Aussteuerung rechtmäßig oder nicht?

Hallo, liebe Wissende!

Ich habe mal wieder einen (natürlich völlig fiktiven und v. a. langen (klar, is ja auch von mir :smile:) Sachverhalt mit für mich schwierigen Fragen für Euch. Und leider befürchte ich, etwas ausholen zu müssen (v. a., weil ich nicht weiß, welche Infos nun relevant sind und welche ich eigentlich weglassen könnte)… Bitte bitte bleibt tapfer bis zum bitteren Ende!

Also: Angenommen, X war innerhalb des 3-Jahres-Zeitraums (beginnend am 07.11.06) in folgenden Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt (au) aufgrund von (somatoformen) Depressionen (jeweils F32.9 nach ICD-10):
 09.02. – 23.02.07 (= 14 Tg./2 Wo.)
 27.07. – 06.09.07 (= 41 Tg./5,86 Wo.)
 02.10.07 – 26.12.08 (= 451 Tg./64,43 Wo.)
⇒ 506 Tg./72,29 Wo.
So weit, so gut (oder auch nicht).

Nun erkrankt X ab 15.07.09 erneut (Symptome: u. a. hoch chronifizierte Migräne (wurde bereits in den ersten Lebensjahren diagnostiziert (wahrscheinlich vererbt), hat nun aber immense Ausmaße angenommen), chronische Erschöpfung, abnormes Schlafbedürfnis). Eine psychosomatische Ursache wird ärztlicherseits sofort angenommen, die Vorlage einer Depression jedoch als unwahrscheinlich angesehen. (X selbst, die in ihrem Leben schon des Öfteren Erfahrungen mit Depressionen gesammelt hatte, verneint ebenfalls das Vorliegen einer Depression.)

So, jetzt kommt der Knackpunkt: In Ermangelung einer anderen (definitiven) Diagnose wird jedoch als Diagnoseschlüssel auf der AU-Bescheinigung für die KK zunächst F32.9 bescheinigt.
Nun, das wäre ja erstmal nicht so tragisch gewesen, da zu diesem Zeitpunkt noch ein „Puffer“ bis zur Aussteuerung von 5,71 Wo. (40 Tg.) bestand, welcher aufgrund einer kurzen Unterbrechung der AU vom 21. – 29.07.09, nochmal um 8 Tg. „nach hinten“ geschoben wurde, so dass der letzte Tag mit Anspruch auf KRG aufgrund der Diagnose F32.9 der 05.09.09 gewesen wäre.

Im Endeffekt, war es dann so, dass X bis einschl. 07.08.09 wg. F32.9 krankgeschrieben war (bedingt durch den 3-wöchigen Sommerurlaub des behandelnden Arztes war die Stellung einer definitiven Diagnose nicht früher möglich).
Ab 08.08.09 – also deutlich vor dem „Aussteuerungsstichtag“ 05.09.09 – (Blutwerte und andere Untersuchungsergebnisse lagen nun vor) wurde die Diagnose in F45.41 („Chronische Schmerzstörung mit somatoformen und psychischen Faktoren“ als Hauptursache) abgeändert, da organische Krankheitsursachen (wie vermutet) ausgeschlossen werden konnten; sprich: Diagnose Depression/F32.9 ade.

X und ihr Arzt gehen nun davon aus, dass die drohende Aussteuerung mit der neuen Diagnose vom Tisch ist – bis X im September ein Schreiben bekommt, in dem steht, dass sein KRG-Anspruch aufgrund von Aussteuerung mit Ablauf des 05.09.09 endet(e)!

Wie kann das sein?

In den dem Schreiben beiliegenden Hinweisen liest er unter der Überschrift „Was bedeutet der Begriff ‚dieselbe Krankheit‘?“ Folgendes:
"Unter diesem Begriff ist eine Krankheit zu verstehen, die nicht durchgehend bestand, aber auf derselben Krankheitsursache beruht oder unmittelbar mit ihr zusammenhängt.
Dieser Zusammenhang ist bereits gegeben, wenn die Krankheit jedes Mal unter der gleichen Bedingung ausgelöst wird – selbst wenn Sie nicht in ärztlicher Behandlung waren.
"

Hat die KK X ausgesteuert, weil sie in Berufung auf diese Definition
– F45.41 als auf derselben Krankheitsursache wie F32.9 bestehend sieht bzw.
– die Diagnose F45.41 als unmittelbar zusammenhängend mit F32.9?

A. Wenn ja: folgende Fragen:

  1. Wäre das in diesem konkreten Fall rechtens?
    Schließlich wurde ja ärztlicherseits eigentlich von Anfang an, im Nachhinein auch definitiv das Vorliegen einer Depression verneint; sprich: Die letzte (korrekt) diagnostizierte Depri endete offiziell am 26.12.08.

