Hallo,
das muss man im Detail untersuchen, dann kommt man zu verblüffend einfachen Erkenntnissen:
Heinrich Heine 1834:
„Das Christenthum – und das ist sein schönstes
Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust
einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören,
und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht,
dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die
unsinnige Berserkerwuth (…) Der Gedanke geht der That voraus,
wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freylich
auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas
langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es
einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte
gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein
Ziel erreicht. Bey diesem Geräusche werden die Adler aus der
Luft todt niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste
Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihre
königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt
werden in Deutschland, wogegen die französische Revoluzion nur
wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte.“
( http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Heine )
Ein nettes Beispiel für eine Vorhersage, die man IM NACHHINEIN automatisch als passend interpretieren kann. Etwa um 1834 herum begann ja bereits wieder eine Phase des Nationalismus in Deutschland, die dann mit der Reichsgründung 1871 ihren Höhepunkt fand. Man sollte hier durchaus beachten, dass Heine die Kampflust nicht unbedingt negativ sieht. Zu seiner Zeit was Deutschland ein Flickenteppich und er selber war ja durchaus Verfechter einer Vereinigung (wie z.B. Friedrich List ja auch). Und wer denken und beobachten konnte, wer sich, wie Heine, vielleicht auch in Geschichte auskannte, wusste, dass eine Vereinigung Deutschlands nur möglich sein würde, wenn man den deutschen Fürsten einen gemeinsamen Feind gab. Das bedeutete, man musste sich einen Krieg, besser eine Reihe von Kriegen suchen. Das ist der Hintergrund, vor dem Heine das sagte. Und so kam es dann ja auch. Mit der Nazi-Zeit und dem zweiten Weltkrieg hatte es gar nichts zu tun. Das denken wir uns nur heute aus diesem im Geschichtsunterricht vermittelten Trauma heraus.
Friedrich Engels 1887 (bezogen auf den
ersten Weltkrieg):
„Und endlich ist kein anderer Krieg für
Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar
ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und
Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich
untereinander abwürgen und dabei Europa so kahl fressen, wie
noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des
Dreißigjährigen Krieges zusammengedrängt in drei bis vier
Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot,
Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene
Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose
Verwirrung unseres künstlichen Getriebes in Handel, Industrie
und Kredit, endend im allgemeinen Bankrott; Zusammenbruch der
alten Staaten und ihrer tragenden Staatsweisheit, derart, dass
die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und
niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit,
vorherzusehen, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem
Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die
allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des
schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.“
( http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg#Zitate )
Erst einmal passt es nicht. Die Ausgangslage war anders. Engels wollte Preussen-Deutschland als militaristisch im Gegensatz zu seinen eigenen Theorien darstellen. Und Preussen war ja militaristisch und Deutschland war ja national gesinnt. Die Vereinigung zu einem Reich war ja gerade erst ein paar Jahre her.
Der Rest allerdings war vorhersehbar. Irgendwann würden die Interessen der Kolonialmächte miteinander kollidieren und die Bündnissysteme würden dafür sorgen, dass es einen weltweiten Krieg geben würde. Und das Deutschland, dass ja erst spät anfing „seinen Platz an der Sonne zu suchen“ durch die Situation in eine gewisse Agressivität verfallen würde während gerade die beiden Großmächte Frankreich und Großbritannien alles tun würden um eine deutsche koloniale Expansion zu verhindern, war klar. Es handelt sich also nicht um eine Prophezeiung sondern lediglich um die logische Hochrechnung bekannter politischer Fakten seiner Zeit.
Zu Oswald Spengler liest man, leider ohne
konkrete Zitate:
„Schon in den 1920er Jahren hat Spengler den Zweiten
Weltkrieg vorhergesagt, sogar in seinem ungefähren Verlauf.
Ebenso den Aufstieg Russlands an die Weltspitze, die
Heraufkunft der ostasiatischen Macht und die Politisierung des
Islam.“
( http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Untergang_des_Abend… )
Oswald Spengler hat immer alles vorhergesagt, und keiner kann ihn zitieren. Er war zugebenermaßen gut darin, Dinge hochzurechnen. Und wenn es mal nicht passte, korrigierten seine Fans.
