Definition 'Literatur'

Bestimmt schon tausendmal diskutiert, aber im Archiv nicht gefunden:

„Wie definiert sich Literatur?“

Damit meine ich keine wissenschaftliche Definition (gibt es eine?), sondern das subjektive Empfinden, nach dem wir (oder auch beliebige Kritiker oder Organe) beurteilen, ob ein Roman eher „Literatur“ ist, oder einfach „nur“ ein Roman.
Welche Kriterien sind es, die einen Roman zu „Literatur“ machen?

  • Sprachliche Qualität?
  • Gesellschaftlich relevantes Thema?
  • …?

Früher war, wie so oft, alles einfacher. Da gab es Regelpoetiken (Aristoteles, Opitz…), aus denen hervorging, wie Literatur bzw. Poesie zu sein habe, um sich so nennen zu dürfen. Spätestens im Zuge der Erfindung des künstlerischen Genies, also des nach subjektiven Gesetzen schöpfenden, sich autonom gebenden Künstlers (Sturm und Drang, Romantik) ,der Ausbildung eines Literaturmarktes und damit des modernen Kritikers, haben die Regelpoetiken aber weitgehend ausgedient. Natürlich gab es seither immer wieder Versuche, Regeln dafür aufzustellen, was gute Literatur ausmacht, aber letztlich gibt es ein solches Regelsystem nicht. Es ist die vielleicht wichtigste Eigenschaft des modernen Kunstverständnisses, dass der Künstler autonom, nach seinen subjektiven Gesetzen arbeitet und sich und seinen Genius nicht einem „repressiven“ System unterwirft. So gibt es im 20. Jahrhundert eine Unzahl von Stilen, Ansprüchen und Ausprägungen unterschiedlichster Literaturen (Pluralismus). Was dann als „anspruchsvolle“ Literatur klassifiziert wird, geschieht einerseits auf der Basis von Traditionen (an Universitäten, Schulen, durch Kritiker etc. gelehrtes und vererbtes Wissen prägt auch immer unseren „Geschmack“), andererseits sind diese Traditionen eben nicht verbindlich und können sich prinzipiell jederzeit ändern. Da unser vermeintlich freier Geschmack aber eben von der Weitergabe kulturellen Wissens geprägt ist, wirken die alten Regelpoetiken und die Literaturbegriffe latent immer noch weiter und der klassische Kanon wird dadurch stabilisiert (nach dem Motto: „der große Goethe – auch wenn er mir nix mehr sagt, irgendwas muss ja dran sein…“).
Wenn ich mich recht entsinne, haben mal ein paar Studenten die ersten Seiten von Musils so hoch geschätzten, aber kaum gelesenen Mammut-Roman „Mann ohne Eigenschaften“ an sämtliche relevanten Verlage in Deutschland getarnt als eigenes „Manuskript“ geschickt - und nur Absagen erhalten. Keiner erkannte das Meisterwerk deutscher Literatur wieder und erst recht keiner den so viel gerühmten literarischen Wert des Werks!
Also: es gibt freilich gewisse Kriterien, aber sie sind keineswegs für die Ewigkeit und immer diskutabel. Leider, oder Gott sei Dank entscheidet hier in der Regel nicht die Mehrheit, sondern die kulturelle und definitionsmächtige Minderheit der Dozenten und Kritiker.

vielleicht hilft dir das weiter:
http://oregonstate.edu/instruct/ger341/litdef.htm

leider nur mit habichtsaugen oder guter brille zu lesen.

