Hiho,
die beiden Möglichkeiten, die Du vorgegeben hast, überzeugen mich nicht, obgleich ich damit nicht sagen möchte, sie wären grundfalsch. Mit Sicherheit ist da auch etwas daran. Ich sehe aber andere Gründe für die ‚Beliebtheit‘ von Borderline und ADHS.
Zu Borderline = Erstmal besitzt dieser Begriff, trotz des Leides, welches er impliziert, einen gewissen Chic. Sein Klang unterscheidet sich ganz eindeutig von dem anderer Begriffe. Wären Diagnosen Modelabels, Borderline würde alle anderen in puncto Einprägsamkeit abhängen. Man kann ihn viel besser in Gespräche einbringen. Das ist jedoch bestimmt nicht die ganze Wahrheit.
Was Borderline zudem anfällig für Selbstdiagnosen macht, sind die handlungszentrierten Charakteristika, die in dem Kontext viel häufiger erwähnt werden als anderswo. Mit mehr oder weniger Phantasie kann man sich exzessivem Drogenkonsum und Selbstverletzung ohne Weiteres identifizieren. Sprich, wer auf dem Oktoberfest zu viel gesoffen hat, könnte dies als exzessiven Drogenkonsum auslegen. Vielleicht hat er auch irgendwann mal gekifft und wird dadurch in seiner Annahme noch bestätigt. Mit Selbstverletzung ist es das Gleiche in grün. Man kann unzählige Momente so auslegen, dass man sich selbst ins Knie schießt, wennglich dies an sich noch lange keinen Borderliner macht. Die Intensität ist dabei ausschlaggebend, und jemand, der im Grunde keinen Bezugsrahmen besitzt, kann da sehr schnell etwas missverstehen.
Zu ADHS = Diese Diagnose ist natürlich auch ein echtes Schmankerln, weil jedes Kind, das durch Bewegungsdrang auffällig wird, krank ist. Wahrscheinlich hat diese Diagnose mit unserer mit Perfektion und Norm übersättigten Gesellschaft zu tun. Die meisten Erwachsenen wünschen sich vernünftige und pflegeleichte Kinder, weil sie besser funktionieren. Deswegen sind Kinder mit einem ausgeprägteren Bewegungsdrang etc. pp. aber nicht gleich krank. Stattdessen sehe ich in den Erwachsenen, die solche Kinder kurzerhand in diese Kategorien einordnen, ein Defizit, kindliches Erleben einzuschätzen. Kurzum, das Problem bei ADHS sind m.E. definitiv nicht die Kinder.
Viele Grüße