Begriff 'reine Seele oder weiße Seele'

Hallo Ralf,
Du hast hier einen guten verständlichen Beitrag
geschrieben.
Das Folgende ist wohl in etwa die Zusammenfassung.



Zum Handeln einen Handelnden zu postulieren - eben dies ist
eine der oben angesprochenen Konditionierungen
(klesha), ein eingefahrenes Denkmuster, das
eine leidhafte Wirklichkeit erzeugt.

Meine Fragen dazu:
Versteht auch der „einfache“ Gläubige Buddhist dies
so und kann dies nachvollziehen oder muß er doch
sein Denken der praktischen Lebenserfahrung angleichen
welche eben immer zu einer Ursache einen Verursacher
feststellt ?
Ist er nicht überfordert wenn er ständig die erfahrbare
Wirklichkeit praktisch leugnen müßte ,Verantwortlichkeit
verwirft als „eingefahrenes Denkmuster“ um leidhafte
„Wirklichkeit“ zu überwinden ?

Oder - welche gedanklichen Verrenkungen muß man da
noch machen um den Widerspruch in sich auflösen bzw.
verstehen zu können ?

Muß er sich vielleicht ständig „neben sich stellen“
und alles was er bewirkt von außen betrachten und
sagen :"das bin ich nicht,das hat mit mit nichts zu tun,
das geht mich nichts an " ??

Ich kann mir nicht vorstellen, daß der „gläubige“
Buddhist dies hinkriegt - vielleicht als Mönch, abseits
des realen Geschehens.

Gruß VIKTOR

Hallo Victor,

>Meine Fragen dazu:
>Versteht auch der „einfache“ Gläubige Buddhist dies
>so

Gegenfrage: versteht auch der „einfache“ gläubige Christ z.B. die Trinitätslehre, wenn - wie dem vorangehenden Thread zu entnehmen - selbst ein theologisches Studium keine Klarheit schafft, was es mit dem ‚heiligen Geist‘ auf sich hat? Wie auch immer - ich halte mich selbst durchaus auch für einen „einfachen“ Buddhisten - wenn auch nicht notwendig für einen „Gläubigen“.

>und kann dies nachvollziehen

Nachvollziehen kann dies allerdings jeder - intellektuell durch Studium der kanonischen Texte und praktisch durch Ausüben des sog. achtfachen Pfades. Wobei für Letzteres bei vorhandenem Vertrauen ein intellektuelles Verständnis nicht einmal notwendig ist, dieses dient nur der Vetrauenserweckung. Zum Unterschied Vertrauen (shradda) und Glaube: Vertrauen ist ein Glaube auf Kredit, es bedarf (anders als der unbedingte Glaube, den das Christentum fordert) der Bestätigung und Rechtfertigung durch die persönliche Erfahrung.

>oder muß er doch
>sein Denken der praktischen Lebenserfahrung angleichen
>welche eben immer zu einer Ursache einen Verursacher
>feststellt ?

Das „Feststellen“ (tatsächlich ist es kein Feststellen, sondern ein Postulieren) eines Verursachers zu einer Ursache ist eben keine Sache praktischer Lebenserfahrung sondern eine des Denkens und es geschieht auch keineswegs „immer“ und schon gar nicht notwendig. Dass alles Sein verursacht und bedingt ist, lehrt auch der Buddhismus - aber eben keinen Verursacher. Die Kette der Kausalität wird auch nicht als eine lineare Abfolge mit einem ersten Verursacher (primum movens) und einer eschatologischen letzten Wirkung verstanden, sondern zyklisch , in sich kreisend. Im Buddhismus spricht man von pratityasamutpada, ‚wechselseitig bedingtem Entstehen‘ oder Konditionalnexus. Das Modell pratityasamutpada beschreibt einen sich permanent wandelnden Zustand, wobei der ‚Motor‘ dieses Wandels karma ist bzw. der dahinter stehende Wille cetana. Zwischen den einzelnen Kategorien (nidana, ‚Gliedern‘) des Konditionalnexus besteht Interdependenz. Dies sorgt unter Anderem auch dafür, dass ‚Denken‘ und ‚praktische Lebenserfahrung‘ von selbst in Einklang kommen, weil sie einander bedingen - da muss man nichts „angleichen“.

