Verblüffende historische Prophezeiungen!

Hallo und Guten Tag,

immer wieder stelle ich mit Verblüffung fest, dass manche historische Ereignisse mit geradezu unheimlicher Genauigkeit vorhergesagt wurden.

Ein paar Beispiele, auf die ich in Wikipedia-Artikeln gestoßen bin:

Heinrich Heine 1834:
„Das Christenthum – und das ist sein schönstes Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwuth (…) Der Gedanke geht der That voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freylich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. Bey diesem Geräusche werden die Adler aus der Luft todt niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihre königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revoluzion nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte.“
( http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Heine )

Friedrich Engels 1887 (bezogen auf den ersten Weltkrieg):
„Und endlich ist kein anderer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei Europa so kahl fressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unseres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankrott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer tragenden Staatsweisheit, derart, dass die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehen, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.“
( http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg#Zitate )

Zu Oswald Spengler liest man, leider ohne konkrete Zitate:
„Schon in den 1920er Jahren hat Spengler den Zweiten Weltkrieg vorhergesagt, sogar in seinem ungefähren Verlauf. Ebenso den Aufstieg Russlands an die Weltspitze, die Heraufkunft der ostasiatischen Macht und die Politisierung des Islam.“
( http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Untergang_des_Abend… )

Diese drei Beispiele sind mir gerade präsent, aber vermutlich wird es noch mehr geben.

Nun frage ich mich, da ja auch Heine, Engels oder Spengler keine Propheten waren oder Hellseher mit einer Kristallkugel: Wie konnten die das wissen?
Besonders das Zitat von Heine aus dem Jahre 1834 ist doch beinahe schon gruselig!

Also, wie konnte Heine (aber auch Engels und Spengler) so präzise die Zukunft „vorhersagen“? War das „Dritte Reich“ etwa schon in Ansätzen im Jahre 1834 erkennbar?

Vielen Dank im Voraus für Antworten und Meinungsäußerungen,

Jasper.

Hallo,
Heine hast Du natürlich völlig falsch verstanden. Sein Zitat spielt auf die Erfindung der Atombombe an, die durch Deutsche und Wissenschaftler deutscher Abstammung erst möglich wurde.
Wenn eine Atombombe explodiert, gibt es einen Knall wie nie zuvor und Adler fallen aus der Luft. Das Zerbrechen des Kreuzes weist dabei auf Einstein selber hin, der ja kein Christ war. Und die Löwen in der Wüste Afrikas sind die Staaten, die durch (manchmal unbewusste) Drohung mit der Bombe unterdrückt wurden / werden.

Wie Du siehst, muss man nur lange genug suchen und passend interpretieren, dann findet man für jede Vorhersage ein passendes Ereignis. Sogar für ein Horoskop, ein Gedicht im Drogenrausch (Nostradamus) oder eine Kaffeesatzleserei. Solange sie allgemein genug gehalten sind.

An den angeblichen Vorhersagen ist nichts dran.

Gruß
loderunner

Nichtverblüffende historische Hochrechnungen!

Also, wie konnte Heine (aber auch Engels und Spengler) so
präzise die Zukunft „vorhersagen“? War das „Dritte Reich“ etwa
schon in Ansätzen im Jahre 1834 erkennbar?

Klar! Xenophobie ist intrinsischer latenter Bestandteil der menschlichen Psyche. Aus gewissen Veränderungen kann man sehr wohl Schlüsse ziehen.

Schau doch mal nach Edward Bernays (http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Bernays), da ist des umgekehrt, er hat Trends gemacht.

Volkswirtschafter haben auch ziemlich genau den Zusammenbruch des Ostblocks vorhergesagt. An der Menge Volksvermögens, das unproduktiv ins Militär wegfließt.

Du kannst ja auch mal „mein Krampf“ von Adolf lesen (bzw. vom Qualtinger vorlesen lassen). Da steht auch schon alles drin, was passiert ist. Gut, der Schluss ist ein bisschen anders geworden …

Gruß

Stefan

Hallo loderunner,

heisst das, du setzt dieses Zitat von Heine mit einem etwa von Nostradamus gleich? Das erscheint mir doch zu einfach.

Gruß Jasper.

Wie Du siehst, muss man nur lange genug suchen und passend
interpretieren, dann findet man für jede Vorhersage ein
passendes Ereignis. Sogar für ein Horoskop, ein Gedicht im
Drogenrausch (Nostradamus) oder eine Kaffeesatzleserei.
Solange sie allgemein genug gehalten sind.

