetzt nicht sagen. Ich selber bin leider kein Künstler, aber ich denke nicht, dass Künstler einfach dahergehen und sich bewusst dazu entscheiden ein Kunstwerk zu erstellen, in dem die rezeptive Masse die Ideale einer Kultur erblicken sollen und somit narzisstische Befriedigung erhält.

Soweit ich Künstler als nicht-Künstler verstanden habe, malen die intuitiv oder aus Gefühl einfach drauf los. Dadurch können dann eben auch kulturelle Triebunterdrückungen zum vorschein kommen und auch wie diese gebändigt werden.

Ich denke nicht das eine Triebverdrängung eine Vorabbedingung für ein gemeinsames kulturelles Ideal sein muss. Aber es kann eine Vorabbedingung sein.

Wenn ich eigentlich den Sextrieb ausleben will und ich ihn verdränge und ich damit konfrontiert werde (wie auch immer sei es bewusst oder unbewusst) können ja eigentlich zwei sachen passieren:

Ich lebe den Sextrieb irgendwie aus (zB. auch in der Kunst, sei es durch Sublimation oder in dem ich konkret den Sex darstelle)

oder: Ich zeige wie sehr mein Sextrieb gebändigt wird.

In einer Kultur wo sex gebändigt werden soll, würde dieses Kunstwerk ja dann einem Ideal entsprechen.

In diesem Beispiel wäre ein verdrängter Trieb dann eine Vorabbedingungzur künstlerischen Darstellung eines kulturellen Ideals.

Ja, man sollte immer im Auge haben, dass Triebunterdrückung einerseits für eine Kultur notwendig ist und bei zuviel Unterdrückung eine Neurose entstehen kann.

Freud sagt aber auch, dass diese normale Unterdrückung zur Kulturfeindschaft führt. Eben weil die Kultur den Trieben Verbote auferlegt, welche durch Zwang eingehalten werden müssen, welche nichtmal einen Charakter der Neurosebildung haben muss. Diese Tatsache allein genügt. Der Zwang ist hier auch das entscheidende. Wer die Triebe durch Zwang und nicht etwa durch Einsicht reguliert, hat immer das Potenzial zum Kulturgegner zu mutieren.

Und jetzt sagt Freud auch noch, dass wohlmöglich die Masse niemals in der Lage sein wird, dies durch Einsicht zu tun. Die meisten Leute also regulieren ihre Triebe durch Zwang, also durch Angst vor Sanktionen.

Deshalb werden dann wohl auch die meisten Künstler (wenn ich jetzt den Gedankengang Freuds folge) Künste aus der Quelle der Triebverdrängung schaffen, aber eben der normalen Triebverdränung, welche uns durch Zwang auferlegt ist, nicht die neurotische.

ich denke nicht, dass Künstler einfach dahergehen und sich bewusst dazu entscheiden ein Kunstwerk zu erstellen, in dem die rezeptive Masse die Ideale einer Kultur erblicken sollen und somit narzisstische Befriedigung erhält. Soweit ich Künstler als nicht-Künstler verstanden habe, malen die intuitiv oder aus Gefühl einfach drauf los.

Ja, und meisstens sind sie auch diejenigen, die am wenigsten von allen ahnen, was sie da eigentlich abgebildet oder dargestellt haben. Mit dem „entworfen unter dem Leidstern allein narzißtischer Befriedigung“ usw., habe ich allerdings auch nicht behaupten wollen, dass diese bewusst erfolgt, wollte vielmehr darauf ab, dass das Streben nach narz. Befriedigung und nach Klärung der Leidensursachen sich - da letztere Ansprüche bei Freuds nicht gerade unkünstlerischen Werken gerade auf die heilsam wirkende „narzißtische Kränkung“ hinauslaufen - gewissermaßen ausschließen.

In diesem Beispiel wäre ein verdrängter Trieb dann eine Vorabbedingungzur künstlerischen Darstellung eines kulturellen Ideals.
da ich mich privat für Psychologie interessiere.

