SZ-Artikel (Achtung: lang!)
Hi Hafenmaus,
Das ist ehrbar. Aber ist es nicht einfach sche****, einfach zu
schreiben, „danke, dass Du meiner Meinung bist, deshalb bleib
ich hier“ und so weiter und so fort…? Und was das das
„In-die-Gegendschreien“ betrifft, niemand verlangt, dass
irgendwer irgendwas in die Gegend schreit. Aber wer seine
Herkunft, sein Volk, seine Nationalität verleugnet, der hat
das Recht verloren, diesem Volk zu dienen oder ihm
anzugehören. Mein Statement dazu.
Ich will ja nun nicht wieder diese Diskussion aufs Neue entfachen, aber eine Bemerkung zu deiner obigen Behauptung (von mir fett markiert) sei mir gestattet:
Du scheinst ein Meister des Wort- und Sinnverdrehens zu sein. Niemand (jedenfalls in den ganzen Diskussionen auf diesem Brett hier und auch nicht der Bundespräsident) hat seine Herkunft oder seine Nationalität verleugnet. Oder hat irgendwer behauptet: ich bin kein/e Deutsche/r und will es auch nicht sein?
Wieso sollte man das auch tun? Die Tatsache, dass man/frau Deutsche/r ist und in Deutschland lebt, verpflichtet mich z.B. dazu, mich an die Gesetze hier zu halten, meine Steuern zu zahlen etc., aber doch nicht dazu Nationalstolz (im Sinne von: ich bin stolz, Deutsche/r zu sein) vor mir her zu tragen! Das Recht dazu sei jedem gestattet, aber eine Pflicht kannst du hier m.E. nicht einfordern.
Hier der Text: (Süddeutsche Zeitung, 24. März 2001)
Stolz und Vorurteil
In Westerwellentälern: Über die dümmste Debatte der Saison
Wäre man ein humorbegabter Mensch, dann wäre die große deutsche Debatte der letzten Woche vor allem ein Anlass zu ständig sich steigernder Heiterkeit. Es hat ja zweifellos etwas, einer ganzen Nation dabei zuschauen zu dürfen, wie sie unter dem Sofa liegt und auf Kommando nachschaut, ob sie noch etwas Zusätzliches findet, worauf sie stolz sein könnte: Die Bild-Leserin Susanne Püttmann ist stolz auf Deutschland, „weil es hier dunkles Brot gibt“, der FAZ-Autor Guido Westerwelle hingegen ist „stolz auf die Menschen in diesem Land“. Gibt es ein stolzeres Gefühl, als die Hoffnung – in unserer Eigenschaft als deutsche Schwarzbrot- Esser –, vielleicht selber Westerwelles Stolz sein zu dürfen? Leider muss man dann lesen, dass der W. keine deutsche Fahne hinter seinem Schreibtisch hängen hat, was wiederum den deutschen Kolumnisten Mainhardt Graf Nayhauß schwer irritiert. Nein wirklich, so lustig war eine deutsche Debatte schon lange nicht mehr.
Man könnte sie natürlich auch anders sehen, und das hätte dann nicht nur damit zu tun, dass man vielleicht gar nicht so humorbegabt ist wie man immer gedacht hat. (Wir kommen noch darauf, warum wir da ein Problem haben könnten.) Beispielsweise könnte man sich über die Wucht gewisser Medienkampagnen erschrecken, wenn es wirklich stimmt, dass an einem einzigen Tag 14684 Leser bei Bild angerufen haben, um der Zeitung die gewünschte Portion nationaler Begeisterung zu apportieren. Oder man könnte sich Sorgen machen über eine bedeutende Abteilung der politischen Klasse des Landes. Am Wochenende sind wichtige Wahlen – und in den Tagen davor bekämpfen Union und FDP die heraufziehende Rezession und die Katastrophen der Landwirtschaft mit einem Wettbewerb in der Frage, wer wohl am stolzesten auf Deutschland ist.
