Kontinuitätsgesetz philosophie

Hallo @Pfranzy,
du betrachtest ein Rohr, in welches sehr viele Gasteilchen hineinströmen. Aus allen Untersuchungen mit verschiedenen Gasen ist experimentell bekannt, dass die Anzahl der Gasteilchen insgesamt konstant ist. Die Gasteilchen entstehen und verschwinden nicht. (vgl. den Zusatz PS1 unten.)

Wenn nun mehr Gasteilchen vorne in das Rohr hineinströmen als hinten herauskommen, dann steigt folglich die Anzahl der Gasteilchen im Rohr. Das macht keine Probleme, wenn du nur eine kleine Anzahl von Gasteilchen hineinschickst. Du betrachtest hier aber den Fall, dass über einen langen Zeitraum hinweg, in der Modellierung eigentlich unendlich lange, ständig weitere Gasteilchen in das Rohr hineinlaufen. Eine Lösung, bei der die Zahl der Gasteilchen mit der Zeit zunimmt, kommt also automatisch nicht in Betracht. Du hättest über den sehr langen Zeitraum deines Experimentes hinweg ja immer mehr Gasteilchen im Rohr versammelt. Deswegen strömen die Teilchen in der Engstelle schneller, sodass gleich viele Teilchen in das Rohr hineinströmen und aus dem Rohr herausströmen. Das ist gerade die anschauliche Erklärung des Kontinuitätsgesetzes (vgl. PS2.)

Bei deinem Gedankenexperiment ist wichtig, dass du eine quasistatische Lösung suchst. Du musst zwischen dem Anschaltvorgang und dem anschließenden Gleichgewichtszustand unterscheiden. Wenn du dein Gebläse anschaltest und die ersten Gasteilchen in das Rohr hineinpustest, dann stauen die sich vielleicht für einen kurzen Augenblick an der Engstelle. Das kann aber wie oben beschrieben kein Dauerzustand sein, sonst würden es ja immer mehr Teilchen vor der Engstelle.

Du versuchst meines Erachtens, den Vorgang Schritt für Schritt zu verstehen. Erst ist Ruhe, dann kommen die Gasteilchen, warum stauen die sich nicht, warum werden die schneller? Darauf gibt das Kontinuitätsgesetz aber gar keine Antwort. Wir haben diese Fragestellung geschickt umgangen, indem wir gleich die quasistatische Lösung angeben, die sich nach diesem Einschaltvorgang sehr schnell einstellen wird. (vgl. PS3 und PS4.)

PS1. Die konstante Anzahl ist eine Beobachtung. Forumsnutzer @anon2160089 schreibt oben „Es entspricht jeder menschlichen Erfahrung, dass exakt gar nichts plötzlich verschwindet oder auftaucht. Jeder weiß: von nichts kommt nichts. Und das bezieht sich nicht nur auf Dinge, die man anfassen kann, sondern auch auf Gas.“ Die menschliche Erfahrung aus dem Alltag hilft hier nicht besonders weiter, denn Gasatome oder Gasmoleküle sind keine Alltagsgegenstände sondern quantenmechanische Objekte. In vielen Fällen verhalten sich die Gasteilchen noch wie Tennisbälle, also der Anschauung entsprechend, aber bei manchen Experimenten werden auch deren quantenmechanische Eigenschaften sichtbar. Diese entsprechen dann wirklich nicht unser Alltagserfahrung.

PS2. Das Kontinuitätsgesetz besagt eigentlich, dass die Differenz zwischen Anzahl einlaufender und auslaufender Teilchen gleich der Zunahme (bzw. Abnahme) der Anzahl von Teilchen im Innern ist. Damit formuliert das Kontinuitätsgesetz die Teilchenzahlerhaltung. Ob und in welchem Sinne die gilt, muss man experimentell klären. Zum Beispiel beobachtet man in der Hochenergiephysik, dass die bloße Zahl der Teilchen keine Konstante ist, sobald man genug Energie verfügbar hat, um Teilchen-Antiteilchen-Paare zu erzeugen. Das ist bei der Strömung von Gasen in Rohren aber nicht der Fall.

PS3. Die Bewegung jedes einzelnen Gasteilchens wird durch eine schnelle Abfolge von gleichförmiger Bewegung und elastischen Stößen mit anderen Gasteilchen und den Wänden des Rohres beschrieben. Jeder Stoß erfüllt die Energieerhaltung und die Impulserhaltung. Damit ist jede einzelne Bewegung determiniert durch die Gesetze der Klassischen Mechanik. Das technische Problem ist nur, dass wir zu viele Teilchen haben, um alle diese Bewegungen zu berechnen. Deswegen arbeitet man in der Statistischen Mechanik mit statistischen Mittelwerten, also Größen wie Druck, Temperatur und Volumenstrom.