An den angeblichen Vorhersagen ist nichts dran.

Gruß
loderunner

Hallo,

heisst das, du setzt dieses Zitat von Heine mit einem etwa von
Nostradamus gleich?

Wo siehst Du denn den Unterschied?
Wie Du meinem Posting entnehmen kannst, kann man das Zitat auch auf ganz andere Ereignisse ummünzen als auf das, was Du Dir dazu gedacht hast. Eine zeitliche Angabe war überhaupt nicht enthalten.
Wenn man eine Vorhersage mangels Genauigkeit nicht überprüfen kann, ist sie nichts wert. Und es ist nicht verwunderlich, wenn sie irgendwann irgendwie eintritt. Wie ein ‚gutes‘ Horoskop.
Gruß
loderunner

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Hallo Jasper,

Heinrich Heine 1834:

Dieses Zitat muss man in seinem historischen und seinem biographischen Kontext sehen. Kurz gefasst ist dieser Kontext die politische und soziale Rückständigkeit des Deutschen Bundes (Stichwort Restauration) im Vergleich zu England und vor allem zu Frankreich, das 1830 die Restauration überwunden hatte. Zwar war es den reaktionären Kräften in Deutschland gelungen, ein Übergreifen der französischen Julirevolution auf Deutschland zu verhindern, doch entwickelte sich immer mehr eine breite Opposition, wobei Börne und Büchner sowie eben der bereits in Paris lebende Heine bedeutende Wortführer waren. 1832 fand das Hambacher Fest statt, 1833 der Frankfurter Wachensturm. Kurz - man hatte eine vorrevolutionäre Situation in Deutschland und dass diese früher oder später (in Deutschland wurde es freilich wie üblich später …) zu einem Ausbruch führen musste, war jedem einigermaßen hellen Kopf klar.

Eben darauf bezieht sich das Heine-Zitat. Was er hier prophezeit, ist nicht das dritte Reich sondern die Märzrevolution von 1848 - und er sieht eine ihrer Vorbedingungen im Antikleralismus der Aufklärung, im „Zerbrechen des Kreuzes“. Dass der „deutsche Donner … etwas langsam herangerollt“ kommt - das hatte Heine zweifellos sehr gut gesehen (es sollte noch 14 Jahre dauern). Aber dazu musste man kein Hellseher sein. Dass die deutsche Revolution von 1848 die französischen von 1789 und 1830 an Radikalität und Gewalttätigkeit übertreffen würde - darin hat er sich freilich gründlich getäuscht.

Friedrich Engels 1887

… war da mE schon etwas scharfsichtiger. Er und Marx hatten folgerichtig vorausgesehen, dass die Entwicklung des Kapitalismus die Konkurrenz der verschiedenen nationalen Bougeoisien verschärfen würde und dass die Imperialismen der fortgeschrittensten Industrienationen in eine weltweite Auseinandersetzung münden mussten. Einem aufmerksamen politischen Beobachter konnte nicht entgehen, dass sich seit 1815 der Frühimperialismus stetig weiterentwickelt hatte und nun (als später so bezeichneter Hochimperialismus) die Bühne der Weltpolitik beherrschte. Was an dem Zitat mE bemerkenswert ist, das ist nicht die Prophezeiung des 1. Weltkrieges, sondern dass Engels bereits 1887 die politische Wende voraussah, die 3 Jahre später nach Ablösung Bismarcks eintrat (‚Neuer Kurs‘).

Die Qualität eines auf europäischem Boden geführten Weltkrieges konnte man am Beispiel des amerikanischen Sezessionskrieges 1861 - 1865 vorhersehen - dieser war in vielerlei Hinsicht sehr viel mehr ein moderner Krieg als der deutsch-französische von 1870. Die Auswirkungen eines Weltkrieges für Europa ließen sich besser durch Extrapolation des Sezessionskrieges abschätzen, als anhand der vergleichsweise scharmützelartigen Konflikte Preußens mit Österreich und Frankreich. Engels kann hier außer Scharfblick für aktuelle politische Entwicklungen auch Weitblick bescheinigt werden, der ihn über den Tellerrand klassischer europäischer Kriegführung hinausschauen ließ. Worin er sich allerdings irrte, das war, dass dieser Krieg die „Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse“ herstellen würde. Wenn auch nur knapp - die Bedingungen waren nicht überall ausreichend. Na ja - und ob man die russische Oktoberrevolution zu Recht als ‚Sieg der Arbeiterklasse‘ bezeichnen kann ist eine ganz andere Frage …

