Luhmann - soziale systeme

hallo,
ich studiere soziologie und bräuchte von euch eine bestätigung/einschätzung, ob ich die systemtheorie von luhmann halbwegs verstanden habe (dachte mir schon 2x:„jetzt hab ichs“ … und dann lag ich doch wieder falsch *g*) … also (ich glaube ich streube mich vor systemen ohne individuen):

  1. in sozialen systemen gibt es keine individuen, WEIL: die kleinste einheit in soz.sys. die kommunikation ist und luhmann kommunikation als etwas definiert, das nur zwischen zwei individuen stattfinden kann (als deren gemeinsame schnittmenge). ein selbstgespräch wäre also - im rahmen der soz.sys. - nicht analysierbar (das wäre dann die ebene psychischer systeme, oder?)?

  2. psychische systeme sind die umwelt von sozialen systemen (hab ich zumindest in der form in einem buch gelesen). aber wie soll ich mir das bitte genau vorstellen?!?
    angenommen 2 wissenschaftler diskutieren über - k.a. - schwerkraft. dann wäre das die ebene soz.systeme (im rahmen des wissenschaftl. teilsystems - sofern wirklich NUR über die schwerkraft gesprochen wird). macht wissenschaftler A zwischendurch mal etwas smalltalk und fragt B nach seinen freizeitaktivitäten, wäre das dann ein wechsel in die psychischen systeme? und wenn die beiden wissenschaftler dann - von schwerkraft, über freizeit - auf ein fahrrad zu sprechen kommen, das B von A gerne erwerben würde, wäre ich dann im teilsystem wirtschaft? … und die wissenschaftler wären quasi immer elemente aller teilsysteme - je nach gesprächsthema?
    also geht es im prinzip nur um diskurs-stränge?

ihr seht schon, so ganz klar ist mir das ganze wohl doch noch nicht. ist irgendwie einfach nicht wirklich greifbar. wäre froh, wenn da jemand licht ins dunkel bringen könnte *g*

danke schon im voraus
sambold

Hallo Sambold,

vielleicht bist du im „Forum der Luhmann-Einsteiger“ auf http://www.luhmann-online.de/phpBB2/index.php besser aufgehoben? Falls dir hier niemand antwortet, wäre das möglicherweise eine sinnvolle ALternative.

Gruß, Kristine

_ Liebe/r _ Sambold _ ! _

  1. in sozialen systemen gibt es keine individuen,

yepp

WEIL: die
kleinste einheit in soz.sys. die kommunikation ist und luhmann
kommunikation als etwas definiert, das nur zwischen zwei
individuen stattfinden kann (als deren gemeinsame
schnittmenge). ein selbstgespräch wäre also - im rahmen der
soz.sys. - nicht analysierbar (das wäre dann die ebene
psychischer systeme, oder?)?

Soziale Systeme reihen Kommunikation an Kommunikation,
psychische Systeme (Bewusstseine) kommunizieren gar nicht, sie
reihen Wahrnehmung an Wahrnehmung bzw. Gedanken an Gedanken.

Sobald diese Wahrnehmung kommuniziert wird, kann das nicht in
psychischen Systemen stattfinden, sondern eben im sozialen
Kontext.

Insofern kann natürlich ein Selbstgespräch unmöglich „sozial“
sein, freilich sind die Gedanken durchaus sozial bedingt, aber
das hängt mit der strukturellen Kopplung von psychischem und
sozialem System zusammen.

  1. psychische systeme sind die umwelt von sozialen systemen
    (hab ich zumindest in der form in einem buch gelesen). aber
    wie soll ich mir das bitte genau vorstellen?!?

Relativ einfach zu verstehen: jedes System, das anders
funktioniert, mit einem anderen Medium operiert, als das
beobachtende System ist für dieses beobachtende System
„Umwelt“.

Da das soziale System eben kommuniziert, das psychische System
aber wahrnimmt bzw. denkt, ist das psychische System „Umwelt“
für das soziale System (das heißt, dass das soziale System nie
das psychische System wirklich erfassen kann, es kann niemals
das kommunizieren, was ein einzelnes Bewusstsein denkt oder
wahrnimmt).

Unterscheiden muss man übrigens beim „Umwelt“-Begriff zwischen
„systemischer“ Umwelt wie dies das psychische System für das
soziale System ist (weil die beiden System unterschiedliche
Medien haben), und „teilsystemischer“ Umwelt, wie etwa das
politische Teilsystem der Gesellschaft (also des sozialen
Systems) die Umwelt des ökonomischen Teilsystems ist, obwohl
beide das Medium „Kommunikation“ benutzen (da ja beide soziale
Systeme sind), aber unterschiedliche „Codes“ besitzen
(überlegene/unterlegene Macht vs. zahlen/nicht-zahlen).

angenommen 2 wissenschaftler diskutieren über - k.a. -
schwerkraft. dann wäre das die ebene soz.systeme (im rahmen
des wissenschaftl. teilsystems - sofern wirklich NUR über die
schwerkraft gesprochen wird). macht wissenschaftler A
zwischendurch mal etwas smalltalk und fragt B nach seinen
freizeitaktivitäten, wäre das dann ein wechsel in die
psychischen systeme?

Nein, Denken kann man nicht kommunizieren, man kann es nur
denken.

SmallTALK ist aber genauso Kommunikation wie Schwerkraft-Talk
auch.