PS4. In manchen Antworten hier im Forum werden die Gasteilchen irgendwie belebt darstellt, so zum Beispiel in „Versetz dich in ein Teilchen und überleg dir, was du in einem Volumenstrom machst, wenn sich der Druck auf einer Seite ändert.“ von @anon2160089. Das führt dich nicht weiter, Denn die Teilchen sind unbelebt, sie haben keinen Willen, treffen keine Entscheidungen und handeln nicht. Ihre Bewegung wird durch die physikalischen Gesetze beschrieben. Letztlich ist die ganze Physik nur eine Beschreibung der beobachteten Welt. Freilich sagen die Physiker oft, dass sie Dinge erklären. Damit meinen sie dann aber, dass sie verschiedene konkrete einzelne Beobachtungen durch eine Gleichung (ein Gesetz) zusammenfassen.

Liebe Grüße
vom Namenlosen

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Ah , also gibt es gar keine (genaue) Antwort auf „wodurch wird es beschleunigt“, weil Physiker es nur beobachten und dazu Formeln aufschreiben und es dann nicht mehr nötig ist, es genau zu untersuchen? Vereinfacht.

Frage Dich doch mal: „wodurch erhält es überhaupt eine Geschwindigkeit?“

Das weiß ich ja halt nicht. Kannst du mir das sagen?
Edit: Ich bin der Meinung , dass es nicht (nur) daran liegt , dass auf der einen Seite der Druck höher ist als auf der anderen. Warum? Wenn die Beschleunigung in der Venengung nur von dadurch erzeugt wird , dass auf der einen Seite der Druck höher als auf der anderen Seite , frage ich mich wie soll denn bitte der Unterdruck überhaupt entstehen? Der entsteht der daduch, dass ja durch die Beschleunigung "Druckenergie " in Kinetischeenergie umgewandelt wird und wenn die Beschleunigung von der Druckdifferenz entsteht, warum sollte dann der Druck abnehmen?

@Der_Namenlose Was sagst Du dazu ?

Weil so wie ich das verstanden habe , hat @Der_Namenlose und auch @KeinesHerrenKnecht gesagt, dass das Kontinuitätsgesetz nicht erklärt (bzw. nicht erklärt werden kann) , WIE genau das Fluid schneller wird.

Hallo @Pfranzy,
hier vermischst du meines Erachtens zwei Dinge:

  • Wir haben einerseits das Kontinuitätsgesetz, den Volumenstrom und den Druck. Diese Größen gehören zu statistischen Mittelwerten. Bei dieser Beschreibung werden keine einzelnen Teilchen betrachtet, sondern man sieht das Gas als einen kontinuierlichen Stoff an. Das Kontinuitätsgesetz sagt dir, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit der Teilchen in der Engstelle höher ist.
  • Wir haben andererseits die Bewegung aller einzelnen Gasteilchen, die als kleine, isolierte Teilchen betrachtet werden. Die Bewegung eines solchen Teilchens kann man im Prinzip berechnen, aber nicht aus dem Kontinuitätsgesetz. Für einzelne Teilchen benutzt man die Gleichungen der Klassischen Mechanik, beschreibt jedes einzelne Teilchen durch seinen Ortsvektor und seinen Geschwindigkeitsvektor (beide als Funktion der Zeit) und berechnet die Geschwindigkeitsänderungen bei der Kollision mit anderen Gasteilchen nach den Gesetzen der Energieerhaltung und der Impulserhaltung. Auf dem Niveau der einzelnen Teilchen kommt die Beschleunigung aus den Kollisionen, wo es einen Energieübertrag und einen Impulsübertrag gibt.

Nun ergibt sich aber die folgende Schwierigkeit: Man weiß, dass die Bewegungen deterministisch sind, also durch die Ausgangslage eindeutig festgelegt. Aber man kann für kein vernünftiges Experiment die Ausgangslage genau bestimmen, weil man ja nicht zu 10^20 (zehn hoch zwanzig ist sehr viel!) Teilchen jeweils den Ort und die Geschwindigkeit messen kann. Deswegen kann man praktisch die Bewegung der einzelnen Teilchen in der Tat nicht berechnen. Allerdings interessiert das auch nicht so besonders. Denn für die Beschreibung des Problems, wie die Luft durch ein Rohr strömt, ist es gänzlich egal, welches Gasteilchen gerade wo ist. Die Mittelwerte

  • wie schnell die Teilchen im Durchschnitt so sind (Temperatur)
  • wie viele Teilchen im Durchschnitt in einem kleinen Volumen stecken (Dichte)
  • daraus kombiniert die Anzahl und Heftigkeit der Stöße mit den Wänden (Druck)

genügen zur Untersuchung vollkommen. Es ist ja gerade die große Leistung von Ludwig Boltzmann, dass er diese Statistische Mechanik erarbeitet hat.

