Kant / Transzendent / Transzendental ?

Kant vs. Korrespondenztheorie
Hi Balazs.

Ja, ich war gestern auch über diese Stelle (KrV, B 168) gestolpert und verstand sie so, dass Kant die Möglichkeit erläutert und verwirft, dass es so eine Art prästabilierte Harmonie zwischen angeborenen Denkgesetzen und realen Naturgesetzen gibt.

Diese Möglichkeit (der „dritte Weg“) entspricht in etwa dem, was man heute unter Korrespondenztheorie der Wahrheit bzw. philosophischem Realismus versteht, zumindest was den Erkenntnisprozess betrifft, nicht unbedingt, was die Angeborenheit der Kategorien betrifft.

Vertrittst du diese korrespondenztheoretische Auffassung?

Mit Kants Transzendentallehre hat das natürlich gar nichts zu tun.

Zur Korrespondenztheorie:

http://www.gavagai.de/themen/HHP68.htm

Zitat:

„3.1 Korrespondenztheorie … Definition des Aristoteles. Sie gilt als erste Fassung der Korrespondenztheorie der Wahrheit. Die Korrespondenztheorien gehen davon aus, daß Wahrheit eine Sprache-Welt-Beziehung ist. Ein Satz ist wahr, wenn die von ihm aufgestellte Behauptung mit einer Situation in der Welt (auch: Sachverhalt, Tatsache) übereinstimmt.“

Chan

Hi Chan

Diese Möglichkeit (der „dritte Weg“) entspricht in etwa dem,
was man heute unter Korrespondenztheorie der Wahrheit bzw.
philosophischem Realismus versteht, zumindest was den
Erkenntnisprozess betrifft, nicht unbedingt, was die
Angeborenheit der Kategorien betrifft.

Vertrittst du diese korrespondenztheoretische Auffassung?

So kategorisch nicht. Ich verstehe aber warum man die Warheit so lange verzweifelt versucht zu definieren.
Mir gefällt dieses; sie ist unsere wichtigste regulative Idee.
Die Verwirrung kommt (nach meiner bescheidener M) daher, dass in der Analytik wohl absolute Wahrheit gibt und was noch schlimmer ist dort umfasst sie ein beweisbar größeres Gebiet als ihre eigene Beweisbarkeit.
Kling aufs erste Paradox aber dafür strikt beweisbar:smile:(Gödel)
Vor der Veröffentlichung sah er klar, dass bestimmte Kreise das als unwiderlegbares Beweis für ihre Zwecke nutzen werden können:smile:

Hurra die Wahrheit schlägt Beweisbarkeit 1:0 jubelt das verehrte Publikum:smile:
Was wollen diese Ungläubige noch mit ihrem Gelaber von Beweisbarkeitskriterien, läherlich.

Jedes Kind weiss, dass die Aussage 1+1=2 ist wahr. Daher verlangt es überall nach dieser Sicherheit. Eine Trennung ist zwar unbewusst (Unsicherheit) angeboren aber beim Denkarbeit wird erst richtig unterdrückt.

Zur Zeit neige ich dazu, dass die evolutionäre Erkenntnistheorie Kants Traum von der kopernikanischen Wende näher kommt in vielerlei Hinsicht. Der dritte Weg ist hier unter Elektronenmikroskop ausgearbeitet worden, ziemlich genau:smile:

Die Methode ist die gleiche, wenn das Problem von dieser Seite betrachtet offensichtlich nicht recht weiterführt, dann was hindert uns daran (Dogmen, Konventionen, Normen) das umgekehrt jetzt neu von der andere Seite versuchen und dann anschauen wie weit wir damit kommen. Hier ist zwar unumgänglich manche Begriffe neu zu interpretieren aber wenn das weiterbringt dann ist das berechtigt.
Scheint mir vernünftig zu sein.

Nicht verwunderlich, dass hier nicht Philosophen Wissenschaft treiben sondern umgekehrt. Und was für ne Wunder man kommt sofort weiter:smile:

Gruß

Balázs

Ps:Ich habe noch ne Menge sehr berichtigte Kant Kritik, wenn du das brauchen kanst dann sage.

Hi Claus

Ich denke wir verstehen uns aber im Grunde sehr gut.

