Hi
Das Zeitalter „Industrialisierung“ gibt es so in China nicht, die Merkmale, die diesem Zeitalter im europäischen Kontext zugeschrieben wurden, entwickelten sich getrennt von einander in verschiedenen Zeitaltern, ein wichtiger Unterschied z.B. ist, dass Chinas Elite eine Meritokratie war (oder zumindest sein wollte), gewachsener Adel spielte eher im Militär eine Rolle.
Der wichtigste Ausgangspunkt sind hier sicherlich die Song-Dynastien. China weitete sich aus, es entstand eine eigene, fast unabhängige Händlerkaste, diese veränderte die Struktur der Gesellschaft durch ihren Reichtum und Einfluss enorm. Durch die intensivere Flussschiffahrt und die Schaffung neuer Handelsstrecken (Erweiterung der Infrastruktur) veränderten sich die Bewegungsmuster der Gesellschaft, auch weil zuvor übliche Familienvorgaben außer Mode fielen und so in einem gewissen Rahmen größere gesellschaftliche Beweglichkeit (für Männer) schufen. Durch die Fähigkeit der Händler zu investieren und eigene Marktstädte zu schaffen sowie neue Berufsgruppen für Dienstleister zu ermöglichen stieg der Lebensstandard und somit auch die Nachfrage. Um den Händlern entgegentreten zu können wurden spätestens in der Ming-Dynastie Wachstumsvorgaben (zumindest auf Lokalebenen) im Regierungsprogramm institutionalisiert.
Schon von frühster Zeit an gab es Arbeitsspezialisierung und spezialisierte Familien. Nehmen wir mal ein Dorf Guanshuang. Dorf Guanshuang hat einen Magistraten mit einer Wachstumsvorgabe von wasweißich, außerdem hat Dorf Guanshuang sehr fruchtbare Bauern in der Umgebung, also einen Getreideüberschuss. Die Familien in Guanshuang stellen Nudeln, Schnaps, Gemüsepfannkuchen, Oberbekleidung und Flöten her, es gibt eine Familie welche für die Post im nördlichen Bereich der zugehörigen Präfektur zuständig ist, eine Familie die Pferde züchtet und verkauft. Es mangelt an Eisen und Feuerholz. Ein kluger Magistrat wird nun zusehen, dass den Familien Schnaps, Flöte, Pferd durch Grundstückshandel und Marktstanderweiterungen mehr cerealische
Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Die Förderung der speziellen und edlen Flöten führt zu einem guten Absatz über die wandernden Händler in größere Städte, aus dem Ertrag wird Feuerholz verhandelt, dass durch Sonderkonditionen Familie Schnaps zugewendet wird. Der überschüssige Schnaps wird gegen Eisen verhandelt, damit werden bessere Beschläge für die nun sehr begehrten Pferde hergestellt. Die optimal versorgten, ausgebildeten und beschlagenen Pferde führen dazu, dass Guanshuang zu DEM Postpferddorf in der gesamten Präfektur wird. Handel und Produktion konzentrieren sich bald auf die optimale Postpferdproduktion, das Dorf erhält ein Herausstellungsmerkmal und ergänzt sich mit den umliegenden Dörfern die andere Dinge primär liefern. Geht es drei Dörfern gut wird ein Tempel gegründet, wo jährlich Tempelfeste („Messen“) stattfinden, auf denen der kommende Jahresumsatz verhandelt wird.
Das ist jetzt grob dargestellt, aber so ungefähr lief das an vielen Orten Chinas. Fabrikproduktion, Fließband, Kolonnenunterbringung etc. das gab es schon früher in China, wenn auch ohne technische Hilfsmittel, weshalb es nicht durch ein industrielles Zeitalter eingeführt werden musste. Die Verfügbarkeit von strategischen komparativen Vorteilen und Bereitschaft, in diese zu investieren, war ein wichtiges Merkmal „unserer“ Industrialisierung.
Über die Ming-Dynastie hinweg wurden nicht nur viele neue Erfindungen gemacht, sondern die Handels- und Spezialisierungsentwicklung vorangetrieben. Es gab aber auch Gegenbewegungen: Mit dem Neo-Konfuzianismus wurde die Gesellschaftsstruktur wieder steifer und Frauen vom öffentlichen Leben (und somit Arbeitsleben) fast getilgt. Denoch erfolgte hier der in der Qing-Dynastie (nach erheblichen kriegsbedingten Einbußen) fortgeführte Bevölkerungsanstieg.
Wie gesagt, ein Industrialisierungszeitalter gab es in China nicht, die wichtigsten ähnlichen Entwicklungen würde ich zwischen Song- und Ming-Dynastie verorten.
lg
Kate