Liebe Grüße
vom Namenlosen

Also ist das so , dass in der Engstelle sich die Teilchen einfach nur schneller und härter kollidieren und dadurch schneller werden und dann auch die Energie Umwandlung von Druck in Kinetische stattfindet, weil sich ja die eben Teilchen alle härter kollidieren?

Es tut mir leid, aber hier lese bzw. denke ich schon wieder "es gibt keine Antwort ".
(Ich bin nicht der hellste.)

Oder ist das einfach nur so mit der Beschleunigung und so , weil das ein Naturgesetz ist? So wie der Magnetismus (oder entstehung des Universums)? @Der_Namenlose
Vereinfacht.

Hallo @Pfranzy,
die Klassische Mechanik ist deterministisch. Das bedeutet, dass aus vollständig bekannten Anfangsbedingungen eindeutig festgelegt ist, wie sich das System in der Zukunft entwickeln wird. Für das Gas in deinem Rohr ist es aber nicht möglich, diese Anfangsbedingungen exakt zu messen. In diesem Sinne kann man die weitere Bewegung der einzelnen Gasteilchen nicht vorhersagen.

Aber bestimmte Mittelwerte stellen sich verlässlich ein. Denn diese sind unabhängig von der konkreten Wahl der Anfangsbedingungen. Wie das genau funktioniert, das ist in der Statistischen Mechanik erklärt.

Die zugrundeliegenden Naturgesetze sind letztlich die Energieerhaltung, die Impulserhaltung, die Drehimpulserhaltung und die Teilchenzahlerhaltung. Daraus ergibt sich dann im Rahmen der Statistischen Mechanik etwa die Kontinuitätsgleichung. Und aus dieser wiederum folgt, dass in einer Engstelle im Rohr das Gas schneller strömt. Das ist also kein eigenständiges Naturgesetz, sondern eine Folgerung aus den oben genannten weitaus allgemeineren Prinzipien.

Liebe Grüße
vom Namenlosen

Also entsteht das „Phänomen“ , also die Beschleunigung des Fluids einfach nur dadurch, dass mehre Gesetze „vorhanden sind“? Mal wieder nur vereinfacht.
PS: Ich wollte dir mal danke sagen @Der_Namenlose . Du schreibst sehr Informative und Mühevolle Antworten, die mir sehr weiter helfen. Ich will damit aber nicht sagen , dass die anderen Beiträge nicht hilfreich sind!

Nein. Es gibt in der Physik keine Gesetze, an die sich etwas halten muss. Die „Gesetze“ sind nur Beschreibungen für das, was man beobachten kann. Und sie gelten auch nur so lange, bis man eine genauere oder besser stimmende Beschreibung kennt.

Newton hat irgendwann mal die Schwerkraft erfunden. Seine Gesetze sind zwar noch allgemein gebräuchlich, weil sie im Alltag hinreichend genau funktionieren. Aber eigentlich sind sie seit Einstein durch bessere Gesetze ersetzt worden. Und nach Einstein kam die Quantenphysik dazu, die wieder neue Gesetze kennt.

Es bleibt halt schwierig…

Naja , also ich meinte wie wir ja schon vor einer weile geschreiben haben, dass es dadruch schneller wird , da es z.b die Massenerhaltung und Energiehaltung „gibt“ oder wie Namenlos geschrieben hat , die Impulserhaltung, Drehimpulserhaltung und Teilchenzahlerhaltung (Das Kontinuitätsgesetz besteht aus (den) Gesetzen). Und es gibt keine genauere „Erklärung“ als diese „Gesetzte“ , zu der Frage , wie die Luft schneller wird , oder?
Ich hoffe , man versteht was ich meine. @Der_Namenlose

@Der_Namenlose .
Könnte eine stark vereinfachte Antwort so aussehen : es gibt Gesetze (z.b Impulserhaltung, Massenerhaltung usw. (Die das kontinuitätsgesetz beschreiben)), und dadurch kann man sich so ein wenig herleiten , was die Ursache ist , dass die Geschwindigkeit in einer Verengung höher ist bzw. das benatwortet es so indirekt?

Ich wollte euch nur mal sagen , dass ich noch sehr jung bin und ich erst in der 9 Klasse bin und daher soll es nicht zu 100% stimmen , sondern es soll einfach nur so ein , dass man es sich so vorstellen kann.
:slight_smile:

Hallo @Pfranzy,
das kann man so sagen. Ich finde, dass du die Zusammenhänge jetzt ganz gut verstanden hast. :+1:
Liebe Grüße
vom Namenlosen

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Hallo @anon2160089,
der Aussage

Es gibt in der Physik keine Gesetze, an die sich etwas halten muss.

möchte ich entschieden widersprechen. Meines Erachtens ist eher das Gegenteil richtig. In der Naturwissenschaft müssen sich die Objekte exakt an die Gesetze halten.