Ok. Und wie fändest Du den Definitionsversuch, wonach eigentliche Kultur auf bewusster Triebkontrolle verankert sein müsse, so dass also ein Kind, das man von kleinauf an zur Reinlichkeit dressiert (ihm die lustvoll forschende Auseinandersetzung mit seinem Körper und dessen Ausscheidungsfunktionen durch Androhung von Liebesentzug tabuisierend, lange bevor das kritische Denken erwacht) nicht zu einem Kulturwesen heranwachsen kann, statt dessen ein Neurotiker werdend, auch wenn er völlig „normal“ wirkt (im Umfeld ausschließlich solcher Zuchtprodukte)?

M.A.n. liegt in diesem seinerzeit nicht recht klarlegbar gewesenen Sachverhalt die Wurzel von Freuds „Unbehagen“ einer angeblichen Kultur gegenüber verankert.

Der Versuchung des Reduktionismus widerstehen
Hi Elaminato.

Freud sagt aber auch, dass diese normale Unterdrückung zur
Kulturfeindschaft führt. Eben weil die Kultur den Trieben
Verbote auferlegt, welche durch Zwang eingehalten werden
müssen, welche nichtmal einen Charakter der Neurosebildung
haben muss.

Zur Kulturfeindschaft führen k a n n, nicht muss - denke ich. Ich glaube nicht, dass Freud das so generalisiert, wie du das darstellst. Ggfs. zitiere doch bitte die Stelle. Ich jedenfalls kenne niemanden, der „kulturfeindlich“ ist. Kultur ist eine Grundbedingung des Menschseins, was auch Freud sehr genau wusste.

Der Zwang ist hier auch das entscheidende. Wer die Triebe durch Zwang und nicht
etwa durch Einsicht reguliert, hat immer das Potenzial zum
Kulturgegner zu mutieren.

Eben - Potenzial. Nur wird das selten realisiert. Vielleicht meinst du hier Gegner einer bestimmten Kulturform, in der das Sexuelle unterdrückt wird (was ja überall der Fall war und teilweise noch ist - dank Freud und sowie der Sexuellen Revolution in der 60ern änderte sich das aber erheblich).

Triebe durch Einsicht regulieren - das ist eine ganz andere Baustelle. Der kulturelle Zwang zum Triebverzicht (dem gesunden, weil notwendigen Triebverzicht) ist unvermeidbar - kein Kleinkind lernt freiwillig, seine oralen und analen Lüste zu beschränken. Auch das Inzestverbot ist ein notwendiger Zwang, weil sonst Eltern und Kinder wild durcheinanderficken würden.

Einsicht in den Sinn von Triebverzicht zeigt sich z.B. im Treueverhalten und in der Zurückhaltung, wenn die Versuchung aufkommt, Minderjährige zu verführen. Denk dir weitere Beispiele aus. Das ist einfach eine Ergänzung zum erzwungenen Triebverzicht, keine Alternative.

Und jetzt sagt Freud auch noch, dass wohlmöglich die Masse
niemals in der Lage sein wird, dies durch Einsicht zu tun. Die
meisten Leute also regulieren ihre Triebe durch Zwang, also
durch Angst vor Sanktionen.

In der Tat. Und das ist auch gut so. Sonst hätten wir Zustände wie im alten Rom.

Deshalb werden dann wohl auch die meisten Künstler (wenn ich
jetzt den Gedankengang Freuds folge) Künste aus der Quelle der
Triebverdrängung schaffen, aber eben der normalen
Triebverdränung, welche uns durch Zwang auferlegt ist, nicht
die neurotische.

Freud meinte klipp und klar, dass a l l e Kulturleistungen, d.h. wissenschaftliche, religiöse und künstlerische, Resultat einer Sublimierung von Triebenergie sind.

Das kann man also nicht allein auf künstlerisches Schaffen beziehen.

So gesehen macht es wenig Sinn, das Kunstschaffen auf symbolisches Ausleben unterdrückter Triebe zu reduzieren. Sicher steckt das a u c h drin, aber da ist noch viel mehr, wie ich ja schon im vorigen Beitrag andeutete, vor allem das Spirituelle.

