Das Leben im 19. Jahrhundert

Hallo liebe Experten!

Ich interessiere mich sehr für das Leben im 19. Jahrhundert. Seit einiger Zeit google ich mich schon dämlich :wink:
Alles was ich finde sind Informationen zur Geschichte, aber nicht zum eigentlichem Leben.
Ich habe schon Bücherverzeichnisse durchstöbert und so viele Seiten angeguckt aber ich finde nix. Ich habe schon Bilder gefunden die eine nachgestellte Szene darstellen sollen wo auf der Wand eine bunt bedruckte Tapete wie aus den 70er war.
Bei wiki habe ich infos über die Kücheneinrichtung gefunden. Auch Infos über die Bauweisen des Hauses.
Anonsten finde ich immer nur ganz grobe Infos mit denen ich nichts anfangen kann.

Ich möchte halt genau wissen wie man damals als einfacher Bauer gelebt hat.

Haben diese Familien wirklich alles selber gemacht? Kleidung Essen, etc…
Konnte man irgendwo etwas Einkaufen, wenn ja was?
Wie sah es mit der Ernährung aus?
Womit wurde gegessen, getrunken?
Wie war die Hygiene, Zahnpflege, Babypflege?
Wie war das Haus eingerichtet? Wie groß waren diese Häuser?
Gab es Spielzeug für die Kinder?
Wie war so ein Tagesablauf, des Mannes, der Frau, der Kinder?
Wie war es bei den Geburten? Kam da ein Arzt?

Vielleicht kann mir jemand weiterhelfen das wäre echt super. Es würde mir auch reichen wenn jemand ein oder mehrere Bücher kennt. Im lesen habe ich ja jetzt übung :wink:

Vielen Dank schon mal

Hallo liebe Corinna,

aus Deiner ViKa geht leider gar nichts hervor, daher kann ich auch nur einen pauschalen Rat geben.
Es gibt eine Reihe von Bauernmuseen, z.B. das Freilichtmuseum in Kommern (Eifel).
Dort wird sehr eindrucksvoll das Leben der Bauern in den letzten Jahrhunderten dokumentiert.
Die Museumspädagogen haben auch ein ordentliches Wissen, sodaß ein Besuch, ev. mit vorheriger Anmeldnug für eine Führung sicher Deinem Ansinnen entgegenkommt.

Gandalf

Hallo Gandalf!

Ich könnt dich knutschen!
Ich war grade auf der Seite und das ist sogar besser wie jedes Buch.
Ich freue mich jetzt schon da hin zu fahren. (ist so ein kribbeln im Bauch wie früher als Weihnachten war)
Ich werde berichten wenn ich da war! sofern ich da wieder wegkomme :smiley:

P.S. Ich habe meine Visitenkarte dirket geändert :wink:

Vielen Dank für die schnelle und klasse Antwort.

Hallo Corinna,

Ich könnt dich knutschen!

tu Dir keinen Zwang an :wink:

Ich freue mich jetzt schon da hin zu fahren. (ist so ein
kribbeln im Bauch wie früher als Weihnachten war)
Ich werde berichten wenn ich da war! sofern ich da wieder
wegkomme :smiley:

Wir waren schon einige male dort und fahren immer wieder gerne hin. Man kann auch nach einigen Besuchen immer was neues und interessantes finden.
Je nach Jahreszeit demonstrieren Handwerker und Bauern ihr Tun, das ist speziell (aber nicht nur) für die Kinder höchst interessant.

Viel Spaß dort

Gandalf

Hallo Corinna,

in Österreich gibt es in Großgmain/Salzburg auch so ein Museum.
Das ist sicher zu weit weg für dich, aber auf der Homepage gibt
es zwei Video-Kurzfilme die du dir anschauen kannst.

http://www.freilichtmuseum.com/

Unter ->Das Museum -> Was ist zu sehen -> runterscrollen zu den Filmen.

Ich war schon dort und sehr beeindruckt.

Gruß
ReMa

Hallo Corinna,

liest du gerne englische Bücher? Dann geh doch mal in eine Buchhandlung und schau bei den Klassikern, die es für ca. 2-3 Euro gibt. Da sind nämlich auch viele Bücher dabei, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurden. Ich denke, diese geben zumindest einen kleinen Einblick in das Leben der Oberschicht, denn man kann ja im Prinzip nur über das schreiben, was man kennt.