deshalb zitiere ich hier mal ausschnittsweise:
_ Alte Definition: Ein Schriftstück, das ein Autor/eine Autorin nach bestimmten ästhetischen Regeln schreibt.
Die Form, der Inhalt, der Umfang mußten innerhalb dieser Regeln bleiben. Man beurteilte die Qualität eines Werkes danach, ob er/sie diese Regeln einhielt oder nicht. Natürlich war das nicht das einzige Kriterium, aber das stand am Anfang.
Diese Regeln konnte man in einer Poetik (= die Lehre von der Dichtkunst) finden. Am wichtigsten für die westliche Literatur waren die Poetik von dem Griechen Aristoteles und die Dichtkunst von dem Römer Horaz. In beiden Werken findet man auch Ziele der Literatur; mimesis (Griechisch; auf deutsch: Nachahmung) und katharsis (auf deutsch: Reinigung) standen für Aristoteles im Mittelpunkt, die Verbindung von prodesse (Latein; auf deutsch: nützen) und delectare (auf deutsch: erfreuen) für Horaz im Mittelpunkt.
Die erste Poetik für die deutsche Sprache war das Buch der deutschen Poeterey (1624) von Martin Opitz. Diese Poetik ist noch an den antiken Regeln orientiert. Im 18. Jahrhundert schrieb Gotthold Ephraim Lessing einige Werke, die diesen alten Regeln nicht mehr ganz folgten, dann haben die Stürmer und Dränger des späten 18. Jahrhunderts alle Regeln abgelehnt.
Aber die Idee, daß man die Qualität nach diesen aufgeschriebenen Ideen beurteilt, hielt sehr lange, bis zum 20. Jahrhundert. In den letzten 50 Jahren aber sieht man die Literatur anders.

Neue Definition: Alles, was geschrieben ist, ist Literatur. […]

Die Formen der Literatur (auch Gattungen oder Genres genannt):
Die klassischen Formen der Literatur sind:
Das Drama: Texte, die Schauspieler in Szenen in der Dialogform spielen. Die Tragödie, die Komödie.
Die Epik: Texte, die erzählt werden. Der Roman, die Novelle, die Kurzgeschichte, das Märchen, die Fabel, die Parabel, usw.
Die Lyrik: Gedichte. Ballade, Lied, Elegie, Hymne, Ode, Haiku, u.s.w.
Man spricht auch von anderen Aufteilungen:
Die Sach- oder Fachliteratur: Texte, die informieren. Diese Literatur heißt auch Gebrauchsliteratur. In der Gebrauchsliteratur hat die Sprache eine einzige Funktion: zu informieren.
Die schöngeistige Literatur, die man in zwei Gruppen teilt:
Die Unterhaltungsliteratur (manchmal auch Belletristik genannt): Texte, die unterhalten.
Die Dichtung: Texte, die geschrieben werden, um Sprach- oder Wortkunstwerke zu sein. In der Dichtung hat die Sprache viele Funktionen: sie informiert, aber sie hat auch eine eigene Struktur und einen eigenen Wert. Diese Sorte von Literatur lesen wir in GER 341, 342, und 343.
Es gibt auch eine andere Möglichkeit, die Literatur aufzuteilen: in fiktionale und nichtfiktionale Texte._

Welche Kriterien sind es, die einen Roman zu „Literatur“
machen?

  • Sprachliche Qualität?
  • Gesellschaftlich relevantes Thema?
  • …?

meine definition ist einfach: ein „nur“-roman versinkt in der bedeutungslosigkeit. wenn man sich an einen roman erinnert, wenn er sich durch irgendein kriterium aus der masse heraushebt und das auch noch nach jahren gilt, dann kann man von „literatur“ sprechen.

anfügen möchte ich noch, daß die literaturform des romans im mittelalter in den städten entstanden ist und den zweck hatte, geschichten, die fachlich oder ethisch/moralisch lebenshilfe sein sollten, in leicht verständlicher form darzubieten. der roman war also als gebrauchsliteratur zu verstehen und unterschied sich
in sofern von der höfischen literatur, die allein zur erbauung geboten wurde.