Das Phänomen der künstlerischen Leistung ist also ein multikausales, nicht ein monokausales.

Reduktion auf ein einziges Prinzip war eine Versuchung, der Freud nicht widerstehen konnte. Dennoch Hut ab vor seiner gigantischen Leistung.

Noch ein Wort zum identitätsstiftenden Aspekt der Kunst: ich sehe in diesem Argument wenig Sinn. Denn auch und gerade in der Kunst sind Konflikte über den Wert eines Kunstwerks/Künstlers Alltag. So entstehen parteiliche Streitigkeiten und Disharmonien, die genau das Gegenteil von Zusammengehörigkeit hervorrufen - nämlich feindliche Lagerbildungen.

In der Malerei und Musik war das im 19. Jhd. genau zu beobachten. Siehe den Streit um Impressionismus vs. Historismus und den Streit um Wagner vs. Brahms. Später kam der Streit für und wider die Abstrakte Malerei auf usw.

Gruß Horst

Nur kurz:

Habe die Stelle rausgesucht, die ich am schnellstgen gefunden habe, die sich auf Kultirfeindlichkeit bezieht:

"Einen dieser seelischen Fortschritte können wir hier nachweisen. Es liegt in der Richtung unserer Entwicklung, daß äußerer Zwang allmählich verinnerlicht wird, indem eine besondere seelische Instanz, das Über-lch des Menschen, ihn unter seine Gebote aufnimmt. Jedes Kind führt uns den Vorgang einer solchen Umwandlung vor, wird erst durch sie moralisch und sozial.

Diese Erstarkung des Über-lchs ist ein höchst wertvoller psychologischer Kulturbesitz. Die Personen, bei denen sie sich vollzogen hat, werden aus Kulturgegnern zu Kulturträgern. Je größer ihre Anzahl in einem Kulturkreis ist, desto gesicherter ist diese Kultur, desto eher kann sie der äußeren Zwangsmittel entbehren."

Auch ein zu starkes Über-Ich ist gefährlich

Diese Erstarkung des Über-lchs ist ein höchst
wertvoller psychologischer Kulturbesitz. Die Personen, bei
denen sie sich vollzogen hat, werden aus Kulturgegnern zu
Kulturträgern
. Je größer ihre Anzahl in einem Kulturkreis
ist, desto gesicherter ist diese Kultur, desto eher kann sie
der äußeren Zwangsmittel entbehren."

Das Über-Ich ist sicher (als Gewissensinstanz) in allen Kulturen anzutreffen. Gemeinhin wird angenommen, dass es sich etwa im 3. bis 4. Lebensjahr etabliert, wenn das Kind lernt, sich mit den sozialen Regeln zu identifizieren (und mit den Eltern als Autoritätsfiguren, die die sozialen Regeln repräsentieren).

Freud unterscheidet hier, denke ich, nur den Grad an Über-Ich-Stärke, nicht zwischen dem Bestehen und Nichtbestehen von Über-Ich.

Selbst sehr ausgeprägte Über-Ichs sind aber keine Garantie für Gesetzeskonformität. Gerade ein allzu starkes Über-Ich kann umschlagen in anarchische Trieblust. Sinnbild dafür ist die Figur des Dr.Jekyll aka Mr.Hyde. Es ist auch bekannt, dass viele gewaltbereite Hooligans außerhalb der Fußballszene brave Familienväter mit regelmäßiger Arbeit sind. Oder nimm Beispiele aus dem Klerus (religiöses Über-Ich vs. Pädophilie).

Ich bin mir auch sicher, dass viele Neonazis, Punker und Junkies unter einem zu starken Über-Ich leiden und ihr chaotisches Verhalten eine Kompensation des Über-Ich-Drucks ist.

Das „Entbehren äußerer Zwangsmittel“ ist also nur relativ zu verstehen. Entscheidend ist nicht die Stärke des Über-Ich, sondern dessen gesunde Dosierung und gesunde Ausrichtung. Ein Zuviel kann genauso katastrophale Wirkung haben wie ein Zuwenig.