Oswald Spengler

möchte ich mangels konkreter Zitate nicht kommentieren. Nur darauf hinweisen (falls es notwendig sein sollte), dass Geschichtsphilosphie und insbesondere die Untersuchung und Beschreibung der Morphologie von Zivilisationen / Kulturen zwar Prognosen erlaubt, aber doch keine Prophezeiungen. Ansonsten halte ich hier die Lektüre Toynbees für deutlich lohnender als die Spenglers. Und die Vicos für unterhaltsamer.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo und Guten Tag,

immer wieder stelle ich mit Verblüffung fest, dass manche
historische Ereignisse mit geradezu unheimlicher Genauigkeit
vorhergesagt wurden.

Was man hingegen auch nicht unterschlagen sollte, ist die weitaus endlosere Liste von Prophezeihungen, die NICHT eingetroffen sind…

‚Germanische Kampfeslust‘
Hallo Ralf,

aber „germanische Kampfeslust“, „Berserkerwuth“ - das trifft doch verblüffend die neuheidnische Ideologie der Nazis. Und bei den „Löwen in Afrika, die ihre Schwänze einkneifen“ denkt man doch spontan an Rommel in Libyen. Hatte nicht Heine vielleicht doch ein Gespür für die im tiefen kollektiven Unterbewusstsein Deutschlands verborgene Kriegslust?

Gruß Jasper.

Hallo Ralf,

kleine Ergänzung/Bestätigung deiner Aussage:

… konnte man am Beispiel des amerikanischen
Sezessionskrieges 1861 - 1865 vorhersehen - dieser war in
vielerlei Hinsicht sehr viel mehr ein moderner Krieg als der
deutsch-französische von 1870.

Das wird vielfach völlig übersehen: Dieser Krieg war der erste wirklich „moderne Krieg“ mit moderner Waffentechnik. Er unterschied sich von den klassischen Kriegen Europas in fast jeder Hinsicht. Da kamen ja fast so was wie U-Boote zum Einsatz!
Trotzdem ist zu bemerken, dass darin mehr Menschen durch Infektionen und Krankheiten ums Leben kamen als durch direkte Waffeneinwirkung!

Gruss
Laika

Hallo,

das muss man im Detail untersuchen, dann kommt man zu verblüffend einfachen Erkenntnissen:

Heinrich Heine 1834:
„Das Christenthum – und das ist sein schönstes
Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust
einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören,
und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht,
dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die
unsinnige Berserkerwuth (…) Der Gedanke geht der That voraus,
wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freylich
auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas
langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es
einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte
gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein
Ziel erreicht. Bey diesem Geräusche werden die Adler aus der
Luft todt niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste
Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihre
königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt
werden in Deutschland, wogegen die französische Revoluzion nur
wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte.“

( http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Heine )

Ein nettes Beispiel für eine Vorhersage, die man IM NACHHINEIN automatisch als passend interpretieren kann. Etwa um 1834 herum begann ja bereits wieder eine Phase des Nationalismus in Deutschland, die dann mit der Reichsgründung 1871 ihren Höhepunkt fand. Man sollte hier durchaus beachten, dass Heine die Kampflust nicht unbedingt negativ sieht. Zu seiner Zeit was Deutschland ein Flickenteppich und er selber war ja durchaus Verfechter einer Vereinigung (wie z.B. Friedrich List ja auch). Und wer denken und beobachten konnte, wer sich, wie Heine, vielleicht auch in Geschichte auskannte, wusste, dass eine Vereinigung Deutschlands nur möglich sein würde, wenn man den deutschen Fürsten einen gemeinsamen Feind gab. Das bedeutete, man musste sich einen Krieg, besser eine Reihe von Kriegen suchen. Das ist der Hintergrund, vor dem Heine das sagte. Und so kam es dann ja auch. Mit der Nazi-Zeit und dem zweiten Weltkrieg hatte es gar nichts zu tun. Das denken wir uns nur heute aus diesem im Geschichtsunterricht vermittelten Trauma heraus.

