Verantwortung/Verantwortlichkeit

Hallo Forum

Ist „Verantwortlichkeit“ bloß eine geblähte Form von
„Verantwortung“? Oder könnt Ihr eine sinnvolle Aussage aus
folgenden Satz herauslesen:
«XY erhält mehr Verantwortung und damit mehr
Verantwortlichkeit.»?

Vielen Dank fürs Nachdenken
Rolf

Verantwortung, Verantwortlichkeit (Grimm)

Hallo, Rolf

Grimm sagt folgendes:

"VERANTWORTLICHKEIT, f. verantwortlicher zustand, mhd. nicht
nachgewiesen, erst im neuern nhd. vorkömmlich: der mann lebt im gefühl
seiner ernsthaften pflichten, seiner verantwortlichkeit gegen mitwelt
und nachwelt. H. HEINE 9, 66; der bote … war aber wahrscheinlich nach
einer andern gegend entflohen, weil er sich vor der verantwortlichkeit
fürchtete. AUERBACH dorfgesch. 4, 65; ich meine, du könntest dann doch
das gefühl einer gewissen verantwortlichkeit nicht abschütteln. HEYSE
kinder d. welt 3, 47.

VERANTWORTUNG, f., im älteren mhd. nicht nachzuweisen, doch in der
zweiten hälfte des 15. jahrh. vorkömmlich (s. unten).

  1. verantwortung, nach 2, a des verbs, antwort: und wiewol der stett
    botten von den benanten churfursten allerlei verantwortung, gebung
    irer antwort eedenmalen sie der stet antwort empfangen haben, bescheen
    ist und sunder auf meinung, das die keis. mai. solich ir antwort hab
    haben (…)

  2. die handlung des sich verantwortens: apologia, verantwurtung …"

Gruss
Adam

und jetzt?
Hallo, Adam

Falls Du aus diesem Wörterbucheintrag eine Antwort
auf meine Frage herauslesen kannst, dann Teile mir
doch bitte Deine Erkenntnis mit - ich kann es
nämlich nicht.

Du wärst dafür nämlich schon der richtige, denn
launigerweise gründet meine Anfrage auf einem Text
über „Adams Verantwortung vor Gott“.

Grüße
Rolf

Hallo Rolf,

Ist „Verantwortlichkeit“ bloß eine geblähte Form von
„Verantwortung“?

Sicherlich nicht, es bezeichnet was anderes.

Oder könnt Ihr eine sinnvolle Aussage aus

folgenden Satz herauslesen:
«XY erhält mehr Verantwortung und damit mehr
Verantwortlichkeit.»?

M.E müssten die Objekte im Satz vertauscht werden.

Da im Aufbruch, nur spontan:

Die Verantwortlichkeit ist der zugewiesene Zustand des Verantwortlichseins, die Verantwortung dessen Annahme.
Wenn man mich für den Dritten Weltkrieg verantwortlich macht, trage ich die Verantwortlichkeit, nicht aber die Verantwortung.

Ich tue es auf deine Verantwortung, d.h. auf die von dir akzeptierte Veranwortlichkeit.

Dementsprechend ist es ein Unterschied, ob jemand verantwortungsbewusst ist oder verantwortlichkeitsbewusst.

Verantwortlichkeiten können verteilt werden, Verantwortungen nicht.

Und umgekehrt geht’s auch:
Obwohl er die Verantwortung übernommen hatte, hielten ihn die Leute für diesen Schlamassel nicht verantwortlich.

wie gesagt, nur auf die Schnelle

HB

Kompetenz-Kompetenz
Hallo Rolf,

Ist „Verantwortlichkeit“ bloß eine geblähte Form von
„Verantwortung“?

… so würde ich das sehen.

Oder könnt Ihr eine sinnvolle Aussage aus
folgenden Satz herauslesen:
«XY erhält mehr Verantwortung und damit mehr
Verantwortlichkeit.»?

Nein.

Wem „Verantwortung” für etwas übertragen wird, der erhält Entscheidungs- und Handlungskompetenz in einem Bereich.

„Verantwortlichkeit” könnte man dann analog als so etwas wie Stoibers „Kompetenzkompetenz” ansehen.