>Ist er nicht überfordert wenn er ständig die erfahrbare
>Wirklichkeit praktisch leugnen müßte,

Eben deswegen ist dies auch Unsinn. Wirklichkeit zu leugnen, ist pathologisch. Aber Wirklichkeit kann man auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfahren. Du begehst den Fehler, dass Du Deine Erfahrung von Wirklichkeit für etwas Feststehendes, Objektives hältst. Dabei ist diese, Deine Erfahrung von Wirklichkeit schon eine andere, wenn du nur ein Glas Bier trinkst. Was meinst Du, wie sich da erst Deine Erfahrung von Wirklichkeit von der eines Menschen, der ein jahrelanges Training in meditativer Versenkung, Schulung des Intellekts und ethischem Verhalten hinter sich hat, unterscheidet. Erfahrung von Wirklichkeit ist nicht die Wirklichkeit selbst - und die Bedingungen dieser Erfahrung sind durchaus nicht starr und unveränderlich. Somit ist es auch nicht die Erfahrung selbst.

>Verantwortlichkeit
>verwirft als „eingefahrenes Denkmuster“ um leidhafte
>„Wirklichkeit“ zu überwinden ?

„Verantwortlichkeit“ wird gerne bemüht, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist - damit kriegt man es allerdings nicht wieder heraus. Da ist es schon vorteilhafter, sich um die Erkenntnis zu bemühen, dass jedes Handeln Folgen hat und welche Folgen dies jeweils sind. Dies verändert das Handeln - und das halte ich für sinnvoller, als die Suche nach einem Verantwortlichen.

Dies ist übrigens - ganz nebenbei - auch ein Grund für den Erfolg japanischer Wirtschaftsunternehmen. Bei einer Entscheidung, die sich als falsch erweist, sucht man nach den Gründen für diese Entscheidung und danach, wo der Fehler lag und wie man ihn zukünftig vermeidet. Hierzulande sucht man stattdessen nach einem Schuldigen - wenn nicht nach einem Sündenbock.

>Oder - welche gedanklichen Verrenkungen muß man da
>noch machen um den Widerspruch in sich auflösen bzw.
>verstehen zu können ?

Wie schon geschrieben - der Widerspruch existiert in Deinem Denken und in der Art, wie Du Wirklichkeit erfährst. Übe Dich in buddhistischer Praxis und sowohl Dein Denken als auch Deine ‚Wirklichkeitserfahrung‘ wird sich ändern. Ganz ohne gedankliche Verrungen zu bemühen - im Gegenteil, du wirst sie dabei verlieren.

>Muß er sich vielleicht ständig „neben sich stellen“
>und alles was er bewirkt von außen betrachten und
>sagen :"das bin ich nicht,das hat mit mit nichts zu tun,
>das geht mich nichts an " ??

Für eine meditative Selbstanalyse sollte man sich gerade nicht irgendwelche Dinge einbilden (wie z.B. „neben sich zu stehen“) sondern sich darum bemühen, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind:

„Form, Empfindung, Wahrnehmung, Bewußtsein und die Gestaltungen des Willens,
Das bin nicht ich, noch gehört das mir. Auf diese Weise wird man frei davon.
Einen, der auf diese Weise frei geworden, ruhig im Gemüt, aller Fesseln ledig,
Hat, obwohl sie ihn allerorts suchte, des Māra Heerschar nicht gefunden.“
(S.4.16.)

Das ist allerdings etwas schwieriger, als es klingt bzw. erfordert einiges an Übung - z.B. darin, einen Geisteszustand hervorzurufen (besser: zuzulassen), in dem keine Trennung von Subjekt und Objekt mehr existiert (ekagrata, ‚Einspitzigkeit‘).

>Ich kann mir nicht vorstellen, daß der „gläubige“
>Buddhist dies hinkriegt - vielleicht als Mönch, abseits
>des realen Geschehens.

Zum einen gibt es im Buddhismus nicht die strikte Trennung zwischen laizistischer und monastischer Lebensweise. Vor allem in Südostasien ist das ‚Mönchtum auf Zeit‘ für junge Männer durchaus normal. Zum anderen ziehen sich viele buddhistische Laien mehr oder weniger regelmäßig zu Übungsperioden (zwischen ein paar Tagen und mehreren Wochen) zurück, in denen sie eine monastische Lebensweise praktizieren. Und trotz dieses ‚Zurückziehens‘ heisst das alles Andere als „abseits des realen Geschehens“ zu sein. Du bist nirgendwo so sehr mitten im „realen Geschehen“ drin als in solchen Zeiten intensiver buddhistischer Praxis.