  2. Ließe sich ein seitens der KK unterstellter Zusammenhang zwischen beiden Diagnosen dadurch widerlegen, dass anhand anderer ärztlicher Unterlagen bzw. anhand einer Stellungnahme des behandelnden Arztes nachgewiesen werden könnte, dass die Diagnose F32.9 ab 15.07.09 eigentlich fälschlicherweise bescheinigt wurde und stattdessen zu Beginn der AU – eben in Ermangelung einer spezifischeren Diagnose – F45.9 („Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet“) hätte bescheinigt werden müssen?

B. Wenn nein: Wie kommt die KK denn sonst darauf, dass X ab 06.09.09 ausgesteuert ist??
Ist es – ohne jetzt auf die falsche Bescheinigung einzugehen – seitens der KK legitim, grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen F32.9 und F45.41 bzw. F45.9 zu sehen?

Für die fachkundige Beantwortung meiner vielen Fragen wäre ich wahnsinnig dankbar!
Vielen vielen Dank, wenn Ihr bis hierhin durchgehalten habt!!

LG
Jadzia

Hallo,
ich habe zwar bis zum Ende durchgehalten kann dir aber trotzdem keine
für dich befriedigende Antwort geben. Die Errechnung des Leistungsablaufs kann ohnehin schon ein recht schwierige und komplizierte Sache sein ohne dass um Unklarheiten bezüglich der ärztlichen bestätigten Diagnosen gibt.
Ich fürchte hier kann dir letztendlich niemand zu richtig weiterhelfen.
Ich kann nur raten dir eine genaue Aufstellung der Errechnung des Leistungsablaufs von der Kasse geben zu lassen und die deinem behandelnden Arzt (Ärzten ??) vorzulegen mit der Bitte die Diagnosen
zu überprüfen.
Gruß
Czauderna

Hallo Jadzia,

hier sieht es so aus, dass die richtige Diagnose nachträglich bescheinigt wurde. Dieses nachträglich bedeutet aber, dass wohl die Diagnose nicht für die Vergangenheit, sondern nur für die zukünftige Zeit bescheinigt wurde. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt der Aussteuerungstermin noch nicht erreicht war, bedeutet es, dass sich der Leistungsanspruch nicht verlängert, da es sich dann um eine hinzugetretene Erkrankung handelt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SAGB V).

Wie es aussieht, müsste der Versicherte die usprüngliche Diagnose anfechten. Das wird dann wohl nur über Widerspruch und anschliessendes SG-Verfahren gehen und auf einen entsprechenden Gutachterkrieg hinauslaufen.

Gruß Woko

Hallo Woko!

Erstmal vielen Dank für Deine Antwort!
Wenn ich das also richtig verstanden habe, wäre die Aussteuerung in der Tat unrechtmäßig, wenn denn der Nachweis gelänge, dass eine Depression zu Beginn der neuen Krankheitszeit definitiv nicht vorlag.

Ein paar Nachfragen hätte ich trotzdem noch.

Wie es aussieht, müsste der Versicherte die ursprüngliche Diagnose anfechten.

Hier habe ich ein Verständnisproblem: Wie kann man denn eine Diagnose, die ein Arzt gestellt hat, bei der KK anfechten? Welche Rolle spielt im Widerspruchsverfahren der Arzt?

Das wird dann wohl nur über Widerspruch und anschließendes SG-Verfahren gehen und auf einen entsprechenden Gutachterkrieg hinauslaufen.

Wie ermutigend… Aber auch hier habe ich Fragen:

  1. Ich kenne Bescheide ja aus beruflich Gründen en masse. Nehmen wir aber an, das fiktive Aussteuerungsschreiben der KK hat von der äußeren Form her eher Informationscharakter, und nirgendwo steht eine Widerspruchsbelehrung. Ein weiteres Schreiben zu dem Thema wird aber auch nicht angekündigt.
    Wie ist dieses Schreiben nun rechtlich zu bewerten?
    Welche Widerspruchsfristen gelten?

  2. Gibt es öffentliche oder gemeinnützige o. ä. Stellen (also außer Fachanwalt), an die X sich zwecks Hilfestellung im Widerspruchsverfahren bzw. dem Umgang mit Gutachtern wenden kann?
    (Zur Info: X hat einen GdB von 30 (gleichgestellt) und befindet sich gerade im Verschlimmerungsverfahren beim Versorgungsamt, dessen Ziel ein GdB von 50 ist, sodass hier evtl. auch Behindertenverbände in Frage kämen?!)

Vielen Dank für Deine Mühe!

LG
Jadzia

Hallo Guenter!

ich habe zwar bis zum Ende durchgehalten

Alleine dafür danke ich Dir!

kann dir aber trotzdem keine für dich befriedigende Antwort geben.