Allerdings kann das Wissenschaftssystem als Teilsystem des
sozialen Systems, das nach wahr/unwahr unterscheidet (also nur
Dinge aufnimmt, die grundsätzlich wahr oder unwahr sein
könnten), den Smalltalk nicht erfassen, kommunikativ ist
dieser aber sehr wohl, damit eben auch „sozial“.

und wenn die beiden wissenschaftler dann

  • von schwerkraft, über freizeit - auf ein fahrrad zu sprechen
    kommen, das B von A gerne erwerben würde, wäre ich dann im
    teilsystem wirtschaft?

yepp, my dear, so ist es!

… und die wissenschaftler wären quasi
immer elemente aller teilsysteme - je nach gesprächsthema?

grundsätzlich yippieyepp, aber stell es dir nicht so
kompliziert vor, niemand ist 24 Stunden am Tag
Wissenschaftler, als Wissenschaftler tritt er nur auf, wenn er
Wissenschaft betreibt (also Dinge auf ihre Wahrheit befragt),
wenn er was kaufen will, ist er Käufer, wenn er wählen geht,
ist er politischer Wähler, wenn er seinen Kinder bei den
Hausaufgaben hilft, ist er Erzieher, etc.

Stör dich also nicht daran, dass in seinem Personalausweis
„Wissenschaftler“ steht, das interessiert die Systemtheorie
nicht, sie besitzt einen anderen Identitätsbegriff.

übrigens ist das auch die Crux der „funktionalen
Differenzierung der Gesellschaft“, in der -anders als in der
vorhergehenden- stratifikatorischen Differenzierung der
Gesellschaft nicht die ganze Person einen festen Platz in der
Gesellschaft hat, z.B. der König das Oberhaupt aller ist - und
das 24 Stunden 7 Tage die Woche egal ob er was kauft, seine
Kinder haut, oder aufm Klo sitzt.
Gerade aufm Klo waren die Könige stets am königlichsten.

Der Wissenschaftler ist kein König, wenn der wählen geht, hat
auch er nur eine Stimme, wenn er was kauft, bezahlt er dafür
genauso wie jeder andere, denn in diesen Sinnwelten
interessiert es seine sozialen Kommunikationspartner nicht,
dass er sich als „Wissenschaftler“ empfindet, oder dass das in
seinem Perso steht.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €


Der Mensch ist zur Rauchfreiheit verdammt!
(Sartre, Das Schwein und das Nichts)_

hallo candide,

danke, dass du dir die mühe gemacht und bei mir etwas licht ins dunkle gebracht hast. glaube ich durchblicke das ganze jetzt etwas besser … auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass ich im laufe der zeit noch auf die ein oder andere ungereimtheit stossen werde, die mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen ist *g*

nur eines konnte ich noch nicht ganz abhaken … das selbstgespräch.
wie wäre das denn jetzt wirklich zu klassifizieren? als selbstgesprächs-teilsystem, system der geistigen wirren??? … keine ahnung.

im prinzip kann man ja auch nicht wirklich von kommunikation reden, da der interpretierende gegenspieler fehlt … oder zumindest nur in der vorstellung existiert und somit - im prinzip - ja eine schöpfung des eigenen organismus/bewusstseins ist. dann wäre aber das gesprochene wort eigentlich ja auch nicht viel mehr, als das leise gedachte.

wohin also mit diesen dummen selbstgesprächen?!? *g*

Lieber Sambold!

wohin also mit diesen dummen selbstgesprächen?!? *g*

NIKLAS UND SEIN SELBSTGESPRÄCH

Ich denke, das Selbstgespräch sollte für den Luhmannisten kein so großes Problem darstellen:

Ein Selbstgespräch ist eine Verknüpfung sinn hafter Elemente.
Sowohl das psychische wie das soziale System verabeiten Sinn, das psychische im Denken , das soziale kommunikativ.

Wenn ich also ein Selbstgepräch führe, dann denke ich - egal ob laut oder leise.

Wenn dabei kein Anderer Zeuge dieses meines Selbstgesprächs wird, dann kann auch mein lautes Denken keine Kommunikation sein, denn zur Kommunikation gehören bekanntlich wesentlich Sender und Empfänger.
(für Luhmann ist sogar der Empfänger der Wichtigere, er konzipiert den Kommunikationsvorgang nicht als Mitteilungsvorgang, sondern als Verstehensvorgang, nicht als Ego-Alter, sondern als Alter-Ego)

Wenn ein Anderer nun Zeuge wird, obwohl ich das so bewusst nicht wollte, weil ich ja ein Selbst gespräch führen wollte, dann tut das der Sache keinen Abbruch, weil es dem Beobachter meiner Kommunikation egal sein kann, ob ich nun ab- oder unabsichtlich in lauter Form selbstsprach.

Ein solches Selbstgespräch ist Kommunikation, und damit ein sozialer Akt, Kommunikation im Modus des (versehentlich lauten) Selbstgesprächs, aber dennoch Kommunikation.

Als Luhmannist darfst du nicht denken, solche Dinge wie Selbstgespräche als solche auf Systeme aufteilen zu wollen, es geht nicht um das Ding „Selbstgespräch“ selbst, es geht um den Anschluss an das Selbstgespräch, und Kommunikation schließt halt nur an, wenn es für einen Empfänger vernehmbar war.

Nimmt dieser dann den kommunikativen Faden nicht auf, dann bricht die Kommunikation gleich wieder ab, aber sie war da, weil das Bewusstsein von Alter durch das Bewusstsein von Ego „irritiert“ (terminus technicus Luhmannicus) werden konnte, und das eben notwendig kommunikativ, da es Gedankenübertragung für uns Normalsterbliche nicht gibt, also auch für Luhmannisten nicht.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €


Niklas sprach mit sich nicht immer wie er dachte._

Vielleicht koennen die „Luhmanns“ hier weiter helfen? Systeme - immer Opfer ihrer Widerspruechlichkeit?