Nicht 'Opferlike' genug?

Hallo Builder,

und da fehlen einem dann die Worte: Vorwiegend Dumpfbacken tun
sich dann als Dampfplauderer und Sprücheklopfer hervor.

du hast vollkommen recht.
Ich bin bei T-online. Wenn man da die Nachrichten ansieht, ist für jede kleinste Quatsch-Meldung ein Schwarm von Kommentaren vorhanden.

Das ist so blödsinnig, daß ich nach einiger Zeit gar nicht mehr hinschaue.
Die Leute müssen direkt lauern, bis eine neue Meldung kommt und sich dann irgendwie blitzartig mit ihrem Stuß einklinken.

Gruß

watergolf

Dank dir für deine Wut!
Du hast mir sehr, sehr geholfen.

Karin

Hallo,

der Beitrag von Ayse hat in mancherlei Hinsicht eine extrem hohe Qualität und insbesondere Intensität (wie manch andere Beiträge von Ayse ebenso). Aus meiner Sicht bedarf der Beitrag keinerlei (kritischen) Kommentars, weder zustimmend noch ablehnend. Beides ist meist schädlich. Manche Dinge soll, kann und muss man einfach so stehen lassen wie sie sind.

Franz

schreib doch eine PN

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Zustimmung! (owt)
o hne w eiteren T ext

Hallo,

Ehrlich gesagt, die meisten Menschen vergessen, das sie
einfach ein Kind war und keine Erwachsene, die sich sicher
anders verhalten hätte.Oder auch nicht. Das sie eben total
abhängig war von ihrem Entführer. Und sie vergessen auch, das
sie auch jetzt noch kein typischer Erwachsener ist.

Das nicht-typisch sein, scheint viele Menschen zu irritieren oder sogar zu ärgern. Wir sind es gewohnt, dass alles uniform ablaufen soll. Das fängt mit der Käseglocke der Schule an - wer da aus dem Rahmen fällt wird schnell stigmatisiert. Wenn jemand aus diesem Rahmen der Erwartung fällt, dann hat er leider in der Gesellschaft oft verloren - es sei denn, man ist ein prominenter Künstler.
Das typische Opfer soll nicht die Öffentlichkeit suchen, sondern sich ducken und verschwinden, größtenfalls noch etwas ehrenamtlich Gutes tun. Dass aber Frau Kampusch an die Öffentlichkeit gegangen ist, passt nicht ins Bild, genauso wenig, wie sie spricht (viel zu gebildet und wortgewandt).

Vielleicht erwarten sie einfach mehr Tränen, mehr Details, ich
kenne einfach viele, die sie seltsam finden. Sich fragen,
warum der Kontakt zu den Eltern schlecht ist, sich fragen,
warum sie sich so ruhig und entspannt benimmt, wo man doch
erwarten würde, das sie jeden Moment in Tränen ausbricht.

Da wird dann jedes Detail herausgesucht, um zu bestätigen, dass sie kein Opfer ist, sondern selber schuld. Sie geht zwar an die Öffentlichkeit, lässt sich interviewen, aber gibt nur bis zu einer gewissen Grenze etwas preis - die Öffentlichkeit will aber mehr. Sie gibt sich nicht mit dem kleinen Häppchen zufrieden. Wenn etwas im Dunkeln liegt, dann gibt es Raum für Spekulationen.

Ich glaube, dass bei den Personen, die diese herablassenden oder alles in Frage stellenden Sprüche loslassen schon in gewisser Weise einen Neid in sich tragen. Das soll nicht bedeuten, dass sie das gleiche selber erleben wollen, aber das sie nicht verstehen, wie sie halbwegs aufrecht vor die Kamera treten kann. Ähnlich hat man das auch bei Susanne Osthoff vor sieben Jahren erlebt - es gab nicht die genauen Fakten, wie es die Öffentlichkeit gefordert hat und sie war zu unbequem für die typische Rolle eines Opfers.

Viele Grüße

Tätermentalität und Faszination des Grauens
Hallo,

Wobei das noch die harmlosen Aussagen sind!

So ist es!

Was ist das für ein Typ Mensch,der solche Äußerungen von sich gibt?

Ich würde mich so weit aus dem Fenster hängen, einem Teil dieser Äußerungen Tätermentalität zu unterstellen. Und das würde ich auch jedem deutlich machen, bei dem ich live eine solche Äußerung mitkriegen würde.

In einem anderen Teil solcher Äußerungen höre ich Enttäuschungs-Wut. Ähnlich, wie man es von Reaktionen bei der (natürlich viel harmloseren) sog. Symphorophilie kennt: Da hat nun mal jemand leibhaftig das Grauen par excellence erlebt und durchlebt, und überlebt - und es ist ihr verdammt nochmal nicht im Gesicht abzulesen (zumindest für Unkundig nicht). Stattdessen eine perfekt kontrollierte Rhetorik, eine (in Wirklichkeit nur scheinbar und nur oberflächlich betrachtet) ausgeglichene Mimik, und unter geschickter Umgehung gerade der Inhalte, auf die diese Mentalität ja gerade so scharf ist.

Es ist nun mal diese seltsame Komponente „Faszination“, die das Grauenhafte und Panikerzeugende neben dem „Schrecken“ an sich hat. Wir hatten es vor langer Zeit hier mal ausführlicher zum Thema gemacht:
/t/zuschauer-bei-hinrichtungen/2030727/32

Sie ist es, die hier „enttäuscht“ und frustriert wird. Und das erschreckende Maß der Verachtung und des Hasses, von dem solche Zitate Zeugnis geben, zeigt die Intensität dieser Frustration.

Jedenfalls läuft es einem kalt den Rücken herunter. Allein schon in den Zitaten.

Gruß
Manfred

Ja, und…

der Beitrag von Ayse hat in mancherlei Hinsicht eine extrem
hohe Qualität und insbesondere Intensität (wie manch andere
Beiträge von Ayse ebenso). Aus meiner Sicht bedarf der Beitrag
keinerlei (kritischen) Kommentars, weder zustimmend noch
ablehnend.

…es bleibt deine Sicht!

Beides ist meist schädlich.

Das ist deine mutwillige Behauptung!

Manche Dinge soll, kann
und muss man einfach so stehen lassen wie sie sind.

Wer ist denn „man“?