Friedrich Engels 1887 (bezogen auf den
ersten Weltkrieg):
„Und endlich ist kein anderer Krieg für
Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar
ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und
Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich
untereinander abwürgen und dabei Europa so kahl fressen, wie
noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des
Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier
Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot,
Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene
Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose
Verwirrung unseres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie
und Kredit, endend im allgemeinen Bankrott; Zusammenbruch der
alten Staaten und ihrer tragenden Staatsweisheit, derart, dass
die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und
niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit,
vorherzusehen, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem
Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die
allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des
schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.“

( http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg#Zitate )

Erst einmal passt es nicht. Die Ausgangslage war anders. Engels wollte Preussen-Deutschland als militaristisch im Gegensatz zu seinen eigenen Theorien darstellen. Und Preussen war ja militaristisch und Deutschland war ja national gesinnt. Die Vereinigung zu einem Reich war ja gerade erst ein paar Jahre her.
Der Rest allerdings war vorhersehbar. Irgendwann würden die Interessen der Kolonialmächte miteinander kollidieren und die Bündnissysteme würden dafür sorgen, dass es einen weltweiten Krieg geben würde. Und das Deutschland, dass ja erst spät anfing „seinen Platz an der Sonne zu suchen“ durch die Situation in eine gewisse Agressivität verfallen würde während gerade die beiden Großmächte Frankreich und Großbritannien alles tun würden um eine deutsche koloniale Expansion zu verhindern, war klar. Es handelt sich also nicht um eine Prophezeiung sondern lediglich um die logische Hochrechnung bekannter politischer Fakten seiner Zeit.

Zu Oswald Spengler liest man, leider ohne
konkrete Zitate:
„Schon in den 1920er Jahren hat Spengler den Zweiten
Weltkrieg vorhergesagt, sogar in seinem ungefähren Verlauf.
Ebenso den Aufstieg Russlands an die Weltspitze, die
Heraufkunft der ostasiatischen Macht und die Politisierung des
Islam.“

( http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Untergang_des_Abend… )

Oswald Spengler hat immer alles vorhergesagt, und keiner kann ihn zitieren. Er war zugebenermaßen gut darin, Dinge hochzurechnen. Und wenn es mal nicht passte, korrigierten seine Fans.

Ich möchte ein weiteres Beispiel hinzufügen. Morgan Robertson schrieb 1898 das Poem „Futility“ über den Untergang eines Superdamfers namens Titan, der eine Eisberg auf der Route der späteren Titanic rammte und sank. Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten zwischen der fiktiven Titan und der Titanic auf den ersten Blick verblüffend. Beide Schiffe sind britisch, die Länge in Fuß (800 zu 882) differiert nur um zehn Prozent, glatte 70000 Tonnen im Vergleich zu den 60500 der Titanic bringen beide Schiffe in die gleiche Größenordnung, die Geschwindigkeit von 24 Knoten ist sogar identisch. Aber es geht noch weiter. Beide waren Dreischraubenschiffe, die Anzahl der Passagiere, die maximal an Bord sein konnten war mit 3000 für beide angegeben während sich in „Futility“ nur 2000 an Bord befanden, waren was auf der Titanic 2200. Und so weiter und so weiter. Und beide Schiffe sanken im April.
Ich liebe dieses Beispiel, gerade wegen seine vielen verblüffenden Details. Es zeigt, wie solche scheinbaren Prophezeiungen funktionieren. Den Robertson war ein Technikbegeisterter. Er kannte sich aus, zumindest soweit es das theoretische Zahlenwerk betraf und in allem, was er recherchieren konnte. Natürlich hat er versucht, möglichst nahe der Realität zu bleiben. Beide Schiffe waren britisch - weil die Briten die Nordatlantikroute fest in der Hand hatten. Beide Schiffe lagen in der Größenordnung um die 70000 Tonnen (die Titanic 60000), weil zu der Zeit, als Robertson „Futility“ schrieb gerade die ersten 35000 Tonne Schiffe auf den Meeren auftauchten und eine Verdoppelung der Tonnage in Anbetracht des damals rasanten technischen Fortschritts logisch erschien. Beide Schiffe hatten drei Schrauben. Ein Wunder der Vorhersage? Oder wusste Robertson nur einfach, dass praktisch alle Liner nach diesem Konzept gebaut wurden? Und die Anzahl der Passagiere an Bord? Das klingt ja verblüffend, woher soll er gewußt haben, dass die Titanic nur zu ungefähr zwei Dritteln ausgebucht sein würde? Vierzehn Jahre später! Das klingt doch jetzt wirklich nach Hellseherei - es sei denn man weiß, dass die Kalkulationsformel aller dieser Linien auf einer 2/3 Formel beruhte. Schiffe dieser Größenordnung fuhren im Liniendienst ja selten voll, auch zu Robertsons Zeiten. Also war alles so kalkuliert, dass man bei 2/3 Auslastung bereits die Kosten deckte. Es ist also alles erklärbar. Die Titanic folgte ganz einfach den gleichen Überlegungen die bereits seit zwanzig Jahren galten, nur war alles größer. Aber Robertson kannte diese Fakten (von anderen Schiffen seiner Zeit) und rechnete sie entsprechend hoch. Bleibt also eine letzte Frage, warum ausgerechnet April. Das ist ja wirklich verblüffend, nicht wahr? Ist es natürlich nicht. April war die Zeit, in der man traditionell von der winterlichen südlicheren Großkreisroute auf die sommerliche nördliche wechselte. Nord war kürzer und sparte damit Brennstoff und Kosten. Aber es war auch gefährlicher, weil es eben noch bis lange in den April hinein ausgedehnte Eisfelder und Eisberge gab. Robertson hat das mit Sicherheit gewußt. Er musste also seinen Untergang in den April legen, weil eben dieser Monat die einzige Zeit war, in der wirklich auf dieser Route extreme Eisberggefahr bestand.
Hochrechnung, Kenntnis von technischen Details (oder in anderen Fällen politischen Details) und natürlich die nachträgliche Reinterpretation, das sind die Geheimnisse solcher „ungewöhnlich treffenden“ Prophezeiungen.