Zur Veranschaulichung dieser Aussage eine kleine, eigentlich recht bekannte Geschichte:

Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zen-Meister. „Herr“, fragten sie „was tust du, um immer so glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du.“ Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“ Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: "Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis? "Es kam die gleiche Antwort: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“ Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: „Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt.Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Ralf,

ohne jetzt eine grundlegende Buddhismusdiskussion vom Zaum brechen zu wollen, aber ich hab da mal ein paar Fragen.

Kern der Sache ist ja letzten Endes der Kreislauf von Leben, Tod, Wiedergeburt. Und natürlich gibt es kein „selbst“, keine „Seele“, kein „Ka“ und natürlich erst Recht keine körperliche Wiedergeburt. Weil man sich im Grunde ja nur einbildet, dass man als Individuum überhaupt existiert.
Nur, wenn ich gar nicht existiere, muss ich auch nicht mein Karma (mein Handeln) rein und frei halten, muss nicht alles in der Welt verleugnen, weil spätestens, wenn ich wiedergeboren werde bin ich nicht mehr ich (ich existiere ja nicht) sondern jemand anders (der auch nicht existiert). Der muss sich nun auch nicht unbedingt anstrengen den Kreislauf des Lebens zu verlassen, denn im Falle der Wiedergeburt triffts nicht ihn (ihn gibts ja nicht) sondern einen anderen.
Das Problem mit der westlichen Auslegung des Buddhismus scheint mir zu sein, dass der Begriff des Nicht-Selbst irgendwo noch nicht gegriffen ist. Ist das Nicht-Selbst etwas oder nichts? Denn wenn etwas wiedergeboren wird, um noch einmal einen Durchlauf zu machen und dieses Mal genug gutes Karma haben soll um aus dem Rad auszubrechen, dann muss es da ja „was“ geben. Darauf bezog ich mich eben mit Reinigung und längerem Waschvorgang.
Vielleicht kannst Du mir diese Diskrepanz ja erklären.

Gruß
Peter B.

P.S.
Ich bin ein lausiger Buddhist, weil ich nicht leide.

Der Zöllner und der Zelot konnten bei Jesus nicht
nur rein werden sondern sogar bis zu Heiligen aufsteigen. In
der katholischen Kirche wäre das ein Unding.

Völlig falsch und an den Haaren herbeigezogen

Welcher Teil ist der falsche? Oder hat Rom die Bibel für falsch erklärt und ich habs nicht mitbekommen?

Das ist der falsche Teil.
Es ist nämlich in der katholischen Kirche kein Unding, was zu
Jesu Zeiten geschehen ist und man erklärt die Bibel eben auch
nicht für ungültig.
Im Gegenteil, man akzeptiert, dass es so dort geschrieben
wurde.
Ein Unding wäre es nur dann wenn Rom sich herausgenommen
hätte, die Bibel für ungültig zu erklären.
So ist es lediglich „ein Wunder der Gnade Gottes“…

Könnte, und wichtiger würde die katholische Kirche solchen also vergeben? Oder bedarf es dazu eines Wunders?

Im Gegenzug dazu: Kardinal Meisner und das Aus-schwitzen der Gifte … Du glaubst also, der würde denen vergeben? Mal ganz abgesehen von der Kompetenz, mit der er das tun würde (die in meinen Augen nicht größer ist als seine Kompetenz zu verurteilen), das ist ja ein ziemlich aktueller Fall, von daher nicht an den Haaren herbeigezogen und auch, wenn unbequem, eine legitime Fragestellung.

Und was haben jetzt Leute, die sich offen und frei zu einer
von der katholischen Kirche verurteilten (=sündigen) sexuellen
Einstellung bekennen mit jemandem zu tun, der zu einem
bestimmten Zeitpunkt seines Lebens erkennt, dass seine eigenen
Wege falsch waren und die Wege Gottes richtig sind?
Also ich meine, nur um bei der Fragestellung zu bleiben?

Zunächst einmal ging es bei der Fragestellung hier weniger um die Homosexuellen und Fixer sondern um Kardinal Meisner, der seine offensichtliche Unfähigkeit zur Vergebung ja ziemlich deutlich ausgedrückt hat. Um das jetzt wider auf die Diskussion zu beziehen, da diesen Leuten ihre Sünden nicht vergeben werden (wobei im Falle der Homosexualität überhaupt erst mal über die Sündendefinition gesprochen werden müsste), können diese Leute auch keine reinen Seelen gemäß katholischer Definition werden, richtig? Erst wenn also ein Schwuler nicht mehr schwul ist, kann er rein sein. Während ein Papstattentäter, ja sogar einer der immer mal wieder auftauchenden priesterlichen Kinderschänder Vergebung erlangen kann und dadurch wieder rein ist. Korrigiere mich, falls ich das mißverstehe. Mir scheint hier eine Lücke zu klaffen, es sei denn, die katholische Version der reinen Seele ist nichts als ein Marketingmittel. Da möchte ich dann lieber annehmen, ich verstehe es nur einfach nicht, also erleuchte mich bitte.