Gruß

Hallo Franz,

der Beitrag von Ayse hat in mancherlei Hinsicht eine extrem
hohe Qualität und insbesondere Intensität (wie manch andere
Beiträge von Ayse ebenso).

Das sowieso!

Aus meiner Sicht bedarf der Beitrag
keinerlei (kritischen) Kommentars, weder zustimmend noch
ablehnend. Beides ist meist schädlich. Manche Dinge soll, kann
und muss man einfach so stehen lassen wie sie sind.

Du hast sicher Recht, und wahrscheinlich hab ich das instinktiv gespürt. Ich weiß nicht, warum es mich so danach drängt, zu sagen, was daran ich nachvollziehen kann, was mir unverständlich ist, wofür ich sie bewundere, und was mich schockiert.

schreib doch eine PN

Ohne ihre Zustimmung möchte ich das auch nicht per PN schreiben. (Wie geht das überhaupt? Mit dem roten Briefumschlag?) Ich will auch nicht per PN nachhaken, ob eine PN in Ordnung wäre. Ich gehe davon aus, dass sie es mich wissen lassen wird, wenn es okay ist.

Gruß
M.

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Hallo

Natürlich kannst du gerne nachhaken.
Ich möchte nur sehr ungerne ùber Details schreiben, aber werde versuchen deine Fraagen soweit mir möglich zu beantworten.
Ich hoffe, dass der eine oder andere sogar was für sich mitnehmen kann.

Grüße
Ayse

Hallo,

in der Tat gibt es eine nicht zu unterschätzende Klientel, die das Bild des auf Dauer gebrochenen, leidenden, und nur auf die Tat und deren Folgen beschränkten Opfers sexueller Gewalt für ihr Weltbild brauchen. Dazu gehört dann auch die Entmenschlichung von Tätern, die ebenfalls ausschließlich auf die Täterrolle reduziert werden, und eine Tatvorstellung, die ausschließlich von schlimmstmöglichen Begehungsformen ausgeht, und jegliche Umstände ausblendet, die eine Tat individualisierbar machen würde, und zur gedanklichen Auseinandersetzung mit einem konkreten „Mitmenschen“ zwingen würde, der zum Täter geworden ist. Denn nur so kann man bei pauschalen „Kopf-/Schwanz-ab“-Forderungen bleiben, die aus dieser Klientel dann zu hören ist, und nur so kann man sein eigenes Helfersyndrom zumindest emotional ausleben und vermeidet die Auseinandersetzung mit seiner eigenen verkorxte Einstellung zu Körperlichkeit und Sexualität.

Und so verwundert eine Geschichte aus Zeiten meiner Kriminologie-Vorlesungen auch nicht, wo eine Studie über die Erfolge bei der Behandlung von Opfern sexueller Gewalt aus einer solchen Klientel massiv angegangen wurde, weil damit eben das Bild des ewig leidenden Opfers zerstört wurde. Und statt sich für tatsächlich betroffene zu freuen, denen man mit geeigneten Therapieformen tatsächlich gut helfen kann, wurde von „Verharmlosung von Sexualdelikten“, „Beleidigung der Opfer“, … gesprochen.

Und für solche Leute passt natürlich ein Opfer, dass man sich nicht anonym gramgebeugt und ausschließlich leidend vorstellen kann, sondern dass greifbar als konkrete Person gutaussehend mit sicherer Stimme in die Öffentlichkeit tritt natürlich gar nicht ins Weltbild. Also kann die ganze Geschichte doch gar nicht wahr sein, muss da irgendetwas anderes hinterstecken, hineingeheimnist werden, … Denn ein echtes Opfer wäre ja …

Und dann wird sich eben an Dingen aufgehängt, bei denen man sieht, dass dieser Klientel alleine auch schon die Möglichkeit fehlt, überhaupt passende Maßstäbe an so einen konkreten Fall zu legen, und werden Dinge wie die Vermarktung am Maßstab eines Durchschnittsmenschen gemessen, der ganz normal sozialisiert ist, genau weiß, wie die Zusammenarbeit mit bestimmten Medien in der Öffentlichkeit ggf. aufgefasst wird, sich aufgrund normaler Ausbildung und Arbeit keine Gedanken um seine finanzielle Situation machen muss, … Und schließlich blendet man auch noch vollkommen aus, dass hinter einen noch so schönen Gesicht und einer noch so festen Stimme durchaus eben ein Opfer massiver Verbrechen stecken kann, die noch lange nicht verarbeitet sind, dass aber eben trotz Opferrolle eben auch noch ganz normaler Mensch ist, der sich eben im Alltag bewegen muss, versucht möglichst schnell wieder in eine Normalität zu kommen, und nach all der aufgezwungenen Intimität nun endlich seine Intimsphäre so behandelt wissen will, wie das jeder andere auch haben möchte.

Gruß vom Wiz

Masken und Schauspielerei
Hallo Tina,

ähnlich, wobei Gewalt eben nicht gleich Gewalt ist. Für mich
ist Dein Missbrauch schlimmer, ich weiß nicht ob ich damit
umgehen könnte.

Man glaubt irgendwie, dass man es nicht aushält.
Hab ich auch nicht immer. Ich habe etliche Suizidversuche hinter mir, weil ich einfach nicht mehr wollte.
Bei den ersten Versuchen war ich zu jung, und es klappte nicht.
Mein letzter Versuch war glaub sogar vor 10 Jahren.

Du bist eine starke Frau!

Das bin ich eher nicht. Sonst hätte ich kämpfen und damit auch leben wollen.(Nun lebe ich ja Gott sei Dank, und kämpfe, solange das mein Körper zulässt.)

In vielen Dingen reagiert man instinktiv anders, als „normale“
Menschen, man lernt Zeichen zu deuten…

Und manchmal reagiert man über, keiner weiß warum. Irgendwann bleiben nur noch die Menschen über, denen man vertraut und ihnen erklärt hat, was los ist. Von diesen Leuten bleibt dann auch nur noch ein winziger Teil über, weil der Rest einfach überfordert ist und ebenfalls ein Meidungsverhalten an den Tag legt. Ich habe genau eine sehr gute Freundin, die selbst in ihrer Kindheit missbraucht wurde.

Ja, man wird Meister im Mauern errichten.

Ja, und Masken aufrecht erhalten, schauspielern.
Für mich ist es anstrengend gewesen ständig eine Maske zu tragen, damit keiner mich erkennt!
Es gab Zeiten, da ist meine ganze Lebensenergie für die Maske „draufgegangen“.