Das ist okay. Woko scheint da einen Ansatz gefunden zu haben.

und die deinem behandelnden Arzt (Ärzten ??) vorzulegen

Seit wann bin ich ein Er? :smile:

LG
Jadzia

Hallo Jadzia,

der Versicherte hat ja die Möglichkeit, gegen einen solchen ablehnenden Bescheid der KK vorzugehen. Auch wenn keine Rechtsbehelfsbelehrung in diesem Bescheid enthalten war, kann er die Weiterzahlung einfach mit der Einreichung eines als Widerspruches bezeichneten Schreibens beantragen. Formal wird die KK intern die Sache prüfen und wenn sie den Anspruch nicht anerkennt, einen ordentlichen Verwaltungsakt mit Rechtsbehelfsbelehrung und Fristsetzung erlassen. Dann kann der Versicherte das nach dem SGG vorgesehene Vorverfahren mit Widerspruch in Gang setzen. Hier wird der Widerspruch dann zur Widerspruchsstelle der KK gehen, die von der Selbstverwaltung gebildet wird. Diese wird das prüfen und ggfls die Verwaltung beauftragen den Sachverhalt mit den beteiligten Ärzten zu klären. Am Ende steht der Widerspruchsbescheid, der entweder den Anspruch bestätigt oder ablehnt. Dann ist der Weg zum SGG frei.

Die Vertretung vor dem SG wird von Behindertenverbänden, Gewerkschaften u.a. übernommen. Für den Versicherten ist das Verfahren kostenfrei (§ 183 SGG). Die Rechtsschutzversicherung (sofern vorhanden) zahlt den eigenen Anwalt.

Beim SGG werden medizinische Fragen erfahrungsgemäß durch unabhängige Gutachter geklärt. Da hier zwei Ärzte verschiedene Diagnosen gestellt haben, wird das darauf hinauslaufen. Die KK selbst wird selbst keinen dritten Arzt als Schiedsrichter anrufen. Einmal wegen der Gutachter-Kosten und der Gefahr, dass ein für den Versicherten unbefriedigendes Ergebnis eh wieder beim SGG landet.

Gruß Woko

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Hallo Guenter!

und die deinem behandelnden Arzt (Ärzten ??) vorzulegen

Seit wann bin ich ein Er? :smile:

Verstehe ich nicht ?

heisst es nicht so - deinem behandelnden Arzt
oder deiner behandelnden Ärztin
wobei deinem oder deiner geschlechtsneutral ist, also für Männlein und Weiblen gleichzeitig gilt ?

Ich lerne auch im hohen Alter immer noch gerne dazu

PS: Ja, der Ansatz von Woko ist schon richtig aber auch da müssen die vorliegenden Diagnosen abgeprüft werden.

Gruß

Czauderna

off-topic
Hi!

und die deinem behandelnden Arzt (Ärzten ??) vorzulegen

Seit wann bin ich ein Er? :smile:

Verstehe ich nicht?

Ich meinte das, weil der X in meinem Ursprungsposting nach meinen Formulierungen 1. ein Er und 2. doch natürlich völlig erfunden ist! :sunglasses:

LG
Jadzia

Hallo Woko!

Vielen Dank! Du siehst meine Augen nun weit geöffnet! :smiley:

Wenn ich könnte, würdest Du 2 Sternchen von mir bekommen!

LG
Jadzia

Hallo,
ach so - ja dann war deine Frage natürlich berechtigt - du hast dich exakt an FAQ. 1129 gehalten.
Gruß
Czauderna

Hallo Woko,

das mit dem Vorverfahren kann er sich eigentlich sparen - er muss nur gegenüber der Kasse bekräftigen dass er seinen Widerspruch aufrecht erhält und dann geht die Sache direkt zum Widerspruchsausschuss - von dort erhält er dann ggf. den klagefähigen Bescheid und er kann bei Gericht loslegen.
Das Ganze geht schneller weil das Vorverfahren nicht zeitaufwendig zwischengeschaltet ist.

Gruß

Czauderna

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Auch Dir nochmal vielen Dank! *

Hi!

du hast dich exakt an FAQ. 1129 gehalten.

Aber selbstverständlich! Ich kann in meinem eigenen Brett nicht Wasser predigen und woanders dann Wein trinken… :wink:

LG
Jadzia

Hallo Guenter,

in der Sache gebe ich dir Recht. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Die Verwaltung wird den Bescheid nochmals überprüfen und mit einem ordentlichen Verwaltungsakt wasserdicht machen und die Vorschriften der §§ 31-52 SGB X beachten. Sie will sich keine Blösse vor der Selbstverwaltung geben. Entschuldigung, aber bei mir blinkt wieder das Verwaltungsrecht der RVO-Kassen durch.
Als langjähriger Protokollführer und Berichterstatter eines KK-Widerspruchsausschusses habe ich da so meine Erfahrungen.

Aber noch einmal, im Prinzip hast du vollkommen Recht.

Gruß Woko