Gruß
Peter B.

Hallo Peter,
in dem Thread, den ich in meiner ersten Antwort an dich verlinkt hatte, gibt es ein etwas längeres Posting mit dem Betreff ‚Reinkarnation‘, in dem ich versuche, genau die von Dir angesprochenen Fragen anhand eines Abschnitts des Mahayana Shraddotpada Shastras (‚Traktat zur Vertrauenswerweckung in das Mahayana‘, eines klassischen Traktats der buddhistischen Vijnaptimatra-Philosophie) etwas zu klären. Ich erlaube mir, einfach auf dieses Posting zu verweisen.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Ralf,
Dein Beitrag ist wieder lesenswert und informativ.
Zu einigen Punkten möchte ich aber doch Zweifel
einbringen.

>Meine Fragen dazu:
>Versteht auch der „einfache“ Gläubige Buddhist dies
>so

Gegenfrage: versteht auch der „einfache“ gläubige Christ z.B.
die Trinitätslehre

Diese Lehre greift aber nicht in die unmittelbare
Erfahrungswelt ein.Es ist also nicht vergleichbar.
Nach Deiner Darstellung darf aber nach buddhistischer
Denkweise dem Handeln kein Handelnder zugeordnet werden.
Diese nicht gegebene Denkweise muß erst durch Übung,
Meditation usw. überwunden werden.
Hier drängt sich einem die Frage auf, ob nicht durch
Übung und Meditation o.ä. jede reale Erfahrung in
unserem Sein nach irgendeiner Hypothese,Lehre oder
Ideologie umdeutbar,anders erfahrbar gemacht werden
kann ?

Ist dem „Fliegen“ auch kein Flugzeug zuordenbar oder
dem „Fahren“ kein Fahrzeug ?
Wenn dieser Vergleich unpassend ist wird es trotzdem
schwierig zu verstehen wo Kausalität zulässig ist und
wo nicht.

>und kann dies nachvollziehen

Nachvollziehen kann dies allerdings jeder - intellektuell
durch Studium der kanonischen Texte und praktisch durch
Ausüben des sog. achtfachen Pfades. Wobei für Letzteres bei
vorhandenem Vertrauen ein intellektuelles Verständnis nicht
einmal notwendig ist

Das meine ich.Studium, Übung, Vertrauen (Glaube ?)
können jede Idee verinnerlichen auch wenn sie der
„Erfahrung“ (Du stellst dies als Fehlinterpretation der
Wirklichkeit dar)entgegensteht.
Ist intellektuelles Verständnis eher hinderlich um
buddhistische Denkweise zu erfahren oder zu vertiefen?

(anders
als der unbedingte Glaube, den das Christentum fordert) der

Der christliche Glaube ist ebenfalls ein Vertrauen
(auf ein Zeugnis) und doch im wesentlichen eine
Erkenntnis der Qualität einer Botschaft für dieses
und ein (geglaubtes) jenseitiges Leben.
Dies wäre ein eigenes Thema.Bitte nicht darauf eingehen.

Das „Feststellen“ (tatsächlich ist es kein Feststellen,
sondern ein Postulieren) eines Verursachers zu einer Ursache
ist eben keine Sache praktischer
Lebenserfahrung sondern eine des Denkens

Eben. Dies muß ganz fest gelaubt werden. Ständig, und
eingeübt - weil es eben immer wieder der Erfahrung
widerspricht.

Dass alles
Sein verursacht und bedingt ist, lehrt auch der Buddhismus -
aber eben keinen Verursacher.

Du meinst hier keinen personellen Verursacher, keine
durch freien Willen (wessen auch immer)verursachte
Wirkung- oder ?

dass ‚Denken‘ und ‚praktische Lebenserfahrung‘ von selbst in
Einklang kommen, weil sie einander bedingen - da muss man
nichts „angleichen“.

Aber doch etwas tun, Meditation, Training usw. oder ?
Von allein kommt der „Einklang“ nicht

Du begehst den
Fehler, dass Du Deine Erfahrung von Wirklichkeit für etwas
Feststehendes, Objektives hältst.