Die Menschen einer Gesellschaft „müssen“ sich gar nicht an die Gesetze halten. Ich habe bei jedem Gesetz die freie Willensentscheidung, ob ich es befolge oder breche. Im letzteren Fall muss ich natürlich mit den Konsequenzen leben. Aber ich habe die Möglichkeit, gegen die Gesetze unserer Gesellschaft zu verstoßen.

Die Objekte der Physik, Elektronen und Gasmoleküle und sonstige elementare oder weniger elementare Teilchen, haben aber keinen freien Willen und somit auch keine Willensentscheidung. Sie müssen sich exakt an die Gesetze der Physik halten. Und sie tun das auch permanent. Wenn ich das gleiche Experiment eine Million mal durchführe und eine Million mal Elektronen in ein elektrisches Feld schieße, dann fliegen alle Elektronen nacheinander auf der gleichen Bahn. Kein einziges Elektron tanzt aus der Reihe, keines ist individuell. Tatsächlich zeigt sich in der Quantenmechanik, dass die elementaren Teilchen prinzipiell ununterscheidbar sind (vgl. PS1).

Du schreibst

[Die Gesetze] gelten auch nur so lange, bis man eine genauere oder besser stimmende Beschreibung kennt.

Das trifft meines Erachtens die Sache nur fast. Wer einen physikalischen Prozess (Bewegung von Gasteilchen oder fallenden Regentropfen oder von Autos bei einem Autounfall oder …) vorhersagen möchte, der muss den Vorgang durch ein mathematisches Modell beschreiben und kann im Rahmen dieses Modells dann etwas ausrechnen und eine Vorhersage formulieren. Das Wort Modell zeigt schon, dass der arbeitende Wissenschaftler hier nur Teile der Wirklichkeit betrachtet. Eigentlich müsste man wohl quasi den gesamten Kosmos berücksichtigen, weil natürlich die Bewegung des Regentropfens auch ein kleines bisschen durch die Anziehungskraft der Sonne und des Mondes und eine Luftdruckschwankung und den Lichteinfall von der Sonne und sämtlichen Fixsternen und die Druckwelle eines vorbeifliegenden Vogels usw. beeinflusst wird. Durch eine geeignete Wahl des Modells lässt man alle kleinen Effekte außen vor und rechnet nur mit den wichtigsten Einflüssen. Dann kommt natürlich auch nur eine Näherung als Ergebnis heraus. Je genauer man das Ergebnis haben möchte, desto mehr Einflüsse müssen berücksichtigt werden.

Das heißt, im Rahmen der jeweiligen Modellierung gelten die Gesetze exakt (vgl. PS2). Aber die beteiligten Teilchen folgen diesen Gesetzen nur näherungsweise, weil die Modellierung nicht exakt ist. Und die wahren Gesetze bleiben vielleicht für immer unbekannt. Bislang jedenfalls haben wir nur immer bessere Modelle entwickelt, aber immer ist klar, dass wir das letzte Ziel, die grand unified theory, noch nicht gefunden haben.

PS1. Dazu schreibt das Lexikon der Physik von Spektrum:

[Identische Teilchen] sind im Prinzip ununterscheidbar und führen deshalb beim Abzählen der möglichen Quantenzustände eines Mehrteilchensystems zu einer Statistik, die von der klassischen Maxwell-Boltzmann-Statistik deutlich verschieden ist. Teilchen mit ganzzahligem Spin folgen der Bose-Einstein-Statistik […] Teilchen mit halbzahligem Spin […] dagegen […] werden nach der Fermi-Dirac-Statistik verteilt.

PS2. Der physikalische Sachverhalt, die reale Welt, wird beschrieben durch ein mathematisches Modell. Im Rahmen dieses Modells wird mit den Methoden der Mathematik gearbeitet. Die Folgerungen, Rechnungen und Herleitungen sind im Rahmen des Modells exakt. Denn die Mathematik ist exakt und perfekt logisch. Die Vorhersagen des Modells werden dann wieder in die reale Welt zurückübersetzt. Und dort beschreiben die Wirklichkeit nur näherungsweise, weil ja da verwendete Modell nur eine Näherung ist.

Liebe Grüße
vom Namenlosen

Es gibt keine Gesetze in der Physik.

Lieber @anon2160089,
das könnte eine interessante Diskussion werden, wäre aber hier in diesem Thread off topic. Darum verfolge ich das hier nicht weiter.
Liebe Grüße
vom Namenlosen

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