gruß
ann

Danke für die bisherigen Links und Infos.
Ich suchte allerdings eher nach den *subjektiven* Kriterien, nach den wir selbst (oder SZ-Kritiker oder Frau Heidenreich, etc.) das beurteilen. Und zwar nicht irgendwelche Klassiker, die traditionell aus irgendwelchen Gründen als „Literatur“ gelten, sondern neu erschienene, moderne Romane.
Wer kennt das: man liest ein Buch und hat das Gefühl „das ist irgendwie Literatur“, ohne dass man beziffern könnte, was einen Roman über das unterhaltende Element hinaus zu „Literatur“ macht.
(Warum ist „5 Minuten“ Literatur? Warum „Das Perfüm“? Warum „Jurassic Park“ nicht? Bitte nicht an diesen Beispielen aufhängen.)

subjektive kriterien…
… kann es natürlich nicht geben. das ist ein widerspruch in sich, andreas :smile:

(Warum ist „5 Minuten“ Literatur? Warum „Das Perfüm“? Warum
„Jurassic Park“ nicht? Bitte nicht an diesen Beispielen
aufhängen.)

ob ein text, eine geschriebene story zur „großen literatur“ wird, kann man genauso wenig bestimmen, wie die frage, ob es ein bestseller wird. es hängt viel vom persönlichen gefallen ab, ob der „zeitgeist“ getroffen wird, wie der wind weht usw…

schöne grüße
ann

Hi Andreas,

daß es keine objektiven Kriterien gibt, zeigt schon die Tatsache, daß Kritiker X ein Buch über den grünen Klee lobt, wohingegen Kritiker Y das Buch vernichtend rezensiert.
Arno Schmmidt z.B. hat in den 50ern und 60ern solche Polarisierungen hervorgerufen. Die einen gaben hymnische Kritiken, die anderen schmäten seine Werke aus Ausgeburten eines kranken Geistes.

Es wird wohl in den meisten Fällen bei subjektiven Kriterien bleiben.

Gandalf

… kann es natürlich nicht geben. das ist ein widerspruch in
sich, andreas :smile:

warum soll es keine subjektiven Kriterien geben? Schließlich gibt es ja auch objektive Kriterien. Nach deiner Auffassung wären die Bezeichnung „objektive Kriterien“ ein Pleonasmus (= weißer Schimmel) :wink:

Literaturkritiker stellen, indem sie ihre Kritik publizieren, ihre Meinungen zur Disposition und machen sie damit prinzipiell überprüfbar (Intersubjektivität). Man kann dabei recht leicht nachprüfen, welche Kriterien und Maßstäbe einer Kritik zugrunde liegen. Wenn ein Kritiker schreibt: „Der neue Roman von XY ist eine wüste Ansammlung abgeschmackter Klischees, langweilt den Leser bereits nach wenigen Seiten und ist völlig unlogisch konstruiert“, dann könnten seine Maßstäbe lauten: keine Klischees, Spannung & logischer Aufbau = gute Literatur. Die Diskussionen um Bücher entzünden sich auch weniger an den Kriterien, als vielmehr daran, wann ein bestimmtes Kriterium erfüllt ist oder nicht.
Dass die Wertungen häufig so unterschiedlich ausfallen, liegt also auch an der jeweiligen Lesebiographie. Wer viele Krimis gelesen hat, hat Erfahrung gesammelt und durchschaut neue Krimis möglicherweise leichter und schneller, so dass seine Ansprüche im Laufe der Zeit steigen. So kann dann der Krimiexperte von einem Buch gelangweilt werden, dass einen Krimi-Neuling total fesselt.
Im Übrigen ist die Trennung zwischen dem, was Andreas als Literatur und Nicht-Literatur (Trivial bzw. Unterhaltungsliteratur) bezeichnet, längst nicht mehr so stark. Wenn selbst die FAZ über Dieter Bohlen - auch wenn sie ihn natürlich zerreißt, dann bestätigen sie damit indirekt eine gewisse Wichtigkeit dieses Phänomens.