Da gehört eben die Verwendung des Intellekt dazu um
die Erfahrungen der „Wirklichkeit“ einzuordnen.
Man muß diesen „Fehler“ ja nicht machen und kommt
trotzdem nicht zu einer buddhistischen Denkweise .

Erfahrung von Wirklichkeit ist nicht die
Wirklichkeit selbst

Kannst Du mir eine Aussage machen,was dann Wirklichkeit
für Dich ist ?

dass jedes Handeln Folgen hat und
welche Folgen dies jeweils sind. Dies verändert das Handeln -
und das halte ich für sinnvoller, als die Suche nach einem
Verantwortlichen.

Und wo (bei wem gilt ja nicht) soll man bei der
Veränderung des Handelns ansetzen ?

Bei einer
Entscheidung, die sich als falsch erweist, sucht man nach den
Gründen für diese Entscheidung

Meinst Du das ?
Das kann ich so stehen lassen aber die Gründe kann
ich eben nicht immer von Personen trennen.
Die Japaner, welche Du ansprachst, sind doch viel
schneller bereit sich die Schuld am Versagen zu geben.
Ritueller Selbstmord ist doch aus diesen Gründen
gerade aus diesem Kulturkreis bekannt.
Handeln und Handelnder sind doch da viel enger
beieinander gedacht als die buddhistische Denkweise
vermuten läßt.

Für eine meditative Selbstanalyse sollte man sich gerade nicht
irgendwelche Dinge einbilden (wie z.B. „neben sich zu stehen“)
sondern sich darum bemühen, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie
sind

Da sind wir wieder am Anfang der Diskussion.

Ich hätte eigentlich zu jedem Deiner Beitragspunkte
etwas zu sagen, aber es würde dies hier wohl
überfrachten.

Sehr herzliche Grüße VIKTOR

Moin VIKTOR,

Mir scheint, hier geht doch einiges durcheinander.
Der Buddhismus sagt keinesfalls, dass es keine Person gibt, oder keine Person die handelt, sondern der Buddhismus sagt, dass diese Person oder das Handeln nicht so ist, wie es uns erscheint. Das „ich“ ist nicht etwas, was unwandelbar, unteilbar aus sich selbst heraus existiert, sondern wie alles andere auch existiert es nur in Abhängikeit. Und wenn das „ich“ nicht etwas ist, was aus sich selbst heraus existiert, dann kann auch das Handeln nichts sein, bei dem es einen aus sich selbst heraus „Handelnden“ gibt.

Dies widerspricht auch keinesfalls der eigenen persönlichen Erfahrung. Versuch dir doch mal dessen bewusst zu werden, was du „ich handele“ nennst. Dein Körper bewegt sich ununterbrochen, in deinem Körper laufen ununterbrochen irgendwelche Pozesse ab, von denen du nicht mal weißt, auch dein Geist bewegt sich ununterbrochen. Ständig bist du irgendwelchen Emotionen ausgesetzt. Was davon würdest du denn tatsächlich einem bewusst handelnden unabhängigen „Ich“ zuordnen wollen? Alles was du denkst, machst, fühlst etc. ist in irgend einer weise bedingt.

Hier noch ein bisschen was zum Lesen.

http://www.tibet.de/tib/tibu/1997/tibu43/43ugyen.html

Gruß
Marion

Hallo Ralf,

jetzt habe ich das Ganze nochmal durchgelesen und es drängt sich wieder der Eindruck auf, als ende das genau bei der Frage. Es muss es etwas Indivuduelles geben, sonst wäre es eine Neuschöpfung. Der Verweis auf die letzte Diskussion, in der die Frage nicht beantwortet wurde, war nicht hilfreich.

Gruß
Peter B.

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

weiße/reine Seele???
Es gibt keine reine oder weiße Seele… Oder kennst du jemanden, der VOLLKOMMEN ist?? Nein, es gibt, seit der VErfehlng Adams KEINEN vollkommenen Menschen mehr. Deshalb gibt es auch keine reine oder weiße Seele.
In der Offenbarung ist zu lesen: „Sie haben ihre langen Gewänder gewaschen und sie im Blut des Lammes weiß gemacht“ (Offenbarung 7:14). Weiß ist in der Bibel ein Symbol für Reinheit und Gerechtigkeit (Psalm 51:7; Daniel 12:10; Offenbarung 19:8). Die weißen Gewänder, die die Glieder der großen Volksmenge tragen, zeigen an, daß Jehova sie als gerecht betrachtet (sie sind aber nicht vollkommen). Wie ist das möglich? Weil sie ihre Gewänder gewissermaßen in dem Blut des Lammes gewaschen haben. Da sie Glauben an das vergossene Blut Jesu Christi ausüben (d. h. Werke zeigen, denn der Glaube ohne Werke ist tot), sind sie als Freunde Gottes gerechtgesprochen und haben die Aussicht, die große Drangsal zu überleben. Jeder treuergebene Christ, der gegenwärtig zur großen Volksmenge gehört, jedoch vor der großen Drangsal stirbt, kann somit sicher sein, an der irdischen Auferstehung der Gerechten teilzuhaben.