Gruß
Peter B.

Hallo Jasper

aber „germanische Kampfeslust“, „Berserkerwuth“ - das trifft
doch verblüffend die neuheidnische Ideologie der Nazis. Und
bei den „Löwen in Afrika, die ihre Schwänze einkneifen“ denkt
man doch spontan an Rommel in Libyen. Hatte nicht Heine
vielleicht doch ein Gespür für die im tiefen kollektiven
Unterbewusstsein Deutschlands verborgene Kriegslust?

Gruß Jasper.

Wohl weniger. Der Löwe, das kriegerischste Symbol vom allen (und vor allem beliebtes britisches Wappentier) lebt nun einmal nach landläufiger Vorstellung in der Wüste. Er tut das zwar nicht wirklich, aber diese Detail entging ja nicht nur Heine. Und was die germanische Kampfeslust und die Beserkerwut angeht, so sind das natürlich uralte Klischees die Heine da aufgriff und die später von den Nazis ebenfalls aufgegriffen wurden. Was hätten die den sonst in diesem Zusammenhang aufgreifen sollen? Das Deutsche gut kochen? Hätte ja im Zusammenhang mit einer Kriegsvorhersage (die sich wie weiter oben beschrieben ja nicht auf ersten oder zweiten Weltkrieg bezog) nicht viel gebracht.

Gruß
Peter B.

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Hallo Peter,

stimmst du denn Ralfs Analyse von Heines „Prophezeiung“ voll zu?

Gruß Jasper.

Und Jules Verne?
Hallo Peter,

da fällt mir ein: Hat nicht der französische Schriftsteller Jules Verne Mitte des 19. Jahrhunderts „vorhergesehen“, dass die erste Rakete auf den Mond von den USA, genauer, von Florida aus auf den Mond fliegen würde?

Gruß Jasper.

Hi.

Nun frage ich mich, da ja auch Heine, Engels oder Spengler
keine Propheten waren oder Hellseher mit einer Kristallkugel:
Wie konnten die das wissen?
Besonders das Zitat von Heine aus dem Jahre 1834 ist doch
beinahe schon gruselig!

Also, wie konnte Heine (aber auch Engels und Spengler) so
präzise die Zukunft „vorhersagen“? War das „Dritte Reich“ etwa
schon in Ansätzen im Jahre 1834 erkennbar?

Vielen Dank im Voraus für Antworten und Meinungsäußerungen,

Jasper.

Meine Mutter sagt schon seit Jahrzehnten stetig die Zukunft voraus und liegt in den allermeisten Fällen richtig.
Warum? Weil sie zu den wenigen Menschen gehört die Geschichtsbücher LESEN und nicht nur im Regal stehen haben, wenn überhaupt, und zudem nie gefragt haben „Wozu brauch ich das denn?“.
Ich meine, viele Dinge die ich schon im Geschichts LK hatte befähigen zu geringfügigen Vorhersagen.
Umso gebildeter desto Vorhersage, sozusagen. Der Mensch ist dafür bekannt ein Gewohnheitstier zu sein, Fehler zu haben und die Geschichte immer und immer wieder zu wiederholen. Anhand dessen kann man schon einiges vorhersagen. Hat man dann auch noch Ahnung von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bewegungen Ahnung, ist der Mensch kaum noch überraschend.