Das ich manchmal neige auf die Spitze zu treibe lag daran, dass ich erst meinen sprachlichen Horizont durchs Üben erweitern muss und nicht zuletzt an meiner unerschütterlichen Lebensauffassung, demnach:
Der Humor ist für mich eine sehr ernsthafte Angelegenheit, so sehr, dass ich da keinen Spaß verstehen kann:smile:

Gruß

Balázs

Noch was, warum die EE mir so sympathisch ist. der Grundsatz vom ausgeschlossenen Widerspruch ist da auch nicht unantastbar.
Mal sehen wozu das dann führt ist die Devise. (Post, Gödel, usw.)
Ihre Grundannahme ist: alle synthetische Urteile sind hypothetisch.

Maturana/Varela vs. EE
Hi Balazs.

Mit Gödel bin ich gerade nicht auf dem Laufenden, hole das aber nach.

Ein paar Takte zur Evolutionären Erkenntnistheorie:

Zur Zeit neige ich dazu, dass die evolutionäre
Erkenntnistheorie Kants Traum von der kopernikanischen Wende
näher kommt in vielerlei Hinsicht. Der dritte Weg ist hier
unter Elektronenmikroskop ausgearbeitet worden, ziemlich
genau:smile:

Dass die EE wichtige Beiträge zur Erkenntnistheorie leistet, daran zweifle ich nicht. Dennoch bleibt das Problem der Definition von Realität. Wenn Vertreter der EE unter Realität (wie Vollmer) nur das verstehen, was naturwissenschaftlich fassbar ist (entsprechend deiner metaphorischen Formel „unterm Elektronenmikroskop“), dann könnte das den Geltungsbereich der Evol. Erkenntnistheorie auf problematische Weise einschränken.

Dieses Einschränkungs-Problem haben z.B. Maturana und Varela erkannt, die nicht, wie Vollmer, eine „realistische“ Auffassung der Wirklichkeit haben, sondern eine am Buddhismus orientierte „idealistische“ Auffassung.

Sie werfen der realistischen Richtung der EE vor, dass diese in einem logischen Zirkel steckt. Die EE behauptet, dass Zeit und Raum reale Eigenschaften der Welt seien. Maturana/Varela halten dem entgegen, dass dabei das zu Beweisende als Prämisse stillschweigend vorausgesetzt wird.

M/V und andere idealistisch orientierte Wissenschaftler lehnen den Realismusbegriff der EE auch deswegen ab, weil sie die Wirklichkeitsauffassung des Buddhismus bevorzugen. In dieser Auffassung gilt nicht die materielle Erscheinungswelt, sondern die „Shunyata“ (die Leerheit) als einzige „Realität“ (in englischen Texten manchmal „ultimate reality“ genannt).

Diese Shunyata (Leerheit) ist die ultima ratio der buddhistischen Philosophie. Maturana/Varela lassen sich davon inspirieren und stellen daher den realistischen Wahrheitsbegriff in Frage.

Ich zitiere aus einem Fachtext über die „Leerheit“:

http://www.khbrodbeck.homepage.t-online.de/erkenntni…

(S. 215)

"Im Buddhismus
wird der Gedanke, daß etwas ein Etwas ist, in einem Terminus erfaßt, der dem abendländischen
Substanzbegriff entspricht: svabhava, Selbstnatur (8.4-8.6). Die Dinge sind
keine svabhava…
In diesem Sinn ist die Leerheit nicht Nichts, aber doch unaussprechlich. Die
traditionellen Lehrschriften zählen hier viele, meist sind es sechszehn, charakteristische
Entitäten auf, an denen die Leerheit leer ist. Die wichtigste ist hierbei dies, die Leerheit
nicht selbst als ein Etwas, eine Entität zu vermeinen: Die Leerheit ist leer an einer
Leerheit. „Leerheit ist die Abwesenheit von Konstruktionen“, sagt Nagarjuna und
fügt die Warnung hinzu: „Die falsch aufgefaßte Leerheit richtet den, der von schwacher
Einsicht ist, zugrunde – wie eine schlecht ergriffene Schlange oder falsch angewandte
Magie.“

Zitat Ende.

Wenn man Kant damit in Beziehung setzt, könnte Daumen x Pi man sagen: die Shunyata entspricht dem Ding-an-sich, während die Shvabhava (das illusionäre Selbstsein der Dinge) den Phänomenen (Erscheinungen) entspricht.