Horst

Ist die eigentliche Frage, mit der Freud sich befasst, nicht so sehr die Stärke oder Schwäche des Über-Ichs- als vor allem die der Art seiner Inhalte? Schließlich geht sein Model der Psyche davon aus, dass das Über-Ich eine zur Aufnahme von individuell gemachter Erfahrungen vorgesehene Instanz aller Lebewesen ab dem Darwinschen Ur-Einzeller sei (belegt durch Konrad Lorenz Gänse-Experimente), so dass von dieser Perspektive aus gesehen absolut unsinnig ist, ES-feindliche Prägungen darin zu verankern, das ICH unter dieser Macht in Konflikt bringend mit den angeborenen Forderungen (Instinkte, Grundbedürfnisse) seines eigenen Schöpfers.

Wie stark oder schwach derartige Über-Ich-Ingalte sind, scheint mir für eine Grundsatzdiskussion sehr nebensächlich, völlig relativierbar, wenn als Kriterium die gesellschaftliche, jeweils aktuelle „Normailität“ genommen wird.

Das Es - Chaos oder Jungbrunnen?
Hi.

Ist die eigentliche Frage, mit der Freud sich befasst, nicht so sehr die Stärke oder Schwäche des Über-Ichs- als vor allem die der Art seiner Inhalte?

Ich thematisierte das, um die Risiken einer zu starken Über-Ich-Bildung herauszustellen. Das scheint mir schon relevant zu sein. Auch das nachfolgende Zitat bestätigt das im letzten Satz.

http://www.psychosoziale-gesundheit.net/bb/04unbewus…

„Das Über-Ich ist derjenige Anteil des Seelenlebens, der die aus Familie und Gesellschaft übernommenen moralischen Wertmaßstäbe in der Persönlichkeit vertritt… Ein zu starres und strenges Über-Ich kann allerdings auch zu einer Neurose führen, wenn es das Ich (das zwischen Über-Ich und Es vermitteln muss) überfordert.“

Zitat Ende.

Auch die „Art der Inhalte“ thematisierte ich mehrfach im Zusammenhang mit sozialer Unterdrückung von Triebimpulsen, die zu Pathologien und zur Kulturgegnerschaft führen kann (und zur „Revolution“ im Sinne der wissenschaftlichen Revolution Freuds und der Sexuellen Revolution der 60er Jahre).

so dass von dieser Perspektive aus gesehen absolut unsinnig ist, ES-feindliche Prägungen darin zu verankern, das ICH unter dieser Macht in Konflikt bringend mit den angeborenen Forderungen (Instinkte, Grundbedürfnisse) seines eigenen Schöpfers.

Da scheinst du mir aber jetzt gegen Freud selbst zu argumentieren. Denn Freud sagte eindeutig: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Er sah das Es als Quelle chaotischer Regungen, die das soziale Miteinander gefährden. Ich verstehe jetzt nicht, wieso du in diesem Zusammenhang „Es-feindliche Prägungen“ für unsinnig hältst.

Allerdings gehst du darin konform mit Wilhelm Reich, der in der Unterdrückung des Es die Ursache menschlicher Konflikte sah.

Ich denke jedenfalls, dass dem Es Grenzen gesetzt werden müssen, weil anders Kultur unmöglich ist. Die Frage ist nur, wie du zu Recht anmerkst, welche Inhalte diese Grenzsetzungen haben.

Horst

Das Es: der Jungbrunnen!

Da scheinst du mir aber jetzt gegen Freud selbst zu argumentieren. Denn Freud sagte eindeutig: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Er sah das Es als Quelle chaotischer Regungen, die das soziale Miteinander gefährden.

