Hallo Petra,
vielleicht sollte man das ruhig mal unter dem Kontext der damaligen Zeit betrachten. Religion und vor allem die Prophezeiungen waren damals ein wichtiges Politikum. Das Volk Israel, nun ja schon länger unter römischer Herrschaft, träumte von den Zeiten, als es selbst noch Großmacht war, besonders von der Zeit eines David und eines Salomon. Und diese vergangene Größe war untrennbar mit Gott verbunden. Gott hatte David „berufen“ König zu werden. Salomon handelte als König Dank der Gnade Gottes. Mehr denn je war man überzeugt, Gottes erwähltes Volk zu sein und von Goot auch möglichst bald aus dem römischen Joch befreit zu werden.
Wie man Gott verehren solle, dass der wiederum bald mal endlich seine Gnade zeigen würde, war etwas unklar. Religion und Politik hatten sich vermischt. Die Pharisäer zum Beispiel hatten einen durchaus theologischen Anspruch, soweit es die Auslegung und die Bräuche betraf, aber in erster Linie waren sie der politische Arm der Hasmonäer im großen Rat in Jerusalem. Essener, Zeloten, Sikarier und so weiter. Alle hatten politische Ambitionen, die der Haltung der Zeit gemäß religiös begründet wurden (ebenso wie deren Taten). Das ging bis zu den Herodianern, den Anhängern des heroidianischen Hauses, die ja ebenfalls strikt behaupteten von Gott zumindest autorisiert zu sein.
Jesus, der sich ja selber von David herleitete, zeigte mehr als einmal deutlich nicht nur seine Ambitionen sondern auch politische Ansichten. Lies einmal die Frau aus Syrisch-Phönizien, nur als ein Beispiel. Er folgte also durchaus genau dem Schema das den (damals eher sagenhaft verzerrten) Königen David und Salomon zugeschrieben wurde. Große Herrscher, weise und tapfere Männer, von Gott gesandt über Israel zu herrschen. Aber auch Männer mit kleinen Fehlern (siehe Uriah und seine Frau oder auch die Königin von Saba). Wenn Jesus also immer wieder auf Gott verweist, dann verweist er indirekt auf die Behauptung, er sei von Gott gesandt worden. Das Ding war natürlich für jede politische Ambition das A und O. Wenn er selbst gut war, machte ihn das nicht „wählbar“. Aber wenn er nicht gut war sondern Gott, der ihn gesandt hatte, machte ihn das automatisch zu einem Thronprätentenden der demütig gegenüber Gott war (also implizit doch wieder gut) und bestätigte seine Legitimiation. Das war es, was ihn „wählbar“ machte.
Wenn er also den jungen Mann zurechtweist, dann stehen da zwei Dinge dahinter. Der junge Mann fragt ja zunächst, was er tun muss. Er bezieht die Frage natürlich auf den jüdischen Ritus, auf Religion. Und Jesus weicht dieser Frage aus. Statt dessen kommt ja nun die Sache mit „guter Meister“. Und dann wird die Sache interessant. Jesus zählt die Gebote auf und der junge Mann sagt, er habe alle gehalten. Da aber der junge Mann auch ein reicher Mann ist, schwenkt Jesus nun. Er liebte ihn. Also sagt er ihm, verkaufe alles was Du hast und gib es den Armen (für die natürlich Jesus und Jünger die Kasse verwalteten), folge mir nach und nimm das Kreuz auf dich.
Das ist natürlich eine wunderschöne Stelle. Einerseits, weil der Begriff des Kreuzes hier zu Jesus Lebzeiten hier auftaucht, was deutlich genug zeigt, dass Markus nicht einfach aus älteren Quellen abgeschrieben ist. Denn eine Quelle aus Jesus Lebzeiten hätte das Kreuz nicht drin. So ist es ein Fehler eines Autors, der erklärlich ist, weil besagter Autor eben im Nachhinein schrieb und auch Lücken füllte.
Zweitens ist es vom Ablauf her eine schöne Stelle. Jesus Klientel waren zunächst immer die Armen, die Kranken. Erst ab einem bestimmten Punkt wird er so groß, dass er auch für die Reichen interessant wird, das diese ihn unter den vielen hundert Wanderpredigern aller Couleur überhaupt wahrnehmen.
Das ist jetzt etwas mehr als eine einfache „weil“ Antwort, aber wie immer im Leben und der Geschichtsforschung geschehen Dinge im Kontext, also muss man den auch in Betracht ziehen.
Gruß
Peter B.
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