Die EE argumentiert, dass die Tatsache, dass die Menschheit sich erfolgreich entwickelt hat, beweist, dass die Realitätsstrukturen den Erkenntnisstrukturen zumindest teilweise entsprechen, es gäbe also eine reale Außenwelt.

So sagt Vollmer:

„Unser Erkenntnisapparat ist ein Ergebnis der Evolution. Die subjektiven Erkenntnisstrukturen passen auf die Welt, weil sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese reale Welt herausgebildet haben. Und sie stimmen mit den realen Strukturen (teilweise) überein, weil nur eine solche Übereinstimmung das Überleben ermöglichte“ (Vollmer 1998, S. 102).

Das entspricht dem Wahrheitsbegriff des Pragmatismus = das, was funktioniert, ist wahr bzw. real.

Aus buddhistischer Sicht ist das aber nur „saṃvṛtisatya“ (die verhüllte Wahrheit), also die Interpretation von Phänomenen als scheinbar wirkliche Dinge mit Selbstsein (svabhava). Die andere, die höhere Sicht ist die ‚Wahrheit im höchsten Sinne’ (paramārthasatya). Letzteres entspricht der Shunyata (Leerheit).

Ich stelle das hier deswegen dar, weil du die EE thematisierst und Maturana/Varele (als prominente Kritiker der EE) in ihrer Kritik auch weitgehend buddhistisch argumentieren.

Hier ist noch ein Link zu einer Buchbesprechung betr. Maturana/Varela:

http://www.schattenblick.de/infopool/religion/buddha…

Chan

Hi Balazs.

Mit Gödel bin ich gerade nicht auf dem Laufenden, hole das
aber nach.

Genau so geht es mir mit Maturana/Varela :smile:
Obwohl ich mich durch die Kritik vom Löv (er fehlt mir nur grade ein:smile: und vielen anderen durchgeackert habe, habe diesen Name noch nicht gehört.

Die EE nimmt die Korrespondenztheorie an und ich habe mich zwar nicht ausdrücklich ablehnend distanziert aber da habe ich auch mein Bedenken.
Die neue Sichtweise war was mich beeindruckt hat und die Fülle der gelösten Fragen. Ich kann jetzt mir nicht mehr vorstellen, dass Philosophie in der Zukunft ohne auf der Spitze der Wissenschaft mitmaschieren als rein intellektuelles Disziplin sich weiter behaupten kann.

Mich hat die Tatsache, dass unter den Nobelpreisträger immer mehr Namen aus der buddhistischen Kulturkreis auftauen schwer beeindruckt.
Anscheinend ist es für eine tiefere Einsicht in die „Wirklichkeit“ eine Verschmelzung und nicht der Kampf der Kulturen notwendig.
Ich selbs habe nur marginale Kenntnisse über die Budhismus.
Sehr gut fand ich das Buch von Fritjof Capra Das Thao der Physik und wenn du schon mit Gödel Bekanntschaft zu machen beabsichtigst, dann empfehle ich dir das Buch Gödel, Escher, Bach vom Douglas Hofstadter wo die Denkweise des Zen Budhismus auch behandelt wird.

Was ich von Buddha geschenkt bekam ist (frei aus meinem Gedächtnis):

Der Angekommene lebt ohne Gefühle. Weil der Angekommene alle seine Gefühle mit allen Mittel was ihm zu Verfügung stand gewissenhaft schon durchgeleuhtet hat. So sind aus seinen Gefühlen Wissen geworden.

Richtungweisend.

Gruß

Balázs

Ein paar Takte zur Evolutionären Erkenntnistheorie:

Zur Zeit neige ich dazu, dass die evolutionäre
Erkenntnistheorie Kants Traum von der kopernikanischen Wende
näher kommt in vielerlei Hinsicht. Der dritte Weg ist hier
unter Elektronenmikroskop ausgearbeitet worden, ziemlich
genau:smile:

Dass die EE wichtige Beiträge zur Erkenntnistheorie leistet,
daran zweifle ich nicht. Dennoch bleibt das Problem der
Definition von Realität. Wenn Vertreter der EE unter Realität
(wie Vollmer) nur das verstehen, was naturwissenschaftlich
fassbar ist (entsprechend deiner metaphorischen Formel „unterm
Elektronenmikroskop“), dann könnte das den Geltungsbereich der
Evol. Erkenntnistheorie auf problematische Weise einschränken.

