Liebe Sams,
ich f"urchte, in einigen Punkten hast Du mich missverstanden - vielleicht habe meinen Standpunkt auch ein bisschen zu wirr vertreten. Also:
Ich meinte nur aus den Postings von Gnlwth und
Eckard herauszuhören (vielleicht fälschlicherweise), daß
Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern - gleich welcher Art -
eben in den meisten Fällen ein reines Erziehungsproblem
darstellen. Und diese Verallgemeinerung wollte ich ein wenig
relativieren.
Nein, das habe ich nicht geschrieben, ich schrieb, dass (oft) Erziehungsfehler nicht zugegeben werden, die -eventuell- vermeidbar gewesen w"aren. Das macht keine Aussage "uber Kinder, die in einer liebevollen Umbegung aufwachsen, gef"ordert werden, und die sich trotz allem daneben benehmen, oder nicht sonderlich intelligent sind. Hier habe ich weiter bemerkt, dass Eltern, vor die Wahl gestellt, dieses Verhalten mit Hochbegabung zu rechtfertigen oder zuzugeben, dass die Kinder ‚‚halt dumm sind‘‘, deutlich eher zu ersterem greifen w"urden - was ich nicht verstehe.
Im Grunde ist es doch vollkommen egal, warum ein Kind
Schwierigkeiten im Schul- oder Sozialleben hat: Es braucht
Hilfe und Unterstützung, damit es sich entsprechend
zurechtfindet. Dabei ist es in meinen Augen gleichgültig, ob
diese Schwierigkeiten aufgrund einer Minder- oder
Hochbegabung, einer Lernschwäche oder anderen Diagnosen
entstehen.
Absolut richtig. Ich w"urde aber immer sagen - das Wichtigste ist, dass das Kind gl"ucklich wird, lernt, selbst"andig zu denken, Verantwortung f"ur das eigene Handeln zu "ubernehmen, sich in der Gesellschaft nicht nur zurechtzufinden, sondern auch den eigenen Standpunkt zu ‚‚verteidigen‘‘ - also, ein gl"uckliches Individuum zu sein. Das ganze intellektuelle/musische/sportlich Beiwerk sollte meiner Meinung nach nur (mit Nachdruck) gef"ordert werden, wenn es dem Kind wirklich Spass macht, und zu den Prim"arzielen der Erziehung beitr"agt.
Ich wehre mich einzig und allein dagegen, daß
irgendwelche Diagnosen so dargestellt werden, als seien sie
willkommene Entschuldigungen der Eltern für erzieherisches
Versagen. Das mag vorkommen, ist aber wohl die Ausnahme, die
die Regel bestätigt.
Und genau das glaube ich eben nicht. Hochbegabung - das l"asst sich ja schon am Wort ableiten - muss eine ganz grosse Ausnahmesituation sein, eine 30sigma Abweichung quasi. Sonst heisse es nicht hochbegabt, sondern ‚‚etwas schlauer als der Durchschnitt‘‘ (wenn die Verteilung sehr breit ist, f"allt das ja nicht schwer). Menschen, die sich wirklich deutlich aus der Masse abheben und daraus ein Recht auf Sonderbehandlung ableiten k"onnen, gibt es eben nicht so viele. Man kann h"ochstens sagen (und ich glaube, darin stimmen wir "uberein), jeder Mensch, jedes Kind hat ein Recht auf Sonderbehandlung, da jedes Kind einzigartig ist. Dann wird aber der Begriff ‚‚hochbegabt‘‘ obsolet.
Gnlwth machte schon recht
deutlich, daß - auch nach dem Lesen der Links zum Thema - sie
an diese Definition von Hochbegabung nicht glaubt und eher
eine willkommene Entschuldigung der Eltern unterstellt. Und
dies trifft nach meinen Erfahrungen halt nur selten zu.
Ja, richtig, das unterstelle ich, da ich auch immer wieder sehe, dass es Eltern schwerf"allt -nicht nur Erziehungsfehler, davon will ich ja gar nicht mehr sprechen- sondern auch die (genetisch bedingte??) mangelnden (sozialen) F"ahigkeiten eines Kindes, Verhaltensauff"alligkeiten, was auch immer hinzunehmen (weil es daf"ur vielleicht auch einfach gar keinen Grund gibt?!), ohne sich selbst und der Umwelt einreden zu m"ussen, das Kind sei ja ‚‚in Wahrheit‘‘ einfach nur viel toller als die anderen (das typische verkannte Genie). Und ich str"aube mich auch, weil die angebliche H"aufigkeit von Hochbegabten vollkommen von meiner Erfahrung divergiert. Das kann doch nicht sein, dass alle Welt hochbegabte Kinder hat (Du ja offensichtlich auch), und ich lerne nie mal eins kennen?! Mein Umfeld bietet diesbez"uglich keine negative Selektion (denke ich), ich meine, ich arbeite nicht an einem Ort, wo man sagen w"urde klar, dass Du da niemanden triffst, der hochbegabt ist. Ich war in der Schule, ich habe studiert, ich habe Verwandte und Freunde und Bekannte und Kollegen, und meine Freunde haben zum Teil Kinder, und ich kenne nicht einen einzigen Menschen, den ich f"ur hochbegabt halten w"urde. Daher (und das war ja auch die Ausgangsfrage meines ersten Postings) stammt meine immense Verwunderung, und daher stammt auch meine Neigung, ‚‚Hochbegabung‘‘ als Rechtfertigung f"ur Sonderbehandlung zu sehen.
Damit m"ochte ich keinem zu nahe treten, und zugleich unterstreichen, dass ich nicht der Meinung bin, nur, weil ich keine Hochbegabten kenne, g"abe es keine.
Gruss, Steffi