Hallo Victor,

Nach Deiner Darstellung darf aber nach buddhistischer
Denkweise dem Handeln kein Handelnder zugeordnet werden.
Diese nicht gegebene Denkweise muß erst durch Übung,
Meditation usw. überwunden werden.

Missverständnis. Es gibt keine ‚Denkverbote‘. Es geht allerdings darum, bestimmte Erfahrungen zu machen - dadurch ändert sich die Sichtweise. So weit richtig.

Hier drängt sich einem die Frage auf, ob nicht durch
Übung und Meditation o.ä. jede reale Erfahrung in
unserem Sein nach irgendeiner Hypothese,Lehre oder
Ideologie umdeutbar,anders erfahrbar gemacht werden
kann ?

Was meinst Du mit „reale Erfahrung“? Jede Erfahrung ist für den, der sie macht, real. Es gibt keine Realität an sich, keine kollektive (allen gemeinsame) Realität - nur einen sozialen Konsens über Realität. Der sich wiederum mit den sozialen Bedingungen beständig wandelt.

Es ist sicher richtig, dass Erfahrungen manipulierbar sind. Der Kern buddhistischer Geistesschulung (zumindest außerhalb tantrischer Praktiken) ist allerdings gerade der Verzicht auf Manipulationen. Grundzüge sind das Loslassen vorgefasster Meinungen, Sichtweisen und emotionaler Verhaftungen, die Entwicklung von Konzentrationsfähigkeit bis hin zum Verschmelzen von Subjekt und Objekt sowie Achtsamkeit auf alle aufsteigenden Phänomene sensueller oder mentaler Art. Eben dies verhilft zu einer nicht-manipulierten Sicht.

Die buddhistische Theorie, die ich hier in Ausschnitten dargelegt habe, ist nichts als die Ausdeutung derart gemachter Erfahrungen - nicht eine Richtlinie, anhand der bestimmte Erfahrungen gemacht werden sollen oder anhand derer Erfahrung gefiltert werden soll. Das Problem ist jedem buddhistischen Lehrer, der seinen Reis wert ist, bewusst. Um einen zeitgenössischen westlichen Lehrer der Theravada-Tradition (Patrick Kearney) zu zitieren:

Es gibt eine beliebige Anzahl von Methoden, mit denen wir unsere Erfahrung analysieren können; es gibt eine potentiell unendliche Anzahl von Kategorien, die wir erfinden können, unter denen wir unsere Erfahrung klassifizieren können. Wichtig ist dabei, dass wir uns des Unterschiedes zwischen Kategorie und Erfahrung bewusst sind und vermeiden, uns in der Kategorie zu verirren. Wir neigen dazu, uns in der Kategorie zu verirren und dabei den Kontakt mit der Erfahrung zu verlieren. Wenn wir ein System von Kategorien erschaffen, frieren wir den Prozess lebendiger Erfahrung ein und erschaffen etwas Festes, mit dem unsere Erfahrung nun übereinstimmen muss. Wir unterteilen nun unsere Erfahrung in zwei grundlegend verschiedene Abteilungen: jene Erfahrungen, die wir in unser System von Kategorien einordnen können und die daher gültig, wirklich und nützlich sind und jene Erfahrungen, die wir nicht in unser System von Kategorien einordnen können. Natürlich widmen wir während des Meditierens mehr Aufmerksamkeit unseren gültigen, wirklichen und nützlichen Erfahrungen, als dem anderen Typ. Kurz gesagt - wir bleiben in Anhaftung und Ablehnung stecken und statt unsere Erfahrung zu untersuchen fallen wir darauf zurück, sie zu manipulieren. Wir nehmen die Praxis der Freiheit und verwandeln sie in ein Gefängnis. Dies ist unvermeidlich, wenn wir die Wirklichkeit auf Kategorien der Analyse projizieren - welches System auch immer wir benutzen - und nicht auf den tatsächlichen lebenden Strom der Erfahrung. Daher müssen wir dieses System mit großer Vorsicht behandeln. Wir müssen lernen, es zu benutzen statt von ihm benutzt zu werden.