Dieses Einschränkungs-Problem haben z.B. Maturana und Varela
erkannt, die nicht, wie Vollmer, eine „realistische“
Auffassung der Wirklichkeit haben, sondern eine am Buddhismus
orientierte „idealistische“ Auffassung.

Sie werfen der realistischen Richtung der EE vor, dass diese
in einem logischen Zirkel steckt. Die EE behauptet, dass Zeit
und Raum reale Eigenschaften der Welt seien. Maturana/Varela
halten dem entgegen, dass dabei das zu Beweisende als Prämisse
stillschweigend vorausgesetzt wird.

M/V und andere idealistisch orientierte Wissenschaftler lehnen
den Realismusbegriff der EE auch deswegen ab, weil sie die
Wirklichkeitsauffassung des Buddhismus bevorzugen. In dieser
Auffassung gilt nicht die materielle Erscheinungswelt, sondern
die „Shunyata“ (die Leerheit) als einzige „Realität“ (in
englischen Texten manchmal „ultimate reality“ genannt).

Diese Shunyata (Leerheit) ist die ultima ratio der
buddhistischen Philosophie. Maturana/Varela lassen sich davon
inspirieren und stellen daher den realistischen
Wahrheitsbegriff in Frage.

Ich zitiere aus einem Fachtext über die „Leerheit“:

http://www.khbrodbeck.homepage.t-online.de/erkenntni…

(S. 215)

"Im Buddhismus
wird der Gedanke, daß etwas ein Etwas ist, in einem Terminus
erfaßt, der dem abendländischen
Substanzbegriff entspricht: svabhava, Selbstnatur (8.4-8.6).
Die Dinge sind
keine svabhava…
In diesem Sinn ist die Leerheit nicht Nichts, aber doch
unaussprechlich. Die
traditionellen Lehrschriften zählen hier viele, meist sind es
sechszehn, charakteristische
Entitäten auf, an denen die Leerheit leer ist. Die wichtigste
ist hierbei dies, die Leerheit
nicht selbst als ein Etwas, eine Entität zu vermeinen: Die
Leerheit ist leer an einer
Leerheit. „Leerheit ist die Abwesenheit von Konstruktionen“,
sagt Nagarjuna und
fügt die Warnung hinzu: „Die falsch aufgefaßte Leerheit
richtet den, der von schwacher
Einsicht ist, zugrunde – wie eine schlecht ergriffene Schlange
oder falsch angewandte
Magie.“

Zitat Ende.

Wenn man Kant damit in Beziehung setzt, könnte Daumen x Pi man
sagen: die Shunyata entspricht dem Ding-an-sich, während die
Shvabhava (das illusionäre Selbstsein der Dinge) den
Phänomenen (Erscheinungen) entspricht.

Die EE argumentiert, dass die Tatsache, dass die Menschheit
sich erfolgreich entwickelt hat, beweist, dass die
Realitätsstrukturen den Erkenntnisstrukturen zumindest
teilweise entsprechen, es gäbe also eine reale Außenwelt.

So sagt Vollmer:

„Unser Erkenntnisapparat ist ein Ergebnis der Evolution. Die
subjektiven Erkenntnisstrukturen passen auf die Welt, weil sie
sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese reale Welt
herausgebildet haben. Und sie stimmen mit den realen
Strukturen (teilweise) überein, weil nur eine solche
Übereinstimmung das Überleben ermöglichte“ (Vollmer 1998, S.
102).

Das entspricht dem Wahrheitsbegriff des Pragmatismus = das,
was funktioniert, ist wahr bzw. real.

Aus buddhistischer Sicht ist das aber nur „saṃvṛtisatya“ (die
verhüllte Wahrheit), also die Interpretation von Phänomenen
als scheinbar wirkliche Dinge mit Selbstsein (svabhava). Die
andere, die höhere Sicht ist die ‚Wahrheit im höchsten Sinne’
(paramārthasatya). Letzteres entspricht der Shunyata
(Leerheit).

Ich stelle das hier deswegen dar, weil du die EE thematisierst
und Maturana/Varele (als prominente Kritiker der EE) in ihrer
Kritik auch weitgehend buddhistisch argumentieren.

Hier ist noch ein Link zu einer Buchbesprechung betr.
Maturana/Varela:

http://www.schattenblick.de/infopool/religion/buddha…

Chan