Hallo Mathias,
die Sache ist ein wenig komplizierter und hängt mit den Streitwerten und Rechtswegen zusammen. Bindend sind obergerichtliche Urteile qua Definition zunächst einmal nicht. Allerdings macht es natürlich keinen Sinn in einer unteren Instanz gegen das Obergericht aufzumucken, wenn aufgrund des Streitwerts und des Instanzenzugs klar ist, dass das Urteil weiter oben ohnehin kassiert wird.D.h. unterhalb der Berufungsgrenze kann sich jeder Richter „austoben“, weil die Sache durch sein Urteil abschließend geklärt ist, oberhalb der Berufungsgrenze schaut man mal besser nach dem Obergericht.
Wenn also in einer Zivilsache vor dem AG die Berufung zum LG möglich ist, sollte der Richter schon mal Richtung LG schielen. Könnte es vom LG zum OLG und ggf. zum BGH gehen, sollte man auch gute Gründe haben, von einer gefestigten BGH-Rechtsprechung abzuweichen. Es kommt also immer darauf an, wohin eine Sache maximal kommt, und die dortige Rechtsprechung hat dann schon einen ziemlich verbindlichen Charakter. Richtig nett wird es dann, wenn man sich ansieht, dass verschiedene BGH-Senate zu bestimmten Fragen auch noch unterschiedliche Auffassungen vertreten, bzw. bestimmte Dinge, die auch an anderen höchsten Gerichten eine Rolle spielen auch dort wieder unterschiedlich gesehen werden. D.h. der BFH oder das BSG können auch durchaus mal zu einer zuvilrechtlichen Randproblematik ihre eigene, vom BGH unabhängige Meinung entwickelt haben. Es gibt aber glücklicherweise Einrichtungen, die auch hier helfen (würde jetzt aber zu weit gehen, Stichwort wäre z.B. gemeisamer Senat).
Es kommt aber durchaus auch vor, dass insbesondere der BGH gerne mal am Rand eines Urteils andeutet, dass er zu einer bestimmten Randproblematik gerne mal wieder einen Fall vorgelegt bekommen würde, weil er gerne von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen würde. Dies passiert in Fallbereichen, die aufgrund des Streitwerts nur sehr selten bis zum BGH vordringen. Aus solchen Bemerkungen können dann die Richter der Unterinstanzen entnehmen, dass der BGH nicht mehr an einer bisherigen Rechtsprechung festhalten möchte, und sich dann auch hieran orientieren.
Ganz übles Thema ist momentan der Umgang mit BFH-Urteilen. Diese sind nach Veröffentlichung für die Steuerverwaltung an sich tatsächlich bindend, sobald sie auch amtsintern also offiziell den Steuerverwaltungsbeamten gegenüber veröffentlicht worden sind. Unser BMF neigt jedoch dazu bei bürgerfreundlichen Urteilen diese Veröffentlichung „zu vergessen“ oder auf die lange Bank zu schieben, bzw. schreckt auch nicht vor so genannten Nichtanwendungserlassen zurück, mit denen dem Beamten vor Ort verboten wird, ein Urteil auch auf andere Fälle anzuwenden. Und solche Nichtanwendungserlasse gibt es inzwischen auf allen Ebenen der Finanzverwaltung. Diese Verfahrensweise ist eindeutig illegal und einer der großen Politikskandale unserer Zeit! Leider ist die Sache offenbar für Bild-Leser und RTL-Zuschauer zu kompliziert und wird deshalb nicht ausreichend in die Öffentlichkeit getragen, sonst wären hier schon längst Köpfe gerollt.
Gruß vom Wiz
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