Ausstattung Kindergarten

H wie Hola.

Was mich mal interessieren würde ist, ob es irgendwo mal einen
Vergleich der Leistungsfähigkeit des DDR-Schulsystems mit z.
B. dem Bundesdeutschen gab

Ja.
Erhoben durch das Max-Planck-Institut 1990, veröffentlicht 1992.
Anliegen war der Vergleich DDR-BRD vor dem Anschluß der DDR.

Die Resultate waren, soweit ich Auszüge aus der Studie lesen konnte,
spektakulär. Entgegen den westdeutschen Erwartungen gab es K.O. in der
ersten Runde - für die BRD!

Insbesondere bei Mathematik-Naturwissenschaften-Technik lagen
die BRD-Werte, wohlwollend gesprochen, abseits. Ähnliches galt für Deutsch.
In den Fremdsprachen sowie in den Geisteswissenschaften hielt es sich
die Waage, da hier in der DDR Umfänge wie in der BRD erteilt wurden.
Ziemlich negativ fiel in den Geisteswissenschaften der ideologische
Ballast auf, was auch absolut verständlich und korrekt ist.

Dummerweise kam die Studie zu spät, 1992 befand sich das Ostsystem in Auflösung und steilem Sturzflug.

Ansonsten gab es mit Beginn der 60er erste Bildungsvergleiche.
Zunächst widmete man sich dem Niveau der Facharbeiterabschlüsse,
verglich also den Wissensstand und die Qualität zum Endpunkt der Lehre. Schon hier, und beim ersten Test waren lediglich 11 Staaten beteiligt, sackte die BRD sogleich ab, wurde fast Schlußlicht.
Die DDR war an solchen Evaluationen nie beteiligt.

Zu Anfang der 60er aber wunderten sich die Deutschen in der DDR!
Merkwürdig, plötzlich tauchten finnische Delegationen auf, ließen sich das Bildungssystem in allen Facetten zeigen.

Als Dank begrüßten die Finnen unsere Abgesandten 2002, nach dem großen
PISA-Wirbel, mit: „Schön, daß ihr hier seid - aber was wollt ihr hier?“
Und weiter: „Das stammt alles aus der DDR. Wißt ihr doch?!??!“

Auch mit Schweden, und einigen andern Ländern, hatte die DDR
entsprechende Staatsverträge geschlossen.

Es darf auch nicht vergessen werden, daß es ja nicht nur das blanke intellektuelle Niveau war(*), sondern das Soziale kam ja hinzu.
Mit Hilfe der Einheitsschule gelang es, Bildung zu einem gemeinschaftlichen Gut zu machen. Wer wollte, konnte, sofern er die hohen Leistungen brachte, um auf die weiterführende Schule („Gymnasium“) zu kommen.
Verzerrt wurde das leider durch Quotenregelungen für Mädchen bzw.
für Arbeiterkinder, sowie durch die Forderung nach einer neutralen Haltung gegenüber der SED-Linie.

Solche Verzerrungen, wie auch die ideologische Überfrachtung der Fächer Geschichte und Staatsbürgerkunde, gehen auf den Einfluß der Stalinisten innerhalb der SED zurück. Dagegen standen (intern) immer
die Reformpädagogen, die auch das bis ins Detail durchdachte Gesamtsystem geplant und aufgebaut hatten. Die Auseinandersetzung erlahmte niemals, doch vermochten sich immer und immer wieder die Stalinisten durchzusetzen, zumeist, wenn weltpolitisch etwas Außergewöhnliches geschah, bspw. 1956 der Ungarnaufstand, weswegen
in solchen Momenten immer die Hardliner Oberwasser gewannen.

Von diesen komplizierten Geschehnissen innerhalb des Systems abgesehen, die in der Praxis leider so manche geniale Idee mit
einem leichten Nachgeschmack belasteten, war es Verdienst des
Bildungssystems, daß die DDR ihre qualitative Bevölkerungspolitik
fahren konnte:

Mädchen wurden frühzeitig auf technische Fachrichtungen orientiert;
jeder, auch die Abgänger nach der 8. Klasse, wurden beruflich fortgebildet, gefördert und geleitet, bis ein qualitativ solider Abschluß erreicht war; berufsbegleitende Höherqualifizierung war
normal und wurde mehr oder weniger erwartet; voll werktätige Mütter waren normal; die Geburtenrate der DDR lag 1988 mehr als 40% über
der Geburtenrate der BRD; 1989 wuchs aus den Statistiken ablesbar eine
Generation von Kindern heran, die, umgerechnet auf IQ-Punkte, Finnen und Asiaten weit hintersichgelassen hätten; der Anteil bei den kinderlosen Frauen mit hoher Bildung (Meisterabschluß, Fachschulstudium, Hochschulstudium) war fünfmal höher als in der BRD,
bei den Frauen mit Kindern noch extremer.

Die Folgen sieht man noch heute: Ostdeutsche sind oft überqualifziert bezüglich der Arbeit, die sie verrichten, oft sogar, wenn sie vergleichbare Positionen wie zu DDR-Zeiten innehaben.

Mir ist das völlig neu, dass das DDR-Schulsystem so gut war

Vor allem innovativ. Man dachte sich eine Unmenge Mechanismen aus,
um das Niveau sukzessive zu steigern, und niemals die Leitideen

  • Einheit von Erziehung und Bildung
  • hohe Allgemeinbildung
  • Verflechtung von Theorie und Praxis
  • anwendungsfähiges Wissen
  • Chancengleichheit
  • Irrelevanz der sozialen Herkunft
  • kollektives Lernen

aus den Augen zu verlieren.