Ja, zwei Jahre und mittlerweile habe ich (meist) gelernt die
Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen. Aber immer gelingt
das nicht, manchmal reichen schon Kleinigkeiten.

Ich kenne das. Bestimmte Gerüche, bestimmte Situationen, sogar bestimmte Männer lösen plötzlich Angst oder Ekel aus.
Es spiegelt sich in Beziehungen wieder, man flüchtet und weiß gar nicht, dass man vor der Vergangenheit flieht!

Ich bewundere oft die Geduld meines Mannes, ohne ihn weiß ich
nicht wo ich heute wäre.

Ich auch. Ihm habe ich von Anfang an die Wahrheit erzählt. Er ist nicht abgehauen. Er ist mein Fels in der Brandung.
Wenn ich wieder in Depressionen versinke, dann hält er mir den Rücken frei, bis ich wieder raus bin.
Leider bin ich die Depressionen auch nicht wirklich losgeworden.
ABER: die Abstände werden immer länger und die Dauer immer kürzer.
Ich kann wenigstens in diesen Zeiten der Dunkelheit sagen, dass bald wieder Licht kommen wird.
Das hilft mir sehr.

Leider war der Rest meines Lebens auch nicht wirklich toll, so dass es sooo viele Baustellen gab für die arme Therapeutin, dass teilweise der Missbrauch wohl doch zu kurz kam.
Warum sonst kann ich nicht ruhig und gelassen darüber schreiben?
(Das Herz klopft mir bis zum Hals, meine Hände zittern und mein Kreislauf droht zusammen zu brechen, kalte schweißige Hände, doch keine starke Frau)

Ich drücke dir jedenfalls die Daumen.

Lieben Gruß
Ayse

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Hallo, Chili,

Da wird dann jedes Detail herausgesucht, um zu bestätigen,
dass sie kein Opfer ist, sondern selber schuld.

und genau das macht mich wütend!

Das macht es auch so schwer, sich jemandem anzuvertrauen, damit das Ganze endlich ein Ende hat.

Sie trägt eine Maske, wie fast alle anderen Missbrauchsopfer (die ich kenne)auch.

Wer genau hinsieht, der sieht, dass sie eben nicht cool und ruhig ist. Schon alleine den Blick, den sie hat.
Für mich schaut sie immer wie ein verängstigtes Kind!!

Ich glaube, dass es vielen Menschen schlicht an Empathie fehlt!

Grüße

Ayse

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Hallo!

Im Zuge des jetzt anlaufenden Films über Nataschas Kampusch
wird mir erst richtig bewusst, wieviel Hass und Misstrauen
dieser Frau entgegengebracht werden.

Ich habe solche dummen Aussagen z.B. in den Kommentarteilen der Online-Presse auch registriert. In persönlichen Gesprächen dagegen nie.

Ich denke mir schon deshalb, dass sehr schwer zu unterscheiden ist zwischen dem „Fall Kampusch, wie er wirklich war“ und diesem penetranten „Medienereignis Kampusch“, wie er den Österreichern seit Jahren auf allen Kanälen vorgesetzt wird und entsprechend einen riesen Nervfaktor enthält.
(Was Frau Kampusch selbst ja übrigens sehr ähnlich sieht.)

Insofern nehme ich zumindest einen Teil dieser gehässigen Kommentare eher so wahr, dass „Hass und Misstrauen“ weniger auf Frau Kampusch als Person zielen, sondern eine diffuse Art von Medienkritik darstellt, in einer Zeit der Hyperrealität, in der die Grenzen von Informationsvermittlung und Entertainment zunehmend eingeebnet werden und in der -noch schlimmer- bei vielen Nachrichten gar nicht mehr klar ist, ob die Medien über Ereignisse berichten oder ob sie diese selbst erst hervorbringen.

In den USA haben lokale Radiosender z.B. damit begonnen, Demonstrationen und Streiks aktiv zu lancieren, um als erste darüber „berichten“ zu können.

Um kein Missverständnis zu hinterlassen: Meine Aussagen zu den Medien sind nicht als Rechtfertigung der zitierten abschätzigen Aussagen zu verstehen, sondern ich will damit aufzeigen, dass m.E. diese Aussagen sich oftmals stärker auf „Kampusch“ als Medienereignis beziehen und nicht auf Frau Kampusch selbst.

Müssen etwa bestimmte Parameter erfüllt sein, damit man als
Opfer „akzeptiert“ wird?

Allgemeine Antwort, weil ich diesen Aspekt recht interessant finde:
Ja, es gibt ganz sicher solche gesellschaftliche Parameter des Opfer-Seins.
Entsprechend fallen auch immer wieder ganze Gruppen durch dieses Raster. Z.B. hat man es in den 80er Jahren doch glatt geschafft, die schwulen AIDS-Toten mehr als „Täter“ („Schwulenpest“, „Geißel Gottes“) darzustellen denn als betrauernswürdige Opfer einer Krankheit.
Oder auch die Sinti und Roma, die im KZ umgekommen sind, sind m.E. noch heute nicht wirklich als gleichwertige „Opfer“ neben anderen anderen Opfergruppen anerkannt.

Gruß
Tyll

Liebe Ayse,

(Das Herz klopft mir bis zum Hals, meine Hände zittern und
mein Kreislauf droht zusammen zu brechen, kalte schweißige
Hände, doch keine starke Frau)

ich finde, gerade das ist eine besondere Art von Stärke: Du setzt Dich diesen Reaktionen und Deiner Angst aus, um uns davon zu erzählen, und Du hast es auch nicht nötig, so zu tun, als würde Dir das nichts ausmachen. Allen Respekt! Für mich ist das sehr große Stärke, auch wenn Du selbst sie erstmal als Schwäche (als Zittern und Angst) wahrnimmst.

Mut ist ja auch nicht, keine Angst zu haben, sondern sich seiner Angst zu stellen. Und Du hast Deine Angst in Kauf genommen, um hier zu schreiben.

Ich bin Dir auch, wie viele andere hier, unglaublich dankbar für Deine Worte. Dass - und wie - Du uns erzählst davon, wie Du diese Gewalt erlebt hast und noch erlebst, hilft mir dazu, mir ein wenig vorstellen zu können, was das bedeutet, und das ist mir sehr wertvoll.

So richtig in Worte fassen kann ich’s nicht, deswegen einfach nur: Danke!!