Als Befürworter und Anwender der Evolutionstheorie Darwins, sah er das ES vor allem als Urheber der belebten Natur und ihrer zwar daseinskämpferischen, uns oft von grausamer Härte anmutenden, dabei aber harmonischen, das „Ökologische Gleichgewicht“ statt „Chaos“ erzeugenden Phänomene, so scheint es mir nicht ohne sehr große Schwierigkeiten gegen Freuds Werk machbar, jene Bemerkung in dem Sinne auszulegen, dass er in ihr den Anspruch ausgedrückt haben wollte, das „ES“ (‚die Natur‘) durch das Ich zu ersetzen. Meiner Ansicht nach sollte man deswegen die erhoffte, anhand Psychoanalyse methodisch angestrebte „Trockenlegung der Zuidersee“ allein als das Vorhaben verstehen, alle Verdrängungsmechanismen zwecks ihrer Beseitigung diagnostisch zu durchleuchten, so dass also prinzipiell alle Inhalte des ES, die sonst im Unbewussten - unsichtbar am Boden des seelischen Gewässers verschollen bleiben, freien Zugang zum ICH/Bewusstsein erhalten können, sobald sie sich mit der Aktualisierung ihrer jeweiligen Bedürfnisse bei diesem zu melden versuchen. Erst dann sei - bei Bedarf - bewusste Triebkontrolle möglich und damit die Gefahr gebannt, dass sich die andernfalls im Unbewussten gestauten, „verdrängten“ ES-Inhalte auf Umwegen, über die das ICH kaum Einfluß mehr gewinnen kann, überdrucksmäßig doch durchsetzen, vor allem wegen des erst dadurch gegebebenen exzessiven Charakters das soziale Miteinander gefährdend…

Ich denke jedenfalls, dass dem Es Grenzen gesetzt werden müssen, weil anders Kultur unmöglich ist. Die Frage ist nur, wie du zu Recht anmerkst, welche Inhalte diese Grenzsetzungen haben.

Ja. Und vor allem muß unterschieden werden zwischen der prinzipiell krankmachenden Verdrängung des ES ins Unbewusste (- wobei Freud ausdrücklich die Ansicht vertrat, keinen einzigen vollständig gesunden Menschen zu kennen -) und der bewussten Kontrolle oder Lenkung seiner Regungen. Wenn ich Freud richtig verstehe, war für ihn allein letzteres das Kriterium, überhaupt von „Kultur“ reden zu dürfen (während er das andere zum großen Bereich der Psychopathologie gerechnet hat), jedoch bin ich außerdem der Ansicht, dass ihm - beim damaligen Stand der Naturwissenschaften - nicht möglich war, ein vollständig klares Bild von einer ihrem ES einwandtfrei verbundenen, außerdem kultivierten Menschheit zu entwerfen. Dies war aber sein großer Wunsch, auch in „Die Zukunft einer Illusion“, wo es eben um seine sehr berechtigte, ausführlich begründete Hoffnung geht, dass die Naturwissenschaften dereinst einen Stand erreichen werden, der es ermöglicht, den Kindern alle Errungenschaften aus den Bereichen der Technik, Kunst, Forschung zu vermitteln oder zum Lernen, Prüfen anzubieten, ohne sie dabei krank zu machen.

Was hieltes Du also davon, eine völlig andere Definition des „Kultur“-Begriffes aufzustellen, als die übliche, in der Natur/‚ES‘; Instinkte) und Kultur/‚ICH‘; bewusste Trieblenkung) einen unvereinbaren Gegensatz darstellen? Dies scheint mir beim heutigen Stand der Naturwissenschaften ohne weiteres machbar, z.B. anhand der Entdeckung der ethologischen Primatenforschung, dass einige der wild lebenden Schimpansengemeinschaften selbstmedikamentierende und körperhygienische Methoden entwickelt haben, um den zeitweilig überhand nehmenden Befall mit Fadenwürmern significant einzudämmen, einige Pflanzen als Abführmittel nutzend, und andere als Klopapier. Hinzu kommen diesen kulturellen Leistungen die bekannteren aus dem Bereich der Zivilisation: Anfertigung einfacher Werkzeuge und Waffen - alles Erkenntnisse, die es zur Zeit Freuds nicht gab, die es ihm aber ermöglicht hätten, einen fundierten Grundstein (‚Boden der Zuidersee‘) für den von ihm immer angestrebten Entwurf eines Modells des gesunden (naturverbundenen) Zusammenlebens unter Menschen zu legen…

Super-Ego esse delendum !
Hallo,

nehmt mir bitte nicht übel, wenn ich nicht direkt an eure Diskussion anknüpfe. Der Grund ist, dass ich meine, dieses Thema sei viel zu schwierig, um hier adäquat besprochen werden zu können.