Ist dem „Fliegen“ auch kein Flugzeug zuordenbar oder
dem „Fahren“ kein Fahrzeug ?

‚Flugzeug‘ ist nur eine von vielen Bedingungen des Fliegens - nicht einmal eine notwendige. Vögel z.B. kommen ganz gut ohne diese Bedingung aus.

Wenn dieser Vergleich unpassend ist wird es trotzdem
schwierig zu verstehen wo Kausalität zulässig ist und
wo nicht.

Kausalität ist zunächst nichts als eine geistige Konstruktion, die einen Zusammenhang zwischen unseren Erfahrungen herstellt. Manche kausalen Zusammenhänge sind für jeden eindeutig und einfach nachvollziehbar - andere sind es nicht, sondern lediglich Postulate. Der kausale Zusammenhang z.B. zwischen einem Regentanz und einem Gewitter oder der zwischen dem Bündel von Funktionen, das Du Victor nennst und einer ‚dahinter‘ stehenden Seele oder einem konstanten Ich (das womöglich die Auflösung des Funktionszusammenhangs - den Tod - irgendwie übersteht) - das sind Beispiele für solche postulierten Kausalzusammenhänge.

Studium, Übung, Vertrauen (Glaube ?)
können jede Idee verinnerlichen auch wenn sie der
„Erfahrung“ (Du stellst dies als Fehlinterpretation der
Wirklichkeit dar)entgegensteht.

Eben dies vermeidet der buddhistische Weg. Deswegen hatte ich in Bezug auf das Vertrauen von der Notwendigkeit der

Bestätigung und Rechtfertigung durch die persönliche Erfahrung

gesprochen. Es gibt einen absoluten Primat der Erfahrung - der Weg dient der Erweiterung der Erfahrung durch deren Ablösung von von lediglich gedachten, postulierten Voraussetzungen, von den schon erwähnten eingefahrenen Denkmustern und Konditionierungen. Als Beleg mag das obige Zitat Kearneys dienen oder das oft zitierte Kalamer-Sutta:

Richtet euch, ihr Kalamer, nicht nach Hörensagen und Überlieferung, nicht nach landläufigen Meinungen und der Autorität von (heiligen) Schriften, (…).
Wenn ihr vielmehr selbst erkennt: ‚Diese Dinge sind unheilsam, verwerflich, (…)’ - dann, Kalamer, solltet ihr sie ablehnen. Wenn ihr selbst erkennt: ‚Diese Dinge sind heilsam, annehmbar, werden von Verständigen gepriesen, führen, wenn verwirklicht, zu Heil und Glück’ - dann, Kalamer, sollt ihr sie euch zu eigen machen.

Eben. Dies muß ganz fest gelaubt werden. Ständig, und
eingeübt - weil es eben immer wieder der Erfahrung
widerspricht.

Es widerspricht nicht der Erfahrung, es widerspricht Deiner Erfahrung. Du hörst nicht auf, beides zu verwechseln bzw. gleichzusetzen.

Dass alles
Sein verursacht und bedingt ist, lehrt auch der Buddhismus -
aber eben keinen Verursacher.

Du meinst hier keinen personellen Verursacher, keine
durch freien Willen (wessen auch immer)verursachte
Wirkung- oder ?

Lassen wir mal die komplizierte Frage des freien Willens beiseite - keinen personellen Verursacher, wenn man unter ‚Person‘ etwas an sich Existierendes versteht und nicht nur die ‚empirische Person‘, eine konventionelle Bezeichnung für das, was ich oben ein „Bündel von Funktionen“ genannt haben, das permanentem Wandel unterworfen ist.

Weiteres dazu hat Marion geschrieben.

dass ‚Denken‘ und ‚praktische Lebenserfahrung‘ von selbst in
Einklang kommen, weil sie einander bedingen - da muss man
nichts „angleichen“.

Aber doch etwas tun, Meditation, Training usw. oder ?
Von allein kommt der „Einklang“ nicht

Natürlich kommt er von alleine, vorausgesetzt Du bist geistig gesund. Ein Auseinanderklaffen von Denken und praktischer Lebenserfahrung ist entweder geheuchelt oder aber ein ernsthaftes Symptom für eine geistige Störung.

Du begehst den
Fehler, dass Du Deine Erfahrung von Wirklichkeit für etwas
Feststehendes, Objektives hältst.