Viele Grüße,

Jule

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Liebe Ayse,

danke für die „Freigabe“. Ich hoffe ich hab dich richtig verstanden, wenn ich denke, dass es für dich okay ist, dass ich öffentlich im Forum schreibe und nicht per PN. Nach konkreten Details zu fragen, käme mir glaub ich eh nicht in den Sinn. Aber es steht dir ja frei, Fragen einfach unbeantwortet zu lassen, wenns zu viel ist.

Schon nach deinen ersten Zeilen habe ich eine Frage, dich ich mich kaum zu stellen traue, weil ich befürchte, du könntest sie als Kritik auffassen, oder als ein nicht ernst nehmen deiner Angst, als ein herunterspielen. Ich hoffe, du verstehst, dass es das keinesfalls ist. Ich möchte es besser verstehen.

… Betroffene und Überlebende…

Aber wer nicht weiß, was es bedeutet, um sein Leben zu
fürchten, der kann einfach nur dumm reden.

Dabei muss die Bedrohung nicht mal ausgesprochen werden.

Wenn ich das richtig verstehe, hattest du große Angst um dein Leben, ohne dass eine Drohung ausgesprochen wurde, richtig? Woher kam diese Todesangst? War für dich einfach klar, dass ein so gewalttätiger Mensch, nicht davor zurückschrecken würde, zu töten, wenn alles ans Licht käme? War es mehr die Angst, dass er ausrastet, wenn du dich wehrst/weigerst? Oder war es einfach so, dass die Angst vor dem Peiniger, durch das, was er schreckliches tat, so groß war, dass man „einfach so“ angst hat zu sterben? Oder womöglich ganz anders, als ich mir das aus der Distanz heraus vorstelle?

Bei mir war es einfach ständig im Raum. Ich war damals erst 9
Jahre alt (oder gottseidank schon 9). Ich ließ mir das bis ich
14 Jahre alt war einfach gefallen, nahm es hin, hatte
furchtbare Angst, schämte mich für das, was ich erlebte und
hatte schreckliche Schuldgefühle.
Wer würde mir glauben, dass ich damals nicht angefangen hatte
mit dieser „Beziehung“?
Wer würde mich beschützen, wem konnte ich vertrauen?
Wer wäre hinter mir gestanden?

Diese Reaktion ist wohl, grade wenn man seinen Peiniger schon kannte, ihn evtl. sogar mochte, ihm vertraut, absolut nachvollziehbar. Worüber sich aber Außenstehende glaub ich immer wieder wundern, ist Folgendes: Ein Kind, das solche Ängste durchstehen muss, sich auch noch schämt und schuldig fühlt, dass verändert sich doch extrem, oder? Bemerkt denn da wirklich keiner was? Ich kann mir vorstellen, dass du versucht hast, nach außen hin alles so normal wie möglich erscheinen zu lassen. Du wolltest nicht, dass jemand was merkt und musstest deshalb zu allem Überfluss auch noch verheimlichen, wie schlecht es dir geht. Lieg ich richtig, wenn ich mir vorstelle, dass du so weit wie irgend möglich versucht hast, weiterhin das unbeschwerte, fröhliche Mädchen zu spielen? Es muss fürchterlich sein, sich niemandem anvertrauen zu können.

Aussichtslos, hoffnungslos, es darf nie einer erfahren, weil
das so sehr an meiner Würde kratzte.
Ich konnte mich nicht wehren, wie auch, er war stärker und ich
war doch bloß ein kleines Mädchen, dass bis heute denkt, es
hätte statt eines Nachthemdes ein Pyjama anziehen sollen.
Das sich heute noch bei den Gedanken an diese Zeiten vor sich
selbst ekelt.

Schrecklich, dass du selbst nach so langer Zeit, die Schuldgefühle nicht ganz los wirst. Ich weiß nicht, warum ich grad an dieser Stelle eine riesen Wut auf diesen Mann kriege, weil er geschafft hat, einem kleinen Mädchen glauben zu machen, es sei schuld, weil es ein Nachthemd anhatte! Das ist so… Boah ich weiß nicht, es macht mich sprachlos.

Ich muss mich abends dazu zwingen ins Bett zu gehen, weil die
Angst immer noch da ist, dass ich nachts irgendwelche Finger
zwischen meinen Beinen an den Genitalien habe, dass ich
überfallen werde, mitten im Schlaf.

Schrecklich! Erschütternd! Aber grade deswegen: Danke!

Es beeinflusst zumindest mein „äußeres Leben“ nicht mehr, also
mein Berufsleben. Aber mein inneres Leben beherrscht es immer
noch.

Auch wenn es den Anschein für viele macht, dass ich gut
zurecht komme, ist es eben nicht so!

Wieviel weiß dein Umfeld, wie offen gehst du inzwischen damit um? Passiert dir das tatsächlich, dass Leute deine Geschichte herunterspielen, weil du ja scheinbar mittlerweile so gut zurecht kommst? Ich könnte mir vorstellen, dass man da auch irgendwie in einem Zwiespalt ist. Dass du ja eigentlich nicht jedem zeigen willst, wie sehr du immer noch leidest, und dass du darum zumindest teilweise auf andere stark und gefestigt wirken willst. Dass du zeigen möchtest, wie gut du zurecht kommst. Aber auf der anderen Seite, möchtest du dass die Menschen wissen: „Scheiße nein! Ich leide darunter immer noch verdammt heftig! Es geht mir nicht so gut, wie es den Anschein hat!“ Liege ich damit richtig?

Wie die verdammte Seele bricht, wie man plötzlich neben sich
steht, wie man beobachtet, als säße man in einem Kino, ohne zu
wissen was da auf der gottverdammten Leinwand läuft, zuschaut
und nicht mehr spürt.
Nicht den eigenen Körper, nicht die des Peinigers, keine Zeit,
keine Temperatur, nichts.
Man sieht das Wesen atmen, das da unter einem großen schweren
Mann liegt,man sieht wie es kaum noch Luft bekommt, man sieht
den Mann, der einen hochroten Kopf hat, man hört ihn
schnauben, aber man spürt nichts.Keine Schmerzen.
Später, hat man Schmerzen, man weiß, was passiert ist.
Man sieht dem Körper an, was es durchlebt hat, aber der Bezug
fehlt.