Ich möchte nur auf ein paar einschlägige Literaturstellen hinweisen.

Adorno, Negative Dialektik, stw 113, S. 267-283
Daraus plakativ S. 272: „Das Gewissen [Über-Ich] ist das Schandmal der unfreien Gesellschaft.“

Adorno beruft sich auf den späten Ferenczi.
Dazu und zur gesamten Problematik (incl. den Gegensatz Freud/Reich) finde ich
http://www.lsr-projekt.de/gross.html
recht erhellend.

Auch Otto Fenichel, der „Polyhistor der Psychoanalyse“, wäre hier zu konsultieren. Am Ende des letzten Bandes seiner „Psychoanalytischen Neurosenlehre“ schreibt er (wohl aus Loyalität ggü Freud) etwas verklausuliert gegen die „automatisierte Autonomie unvernünftiger Schuldgefühle“ [Über-Ich]:
„Wo Es war soll Ich werden“, schrieb Freud. Diese Forderung sollte ergänzt werden durch den Satz: „Wo Über-Ich war, soll Ich werden“.“ Ergänzt? Oder doch ersetzt?

Gruss
Nescio

ich meine, dieses Thema sei viel zu schwierig, um hier adäquat besprochen werden zu können.

Und wieso meint das Dein ICH? Wenn Du dem Lustprinzip Deines ES nachkommen möchtest, aber der teils wohl nicht ganz wirklichkeitsfernen Suggestionen von Seiten Deines Über-Ichs wegen befüchtest, dadurch in Konfikt mit der moralischen Gesetzgebung zu geraten, dann könnte Dein ICH doch gemäß des Realitätsprinzips Einladungen zur adäquaten Besprechung bei Dir zu hause versenden - oder in welcher Hinsicht ist das Thema „hier“ für Dich viel zu schwierig?

Ansonsten braucht kein Adorno und kein „Polyhistor der Psychoanalyse“ konsultiert werden, wenn man hier bei Freud nachlesen möchte, dass Freud weder das ES noch das ÜBER-ICH mit dem ICH zu ersetzen, sondern die harmonisch-trieböknomisch optimale, innerlich konfliktfreie Kooperation aller 3 das Lebenwesen insgesamt ausmachenden Instanzen zu garantieren gedachte. Freud war kein Rationalist, sein Ich im eigenen Vakuum hängen lassend - er war vor allem anderen Naturforscher, der als sokcher vor allem angestrebt hat, die Physik (auch den biologischen Bereich dieser Lehre von den Körpern) mit der Psychologie (Seelenlehre) im Ich zu vereinigen, zwecks Entwurf eines fundierten Gesundheitmodells, da ohne dies nicht machbar ist, die pathologischen Abweichungen fundiert zu diagnostizieren, und „Ohne Diagnose, keine Therapie“.

q.e.d. (o.w.T. :wink:
q.e.d. (o.w.T. :wink:

Wie soll das gehen?
Hi Wolf,

Zunächst – verzeih mir bitte die Offenheit – möchte ich gestehen, dass ich ein bisschen Probleme mit deinen Schachtelsätzen habe. Es wäre hilfreich für die Konzentration des Lesers, wenn du kürzere Sätze formst, die prägnante Aussagen rüberbringen. Natürlich sind deine Aussagen auch verschachtelt prägnant, aber schwieriger zu erfassen.

