Servus,
Ich möchte halt genau wissen wie man damals als einfacher
Bauer gelebt hat.
das ist eine Spezialfrage. Das Leben auf dem Land hat sich auch noch in ungefähr zwei Dritteln des zwanzigsten Jahrhunderts vom bürgerlichen und städtischen Alltagsleben dramatisch unterschieden. Ich kenne Kommern nicht - die bäuerlichen Freilichtmuseen, die ich gut kenne (Vogtsbauernhof und Kürnbach) zeichnen sich dadurch aus, dass in gut gemeinter Sammel- und Ausstellungsleidenschaft der Eindruck eines bäuerlichen Wohlstands erweckt wird, den es mindestens bis in die 1920er Jahre auch bei großen Freibauern nicht gegeben hat.
Wenn sich in Ravensburg noch bis ins 20. Jahrhundert hinein auf dem Kindermarkt Tiroler Kinder als Hütebuben, Schweizer und Hausmägde verdingten, dann kam das daher, dass man sie daheim schlicht nicht ernähren konnte.
Haben diese Familien wirklich alles selber gemacht? Kleidung
Essen, etc…
In sehr vielen Teilen der handwerklichen und Manufakturproduktion fängt die Spezialisierung bereits im 18. Jahrhundert an, ein Einschnitt im 19. Jahrhundert sind die 1860er Jahre.
Textilindustrie gehörte zusammen mit Eisenverhüttung und mechanisiertem Schmieden zu den frühesten überhaupt (vgl. z.B. die frühneuzeitlichen Handelsgesellschaften Fugger und Humpis). Die Spezialisierung ist hier im 19. Jahrhundert schon so weit fortgeschritten, dass zwar in bäuerlichen Familien der entsprechenden Regionen viel Verlagsweberei in Heimarbeit getrieben wird, aber nicht für den eigenen Bedarf, sondern als Lohnarbeit im Akkord.
In vielen bäuerlichen Gegenden findest Du als Alltags- und Arbeitstracht blaue Kittel, Hemden etc., so wie etwa den Blôkittel, der auf der bettelarmen Schwäbischen Alb auch als Sonntighäs hergenommen wurde. Das hat ab 1865 mit der Geschichte einer Farbe zu tun: Die Gebrüder Engelhorn hatten den ersten synthetischen und damit billigen Textilfarbstoff überhaupt entwickelt, das Anilinblau. In der Folge trugen (und tragen heute noch) ganze Heerscharen von Soldaten, Bauern, Arbeitern Blau bzw. Blue. Die Engelhornsche Fabrik heißt heute beiläufig BASF.
Kurz: Wollenes wurde noch lange selbst hergestellt, Weberei für den Eigenbedarf gab es im 19. Jahrhundert kaum mehr. Entsprechend spezialisierte Handwerker kamen in Gegenden, in denen der Leinbau wichtig war, zu den großen Bauern (die überall die Minderheit ausmachten) „auf Stör“.
Müllerei war schon seit dem Mittelalter ein spezialisiertes Handwerk.
Gebraut wurde auf großen Höfen selber, geschlachtet und gewurstet auch.
Die kleineren Bauern lebten seit Ende des 18. Jahrhunderts fast ausschließlich von Kartoffeln und Milch(-produkten), soweit sie Milchvieh hatten. Meine Mutter hat noch in den 1930er Jahren auf einem Hof gearbeitet, wo es täglich Kartoffeln mit einem Schlag Blutwurst gab, morgens Milch und Brot, und das wars dann. Freitags keine Blutwurst.
Die Milchwirtschaft hat sich im Lauf des 19. Jahrhunderts spezialisiert, Folge der verbesserten Transportmöglichkeiten ab etwa 1850 per Bahn.
Produkte aus bäuerlicher Heimarbeit sind u.a. die legendären Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald. Eine feinere Form vom Ende des 19. Jahrhunderts, die in vielen großbäuerlichen Küchen gehangen haben mag, wird heute noch (allerdings mit einigen Änderungen im Material) gebaut: Die einfache Wandpendeluhr von Jakob Wintermantel, das „Zweimal-Jokele“. Die Ganggenauigkeit ist nicht berauschend, aber man hat damit ein freundliches Stück Kulturgeschichte an der Wand hängen: Ich mag sie furchtbar gern.
Konnte man irgendwo etwas Einkaufen, wenn ja was?