Man schaut zu und will aber gar nicht sehen, was da passiert.
Man vergisst, weil es eben „nur“ ein Film ist, ein Film,
dessen Bilder immer aufflackern und Panik und Angst
verursachen.

Puh, heftig. Auch wie klar und deutlich du dich nach all der Zeit immer noch erinnerst…

Und mich selbst hasse ich immer noch dafür, dass ich diesem
Mann so gerne hatte, bis er mich überfiel.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich ihn hassen soll oder nicht,
ob ich auf ihn wütend sein soll, oder nicht.
Meine Therapeutin meinte ja, ich sollte schon Wut empfinden,
die empfinde ich aber nicht gegenüber meinem Missbraucher,
sondern eher gegen solche Leute (im Fall Kampusch), die nur
dumm reden oder auf meine Eltern, die mich mit diesem Mann
immer wieder alleine ließen!

Dass ist wohl das, was Außenstehende kaum verstehen können, warum man seinen Peiniger nicht hasst. Wie oben bereits gesagt, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es umso schlimmer ist, wenn einem jemand, den man gern hat, sowas Fürchterliches antut. Dass du aber immer noch nicht so richtig wütend auf ihn sein kannst, schockiert mich.

Wenn du erzählen magst und kannst, würde mich interessieren, wie und warum mit 14 Schluss war? Und wie du es geschafft hast, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen.

Ich bin dennoch froh, dass ich ein riesiges Stück Dunkelheit
hinter mir gelassen habe.
Ich bin so froh, dass das Leben tatsächlich schön ist, und
dass das Überleben besser war, als zu sterben.

Diese Worte machen mich sehr froh, und ich glaube, dass du damit vielen Menschen Hoffnung machst.

Danke nochmal, für deine Offenheit, für deine Kraft, für dein Durchhaltevermögen und deinen Lebenswillen, Danke, dass es dich gibt.

Liebe Grüße
M.

Es gibt eine einfache Regel unter den Menschen, die gilt schon für Kinder.

Sie heißt: „Wer Mitgefühl fordert, bekommt keins.“

Warum das so ist? Keine Ahnung! Es wird schon seine Gründe haben.

Der Mensch ist halt kein Verstandeswesen.

mfg

Versuch zu Antworten
Hallo,

danke für die „Freigabe“. Ich hoffe ich hab dich richtig
verstanden, wenn ich denke, dass es für dich okay ist, dass
ich öffentlich im Forum schreibe und nicht per PN. Nach
konkreten Details zu fragen, käme mir glaub ich eh nicht in
den Sinn. Aber es steht dir ja frei, Fragen einfach
unbeantwortet zu lassen, wenns zu viel ist.

Ja, es war so gemeint, dass es „öffentlich“ wird.

Es wird wohl umfangreich werden.

Wenn ich das richtig verstehe, hattest du große Angst um dein
Leben, ohne dass eine Drohung ausgesprochen wurde, richtig?
Woher kam diese Todesangst? War für dich einfach klar, dass
ein so gewalttätiger Mensch, nicht davor zurückschrecken
würde, zu töten, wenn alles ans Licht käme? War es mehr die
Angst, dass er ausrastet, wenn du dich wehrst/weigerst? Oder
war es einfach so, dass die Angst vor dem Peiniger, durch das,
was er schreckliches tat, so groß war, dass man „einfach so“
angst hat zu sterben? Oder womöglich ganz anders, als ich mir
das aus der Distanz heraus vorstelle?

Ich muss wohl ausholen:
Das erste Mal überfiel er mich nachts im Bett. Zu dieser Zeit waren wir (Geschwister und ich (bin die älteste)) bei diesen Nachbarn untergebracht, da die Eltern wegen eines Todesfalls in der Familie einen weiten Weg reisen mussten.
Ich wachte auf und sah im Dunkeln eine Gestalt und spürte die Hände zwischen meinen Beinen.
Ich fing an zu weinen, daran erinnere ich mich.
Er hielt mir sofort den Mund zu und leider auch die Nase. Bekam keine Luft und hatte Angst. Dass es damals Angst um mein Leben war, wusste ich nicht. Ich glaube es ist der Instinkt, der sich da meldet. Ich hätte es damals bestimmt nicht benennen können.Nur Angst war es.
Das ging leider in den folgenden Tagen weiter. Es begrenzte sich nicht auf die Nacht.
Er sperrte meine Geschwister aus oder schickte sie spielen. Sobald er mit mir alleine war, ich konnte nicht mal fliehen…
Ich habe ihn nicht mehr angesprochen, habe mich gewehrt (scheiße, ist das immer noch schwer, hoffe ich kann dir wirklich antworten).

Einmal hab ich ihn getreten, wohl am Kinn, er blutete aus dem Mund.
Da dachte ich, jetzt gleich schlägt er mich, er wird mich umbringen.
Was er allerdings dann machte, irritierte mich: Er wischt sich das Blut von den Lippen/Mund (keine Ahnung) und sieht sich auf die Hand/Finger und fängt an zu Grinsen…(ich weiß nicht mehr, was danach wirklich passiert ist, hier wird es verschwommen)
Diese Reaktion machte mir noch mehr Angst.
Alles was ich während jeden Übergriffs dachte: ich bin schuld. Wenn ich das Mama und Papa sage, dann verprügeln sie mich. Ich bin schlecht.
Das gewalttätige Elternhaus trug leider einiges dazu bei.
Dann die Kultur!

Dann war er auch so stark, ich konnte mich nicht befreien. Er war schwer, ich war irgendwie immer dem Ersticken nahe.
Ich hatte Angst zu sterben!

Diese Reaktion ist wohl, grade wenn man seinen Peiniger schon
kannte, ihn evtl. sogar mochte, ihm vertraut, absolut
nachvollziehbar. Worüber sich aber Außenstehende glaub ich
immer wieder wundern, ist Folgendes: Ein Kind, das solche
Ängste durchstehen muss, sich auch noch schämt und schuldig
fühlt, dass verändert sich doch extrem, oder?

Das dürfte wohl bei jedem anders sein. Ich hatte breits mit 3 Jahren ein Trauma (komisch daran erinnere ich mich, als wär es gestern gewesen). Heißt: ich war immer sehr still und sehr leise, und vor allem so unauffällig wie möglich. Alles andere hätte (wie jeden Tag) Prügel bedeutet.

Bemerkt denn da
wirklich keiner was?