(Es ist ganz interessant, dass auch Science Fiction-Bücher ziemlich genau die Zeit reflektieren, in der sie entstanden sind! Natürlich gibt es Ausnahmen - aber wenn es auf der Erde noch etwas Besonderes war, dass Frauen berufstätig sind, z.B. in den 50er/60er Jahren, dann ist es das auch „bei den Aliens“. Bei der alten Enterprise z.B. gibt es gerade mal eine „Quotenfrau“, nämlich Ltn. Uhura. Und bei der neuen Enterprise? Da ist es ganz selbstverständlich das Frauen mit dabei sind - als Counselor, Ärztin, Barkeeperin, etc.)

Ok, nach diesem kurzen Exkurs vielleicht noch ein paar Namen. Ich denke hier z.B. an die Brontë-Schwestern (ich habe nur „Agnes Grey“ von Anne Brontë gelesen, da wird das Leben einer Gouvernante beschrieben), oder an Elizabeth Gaskell, „North and South“ (beschreibt die Situation der Arbeiter während der Anfänge der Industrialisierung in England).

Auch „The Jungle“ von Upton Sinclair ist sehr lesenswert, auch wenn das schon im frühen 20. Jahrhundert spielt. Und vielleicht noch „Germinal“ von Emile Zola, das die Situation der Bergleute in Frankreich beschreibt.

Schöne Grüße

Petra

Hallo,

ich nehme an, da gab es große regionale Unterschiede.
Es gab ja im 19. Jahrhundert auch schon recht dicht bsesiedelte Gegenden und es kamen dann auch die ersten Bahnstrecken.
Bei uns fuhr die Bahn ab 1847 zum Beispiel und um 1870 bekam der Ort einen eigenen Bahnhof. Spätestens dann war es kein Problem, in die Stadt zum Einkufen zu fahren - aber auch vorher zu Fuß oder mit Fuhrwerk sind die 10 km ja kein wirkliches Problem.
Es war also keine Kunst, den Mark zu erreichen oder Handwerksbetriebe.

Natürlich haben die längst nicht mehr alles selber gemacht. Es gab Handwerker auf dem Dorf - Zimmerleute, Stellmacher, Sattler, Schmiede, Schuster, Schneider ua. - die waren schon auf bestimmte Gewerke spezialisiert. Und es gab auch eiserne Geräte inzwischen - auch in der Landwirtschaft - die konnte doch keiner selber machen. Auch die Herstellung von Kleidung erfolgte nicht mehr zu Hause - zumindest wurden fertige Stoffe gekauft. Nicht umsonst enstand ja die Textilindustrie - da mußte also auch eine Nachfrage da sein.
Seid dem Soldatenkönig (also schon im 18. Jahrhundert) setzte sich auch die Schulpflicht durch, die Leute konnten also auch lesen und schreiben.

Natürlich gab es regional da große Unterschiede - in dünn besiedelten Gegenden wird vieles anders gewesen sein als hier. Und sicher waren auch die großen Gutswirtschaften in Ostelbien anders gestellt - da gab es ja keinen Stand kleiner unabhängiger Bauern. Dort dürfte alles über die Gutsverwaltung gelaufen sein.