Sie würden das nicht tun, wenn es ihnen die Demoskopen nicht empfehlen würden, weshalb man an dieser Stelle nicht ohne eine Zwischenbemerkung auskommt: Die handelt von der Frage, woher es wohl kommen mag, dass auch zu Beginn des Dritten Jahrtausends offenbar ein derart großes Bedürfnis nach dumpfem Nationalrausch im Lande besteht, dass man damit sogar Auflage zu machen und Wahlkämpfe zu gewinnen hofft. Eine ganze Reihe von Gründen gibt es dafür – aber nicht der unwichtigste ist gewiss der, dass es, spiegelverkehrt zum Stolz auf Deutschland, seit langem auch ein Phänomen gibt, das man am besten immer noch mit dem Wort Inländerfeindlichkeit beschreiben kann; die geht auch den Aufgeklärten manchmal ganz schön auf die Nerven, nicht nur unter jüngeren Leuten.
In manchen gebildeten Kreisen gehört es seit langem zum guten Ton, im ersten Teil eines Satzes den deutschen Hang zum Vorurteil zu geißeln, um dann im zweiten Teil das Deutsche als solches grässlich zu finden. Eine ganze Generation ist mit diesen Vorgaben aufgewachsen und hat fälschlich gedacht, es würden ihr die Sünden der deutschen Geschichte vergeben, wenn sie nur auch davon ausgingen, es gebe ein geheimnisvolles Gen, das die Deutschen besonders widerlich-reaktionär mache. Günter Grass ist nur einer dieser Vorgaben- Erteiler – aber wer dabei war, hat noch den stürmischen Beifall im Ohr, den der Dichter bekam, als er Anfang der 90er Jahre in seiner legendären Rede an den Münchner Kammerspielen die Deutschen im Zusammenhang mit Anschlägen auf Asylbewerberheime schlicht mal in „Täter, Mitläufer und schweigende Mehrheit“ sortiert hat. (Später hat ihm dieses Pauschalurteil, wenn der Eindruck nicht täuscht, ein wenig leid getan, zum Beispiel als sich das gleiche Volk ziemlich einhellig über seinen Nobelpreis gefreut hat. Um nicht zu sagen, dass es stolz darauf war.)
Der Weltgeist geht fremd
In dieser Abteilung der deutschen Diskussionskultur ist der Deutsche immer fettbäuchig, kulturlos, borniert – was übrigens sofort nicht mehr stimmt, wenn die selben Deutschen in ihre Bestandteile als fröhliche Rheinländer, freche Berliner, sinnliche Bayern zerfallen, je nachdem, aus welchem Landstrich der einzelne Deutschen-Kritiker gerade selber stammt. Vor allem aber sind die Deutschen humorlos, wie erst zu Beginn dieser Woche wieder der Fernseh-Unterhaltungskünstler Alfred Biolek in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel festgestellt hat: Deutsche, war daraus zu lernen, „haben wenig Humor“ – außer Biolek natürlich, der sich seinen Humor aber auch nur mit der Tatsache erklären kann, dass („da muss mal ein Seitensprung gewesen sein“) in seiner Ahnenreihe wohl irgendwann ein Jude mitgemischt hat. „Von seiner Mentalität her“ sei er jedenfalls jüdisch, hat Biolek seinen Interviewern anvertraut – eine Erbgutschleicherei, gegen die sich zu wehren die deutsche Juden vermutlich keine juristischen Möglichkeiten haben.
Nun darf man natürlich nicht die Maßstäbe verlieren: Was wir hier vorfinden an Flagellantismus, mag zwar ein wenig die stolzen Dummheiten am anderen Ende der Skala erklären, kann sie aber nun wirklich nicht rechtfertigen. Die entscheidenden Fragen beginnen ja erst an dieser Stelle: die Frage zum Beispiel, wieso eigentlich neuerdings der Begriff Stolz so positiv besetzt sein soll. Hier besteht wirklich einmal Diskussionsbedarf. Müsste das Volk nicht von den Etymologen darüber aufgeklärt werden, dass der Stolz von der Stelze kommt, auf der man versucht, über den Köpfen anderer Leute herum zu stolzieren, so lange, bis einem die Beine weg geschlagen werden? Und müssten nicht die Theologen davon predigen, warum die Bibel voller finsterer Drohungen ist über die Stolzen, die irgendwann zuschanden werden, voller Gebete an den Herrn, er möge – wie es beim Psalmisten heißt – seinen Knecht vor den Stolzen bewahren?