Um nur einiges zu nennen:

  • absolut verbindliche Lehrpläne
    (vorgegebener Stoff; vorgegebener zeitlicher Aufwand; Hinweise wie viele Leistungskontrollen bzw. Klassenarbeiten zu einem Thema geschrieben werden sollten; …)

  • zentralistische Kontrolle der Lehrpläne und Lehrplaneinhaltung
    (Direktoren waren angehalten, über den Fortschritt in der Lehrplanbearbeitung der polytechnischen Oberschule zu berichten;
    Gestaltung und Evaluierung der Lehrpläne erfolgte stets unter Beratung von normalen, im täglichen Unterricht stehenden Lehrern;
    sämtliche Einheitslehrbücher mußten zunächst eine staatliche
    Fachkommission durchlaufen mit Prüfung auf fachliche Korrektheit und didaktische Tauglichkeit, und danach vom Ministerium für Volksbildung die Freigabe erhalten --> „Vom Ministerium für Volksbildung der DDR als Schulbuch bestätigt.“, „Vom Ministerium für Volksbildung der DDR als Lehrbuch anerkannt.“; …)

  • anspruchsvolle Lehrerausbildung
    (straffes Diplomstudium; Zulassung nur der Besten; hoher didaktisch-pädagogischer Anteil; Schwerpunkt auf angewandter Lehre; …)

  • straffer, diziplinierter Unterricht
    (lehrerzentriert; frontal; autoritär; fachlich anspruchsvoll; reformpädagogische Abwechslungen durch gemeinschaftliches Lernen und Kollektivarbeit; Vorträge; tägliche Hausaufgaben; strenge Zensierung
    ab Klasse 1; Kopfzensuren; …)

  • „leistungssoziale“ Pädagogik und Erziehung
    (Leistungsprinzip, Lob & Tadel immer vor dem Klassenkollektiv, häufige Benotung; Ausgleich des Leistungsgefüges innerhalb einer Klasse durch eine geschickt agierende Lehrkraft, die DDR erfindet
    das (neudt.) „classroom management“; gemeinschaftliches Lernen;
    pädagogische Lenkung von Hilfsbereitschaft und Leistungsunterschieden
    der Kinder untereinander; Gleichbehandlung der Kinder, Maßregelung
    von Fehlverhalten/ Lob von guten Handlungen unabhängig von den sonstigen Leistungen)

  • Leistungsanreize
    (Abzeichen; Auszeichnungen; Ehrungen; bspw. Lessingmedaille in Silber,
    Lessingmedaille in Gold; Preise; Wettbewerbe; …)

  • geregelte Nachmittagsbetreuung im Hort
    (studierte Erzieherinnen halfen bei Erledigung der Hausaufgaben;
    Pflicht zur Hausaufgabenerledigung, ausgiebige pädagogische Förderung der Kinder auch außerunterrichtlich, Kompensation von Wissensdefiziten, falls ein Kind Probleme mit Unterrichtsstoff zeigte)

  • angewandte pädagogische Wissenschaften
    (Pädagogikwissenschaften staatlich gezwungen, für den Alltagsunterricht substanziell Verwertbares zu liefern; gezielte Fortentwicklung der angewandten Pädagogik; Fortentwicklung didaktischer Methodiken und psychologischer Strategien; intensive Untersuchungen in der Entwicklungspsychologie; Erarbeitung von Lernkurven über die Leistungsfähigkeit während der Tageserziehung
    im Zeitraum von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr; …)

Und so könnte ich noch seitenweise aus meinem reichhaltigen Fundus
an historischen Dokumenten zitieren respektive abschreiben.

[…] und auch nicht von Lehrformen, wo die Schüler selber drauf
kommen müssen, was sie lernen sollen.

Das lehnte die pädagogische Forschung der DDR strikt ab. :wink:

Insbesondere verwehrte man sich solcher Formen in der Unterstufe
(Grundschule), da man die Ansicht vertrat, Kinder seien unfähig,
in einer solchen Tragweite eigenverantwortlich zu lernen, um den
hohen Bildungsforderungen der Lehrpläne gerecht werden zu können.
Man zeigte an einzelnen Versuchen, daß freier Unterricht zwar
funktionieren könnte, jedoch nur, wenn die Kinder bereits über
ein hohes, vielseitiges UND anwendungsgerechtes Wissen verfügten,
sowie ein ausgeglichenes Individualverhalten innerhalb des Kollektivs
zeigen würden.
Beides ist offenkundig bei jungen Schulkindern in aller Regel
überhaupt nicht der Fall, sondern soll ja paradoxerweise gerade von
dieser Unterrichtsform herbeigeführt werden.

Allerdings gab es reformpädagogische Einstreuungen unter
Lehrerleitung/ Lehrerkontrolle bspw. Gruppenarbeit oder Projektarbeit -
vor allem in PA „Produktive Arbeit“ (= Polytechnik) und wpA „wissenschaftlich-praktische Arbeit“.

Also, nochmal die Frage: Gibt es irgendwo einen Vergleich von
DDR-Schülern mit Schülern anderer Länder?

Mir ist nur die genannte Studie von 1992 bekannt, die ich noch
nie vollständig und als Original in den Händen hatte.

Ciao

(*)

Ein Beispiel: Umgang mit Variablen im Mathematikunterricht ab Klasse 1.

Zum Weiterschmökern –
/t/g8-abitur-in-west-unmoeglich-in-ost-immer-so/4525…

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