Man muß aber generell eins sehen: Die Leute waren ärmer als heute. Ein kleiner Bauer kannte keinen Luxus - der hatte nichts, was er nicht auch unbedingt gebraucht hätte. Und da es keine Sozialversicherung gab, waren auch Arztbesuche zu teuer in der Regel. Man kannte bestimmte Hausmittel, es gab immer irgendwo ne Frau, die Erfahrung als Hebamme hatte, es gab inner irgendwo mal einen Hausierer, der Heilkräuter und Tees verkaufte - und das war es dann auch schon. Kosmetik fiel eh aus - bestenfalls gab es später dann Kernseife.
Alles in allem recht einfach und kärglichbei den kleinen Leuten. Die hatten kleine Häuschen mit Hof und Stallungen dran.
Natürlich stieg das Niveau mit dem reichtum. Großbauer, die Knechte beschäftigten, hatten wesentlich größere und repräsendative Häuser, dort gab es auch schon mal große Feste und demzufolge auch gutes Geschirr und so was. Und die großen Gutshäuser waren ja manchmal schon kleine Schlödder - einschließlich Dienstpersonal usw.
Schau Dir doch einfach mal ein paar alte Bauerndörfer an - am Grundaufbau hat sich da wenig geändert. Mittendrin die Kirche und sofern vorhanden das Gutsgebäude, das Pfarrhaus, die Kneipe und drumherum die Häuser und Stallungen der begüterten Bauern - entsprechend großzüg. Und weiter weg vom Mittelpunkt dann die kleinen Höfe der Kuhbauern, bei denen es nicht für ein Pferd reichte.
Mit etwas Glück findest DU auch noch die Gesindehäuser der landlosen Landarbeiter und das gmeindeeigene Haus für die Dorfarmen…

Gernot Geyer

Servus,

Ich möchte halt genau wissen wie man damals als einfacher
Bauer gelebt hat.

das ist eine Spezialfrage. Das Leben auf dem Land hat sich auch noch in ungefähr zwei Dritteln des zwanzigsten Jahrhunderts vom bürgerlichen und städtischen Alltagsleben dramatisch unterschieden. Ich kenne Kommern nicht - die bäuerlichen Freilichtmuseen, die ich gut kenne (Vogtsbauernhof und Kürnbach) zeichnen sich dadurch aus, dass in gut gemeinter Sammel- und Ausstellungsleidenschaft der Eindruck eines bäuerlichen Wohlstands erweckt wird, den es mindestens bis in die 1920er Jahre auch bei großen Freibauern nicht gegeben hat.

Wenn sich in Ravensburg noch bis ins 20. Jahrhundert hinein auf dem Kindermarkt Tiroler Kinder als Hütebuben, Schweizer und Hausmägde verdingten, dann kam das daher, dass man sie daheim schlicht nicht ernähren konnte.

Haben diese Familien wirklich alles selber gemacht? Kleidung
Essen, etc…

In sehr vielen Teilen der handwerklichen und Manufakturproduktion fängt die Spezialisierung bereits im 18. Jahrhundert an, ein Einschnitt im 19. Jahrhundert sind die 1860er Jahre.

Textilindustrie gehörte zusammen mit Eisenverhüttung und mechanisiertem Schmieden zu den frühesten überhaupt (vgl. z.B. die frühneuzeitlichen Handelsgesellschaften Fugger und Humpis). Die Spezialisierung ist hier im 19. Jahrhundert schon so weit fortgeschritten, dass zwar in bäuerlichen Familien der entsprechenden Regionen viel Verlagsweberei in Heimarbeit getrieben wird, aber nicht für den eigenen Bedarf, sondern als Lohnarbeit im Akkord.

In vielen bäuerlichen Gegenden findest Du als Alltags- und Arbeitstracht blaue Kittel, Hemden etc., so wie etwa den Blôkittel, der auf der bettelarmen Schwäbischen Alb auch als Sonntighäs hergenommen wurde. Das hat ab 1865 mit der Geschichte einer Farbe zu tun: Die Gebrüder Engelhorn hatten den ersten synthetischen und damit billigen Textilfarbstoff überhaupt entwickelt, das Anilinblau. In der Folge trugen (und tragen heute noch) ganze Heerscharen von Soldaten, Bauern, Arbeitern Blau bzw. Blue. Die Engelhornsche Fabrik heißt heute beiläufig BASF.

Kurz: Wollenes wurde noch lange selbst hergestellt, Weberei für den Eigenbedarf gab es im 19. Jahrhundert kaum mehr. Entsprechend spezialisierte Handwerker kamen in Gegenden, in denen der Leinbau wichtig war, zu den großen Bauern (die überall die Minderheit ausmachten) „auf Stör“.

Müllerei war schon seit dem Mittelalter ein spezialisiertes Handwerk.

Gebraut wurde auf großen Höfen selber, geschlachtet und gewurstet auch.

