Hallo Andreas,
zunächst einmal: Das Mittelalter war nicht ganz so ein Loch, es ist einfach wenig überliefert worden. Das wiederum hat seine Gründe darin, dass es eine sehr dynamische Zeit war, die auch immer wieder Änderungen erforderte. Addiere dazu die Tatsache, dass es durchaus unterschiedliche Ansichten in unterschiedlichen Ländern gab und Du bekommst etwas, was uns (und nur uns aus heutiger Zeit) als chaotisch erscheint.
Zunächst einmal musst Du einen Unterschied machen zwischen Stadtwachen, Stadtmilizen, Privatmilizen (noch so ein Ding das jeder vergißt), stehendem Heer (auch solches gab es, wenn auch rudimentär) und Heer. Ergänzend kamen dann noch die Marinen der einzelnen Länder hinzu, die ja gerne mal vergessen werden.
a.) Stadtwachen
hatten hauptsächlich Polizeifunktionen. Die Organisation wurde deswegen nur teilweise in Einheiten durchgeführt. Einheiten waren meist Gruppen von 4-8 Männern die z.B. Kontrollaufgaben an den Toren hatten. Solche Einheiten hatten die verschiedensten Bezeichnungen (Fähnlein, Squadron, Gruppe, …) meistens aber nur die Männer von XXX. XXX in diesem Fall der Anführer (Wachtmeister, Sergeant, Korporal). Dabei gilt es durchaus etwas aufzupassen. Denn die Begriffe Sergeant und Korporal wurden beim Kriegsheer entliehen, hatten dort aber eine andere Bedeutung. Innerhalb einer Stadtwache, vor allem bei kleineren Städten unterstand der Sergeant nämlich sehr schnell gleich dem Bürgermeister oder dem Entsprechenden Stadtherren).
b.) Stadtmilizen waren nicht über die ganze Zeit vorhanden oder wenn, dann nur als Rudiment. Sie wurden in Krisenzeiten durch Aushebung und Freiwillige ganz gewaltig aufgeblasen. Die ersten Reservistenübungen sind übrigens so um 1200 aus Köln überliefert soviel ich weiß. Es handelte sich in erster Linie um eine meist recht eilig zusammengestellte Verteidigungmacht. Das Problem der Führung wurde meist dadurch gelöst, dass Ritter, Sergeanten der regulären Stadtwache und wer halt sonst mit kriegerischer Erfahrung zur Hand war, bestimmte Abschnitte der Mauer übernahm. Und da man in einer Stadt fleissig Leute von einer Seite auf die andere schicken konnte, hing die Hierarchie weniger davon ab, wem ein Soldat zugewiesen war sondern mehr wo der Soldat sich gerade befand. Da solche Milizen trotz allem eher zahlenmäßig klein waren, gab es zwischen dem Chef der Nordmauer und den Soldaten der Nordmauer eigentlich keine Ebene mehr. In Einzelfällen wurden mal schnell ein oder zwei Korporäle ernannt (quasi als Spontanbeförderung). Diese Vorgehensweise führte dazu, dass der Korporal (und der später hinzugekommene Lance Corporal) eigentlich aus dem Mannschaftsstand kommen. Hübsches Beispiel dafür, wie hartnäckig solche Milizen sein konnten ist die Belagerung der Stadt Neuss durch 1474/75 durch Karl den Kühnen.