Wenn man nach den beiden Begriffen „Verantwortlichkeit” und „Verantwortung” in deutschen Gesetzestexten sucht, hat „Verantwortlichkeit” mit mehr als doppelt so viel Treffern die Nase vorn.

http://www.gesetze-im-internet.de/volltextsuche.html

Edmund Stoiber verfügte als Politiker halt immer schon über absolute Stilsicherheit:

http://de.youtube.com/watch?v=du85qeZrAt4

Gruß Gernot

Mehr Verantwortlichk. führt zu mehr Verantwortung

Hallo, Rolf

Falls Du aus diesem Wörterbucheintrag eine Antwort
auf meine Frage herauslesen kannst, dann Teile mir
doch bitte Deine Erkenntnis mit - ich kann es
nämlich nicht.

Es tut mit leid, dass ich dir zugemutet habe, selbst Schlüsse zu
ziehen.

«XY erhält mehr Verantwortung und damit mehr Verantwortlichkeit.»

Grimms Definitionen besagen, dass dieser Satz keinen Sinn macht.

Wenn Herr XY jedoch von der Geschäftsleitung in den ZUSTAND von mehr
‚Verantwortlichkeit‘ versetzt würde, HANDELTE er nachher mit mehr
‚Verantwortung‘ …

Gruss
Adam

Hallo!

„Verantwortlichkeit” könnte man dann analog als so etwas wie
Stoibers „Kompetenzkompetenz” ansehen.

Kompetenz-Kompetenz hat nichts mit „Verantwortlichkeit“ zu tun. Unter Kompetenz-Kompetenz versteht der Jurist die Kompetenz, Kompetenzen festzulegen. So hat in Deutschland der Bund die Kompetenz-Kompetenz im Hinblick auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern: der Bund legt fest, welche Kompetenzen der Bund hat und welche die Länder. Hier muss man Stoiber also (ausnahmsweise) in Schutz nehmen, er verwendet diesen Begriff richtig.
Zur Ausgangsfrage: inhaltlich sehe ich zwischen „Verantwortung“ und „Verantwortlichkeit“ keinen Unterschied.
Grüße, Peter

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Hallo Peter,

Hier muss man Stoiber also (ausnahmsweise) in Schutz
nehmen, er verwendet diesen Begriff richtig.

Ich sagte ja: Stoiber ist absolut sicher, was den Dada-Stil der Juristen angeht.

http://www.jurablogs.com/de/kompetenz-kompetenz

Als jemand, der etwas mehr auf Sprache achtet, mache ich mir diesen Stil dennoch nicht zu eigen.

Ich bin doch nicht plemplem!
:wink:

Gruß Gernot

jetzt wirds off topic
Hallo Gernot!

Hier muss man Stoiber also (ausnahmsweise) in Schutz
nehmen, er verwendet diesen Begriff richtig.

Ich sagte ja: Stoiber ist absolut sicher, was den Dada-Stil
der Juristen angeht.
Als jemand, der etwas mehr auf Sprache achtet, mache ich mir
diesen Stil dennoch nicht zu eigen.

Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug des Juristen, er arbeitet täglich mit ihr und achtet auf die Bedeutung jedes einzelnen Wortes - für sich und im jeweiligen Konnex. Ich wäre ein schlechter Jurist, würde ich die Klarheit eines Textes aus stilistischen Gründen auch nur im Geringsten verwässern. Natürlich treibt die Formulierungswut Blüten, aber im Allgemeinen sind juristische Texte bis ins Detail durchdacht. Zudem sind für den Juristen viele Wörter, die vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussehen, juristische Fachtermini mit exakt definierten Inhalten, so ist etwa nicht alles, was umgangssprachlich als „Besitz“ bezeichnet wird, tatsächlich „Besitz“ im Sinne der Gesetze. Du würdest sicher auch keine Freude haben, wenn dir aus einem Vertrag Nachteile erwachsen, der zwar stilistisch wunderschön, aber juristisch wackelig formuliert ist.
Grüße, Peter
PS: Die Ideen des Dada-Bewegung finde ich durchaus reizvoll :wink:

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Was ist eigentlich ein ‚Halbsatz‘?
Hallo Peter!

Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug des Juristen, er
arbeitet täglich mit ihr und achtet auf die Bedeutung jedes
einzelnen Wortes - für sich und im jeweiligen Konnex.

Ich versuche seit Jahrzehnten zu verstehen, was Juristen mit dem Begriff „Halbsatz“ meinen, den sie ständig verwenden:

Ein „Halbsatz“ muss nach Juristenverständnis nämlich offensichtlich noch nicht einmal eines der drei folgenden Kriterien notwendigerweise erfüllen:

  • Nach Phonem- oder Graphem-Anzahl gemessen exakte erste oder zweite Hälfte eines vollständigen Satzes

  • Einer von genau zwei mit neben- oder unterordnender Konjunktion verbundenen Teilsätzen eines vollständigen Satzes

  • Einer von genau zwei Teilsätzen, die einen Satzteil einsparen, indem sie ihn sich teilen

Mir graust es jedenfalls immer, wenn ich diesen schwammigen Begriff höre.
:wink:

Gruß Gernot

Hallo Gernot!

Ein „Halbsatz“ muss nach Juristenverständnis nämlich
offensichtlich noch nicht einmal eines der drei
folgenden Kriterien notwendigerweise erfüllen:

Stimmt, das muss er nicht. Wozu auch? Im Sprachgebrauch des Juristen umschreibt der juristische terminus „Halbsatz“ ja keine bestimmte grammatikalische Konstruktion, sondern bezeichnet lediglich die Stelle des Gesetzeswortlautes, an der sich eine bestimmte Regelung findet.

Mir graust es jedenfalls immer, wenn ich diesen schwammigen
Begriff höre.

Seltsamerweise konnte ich bisher noch jede so bezeichnete Stelle einfach und eindeutig auffinden :wink:
Grüße, Peter

Hallo Peter!

Im Sprachgebrauch des Juristen umschreibt der juristische
terminus „Halbsatz“ ja keine bestimmte grammatikalische
Konstruktion, sondern bezeichnet lediglich die Stelle des
Gesetzeswortlautes, an der sich eine bestimmte Regelung findet.

ich habe mal ein bisschen gegoogelt:

Rekordverdächtig ist der „ Bußgeldkatalog des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung “ des Landes Brandenburg, der in irgendeiner der vielen Bundes-Immissionsschutz-Verordnungen sage und schreibe mindestens 17(!) Halbsätze innerhalb eines einzigen Satzes verortet …

… macht nach Adam Ries einen achteinhalbfachen Einzelsatz!

http://209.85.135.104/search?q=cache:LJrWjkhk148J:ww…

Seltsamerweise konnte ich bisher noch jede so bezeichnete
Stelle einfach und eindeutig auffinden :wink:

Bist du bereit für einen kleinen Test?

Ab § 2 Abs. 3 Satz 6 EStG bedient sich die Vorschrift einer unübersichtlichen Verweisungstechnik. (…) Die Sätze 6 und 7 bedienen sich zudem einer das Gesetzesverständnis erschwerenden Selbstbezüglichkeit: Satz 6 verweist - in Halbsatz 6 - auf Satz 6 und Satz 7 verweist - in Halbsatz 3 - auf Satz 7.

http://lexetius.com/2006,2651#45

Welcher genau ist jetzt in § 2 Abs. 3 EStG der Halbsatz 6 in Satz 6 und welcher der Halbsatz 3 in Satz 7?

Gruß Gernot

Hallo Gernot!

Rekordverdächtig ist der „Bußgeldkatalog des Ministeriums
für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung
“ des Landes
Brandenburg, der in irgendeiner der vielen
Bundes-Immissionsschutz-Verordnungen sage und schreibe
mindestens 17(!) Halbsätze innerhalb eines einzigen Satzes
verortet …
… macht nach Adam Ries einen achteinhalbfachen Einzelsatz!
http://209.85.135.104/search?q=cache:LJrWjkhk148J:ww…

Du hast das Zitat „§ 4 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz 17. BimSchV“ missverstanden: gemeint ist der zweite Halbsatz im ersten Satz des sechsten Absatzes von Paragraph vier der siebzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.