Wenig spricht dafür, dass der Stolz sein derzeit so gutes Image verdient hätte. Sowieso noch nie bewährt hat er sich im Umgang der Völker untereinander. Wenn es einen roten Faden in der Geschichte gibt, dann hangeln sich an ihm entlang die Stelzengänger der ganzen Welt, die ständig ihren Landsleuten und sich selbst erklären müssen, was Sache ist: Dass Serbien eine heilige Nation ist, und Bulgarien – weil es den ersten Zaren hatte – „die ruhmreichste aus der ganzen slawischen Völkerschaft“ und dass der deutsche Charakter sowieso jeden anderen überstrahle. Sind solche Sprüche vernünftig, haben sie den Menschen je geholfen, ihr Leben glücklicher und friedvoller zu leben, hat es den Deutschen geholfen, als dem Dichter Friedrich von Stolberg 1774 in seinem Gedicht Mein Vaterland „der Freude Tränen herabstürzten“, weil er ein Deutscher war? So war das natürlich nie und nirgends: Superlative in eigener Sache haben den Zweck, die Konkurrenten zu demütigen – und dafür ist dann jedes Argument recht, ob man nun über die allergrößten Dichter zu verfügen behauptet oder über die allertorgefährlichsten Mittelstürmer. In schlimmeren Fällen – und die Weltgeschichte ist voll schlimmerer Fälle – muss der Wahrheitsbeweis irgendwann auf den Schlachtfeldern angetreten werden. Nur dann ist bewiesen, dass Bulgarien am ruhmreichsten ist und also seine Nachbarn überfallen darf; nur dann ist klar, wozu wir es haben, das deutsche Vaterland - wo Zorn vertilgt den welschen Tand, wie Ernst Moritz Arndt so feurig gedichtet hat, mit schrecklichen Folgen in drei Kriegen.
Hätte man nicht hoffen dürfen, solche Erfahrungen seien inzwischen angekommen im Bewusstsein selbst führender Unions-Politiker? Hätte man nicht hoffen dürfen, dass die Politiker in einer zusammenwachsenden Welt wenigstens auf die kindischen Triumphgesten zu verzichten gelernt haben? Und verstanden haben, dass Vaterlandsliebe sich aus vielen Quellen speisen darf, am wenig sten aber aus Stolz? Man durfte, stellt sich jetzt heraus, nur solange darauf hoffen, bis wieder Landtagswahlen anstanden und kein rechtes Thema zu finden war.
Vaterlandsliebe? Natürlich ist die erlaubt, vermutlich ist uns der Reflex dazu angeboren, weil es nun einmal naheliegt, die Sprache, die Landschaften, die Bücher besonders gerne zu haben, die man am besten kennt, seit Kindesbeinen. Mancher ist aus solchen Gründen noch lieber ein Bayer als ein Deutscher, aber auch das ist nicht zwingend vorgeschrieben. Überhaupt ist der Mensch, was die lebenslange Suche nach seiner Identität betrifft, ja ziemlich kompliziert angelegt, weshalb es auch dem nicht stolzen Deutschen passieren kann, dass er, wenn er in einem Roman von John Updike mal auf einen Deutschen stößt, insgeheim hofft, der möge nicht schon wieder als humorlose Knallcharge gezeichnet sein.
Nichts ist gegen solche Reflexe zu sagen, nichts gegen die inbrünstige Hoffnung, es beim nächsten Fußball-Länderspiel den arroganten Holländern endlich wieder zu zeigen: Ein Fußballspiel, bei dem man nicht für „die Unseren“ schreit, ist sterbenslangweilig. Aber müsste man nicht inzwischen verstanden haben, dass der ganze unterhaltsame Wettbewerb nur funktioniert, so lange alle wissen, dass er nur ein Spaß ist? Spaß zu verstehen ist allerdings das Letzte, was man jemandem wie Thomas Goppel nachsagen kann – sonst könnte er unmöglich dieses Tremolo in seine Stimme legen, wenn er dem Bundespräsidenten vorwirft, er sei nicht stolz genug auf Deutschland.
Sein Bundesgenosse Guido Westerwelle, demnächst Vorsitzender einer liberalen Partei, hat Johannes Rau vorgehalten, er sei „zu verkrampft“ in Sachen Nationalstolz. In derselben Woche, in der diese intelligente Debatte tobte, hat die CSU in Karlsruhe gegen die rechtliche Besserstellung von Homosexuellen zu klagen beschlossen. Da wüsste man gerne, wie stolz Westerwelle darauf ist, sich solche Verbündete gesucht zu haben.
HERBERT RIEHL-HEYSE