Dazu kommt natürlich eine gute Portion Interpretierbarkeit, wie schon erwähnt wurde. Jemand der sagte „Die Titanic wird sinken“ war kein Hellseher, sondern sah lediglich ein, dass kein Schiff „unsinkbar“ ist.

lg
Kate

Hallo,

aber „germanische Kampfeslust“, „Berserkerwut“ - das trifft
doch verblüffend die neuheidnische Ideologie der Nazis.

die heidnisch-germanische Kultur war ein Thema der Romantik und Heine gilt als „letzter Dichter der Romantik“.
Das Interesse am heidnischen begann mit dem Wunsch nach einem vereinten Dtl. zu wachsen, bis es die Nationalsozialisten für sich vereinnahmten. Seit dem wird es mit der NS-Ideologie assoziiert, was so allerdings nicht korrekt ist.

Gruß

1 Like

Hallo Peter,

da fällt mir ein: Hat nicht der französische Schriftsteller
Jules Verne Mitte des 19. Jahrhunderts „vorhergesehen“, dass
die erste Rakete auf den Mond von den USA, genauer, von
Florida aus auf den Mond fliegen würde?

Das war, bei der Lektüre des Buches, nur logisch.
Lesen und verstehen :smile:

LG
Mike

Hallo, ich müßte mir jetzt das Buch wieder mal vorholen. Aber bei der Problematik geht es auch nicht um die USA sondern mehr darum, innerhalb dessen, was man zu Zeiten Vernes für „zivilisierte Welt“ hielt möglichst nahe an den Äquator ranzukommen weil eine Rakete ja andernfalls zusätzliche Energie zum erreichen einer stabilen Bahn brauchen würde (ist grob vereinfacht, stellt aber das Problem dar). Flotida ist nun einmal nicht nur der südlichste Punkt der USA sondern lag auch weit südlich aller denkbaren Startpunkte in Europa. Übrigens auch der Grund warum Ariadnes in Guyana starten und nicht in Bayern.

Gruß
Peter B.

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Etwas verkürzt, aber in der Aussage 100%

Gruß
Peter

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Jasper,

da fällt mir ein: Hat nicht der französische Schriftsteller
Jules Verne Mitte des 19. Jahrhunderts „vorhergesehen“, dass
die erste Rakete auf den Mond von den USA, genauer, von
Florida aus auf den Mond fliegen würde?

Stimmt. Und hat Jules Verne nicht auch vorhergesehen, daß die Rakete zum Mond aus einem riesigen Kanonenrohr geschossen würde :wink:

Viele Grüße
Marvin

historische Gesetze
Hallo, Ralf und Jasper!
Allem, was Ralf sagt, möchte ich mich erstmal vollumfänglich anschließen!
Hervorragend formuliert, Ralf! Sternchen! Habe ich mir abgespeichert, weil ich das nicht so kurz und treffend formulieren könnte! Spengler kenne ich nicht, Heine und Engels aber ganz gut.
Es handelt sich also keinesfalls um „Prophetie“, sondern um eine Analyse der Gesellschaft! Engels würde sich im Grab rumdrehen, wenn er erführe, daß er heutzutage als Prophet gilt, und Heine vermutlich ein neues, überaus lustiges Gedicht schreiben. :wink:
Es sind wissenschaftliche Prognosen! Wenn die nicht immer eintreffen, liegt das daran, daß selbst der gebildetste und ernsthafteste Mensch nicht jede Entwicklung voraussehen kann. Zum Beispiel konnte man im 19.Jhd. nicht voraussehen, daß sich die Ölvorkommen auf die „nichtkonforme“ Welt konzentrieren. Auch hat damals kaum einer damit gerechnet, daß sich 150 Jahre später die Leute angesichts der scheinbaren Auswegslosigkeit wieder in die althergebrachten Religionen flüchten und sie als Vorwand für Hetze und Krieg verwenden. Besonders die beiden genannten waren sich ziemlich sicher, daß die Menschen da kreativer sind. :wink:
Nobody’s perfect!
Schließlich befand sich die „Demokratie“ damals noch im Versuchsstadium!
Aber, Jasper, ich finde es toll, daß Du Dich mit Heine beschäftigst. Das ist mein voller Ernst! Das war ein sehr kluger Mann, der ein solides Weltbild hatte, ohne sich festzufressen! Für mich immernoch aktuell und ein Vorbild. Ich hatte Dich da unterschätzt, d.h., für einseitig gehalten. Tut mir leid.
Beste Grüße
Mona