Salz; Zucker und Colonialwaaren (Kaffee, Kakao, Sago, Gewürze …); Eisenwaren (Nägel, Draht, Sensen, Gabeln etc. - wenn Du magst, komm mal Anfang November zum Hochheimer Markt, da findet man einen guten Querschnitt der Waaren, die auch schon vor 150 Jahren auf dem Einkaufszettel standen); Produkte des lokalen spezialisierten Handwerks: Schuster, Stellmacher, Schmied, Sattler, Büchsenmacher, Bürstenbinder etc. …
Einkaufen konnte man bloß, wenn Geld da war. Hier findet eine wichtige Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt. Es gab zwar schon Ende des 18. Jahrhunderts allerlei Spezialisierungen und den damit verbundenen Handel (Wolle, Leineweberei, Getreide; während des ganzen 19. Jahrhunderts in Paris sehr begehrt das „Boeuf de Hohenlohe“, die Schlachtrinder wurden von Schwäbisch Hall bis Paris zu Fuß getrieben; Imkerei im Frankenwald und in der Heide; Holz- und Glaswirtschaft in den Mittelgebirgen; Weinbau), aber systematischer und flächendeckender Handel mit landwirtschaftlichen Produkten geht erst mit dem entsprechenden Bedarf auf der Abnehmerseite etwa 1860 los. Einige heute noch sehr bekannten „Handelsmarken“ landwirtschaftlicher Produkte stammen aus dieser Zeit: Hopfen aus der Holledau, aus Saaz und Tettnang; Käse aus dem Allgäu und aus der Schweiz; Gemüsekonserven aus Braunschweig; Merrettich aus Franken und aus dem Spreewald etc.
Wie sah es mit der Ernährung aus?
Womit wurde gegessen, getrunken?
1980 hab ich auf meinem Lehrbetrieb noch das Winterfrühstück erlebt, wie es eher traditionell noch „gefeiert“ wurde, wenn man in den Wald zum Holzmachen ging, und wie es 1850 auch gewesen sein mag: Eine große Pfanne Bratkartoffeln oder „Brennts Mues“ in der Mitte, jeder einen Löffel in der Hand, eine Tasse kuhwarme Milch, und bevors losgeht ein großer Steinkrug mit Obstwasser, der von Hand zu Hand in die Runde geht.
Ungefähr so, aber mit wechselnd gefüllten Pfannen oder Töpfen in der Mitte, kann man sich das glaube ich als Alltagsmittagessen vorstellen: Bratkartoffeln, Pellkartoffeln mit einem Hieb Leinöl, Buttermilch, Quark; Sauerkraut, Hirsebrei, Gerstensuppe, Kohlsuppe, Erbsensuppe, Bohnensuppe, Brennts Mues (in Milchwasser gequollenes und dann mit Schmalz angebratener Weizengrieß), Grünkohl. An Backtagen Dinnete, an Schlachttagen Metzelsuppe.
Gemüse und Salat werden erst mit der bürgerlichen Kultur am Ende des 19. Jahrhunderts wichtig.
Wie war die Hygiene, Zahnpflege, Babypflege?
Nungut, einen Brunnen hat man gehabt. Waschtag war nicht so oft, deswegen gehörte zu einer ordentlichen Aussteuer eine große Menge an Weißzeug, Hemden usw. - Pierre Jakez Hélias erzählt in „Le Cheval d’Orgueuil“, dass im Pays Bigouden ein junger Mann als ordentliche Partie galt, wenn er 25 Hemden hatte - die jeweils zwei Mal im Jahr gewaschen wurden.
Wie war das Haus eingerichtet?
Die Küche: Ein Herd, ein Tisch, einige Stühle und Bänke. Bissel was an Schränken und Borden, ein Kruzifix. Bei Reichen eine Uhr.
Die gute Stube: Tisch, Stühle, Bänke. Ein Kachelofen. Eine Truhe für die wichtigen Habseligkeiten (Truhe, um schnell das wichtigste retten zu können, wenn das Haus brannte). Vielleicht ein Schrank mit dem besseren Geschirr - falls man hatte.
Die Kammern: Bett, Schrank, bei Reichen eine Kommode für das Waschlavor. Vielleicht ein Bild: Herzjesu oder Muttergottes.
Wie groß waren diese Häuser?
Gegendweise unterschiedlich. Die meisten viel kleiner als die heute museal erhaltenen. Für eine Häuslersfamilie vielleicht 50 m² Wohnfläche, schätze ich. Die Höfe im Vergleich zu heutigen Wohnungen eher riesig, aber auch dicht bevölkert. So ein Gulfhaus aus dem Nordwesten war leicht mal von zwanzig Leuten und mehr bewohnt.