c.) Privatmilizen gab es in allen Formen und Farben. Die großen Handelshäuser hatten solche Milizen, die Hanseherren unterhielten sie und manches Mal handelte es sich auch einfach um sehr langfristig ausgeliehene Söldnertruppen großer Herren, die diesen mehr vertrauten als ihren regulären Truppen. So waren Privatmilizen durchaus beliebt als Leibwachen. Die Organisation änderte sich von Fall zu Fall. Während beispielsweise die Milizen einiger Hanseherren eher so etwas wie Vorläufer einer Marineinfanterie darstellen (dementsprechend in die Schiffsorganisation eingebunden waren), waren beispielsweise die Milizen der Fugger, der Medici und der Borgia (sowie anderer italienischer Häuser) entweder auf Stadtkampf (sehr beliebt in Italien) ausgerichtet oder, wie im Bereich der Fugger auf Schurtz der eigenen Handelsrouten. die Stadtkampfvariante führte zu einer recht starken Ebene zwischen Soldaten und Befehlshabern, also einer eher breiten Hierarchie. Der Begriff des Sergente taucht zur Zeit der Medici in Florenz auf nachdem er bereits vorher während der Kreuzzüge in Verwendung war, aber in Vergessenheit geraten war. Anders herum waren die Fugger’schen Soldaten eher schlank organisiert, ähnlicher einem Kriegsheer.
d.) Stehendes Heer
auch solches gab es, genauso wie „stehende Flotte“. Allerdings handelte es sich hierbei zumeist eben um die Anführer, also eigentlich Lehnsherren, Ritter, die für eine Weile am Hof „stationiert“ waren. Es existierte also bereits die Rahmenorganisation, die im Falle eines Falles durch Heerschau auf Größe eines Kriegsheeres gebracht wurde. Hier und nur im Falle königlicher Heere, gilt die allgemeine Ansicht, dass es mehr in die Männer des sowieso organisiert war. Allerdings selbst hier, je nach Land und Situation in unterschiedlichem Maße.
e.) Kriegsheer
Das war das stehende Heer plus ausgehobene Soldaten. Wobei man hierbei drei Sorten ausgehobenen unterscheiden muss. Männer, die ihrem Lehnsherrn folgten (die dieser also bereits lange kannte und die demzufolge schnell Unteroffiziersfunktionen übernehmen konnten), Söldner+Freiwillige (denn das Mittelalter war ja auch die Zeit, als Soldat zum Beruf werden konnte) und wirklich Zwangsausgehobene. Die waren dann einfach nur das Kanonen- errr Armbrustfutter.
Einem Hauptmann/Captain unterstand meistens eine Kompanie. Um diese Kompanie zu führen erhielt er einen Sergeant/Wachtmeister/Feldwebel sowie eine Anzahl Korporale mit bestimmten Aufgaben (die sich auch im späten Mittelalter auf die nicht kämpfenden Teile einer Kompanie erstrecken konnten, z.B. Pferdeknechte). Allerdings war die Hierarchie nicht so straff und undurchlässig wie man aus heutiger Sicht annimmt. Der Wachtmeister/Feldwebel/Sergeant (Feldwebel und Sergeant teilten sich später in zwei echte Ränge) konnte durchaus auch von Adel sein. Er konnte auch durchaus, wenn er sich ausgezeichnet hatte, geadelt werden, blieb aber trotzdem Sergeant aufgrund seiner Funktion. Schöne Einsicht findest Du ach bei Shakespeare in Heinrich.
Das Ganze konnte sich natürlich noch von Fall zu Fall etwas wandeln, z.B. je nachdem ob man es mit Reiterei, Infanterie (oft Speerträgern verschiedenster Fassion), Schützen (Bogen und später auch Armbrust) und gegen Ende des Mittelalters sogar mit Artillerie zu tun hatte (im 15.Jahrhundert tuachen die ersten eigenständigen Artillerieeinheiten auf). Eine besondere Rolle spielten Bergtruppen (schönes Einsatzbeispiel am Montsegur), Festungsbauer und die Genietruppen (also das, was sich später zu den Pios mauserte). Die hatten dan manchmal noch ganz eigene Vorstellungen von Rängen, Funktionen und deren Benennungen.
Die Marine spare ich mir jetzt, die liegt vermutlich außerhalb Deines derzeitigen Interesses. Als erster Abriss über was so an Land kreuchte und fleuchte gibt das vielleicht einen Anhaltspunkt. Wenn Du etwas Bestimmtes suchst, frag einfach, dann kann ich vielleicht auch gezielter was dazu finden.
Gruß
Peter B.
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