Meiner Ansicht nach sollte man deswegen die erhoffte, anhand Psychoanalyse methodisch angestrebte „Trockenlegung der Zuidersee“ allein als das Vorhaben verstehen, alle Verdrängungsmechanismen zwecks ihrer Beseitigung diagnostisch zu durchleuchten, so dass also prinzipiell alle Inhalte des ES … freien Zugang zum ICH/Bewusstsein erhalten können, sobald sie sich mit der Aktualisierung ihrer jeweiligen Bedürfnisse bei diesem zu melden versuchen.

Wie soll das gehen, wenn der Mensch ein Ich, das die Kompetenz der Vernunft hat, sehr spät herausbildet, nämlich im Erwachsenenalter (also frühestens in etwa ab 18, wobei dann von geistiger Reife noch lange nicht die Rede sein kann)?

Das Eindämmen/Kanalisieren der Partialtriebe und des Freudschen Todestriebs aber ist schon sehr früh erforderlich. Die Entwöhnung von der Mutterbrust, die anale Erziehung, der Verzicht auf den Besitz der Mutter (Inzesttabu), die Anerkennung und Respektierung von Rechten anderer (z.B. Geschwister) – all das kann ein Kind doch nicht mit seinem schwachen Ich in die eigene Hand nehmen. Hier muss „von oben“ ein regulierendes Prinzip eingreifen, das vom Kind sukzessive verinnerlicht wird (zum Über-Ich).

Ich weise dabei auf die Lehre von Jacques Lacan hin, der dem Ich wenig Vernunft zutraute, dafür umso mehr der Symbolischen Ordnung, also dem rationalen sozialen Prinzip, das die Allmachtsgelüste des imaginären Ich auf eine sozial verträgliches Maß zurückschneidet.

Die Symbolische Ordnung hat drei Komponenten: die Sprache (die auch das Unbewusste strukturiert), die sozialen Normen und das Gesetz der Reziprozität (was Lacan vonLevi-Strauss übernahm).

Das Ich aber ist, laut Lacan, eine Instanz der Verkennung und der narzisstischen Spiegelung von Allmachtsgelüsten in anderen Menschen.

Horst

Ansatz: Siehe moderne Primatenforschung
Hallo Horst!

Es sollen also prinzipiell alle Inhalte des ES freien Zugang zum ICH/Bewusstsein erhalten, sobald sie sich mit der Aktualisierung ihrer jeweiligen Bedürfnisse bei diesem zu melden versuchen.

"Wie soll das gehen, wenn … die Kompetenz der Vernunft (sich) … frühestens etwa ab 18 herausbildet…?

Von Grund auf in ähnlicher Weise, wie es die ethologische Primatenforschung bei unseren nächsten Verwandten im Reich der Tiere entdeckt hat, damit u.a. den alten Aberglaube zu den Akten legend, dass Kultur und Zivilsation Attribute des einzig mit ‚vernünftigem‘ Geist behauchten Menschen wären, bzw. einen evolutionsmäßig derart hoch entwickelten Neocortex wie den unseren bedürften…

Das Eindämmen/Kanalisieren der … anale …Partialtriebe und des Freudschen Todestriebs kann ein Kind doch nicht mit seinem schwachen Ich in die eigene Hand nehmen. Hier muss „von oben“ ein regulierendes Prinzip eingreifen, das vom Kind sukzessive verinnerlicht wird (zum Über-Ich)."

Ich werde zunächst eingehen auf die ab der analen Phase aktuell werdenden Regungen der Lebenstriebe, da der „Todestrieb“ vom Wesen her ein anderes Phänomen darstellt/ s. unter (2).

1-- Mit dem regulativen Prinzip meinst Du also u.a. die Sauberkeitserziehung, anhand der dem ÜBER-ICH des Kleinkindes die hygienischen Ansichten und Empfindlichkeiten seiner Mutter implantiert werden, anfangend, die analen Impulse des ES „von oben“ zu verdrängen, lange bevor dass die „Kritik der reinen Vernunft“ erwachte.

