Hallo Irbis,
zunächst einmal:
Das muss nicht nur, sondern das ist auch. Aber sowas von! Es gehört zum Teilgebiet „Alttestamentliche Wissenschaft“ des Theologiestudiums und ist sowohl bzgl. aktuellem Forschungsstand als auch bzgl. seiner Geschichte (ab. 18./19. Jhdt.) nicht nur Lehrstoff, sondern auch ggf. Prüfungsstoff.
Das ist ebenso simpel zu beantworten, als auch recht komplex zu erklären. Daher will ich es hier mal nur
Seit dem 18. Jhdt. wird explizit zum Thema gemacht (auch wenn es schon seit der Spätantike sehr wohl aufgefallen war), daß sowohl in der Torah (1.-4. Buch Mose. Die 5 Moses-Bücher wurden erst ca. 400 v. Chr. zum „Pentateuch“ zusammengefasst) als auch im sog. „deuteronomischen Geschichtswerk“ (5. Buch Mose, Joschua, Richter, 1+2 Samuel, 1+2 Könige) zahlreiche Episoden, aber auch bloße Passagen, doppelt und teilweise sogar sehr unterschiedlich dargestellt sind. Daß die beiden Schöpfungsmythen 1.Mo 1-2.3 und 1. Mo 2.4 ff, ebenso wie die Noah-Episode, zwei unterschiedliche, teils sogar einander widersprechende Erzählungen sind, war vorher zwar bekannt, wurde aber nicht explizit als „Problem“ thematisiert. Mitte des 19. Jhdts wurde dann auf der Basis genauerer Sprachanalysen klar, daß an den 4 ersten Moses-Büchern mindestens 3 Autorengremien (man spricht von „Redaktionen“) gearbeitet haben, wobei deren Anteile offenbar erst später in die bekannte Texteinheit zusammengewoben worden sind.
Über diese verschiedenen Redaktionen als solche besteht bis heute weitgehend(!) Konsens. Ihre Bezeichung:
1: „J“ = Jahwist
2: „E“ = Elohist
3: „P“ = Priesterschrift
4: „Dtr1“, „Dtr2“ = zwei unterschiedlicliche „Deuteronomisten“
Diese Unterscheidung der Redaktionen, an der viele damals prominente Wissenschaftler beteiligt waren, wurde 1876 in der sog. „Neueren Urkundenhypothese“ durch Julius Wellhausen bestätigt und zusammengefaßt
und wird seitdem unter dessen Namen zitiert.
Keine Einigkeit besteht aber bis heute darüber, erstens welche Passagen genau von wem, zweitens, zu welcher Zeit sie separat getextet wurden und drittens, zu welcher Zeit sie zu einer Texteinheit kompiliert worden sind.
Die heute als sehr überzeugend diskutierte Theorie (Richard Elliott Friedmann) mit erstaunlich detallierten Argumenten:
Die Kompilation von J, E und P zwischen 722 und 587 v. Chr. in der Zeitspanne also nach der assyrischen Eroberung Israels und der babylonischen Eroberung Judas, in der Regierungszeit von Hiskia/Hezekiel und die Zufügung der deuteronomischen Texte am Hof des Königs Josia. Alles in Jerusalem und in der Zusammensetzung und Auseinandersetzung der aaronitischen (Juda) und mosaischen (Israel) Priesterschaft. Die Letztere war ja nach der Zerstörung Israels teilweise nach Juda/Jerusalem ausgewandert.
Die separaten Textvorlagen aber - also vor der Zusammensetzung - entstanden alle nach der Reichsteilung 922 v. Chr. und vor der Eroberung Israels 722 v. Chr.:
E = Elohist zwischen 922 und 722 im Nordreich Israel durch mosaische Priesterschaft. Der Hauptgott ist „El“.
J = Jahwist (darunter der Garten-Eden-Mythos 1. Mo 2.4 ff) zwischen 848 (Regierungszeit Jorams) und 722 durch aaronitische Priesterschaft in Hebron und Jerusalem. Der Hauptgott ist „Jahwe“.
Weiter:
P = Priesterschrift (darunter der Schöpfungsbericht 1. Mo 1.1-2.3) zwischen 716 und 686 v. Chr. (Regierungszeit Hiskias).
Dtr1 = Deuteronomist (5. Buch Mose und die anderen Texte, die die Geschichte des Königsreiches Davids und dann der separaten Reiche Israel und Juda nachzeichnen) am Hof Josias 640-609 v. Chr.
Das meiste andere zwischen 587 und 400 v. Chr.
Und dies noch nebenbei erwähnt: Die
genauer: die Kanonisierung des Tanach, ist die Festlegung, welche Texte der umfangreichen Bibliothek zu der „heiligen Schrift“ des Judentums gezählt werden sollten und welche nicht (die sog. alttestamentlichen Apokryphen) erfolgte erst in der Zeit des rabbinischen Judentums (nach 70 n.Chr. ) Ende des 2. Jhdts n. Chr. - etwa zeitgleich mit der Kanonisierung des Neuen Testamentes.
