Hypostasis/Person - ousia/Wesen/Natur

Hypostase Person Wesen Natur und all das
Hi Christoph,

tatsächlich hast du es hier miteiner recht komplizierten Angelegenheit von Begriffsbildungen zu tun, die sich durch die frühe europäische Philosophiegeschichte ziehen und die ihre Ursprünge in den jahrhundertelangen Diskussionen um

  1. trinitarische und
  2. christologische Bestimmungen haben.

Die Verwirrung besteht dadurch, daß
a. die lateinischen Korrelate zu den griechischen Begriffen nicht immer eindeutig sind
b. sowohl die griechischen als auch die lateinischen Begriffe mehrere Bedeutungsvarianten haben können
c. sich diese Korrelationen und diese Bedeutungsvarianten im Laufe der Begriffsgeschichte veränderten

Um es hier nicht ausufern zu lassen in möglichst kurzer Form das Vokabular:

gr. ousia (schon bei Aristoteles in zwei Bedeutungen)
= lat. 1. substantia 2. essentia 3. natura 4. res = dt. Wesen, Natur, Substanz, Essenz oder (Verhandlungs-)Sache
gr. physis = lat. 1. natura 2. substantia 3. materia
gr. physis = gr. ousia (bei manchen Autoren) = dt. Wesen
gr. hypostasis = lat. 1. subsistentia 2. persona(1) = dt. Subsistenz
gr. hypostasis = gr. ousia (z.B. bei Cyrill)
gr. prosopon = lat. persona(2) (z.B. bei Sabellius)

persona(1) (= Subsistenz) und persona(2) (= Maske des Schauspielers) unterscheiden sich zwar, aber ihre Unterschieden sind Streitsache gewesen. Aus beiden persona-Begriffen entwickeln sich erst sehr viel später die heutigen, ebenfalls sehr unterschiedlichen Begriffe von „Person“ und „Persönlichkeit“ in juristischen, psychologischen und diversen sozialen Kontexten, die ich hier nicht alle aufzählen will.

Zu dem Begriff der Hypostase siehe unsere Diskussion:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

und zur Etymologie von „persona“:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

In dem von dir erwähnten christologischen Zusammenhang wird bzw wurde nun um die göttliche und menschliche Natur (Wesen, ousia) Christi gestritten, und entschieden in Chalzedon 451 in dieser (wörtlich) exklusiven Formulierung, daß 1. Christus beide Naturen besitze und 2. in ihm beide Naturen „zu einer Person und einer Hypostase“ (eis hen prosopon kai mian hypostasin) vereinigt seien (henosis).

Diese Formulierung wendet sich vorzugsweise gegen die Nestorianer, die die zwei Naturen als getrennt behaupteten und dementsprechend Christus auch zwei Subjekte (hypokeimena) zuordneten - und gegen die Monophysiten, die nur eine Natur behaupteten.

Hier wird es aber schon kompliziert: Denn Cyrill sprach noch von einer „henosis kath’ hypostasin“ (Vereinigung im Wesen), verwendete also den Begriff „Hypostase“ noch in einem anderen Sinne. Aber Chalzedon vermeidet den Ausdruck „hypostatische Vereinigung“. Erst Konstantinopel 553 formuliert als verbindlich für die katholische Lehre: „Wenn jemand nicht bekennt, daß der Logos Gottes (logos theou) dem Wesen nach (kath’ hypostasin) mit dem Fleisch (sarx = die materiell existierende persona = prosopon) vereinigt wurde und daß es deshalb nur EINE Hypsostase oder nur EINE Person desselben gibt … der sei ausgeschlossen“.

In der Geschichte wird also zweimal die Grundbedeutung „Hypsostase“ gewechselt. Das liegt daran, daß Hypostase auf verschiedenen Begriffs-Ebenen verwendet wurde. Die hier relevante lautet:

Hypostase ist eine individuelle, vollsträndige, für sich bestehende Substanz (substantia singularis completa tota in se) oder auch: eine substantia incommunicabilis = „unübertragbare“ Substanz.

Und die Person (persona) wiederum ist eine hypostasis rationalis (vernünftige Hypostase), also eine spezifizierte Bestimmung der Hypostase. Man kann auch sagen (nach Ludwig Ott, Grundriss der Dogmatik), die Hypostase ist die Trägerin der Natur (ousia) und das letzte Subjekt allen Seins und aller Tätigkeit, „principium quod“, und die Natur (ousia) ist das, wodurch die Hypostase ist, „principium quo“. Also noch ganz im Sinne der aristotelischen Kategorien.

Was Müller da macht, ist ein - im Sinne der damaligen trinitarischen und christologischen Diskussionen - gewagtes Thesenspiel zur Herleitung des menschlichen (d.h. nicht-christologischen) „Person“-Begriffs mit Begriffen, die ursprünglich zu den Bestimmungen der innertrinitarischen „Dynamik“ gehören: „Relationalität“, „Hervorbringen“ (processio ad extra), „inexistieren“ usw. … Gewagt deshalb, weil der Personbegriff in keinem der heutigen Verständnisse damals schon existierte. Er wird vielmehr später dem scholastischen Individuumsbegriff aufgesetzt und hat von damals aus gesehen noch eine lange Geschichte vor sich.

Er ist deshalb nicht ohne Weiteres mit dem Vokabular der Trinitätskonzepte zu bewältigen, weil der Mensch - nach dem damaligen Stand der Dinge - komplett Geschöpf ist, Christus aber nicht.

Ferner gehört der vorscholastische Seelenbegriff komplett in die menschliche Natur, nicht in die Christologie als solche. Aber das ist ein kompliziertes Kapitel und an sich too much für ein Posting.

Man kann jedenfalls im vorscholastischen christologischen Kontext sagen, daß der Mensch keine Hypostase ist. Daß die Seele die Wesenform des Leibes ist (anima … forma corporis humani essentialiter), wird erst im Konzil von Vienne 1311 formuliert. Insofern gehört zur menschlichen Natur Christi ebenfalls eine Seele. Die individuelle Seele wird nach undefinierter Lehre unmittelbar aus Nichts erschaffen. Aber dieses Erschaffen hat nichts zu tun mit der hypostatischen Vereinigung
der beiden Naturen Christi, denn der Mensch hat ja diese göttliche Natur nicht.

Sofern Müller also die damaligen Diskussionen und Formulierungen rezipiert, scheinen mir solche Fromulierungen „bei allen wirklich existierenden Menschen die metaphysische Aktualität [= Hypostase] und die empirisch greifbare individuelle geist-leibliche Natur zusammen“ nicht ganz korrekt zu sein. Sie treffen auf die damalige Christologie zu aber nicht auf jeden Menschen. Erst Meister Eckart um 1300 herum formuliert das funcelin in der Seele, darin sie EINS ist mit Gott …

Na ja, ich hoffe, daß dich das ein wenig durch die verwirrenden Begriffsspiele der damaligen Zeit geleitet?

Gruß

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