In meinem Lehrbetrieb - einem großen Vorderallgäuer Einhaus - waren die Küche und die gute Stube die zwei heizbaren Räume. Meine Kammer lag zwei Stockwerke darüber. Im Winter bin ich mit langer Unterwäsche, dicken Socken und einem großen Federbett ins Bett gegangen, es war in der Kammer leicht einmal 0 - 5° C. Auch im Nordwesten, wo man gern von der Wärme erzählt, die das liebe Vieh den Menschen gibt, die in einem vom Stall nicht abgetrennten Raum leben, wars mit der Wärme nicht so weit her: Bei einem entsprechenden Versuch in den 1980er Jahren in einem alten Hof bei Celle stellte sich heraus, dass die Strafen für das Verschütten von Wasser nach der preussischen Dienstbotenordnung deswegen so hart waren, weil das in der Küche während der Wintermonate sofort Glatteis gab.
Gab es Spielzeug für die Kinder?
Für Bauernkinder wohl vor allem im Säuglingsalter: Sockenpuppen, einfache Greiflinge usw. wird man schon früh zur Unterhaltung der Kurzen hergenommen haben. Auch eine Speckschwarte zum Lutschen, oder einen Schnuller aus einem Fetzen zusammengebunden, den man zum Schlafen mit Obstwasser tränkte. Kleine, leichte Werkzeuge wie Rechen, Gabeln, auch kleine Melkschemel usw. Kind sein hörte für einen Bauernbuben wohl mit einem Alter von etwa 5 Jahren auf, sobald er zum Hüten, Heurechen, Kartoffellesen, Melken taugte. Schulpflicht und Schulbesuch regional unterschiedlich, tendenziell in den schriftversessenen evangelischen Gegenden etwas früher und etwas flächendeckender.
Wie war so ein Tagesablauf, des Mannes, der Frau, der Kinder?
Aufstehen nach Jahreszeit, Sommers etwa 3-4h (Handmähen geht sehr viel leichter, solang Tau auf dem Gras liegt; vorher muss der Stall gemacht und das Morgenessen eingenommen sein), Winters wohl nicht vor 7h (Licht ist teuer). Die Kinder haben, soweit sie zur Schule gehen, einen Fußweg von je nach Lage des Hofes bis zu etwa 2 Stunden (schön beschrieben für den Anfang des 20. Jahrhunderts in den „Langerudkindern“ von Marie Hamsun). Die Familie samt Knechten und Mägden sieht sich eine halbe Stunde beim Morgenessen und beim Vesper, eine Stunde zu Mittag. Morgens und mittags vor dem Essen ein Avemaria, an Feiertagen und an Sterbetagen von Verwandten schon auch einmal ein ganzer Rosenkranz, wenn man grad Zeit hat. Beim Morgenessen wird besprochen, wer was macht. Mittag nach dem Zwölfeläuten - das ist das Signal zum Heimkommen. Im 19. Jahrhundert in Grünlandgegenden eine mittägliche Melkzeit, also eine knappe Stunde Stall - morgens und abends sinds mit Füttern und Misten etwa zwei Stunden. Eintreiben vor dem Brotessen um Fünfe, Feierabend nach dem Stall, etwa Halbachte. Nachher kleinere Arbeiten, Flicken, Schuheputzen usw. Im Winter, wenns etwas ruhiger zugeht, abendliches Treffen reihum zur „Lichtstube“. Die Weibsleute beschäftigen sich mit irgendwelchen Handarbeiten, die Mannsleute sind eher zur Verzierung dabei.
Sonntags am Abend Tanz, Kartenspielen, Kegeln (auf Sandbahnen im Freien).
Wie war es bei den Geburten? Kam da ein Arzt?
Geburten mit Hebamme waren normal, außer bei den Häuslern, die sich die auch nicht leisten konnten und zusehen mussten, wie sie zurecht kamen.
Ein sehr weites Feld …
Im bäuerlichen Alltag hat sich zwischen ca. 1870 und ca. 1955 abgesehen von elektrischem Strom und später den Dieselmotoren nicht so sehr viel verändert. Ich glaube, es ist von heute aus gesehen ein guter Zugang, wenn Du Dir die hervorragend schönen Fotodokumentationen über Alltag auf der Schwäbischen Alb in den 1950er Jahren von dem Schullehrer Eugen Sauter anschaust. Das gibt immerhin einen ersten Einblick, wie das war, beim Melken, beim Holzmachen, beim Wagner, beim Aufrichten eines neuen Dachstuhls, beim Kartoffellesen, beim Heuen, beim Straßenbauen, im Steinbruch usw. - man muss halt für die hundert Jahre Zeitdifferenz einen ziemlichen Abstrich hinsichtlich Wohlstand machen.
Schöne Grüße
MM