  • und Du begehst den Fehler, dass Du die Sichtweise von einer substanziellen Person für ‚praktische Lebenserfahrung‘ hältst. Nochmals - das ist es nicht. Es ist eine Sichtweise, die ungeachtet ihrer Verbreitung nicht notwendig richtig, nicht notwendig die einzig mögliche und auch nicht notwendig ‚praktisch‘ ist.

Da gehört eben die Verwendung des Intellekt dazu um
die Erfahrungen der „Wirklichkeit“ einzuordnen.

Richtig.

Man muß diesen „Fehler“ ja nicht machen und kommt
trotzdem nicht zu einer buddhistischen Denkweise .

Auch das ist richtig. Der Buddhismus behauptet auch nicht, seine Denkweise sei die einzig mögliche oder einzig richtige. Er behauptet lediglich, dass es eine Denkweise zur Überwindung von Leid ist.

Erfahrung von Wirklichkeit ist nicht die
Wirklichkeit selbst

Kannst Du mir eine Aussage machen,was dann Wirklichkeit
für Dich ist ?

Nein. Aussagen kann man nur über Erfahrungen von Wirklichkeit machen, nicht über die Wirklichkeit selbst. Das lehrt nicht nur der Buddhismus, das weiss man seit Kant auch im Westen.

dass jedes Handeln Folgen hat und
welche Folgen dies jeweils sind. Dies verändert das Handeln -
und das halte ich für sinnvoller, als die Suche nach einem
Verantwortlichen.

Und wo (bei wem gilt ja nicht) soll man bei der
Veränderung des Handelns ansetzen ?

Nach buddhistischer Empfehlung beim sozialen Verhalten, der Ethik. Heilsames ethisches Verhalten beruht auf dem Prinzip des Altruismus - und ist damit geeignet, ich-bezogene Sichtweisen zu überwinden.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Peter,

Es muss es etwas Indivuduelles geben, sonst wäre es
eine Neuschöpfung.

was spricht gegen eine „Neuschöpfung“? Mal abgesehen vom Implizieren eines Schöpfers? Der Reinkarnationsbegriff? Den habe ich in dem empfohlenen Artikel als lediglich (provisorisch) soteriologisch nützlich bezeichnet. Der Buddhismus kennt keine ‚Reinkarnation‘ - das ist ein Missverständnis, das durch ständige Wiederholung nicht richtiger wird. Sicher gibt es Buddhisten, die an Reinkarnation glauben. Es gibt auch Christen, die an Reinkarnation glauben. Trotzdem hat dieser Glaube weder mit Buddhismus noch mit Christentum etwas zu tun. Dass der Reinkarnationsglaube unter Buddhisten möglicherweise weiter vebreitet ist als unter Christen, hat wiederum etwas mit dem Einfluss hinduistischer Glaubenssysteme zu tun - und damit, dass die christliche Lehre auch eine orthodoxe Alternative zu solchen eternalistischen Ansichten anbietet.

Im Buddhismus spricht man von punarbhava, ‚Wieder-Werden‘. Was da ‚wieder wird‘ ist nicht das Untergegangene - es ist duhkha, Leiden - so lange die karmisch erzeugten Ursachen und Bedingungen dafür weiterbestehen. Wenn Du z.B. Kinder zeugst, dann setzst Du damit Ursachen und Bedingungen für Enkel, Urenkel usw. - was da ‚wieder wird‘ und weiterwirkt sind Teile Deines genetischen Programms. Trotzdem kämest Du wohl nicht auf den Gedanken, sie als Deine Reinkarnationen zu bezeichnen - substanziell besteht da keinerlei Identität im ‚Individuellen‘. Trotzdem sind Deine Nachfahren streng genommen auch keine ‚Neuschöpfungen‘ im absoluten Sinn.

Freundliche Grüße,
Ralf

P.S.: Es würde hier zu weit vom Thema führen, den duhkha-Begriff näher zu erläutern. Er ist durchaus differenziert und ‚Leid‘ ist eine sehr platte Übersetzung, wenn auch die allgemein geläufige. ‚Ungenügen‘ trifft es etwas besser - und Schopenhauer beschreibt diese Art der Seinserfahrung sehr treffend.

Hallo Ralf,

also gut, dann ist die ganze Wiedergeburtsgeschichte Teil „anderer“ Glaubenssysteme. Dann gibt es tatsächlich, was mich höchst beeindruckt, keine Seele, keine andere Verantwortung als gegenüber dem eigenen Karma usw. Nicht, dass ich dem Frieden jetzt wirklich truen würde, aber zumindest, gibt’s keine organisierte Weißwaschung. Heißen Dank.

Gruß
Peter B.

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