Aus dem oben Gesagten geht sicherlich deutlich genug hervor, daß die diversen Redaktionen, die an der Kompilation älterer Textvorlagen beteiligt waren und die Redaktionen, die danach auch neuere Texte verfaßten (insbesondere solche, die tatsächlich die Reichsgeschichte interpretierend nachzeichneten - wenn auch nicht in widerspruchsfreier Form - mit zu der Zeit als historische Persönlichkeiten aus der Überliefrung bekannten Richtern und dann Königen) selbstverständlich wußten, daß zumindest die Schöpfungsberichte (und um diese geht es dir ja hier) völlig verschiedene waren. Wie sollte das denn auch anders sein? Daß sie dennoch beide in die Textsammlung aufgenommen haben, bzw. zusätzlich verfaßt haben (we z.B. „P“) war allein der politischen Konflikte zwischen den zwei konkurrierenden Priesterschaften geschuldet - und vor allem der Zielsetzung Josias, die israelitische Religion („jüdische“ nennt man sie - aus Gründen - erst ab der Zeit nach dem Exil) zu zentralisieren. Mit Zentrum im Jerusalemer Tempel.
Hätte diese Redakteure aber damals jemand gefragt, ob sie speziell die Schöpfungsberichte als „mythisch“ oder als „historisch“ auffaßten, hätten sie ganz sicher deutlich geantwortet: „Hä??“
Denn - vorausgesetzt es hätte im damaligen Aramäisch und Hebräisch überhaupt eine Vokabel gegeben, die dem heutigen - auf dem griechischen „mythos“ = „Erzählung“ beruhenden - Wort entsprach (was nicht der Fall ist): Was hätten sie antworten sollen? Denn „Erzählungen“ sind alle die Texte, mit denen sie zu tun hatten.
Eine Unterscheidung zwischen einer poetischen oder religiös motivierten Erzählung (mit einem je bloß „intrinsischen“ Wahrheitsbegriff) und einem Versuch, eine historisch-zeitliche Vorgeschichte nachzuzeichnen, für die es das eine oder andere „beweisende“ Dokument geben mußte (Inschrften, schriftlicher Austausch zwischen dadurch als historisch erwiesenen Personen usw.) beginnt tatsächlich ja erst mit Schriften von Schriftstellern, die deshalb ja auch als „Historiker“ in die Geschichte eingingen. Herodot zum Beispiel oder Livius. Schriftsteller, die ggf. auch selbst zu unterscheiden verstanden, daß sie nicht sicher seien, ob dies oder jenes bloße Legende war oder nicht.
Obwohl auch der heutige Mythosbegriff alles andere als eindeutig ist (man bedenke z.B. die Arbeiten von Claude Lévi-Strauss, Karl Kerényi, Mircea Eliade, Walter Burkert, Jan Assmann usw. vor allem aber die komplexe und komplizierte theologische Diskussion um den Begriff der → „Entmythologisierung“, die durch Rudolf Bultmann in Gang gesetzt wurde - oder in der Philosophie: Schelling, Ernst Cassirer, Hans Blumenberg, Kurt Hübner usw.), so läßt sich zumindest eine Unterscheidung setzen in der textimmanenten Zeittopologie: Die „historische“ Abhandlung setzt eine eindeutige Zeitmetrik mit Zeiteinheiten (Jahre, Jahrhunderte usw.) voraus.
Der Mythos dagegen (wir reden hier von Kosmogonien) hat eine ganz andere Zeittopologie: Es gibt nur ein metrikloses Vorher/Nachher. Er redet von einem „Anfang“, und das in weitverbreiteten charakteristischen Formeln: „Als noch nicht …“, „Als zum ersten Mal“, „Als Himmel und Erde …“, "Der Tag, an dem… "oder mit den besonders prägnanten Beispielen „Als das Entstehen entstand …“ (Pyramidentext 7. Jhdt v. Chr.) und „Als Sein und Nichtsein noch nicht unterschieden war …“ (Rgveda).
Wir können also heute unterscheiden zwischen einer „mythischen“ Zeitauffassung und einer „historischen“ Zeitauffassung. Rein theologisch, also religionsimmanent handelnde Berichte haben in der Regel aber gar keine historische (im heutigen Begriffsverständnis) Intention, sondern eine „transzendente“ (im religionssprachlichen Sinn). Und wo sie die historische Intention dennoch haben, machen sie das eindeutig kenntlich (als nächstliegendes Beispiel sei das christliche „nicäno-konstantinopolitanische“ Glaubensbekenntnis erwähnt, in dem genau aus diesem Grund „Pontius Pilatus“ erwähnt ist).
Und was deine Problematik mit christlichen Fundamentalisten/Kreationisten betrifft: Da ist erfahrungsgemäß jede Diskussion sinnlos und verlorene Zeit. Dazu mag ich mich daher auch gar nicht auslassen. Daß „heilige Schriften“ in vielen Religionen (indische, persische, „abrahamitische“) kanonisiert wurden, ist eines. Etwas anderes ist die Dogmatisierung als sog. „Gottes Wort“, die jeweils erst Jahrhunderte nach den Verschriftlichungen stattfand, und die allein der polemischen Konkurrenz gegen andere Religionen geschuldet war. Dies Dognatisierung ignoriert natürlich jede Sachkenntis über die jeweilige Entstehungsgeschichte der Texte, insbesondere deren endgültige Kanonisierung, die lange nach der Verschriftlichungen stattfand, und zudem auch die jeweiligen Übersetzungsprobleme in andere Sprachen.
Gruß
Metapher