Dazu wäre aus meiner Sicht zu sagen: A - Das Menschenkind braucht ab diesem Alter eine große, dauerhaft zusammenlebend Gruppe von Kindern aller Altersstufen, als die unabdingbare Grundvoraussetzung seiner weiteren „artgerechten“ Sozialisierung/ naturgemäß geistige und psychische Entfaltung).
B - Dies kann nur erfolgen, wenn die Mütter in keinerlei offen- oder subtil-gewaltsamen Weise eingriffen in die soziale Beziehungsdynamik der Kinder unter sich. Die Erwachsenen haben für solch eine Kindergruppe einschl. der ca. ab 3-jäjrigen also eine Funktion, die sich a) auf den u.U. nachahmenswerten Vorbildcharakter der erwachsenen-typischen Erfahrung/ soziale Kompetenz, kulturell-zivilisatorische Kenntnisse) beschränkt, weiterhin b) auf die ökonomische Versorgung/ Angebot von Nahrung, Kleidern, Unterkunft) und schließlich c) auf die schützende Abwehr der Artfeinde/ von Löwenrudeln bis hin zu Steptokokken)…

Nur unter diesen Voraussetzungen können dann die Kinder anfangen, sich - allein ihrem gesundem Nachahmungstrieb folgend - die möglichen kulturell-zivilsatorischen Errungenschaften der Erwachsenenwelt von ‚Oben nach Unten‘ in Altersstufen herab vorbildsmäßig vermittelt immer mehr anzueignen, dabei ihr Über-Ich nach und nach daran gewöhnend, etwa den Ausscheidungsdrang in eine Toilette zu entleeren. Maßnahmen, die den angeborenen analen Lust- und Forschungstrieb des Kindes „erzieherisch“ zu fördern, zu lenken oder gar zu unterdrücken versuchten, würden nur dem Nachahmungstrieb (Lernen aus purer Lust) den Spaß verderben und dazu Konflikte mit dem ab der Analphase ebenfalls voll erwachenden „Eigenwille“ heraufbeschwören, so ist Erziehung nicht nur überflüssig, sondern würde sie die Herausbildung jeder echten „Kultur“ (bewusste, unverdrängte Instinkte, die bewusst gelenkt oder kontrolliert werden) praktisch verunmöglichen. Aus solcher Verunmöglichung verankert sich nun Freud „Unbehagen“ einer Kultur gegenüber, die also keine ist, statt dessen ein Dressurprodukt darstellend, das wie Du mit Recht bemerkst lange vor dem Dasein der vollen Vernunft oktroiert wird - mit all den hierbei unvermeidlichen, mehr oder minder schwer vom „normalen“ Mittelmaß abweichenden Neurosen…

Das hierzu alternative Prinzip der kindlichen instinktgeleiteten „Selbstorganisation“ oder artegerchte Sozialsiation, funktioniert bei den frei lebenden Schimpansengemeinschaften hervorragend, in Bezug auf alle dort entdeckten kulturell-zivilsatorischen Errungenschaften (- die kleinen Kinder besitzen den Erwachsenen gegenüber absolute ‚Narrenfreiheit‘ -), insofern scheint mir Deine These widerlegt, wonach „von oben“ herab ein erzieherisches Prinzip eingreifen muß, das vom Kind nach und nach verinnerlicht wird, das Über-Ich mit derartigen ES-feindlichen Inhalten verseuchend…

2 – Der sog. Todestrieb stellt kein Naturphänomen dar - keinen „Trieb“ i.S. des Begriffes, wie Freud mangels dagegen sprechender Befunde hypothetisch annehmen konnte -, er ist vielmehr eine Begleiterscheinung der verunmöglichten artgerechten „psychischen Reifung“/ naturgemäße Entfaltung des ES, aller seiner Partialtriebe). Auch diese Problematik würde also - wie die der lebenstriebfeindlichen Erziehung - gänzlich gegenstandslos werden, wenn den Kindern ab ca. dem 3. Lebensjahr (Beginn der analen Phase) die o.g. Kindergruppe geboten wird - jedenfalls läßt sich Neid bis hin zu mörderischer Eifersucht den kleineren Geschwistern gegenüber bei den ‚Wilde‘ Schimpansen nicht beobachten…