Nein, in diesem Fall hat sich mein Verhalten nicht geändert. Es hat auch nie einer die blauen Striemen auf dem Rücken oder Po und Beine bemerkt, die mir meine Eltern beigebracht haben. (Ich erinnere mich an die selbstgebastelte Peitsche meines Vaters…)

Ich kann mir vorstellen, dass du versucht
hast, nach außen hin alles so normal wie möglich erscheinen zu
lassen. Du wolltest nicht, dass jemand was merkt und musstest
deshalb zu allem Überfluss auch noch verheimlichen, wie
schlecht es dir geht. Lieg ich richtig, wenn ich mir
vorstelle, dass du so weit wie irgend möglich versucht hast,
weiterhin das unbeschwerte, fröhliche Mädchen zu spielen? Es
muss fürchterlich sein, sich niemandem anvertrauen zu können.

Ich habe wie sonst auch versucht, nicht aufzufallen, nichts falsches zu sagen. Und wollte doch so gerne, dass mir irgendwer hilft.
Nicht nur gegen den Missbraucher, der das Sahnehäubchen war, mehr nicht!

Aussichtslos, hoffnungslos, es darf nie einer erfahren, weil
das so sehr an meiner Würde kratzte.
Ich konnte mich nicht wehren, wie auch, er war stärker und ich
war doch bloß ein kleines Mädchen, dass bis heute denkt, es
hätte statt eines Nachthemdes ein Pyjama anziehen sollen.
Das sich heute noch bei den Gedanken an diese Zeiten vor sich
selbst ekelt.

Schrecklich, dass du selbst nach so langer Zeit, die
Schuldgefühle nicht ganz los wirst. Ich weiß nicht, warum ich
grad an dieser Stelle eine riesen Wut auf diesen Mann kriege,
weil er geschafft hat, einem kleinen Mädchen glauben zu
machen, es sei schuld, weil es ein Nachthemd anhatte! Das ist
so… Boah ich weiß nicht, es macht mich sprachlos.

Das kann ich nicht erklären: Im „kopf“ weiss ich, dass es egal war, ob Nachthemd oder nicht, er hätte es dennoch getan. Aber im „Herzen“ sage ich mir immer wieder: hättest du bloss eine Hose angehabt.

Wieviel weiß dein Umfeld, wie offen gehst du inzwischen damit
um?

Inzwischen gehe ich soweit wie möglich offen damit um. Besonders wenn es wieder solche Fälle gibt, die in die Medien geraten. Denn die Sprüche von manchen Zeitgenossen…auch Kolleginnen, ich versuche, ohne ins Detail zu gehen, zu sagen, dass ich das auch erlebt habe…und beantworte fragen auf warum und wieso´s.

Passiert dir das tatsächlich, dass Leute deine Geschichte
herunterspielen, weil du ja scheinbar mittlerweile so gut
zurecht kommst?

Sobald ich sage, dass ich selbst Opfer einer solchen Tat war,
kommen plötzlich ganz viele Fragen. Manche haben hinterher Tränen in den Augen und nehmen mich in den Arm (meist sind das die Frauen), manche lassen einen dummen Spruch ab. (Ein Originalzitat eines ehem. Kollegen: Ach was, ab 8 ist dehnbar!)

Ich könnte mir vorstellen, dass man da auch
irgendwie in einem Zwiespalt ist. Dass du ja eigentlich nicht
jedem zeigen willst, wie sehr du immer noch leidest, und dass
du darum zumindest teilweise auf andere stark und gefestigt
wirken willst. Dass du zeigen möchtest, wie gut du zurecht
kommst. Aber auf der anderen Seite, möchtest du dass die
Menschen wissen: „Scheiße nein! Ich leide darunter immer noch
verdammt heftig! Es geht mir nicht so gut, wie es den Anschein
hat!“ Liege ich damit richtig?

Da hast du Recht: immer wenn ich denke, dass ist nun eine Schwäche, sagen die Menschen (wie auch Jule weiter unten), dass es eine Stärke sei.
Ich will kein Mitleid, aber ich will, dass „Unbeteiligte“ verstehen, dass Kinder eben nicht nach 3-4 Jahren Therapie nach so einem Erlebnis wieder völlig normal werden. Ich will, dass sie wissen, dass das ein Leben lang, unter Umständen 80-90 Jahre auf diese Menschen wirkt und nachwirkt.
Deswegen will ich offen damit umgehen.
Und verdammt ja, es bringt mich aus dem Konzept, darüber zu reden. Vor allem je „tiefer“ die Fragen gehen und somit die Antworten ausfallen müssen, desto schlimmer ist es (jetzt, während ich schreibe, musste ich bestimmt dreimal aufstehen, mich ablenken, Wasser trinken, durchatmen; fange immer wieder an zu hyperventilieren)

Wie die verdammte Seele bricht, wie man plötzlich neben sich
steht, wie man beobachtet, als säße man in einem Kino, ohne zu
wissen was da auf der gottverdammten Leinwand läuft, zuschaut
und nicht mehr spürt.
Nicht den eigenen Körper, nicht die des Peinigers, keine Zeit,
keine Temperatur, nichts.
Man sieht das Wesen atmen, das da unter einem großen schweren
Mann liegt,man sieht wie es kaum noch Luft bekommt, man sieht
den Mann, der einen hochroten Kopf hat, man hört ihn
schnauben, aber man spürt nichts.Keine Schmerzen.
Später, hat man Schmerzen, man weiß, was passiert ist.
Man sieht dem Körper an, was es durchlebt hat, aber der Bezug
fehlt.

Man schaut zu und will aber gar nicht sehen, was da passiert.
Man vergisst, weil es eben „nur“ ein Film ist, ein Film,
dessen Bilder immer aufflackern und Panik und Angst
verursachen.

Puh, heftig. Auch wie klar und deutlich du dich nach all der
Zeit immer noch erinnerst…

Leider fehlen immer noch Stücke! z.B. (jetzt muss ich doch ins Detail gehen) Ob ich den Penis gesehen habe, ob ich völlig nackt war…keine Ahnung, da ist nichts
Zwischendrin habe ich im „Kino“ wohl doch die Augen zumachen können.
Allerdings: und das verstehe ich nicht, die Gefühle von damals sind sehr intensiv auch heute zu spüren, manchmal sind da Bilder, zu denen ich keine Emotionen habe, dann sind da Gefühle, die ich nicht Bildern zuordnen kann!