Ab § 2 Abs. 3 Satz 6 EStG bedient sich die Vorschrift
einer unübersichtlichen Verweisungstechnik.

Zum Glück bin ich kein deutscher, sondern österreichischer Jurist :wink:
Die hiesige Legistik produziert aber leider auch so misslungene Formulierungen, ich ärgere mich oft über unnötige Verkomplizierungen und den Verweisungswahnsinn. Man kann deswegen aber nicht hergehen, den Juristen samt und sonders sprachliche Unfähigkeit vorwerfen und deine sicherlich abschreckenden Beispiele als Normalfall für juristischer Formulierungskunst ansehen. Die allermeisten Texte gelingen besser.
Grüße, Peter

1 Like

Ist „Verantwortlichkeit“ bloß eine geblähte Form von
„Verantwortung“?

Sicherlich nicht, es bezeichnet was anderes.

Oder könnt Ihr eine sinnvolle Aussage aus

folgenden Satz herauslesen:
«XY erhält mehr Verantwortung und damit mehr
Verantwortlichkeit.»?

M.E müssten die Objekte im Satz vertauscht werden.

Da bin ich Deiner Ansicht, aber das folgende sehe ich anders, oder hab Dich falsch verstanden:

Die Verantwortlichkeit ist der zugewiesene Zustand des
Verantwortlichseins, die Verantwortung dessen Annahme.

Die Verantwortung wird ausgedehnt (eine Gunst für den Verantwortlichen), dafür auch die Verantwortlichkeit (eine Pflicht, die daraus entsteht).

Wenn man mich für den Dritten Weltkrieg verantwortlich macht,
trage ich die Verantwortlichkeit, nicht aber die
Verantwortung.

m.E. kann man nur Verantwortung tragen, Verantwortlichkeit nicht! Wenn man Dich für den 3. Weltkrieg verantwortlich macht, hält man Dich für übermächtig, vermutlich gottähnlich. Da stellt sich die Frage nach Verantwortlichkeit nicht mehr.
Wenn Du sagst:

Ich tue es auf deine Verantwortung,
d.h. auf die von dir
akzeptierte Veranwortlichkeit.

Das ist ein gutes Beispiel! Verantwortung (und damit Macht) kannst Du abgeben, Verantwortlichkeit nicht - sie ist eben die aus der Verantwortung erwachsende Pflicht.

Dementsprechend ist es ein Unterschied, ob jemand
verantwortungsbewusst ist oder verantwortlichkeitsbewusst.

„verantwortlichkeitsbewußt“ lehne ich ab, weil daraus Verantwortlichkeitsbewußtseinsempfinden resultiert.

Verantwortlichkeiten können verteilt werden, Verantwortungen
nicht.

Hä?

Und umgekehrt geht’s auch:
Obwohl er die Verantwortung übernommen hatte, hielten ihn die
Leute für diesen Schlamassel nicht verantwortlich.

Also, Boris B., das ist kein Beispiel für die Anwendung des Deutschen, sondern für die Dummheit der Leute, oder die Gerissenheit der Hintermänner, die einen „Verantwortlichen“ gefunden haben, bevor sie für den Schlamassel verantwortlich gemacht werden können!

wie gesagt, nur auf die Schnelle

heißt das, Du übernimmst keine Verantwortung, obwohl Du Deiner Verantwortlichkeit bewußt bist (als Linguist)? :smile:

(Das ganze fällt in meine Rubrik „Dummquatschen“, mein Hobby! Wenn Du Zeit und Spaß hast, freue ich mich auf Antwort!)
Wenn ich auch noch eine akzeptable Antwort auf die ursprüngliche Frage beisteuern konnte, soll’s mich auch freuen.
LG Mona

Dank an alle
Allen Antwortenden herzlichen Dank!

Die Definition von Boris («Die Verantwortlichkeit
ist der zugewiesene Zustand des
Verantwortlichseins, die Verantwortung dessen
Annahme.») hat mir eingeleuchtet, doch wurde dem
dann auch wieder widersprochen.

Somit bleibt etwas die Frage unklar – aber auch das
ist ein Resultat, das mir weiterhilft.

Freundliche Grüße
Rolf