Ich möchte ein weiteres Beispiel hinzufügen. Morgan Robertson schrieb 1898 das Poem „Futility“ über den Untergang eines Superdamfers namens Titan, der eine Eisberg auf der Route der späteren Titanic rammte und sank. Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten zwischen der fiktiven Titan und der Titanic auf den ersten Blick verblüffend. Beide Schiffe sind britisch, die Länge in Fuß (800 zu 882) differiert nur um zehn Prozent, glatte 70000 Tonnen im Vergleich zu den 60500 der Titanic bringen beide Schiffe in die gleiche Größenordnung, die Geschwindigkeit von 24 Knoten ist sogar identisch. Aber es geht noch weiter. Beide waren Dreischraubenschiffe, die Anzahl der Passagiere, die maximal an Bord sein konnten war mit 3000 für beide angegeben während sich in „Futility“ nur 2000 an Bord befanden, waren was auf der Titanic 2200. Und so weiter und so weiter. Und beide Schiffe sanken im April.
Ich liebe dieses Beispiel, gerade wegen seine vielen verblüffenden Details. Es zeigt, wie solche scheinbaren Prophezeiungen funktionieren. Den Robertson war ein Technikbegeisterter. Er kannte sich aus, zumindest soweit es das theoretische Zahlenwerk betraf und in allem, was er recherchieren konnte. Natürlich hat er versucht, möglichst nahe der Realität zu bleiben. Beide Schiffe waren britisch - weil die Briten die Nordatlantikroute fest in der Hand hatten. Beide Schiffe lagen in der Größenordnung um die 70000 Tonnen (die Titanic 60000), weil zu der Zeit, als Robertson „Futility“ schrieb gerade die ersten 35000 Tonne Schiffe auf den Meeren auftauchten und eine Verdoppelung der Tonnage in Anbetracht des damals rasanten technischen Fortschritts logisch erschien. Beide Schiffe hatten drei Schrauben. Ein Wunder der Vorhersage? Oder wusste Robertson nur einfach, dass praktisch alle Liner nach diesem Konzept gebaut wurden? Und die Anzahl der Passagiere an Bord? Das klingt ja verblüffend, woher soll er gewußt haben, dass die Titanic nur zu ungefähr zwei Dritteln ausgebucht sein würde? Vierzehn Jahre später! Das klingt doch jetzt wirklich nach Hellseherei - es sei denn man weiß, dass die Kalkulationsformel aller dieser Linien auf einer 2/3 Formel beruhte. Schiffe dieser Größenordnung fuhren im Liniendienst ja selten voll, auch zu Robertsons Zeiten. Also war alles so kalkuliert, dass man bei 2/3 Auslastung bereits die Kosten deckte. Es ist also alles erklärbar. Die Titanic folgte ganz einfach den gleichen Überlegungen die bereits seit zwanzig Jahren galten, nur war alles größer. Aber Robertson kannte diese Fakten (von anderen Schiffen seiner Zeit) und rechnete sie entsprechend hoch. Bleibt also eine letzte Frage, warum ausgerechnet April. Das ist ja wirklich verblüffend, nicht wahr? Ist es natürlich nicht. April war die Zeit, in der man traditionell von der winterlichen südlicheren Großkreisroute auf die sommerliche nördliche wechselte. Nord war kürzer und sparte damit Brennstoff und Kosten. Aber es war auch gefährlicher, weil es eben noch bis lange in den April hinein ausgedehnte Eisfelder und Eisberge gab. Robertson hat das mit Sicherheit gewußt. Er musste also seinen Untergang in den April legen, weil eben dieser Monat die einzige Zeit war, in der wirklich auf dieser Route extreme Eisberggefahr bestand.
Hochrechnung, Kenntnis von technischen Details (oder in anderen Fällen politischen Details) und natürlich die nachträgliche Reinterpretation, das sind die Geheimnisse solcher „ungewöhnlich treffenden“ Prophezeiungen.
Gruß
Peter B.