Und mich selbst hasse ich immer noch dafür, dass ich diesem
Mann so gerne hatte, bis er mich überfiel.
Bis heute weiß ich nicht, ob ich ihn hassen soll oder nicht,
ob ich auf ihn wütend sein soll, oder nicht.
Meine Therapeutin meinte ja, ich sollte schon Wut empfinden,
die empfinde ich aber nicht gegenüber meinem Missbraucher,
sondern eher gegen solche Leute (im Fall Kampusch), die nur
dumm reden oder auf meine Eltern, die mich mit diesem Mann
immer wieder alleine ließen!

Dass ist wohl das, was Außenstehende kaum verstehen können,
warum man seinen Peiniger nicht hasst. Wie oben bereits
gesagt, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es umso
schlimmer ist, wenn einem jemand, den man gern hat, sowas
Fürchterliches antut. Dass du aber immer noch nicht so richtig
wütend auf ihn sein kannst, schockiert mich.

Es liegt wohl daran, dass ich den Eltern, die uns mit ihm alleine ließen, die Schuld gebe. Ich mochte ihn, und er war (so dachte ich damals eben) der einzige Mensch, der mich liebte und das gehörte vielleicht dazu und war normal, cih wusste doch nicht, was Zuneigung ist!
Ich war so ausgehungert nach Zuneigung. Vielleicht hasse ich ihn deswegen nicht. Er hat sich ja auf seine perverse Art und Weise für mich interessiert. Das war einfach mehr, als ich in den Jahren zuvor an Liebe und Zuneigung erfahren durfte.

Wenn du erzählen magst und kannst, würde mich interessieren,
wie und warum mit 14 Schluss war?

Er sprach ja selten eine Drohung aus. Und irgendwann wollte ich das nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass er mich nicht aus Liebe be…(ich finde jetzt kein Wort)lagerte (?).
Ich wusste, dass man das nicht mit kleinen Kindern macht, und er hatte immerhin ein 9 jähriges Mädchen beschmutzt!
Und erstaunlicher Weise reichte es zu sagen: „Wenn du nicht aufhörst, werde ich es meinem Vater sagen“ Er sagte: Nein, tu es nicht. Ich mach nichts mehr.
Es war so einfach! Vielleicht war ich ihm nicht mehr kindlich genug!

Und wie du es geschafft
hast, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen.

Ich führe seit 2005 ein halbwegs normales Leben.
Ich habe erst einmal herausfinden müssen, welchen roten Faden die ganze Geschichte durch mein Leben zog, ich musste akzeptieren, dass viele meiner Probleme u.a. von dem Missbrauch kamen und ich musste vertrauen, dass mir jemand helfen konnte, ohne mich zu verurteilen.
Die Jungfräulichkeit steht halt hoch im Kurs!!

Ich bin dennoch froh, dass ich ein riesiges Stück Dunkelheit
hinter mir gelassen habe.
Ich bin so froh, dass das Leben tatsächlich schön ist, und
dass das Überleben besser war, als zu sterben.

Diese Worte machen mich sehr froh, und ich glaube, dass du
damit vielen Menschen Hoffnung machst.

Danke nochmal, für deine Offenheit, für deine Kraft, für dein
Durchhaltevermögen und deinen Lebenswillen, Danke, dass es
dich gibt.

Liebe Grüße
M.

Danke für deine Worte, sie bedeuten mir viel. Auch wenn ich dich nicht kenne! Danke!

Ich hoffe, es ist alles beantwortet. Teilweise wusste ich nicht, wie ich mich ausdrücken sollte. Teilweise hätte ich ja fast meine Lebensgeschichte erzählen müssen, um alles völlig ersichtlich zu erklären.

Wenn das eine oder andere nicht klar wurde, frag nach.
Für mich ist das eben auch eine Art von Verarbeitung.
(Dumm nur, dass ich seit Tagen abends im Bett liege und nicht einschlafen kann. Es ist doch sehr persönlich und ich weiß nicht, ob es diesen Pädophilen nicht auch noch ein gefundenes Fressen ist. Ich meine, lesen diese Wesen meinen „Bericht“ und erfreuen sich daran?
Das macht mir im Moment zu schaffen.)
Ich habe meine Antworten nicht nochmal durchgelesen, weil es schon streckenweise hart wurde. Ich will es nicht nochmal durchmachen, indem ich es noch lese.
Daher schon mal sorry, wenn es wirr und voll mit Fehlern ist.

Liebe Grüße
Ayse (die jetzt froh ist, dass es doch nicht sooo schlimm war zu antworten, wie sie dachte) :smile:

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Hallo,

so „hoch“ würde ich das nicht ansetzen - ich vermute dahinter
Unwissenheit und den Drang, zu allem und jedem was sagen zu
wollen (bzw. zu glauben, das tun zu müssen) . . .

So hoch würdest du das nicht ansetzen? Welchen Drang verspürst du denn, hierzu etwas sagen zu müssen in deiner eigenen Unwissenheit? Dich herablassend über die Kommentatoren äußernd und selbst bist du kaum besser. Genau wie die anderen, die schreiben, dass das nur ein Problem von Bunte ist oder Internet ist und im persönlichen Umgang nicht vorkommt.

Nicht so hoch angehängt? Das Thema hängt nicht hoch genug. Es betrifft nämlich nicht nur die Opfer von Kindesmissbrauch. So grausam das klingen mag, die haben wenigstens noch die gesellschaftliche Ächtung auf ihrer Seite. Opfer ist das unschuldige Kind. Auch wenn das gerade im Fall Kampbusch nicht ganz so eindeutig ist, weil sich das über so viele Jahre bis zum Erwachsensein hinzog, sie von vielen wohl nicht als missbrauchtes Kind wahrgenommen wird.

Was ist mit erwachsenen Opfern? Die sind auch dieser gesellschaftlichen Reaktion ausgesetzt, die sich nun wirklich nicht nur in irgendwelchen Kommentarspalten abspielt, sondern auch im eigenen Umfeld. Was ist mit den Opfern, bei denen die Tat nicht so eindeutig geächtet, weil noch schwerer vorstellbar als sexueller Missbrauch ist? Was mit Opfern von Stasiterror oder Geiselnahme? Opfer, denen man auch vorschreibt, wie sie sich zu verhalten haben und was sie doch gefälligst zu lassen haben. Opfer, denen man viel schneller vorwirft, dass sie sich ja hätten wehren können oder müssen.

Wenn sich dann plötzlich die abwenden, von denen man gedacht hat, dass sie Freunde sind. Familie, die nicht begreift, wie das ist, wenn das Vertrauen ins Mark erschüttert ist, die eigene Würde unter der Schuhsohle klebt. Menschen aus dem engsten Kreis, die einem vorhalten, dass doch langsam gut sein muss oder einen als Versager behandeln, weil man am Gefühl, ein Nichts zu sein erstickt und lieber ganz aus dem Leben treten will.

Wenn das, wie bei mir, plötzlich die betrifft, von denen man eigentlich Hilfe erwartet. Ich bin zwei Mal Opfer geworden. Das erste Mal der sexuelle Missbrauch durch einen Arzt. Die Fratze der Gesellschaft trat in Erscheinung. So ein attraktiver Typ? Das hat dir doch Spaß gemacht?! Den hast du verführt, jetzt willst du dich rächen. Dann sucht man Hilfe und blitzt ab. NESTBESCHMUTZER! Ärzte, die die Behandlung ablehnen, weil die Vertrauensbasis nicht da ist, wenn man andeutet, warum man Angst vor bestimmten Situationen hat. Psychotherapeuten, die aus dem gleichen Grund die Therapie nicht übernehmen wollen.
Blame the victim. Das Trauma kam bei mir erst hinterher so richtig.

Beim zweiten Mal bin ich Opfer durch einen Therapeuten geworden. Der hat mir zwar gesagt, dass er mir glaubt, hat aber trotzdem die Schuld bei mir gesehen, genauer bei meiner kranken Persönlichkeit. Nicht ich war sein Opfer, sondern er meines. Machtmissbrauch und Gehirnwäsche statt Therapie. Ich habe es zu spät gemerkt, weil es mir zu schlecht ging. Plötzlich ist man noch einmal Opfer mit etwas, was dann gar keiner mehr versteht. Was man niemandem erzählen kann. Dass für mich diese Erfahrung viel schlimmer war, als der sexuelle Missbrauch?! Dass es mehr diese Erfahrung als der sexuelle Missbrauch gewesen ist, der mich über die Klippe gestoßen hat? Wie erklärt man, dass dadurch plötzlich Therapie zu Horror wird, weil man genau das tun muss, was einem schon einmal so geschadet hat. Aber tut man es nicht, kommt man nicht raus. Dass man sich dann noch Vorhaltungen anhören muss, wenn man es nicht schafft, nach ein paar Wochen wieder in den Tritt zu kommen, und zu arbeiten.

Noch so ein Punkt, wenn man von Opfer und Gesellschaft spricht: Es gibt keine vernünftige Hilfe für Opfer für die berufliche Seite. Pech gehabt. Der Täter bekommt Rehabilitation und einen Bewährungshelfer. Das Opfer kann gucken, wie es klar kommt. Das ist in dem Moment nicht mehr unschuldiges Opfer, sondern Psycho. Es ist schon komisch, wie oft man von einem (ehemaligen) Opfer erwartet, dass es Verständnis für andere haben muss.

Was auch kaum einer weiß, dass Opfern abgeraten wird, eine Therapie zu machen, bis ein eventueller Prozess durch ist, wenn man sich traut, Strafanzeige zu stellen. Du stehst als Opfer damit vor der zynischen Wahl: Entweder Therapie und Hoffnung darauf, einigermaßen heil rauszukommen, oder das Trauma offen halten, damit es eine Chance gibt, dass der Täter für seine Tat, deren einziger Zeuge du womöglich bist, bestraft wird.

Plötzlich merkst du, dass überall um dich rum „merkwürdige Geisteshaltung“ ist.

Und man kämpft und kämpft und hofft, dass die Energie reicht.

Karin

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Hallo Ayse,

Ja, es war so gemeint, dass es „öffentlich“ wird.

Es wird wohl umfangreich werden.

Ich habe einen Heidenrespekt vor dem, was du hier machst! Ich könnte es nicht. Mir zieht es die Luft beim Lesen weg.

Man schaut zu und will aber gar nicht sehen, was da passiert.
Man vergisst, weil es eben „nur“ ein Film ist, ein Film,
dessen Bilder immer aufflackern und Panik und Angst
verursachen.

Puh, heftig. Auch wie klar und deutlich du dich nach all der
Zeit immer noch erinnerst…

Vielleicht sollte man hier deutlich sagen, dass das keine „normale“ Erinnerung ist. Nicht so, wie man sich an Erlebnisse eines Urlaubs erinner. Du beschreibst es ja:

Allerdings: und das verstehe ich nicht, die Gefühle von damals
sind sehr intensiv auch heute zu spüren, manchmal sind da
Bilder, zu denen ich keine Emotionen habe, dann sind da
Gefühle, die ich nicht Bildern zuordnen kann!

Es sind Bilder, Geräusche, Töne, Gerüche, Emotionen, aber nicht alles zusammen, sondern wie auf verschiedenen Spuren, die nicht gleichzeitig laufen und die sowieso nicht dann laufen, wenn man „sich erinnert“, sondern das überfällt einen. Anfangs konnte ich überhaupt nicht aktiv erinnern sondern hatte nur diese Überfälle. Mir machen ganz besonders die Gerüche zu schaffen.

dass ich seit Tagen abends im Bett liege und nicht
einschlafen kann.

Das tue ich auch, seit ich deine Zeilen gelesen habe, aber es ist gut so! Ich glaube, du kannst das nachvollziehen. Ich mache gerade auch noch einmal einen ganz eigenen Verarbeitungsschub durch. Danke! Fühl dich gedrückt, so man das unbekannterweise tun kann.

Karin

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Es gibt eine einfache Regel unter den Menschen, die gilt schon
für Kinder.

Ist das so? Von dieser Regel habe ich noch nie gehört.

Sie heißt: „Wer Mitgefühl fordert, bekommt keins.“

Warum bist du der Ansicht, dass jemand, der einen erlebten Missbrauch schildert, quasi automatisch darauf aus ist Mitgefühl zu bekommen?

Und warum wird dann nicht nur das Mitgefühl vorenthalten, sondern auch noch Häme und Verachtung über das Opfer ausgekippt?

Der Mensch ist halt kein Verstandeswesen.

Der Mensch hat aber einen Verstand, und es schadet sicher nicht, den auch gelegentlich zu benutzen.

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