Die kleineren Bauern lebten seit Ende des 18. Jahrhunderts fast ausschließlich von Kartoffeln und Milch(-produkten), soweit sie Milchvieh hatten. Meine Mutter hat noch in den 1930er Jahren auf einem Hof gearbeitet, wo es täglich Kartoffeln mit einem Schlag Blutwurst gab, morgens Milch und Brot, und das wars dann. Freitags keine Blutwurst.

Die Milchwirtschaft hat sich im Lauf des 19. Jahrhunderts spezialisiert, Folge der verbesserten Transportmöglichkeiten ab etwa 1850 per Bahn.

Produkte aus bäuerlicher Heimarbeit sind u.a. die legendären Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald. Eine feinere Form vom Ende des 19. Jahrhunderts, die in vielen großbäuerlichen Küchen gehangen haben mag, wird heute noch (allerdings mit einigen Änderungen im Material) gebaut: Die einfache Wandpendeluhr von Jakob Wintermantel, das „Zweimal-Jokele“. Die Ganggenauigkeit ist nicht berauschend, aber man hat damit ein freundliches Stück Kulturgeschichte an der Wand hängen: Ich mag sie furchtbar gern.

Konnte man irgendwo etwas Einkaufen, wenn ja was?

Salz; Zucker und Colonialwaaren (Kaffee, Kakao, Sago, Gewürze …); Eisenwaren (Nägel, Draht, Sensen, Gabeln etc. - wenn Du magst, komm mal Anfang November zum Hochheimer Markt, da findet man einen guten Querschnitt der Waaren, die auch schon vor 150 Jahren auf dem Einkaufszettel standen); Produkte des lokalen spezialisierten Handwerks: Schuster, Stellmacher, Schmied, Sattler, Büchsenmacher, Bürstenbinder etc. …

Einkaufen konnte man bloß, wenn Geld da war. Hier findet eine wichtige Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt. Es gab zwar schon Ende des 18. Jahrhunderts allerlei Spezialisierungen und den damit verbundenen Handel (Wolle, Leineweberei, Getreide; während des ganzen 19. Jahrhunderts in Paris sehr begehrt das „Boeuf de Hohenlohe“, die Schlachtrinder wurden von Schwäbisch Hall bis Paris zu Fuß getrieben; Imkerei im Frankenwald und in der Heide; Holz- und Glaswirtschaft in den Mittelgebirgen; Weinbau), aber systematischer und flächendeckender Handel mit landwirtschaftlichen Produkten geht erst mit dem entsprechenden Bedarf auf der Abnehmerseite etwa 1860 los. Einige heute noch sehr bekannten „Handelsmarken“ landwirtschaftlicher Produkte stammen aus dieser Zeit: Hopfen aus der Holledau, aus Saaz und Tettnang; Käse aus dem Allgäu und aus der Schweiz; Gemüsekonserven aus Braunschweig; Merrettich aus Franken und aus dem Spreewald etc.

Wie sah es mit der Ernährung aus?
Womit wurde gegessen, getrunken?

1980 hab ich auf meinem Lehrbetrieb noch das Winterfrühstück erlebt, wie es eher traditionell noch „gefeiert“ wurde, wenn man in den Wald zum Holzmachen ging, und wie es 1850 auch gewesen sein mag: Eine große Pfanne Bratkartoffeln oder „Brennts Mues“ in der Mitte, jeder einen Löffel in der Hand, eine Tasse kuhwarme Milch, und bevors losgeht ein großer Steinkrug mit Obstwasser, der von Hand zu Hand in die Runde geht.

Ungefähr so, aber mit wechselnd gefüllten Pfannen oder Töpfen in der Mitte, kann man sich das glaube ich als Alltagsmittagessen vorstellen: Bratkartoffeln, Pellkartoffeln mit einem Hieb Leinöl, Buttermilch, Quark; Sauerkraut, Hirsebrei, Gerstensuppe, Kohlsuppe, Erbsensuppe, Bohnensuppe, Brennts Mues (in Milchwasser gequollenes und dann mit Schmalz angebratener Weizengrieß), Grünkohl. An Backtagen Dinnete, an Schlachttagen Metzelsuppe.

Gemüse und Salat werden erst mit der bürgerlichen Kultur am Ende des 19. Jahrhunderts wichtig.

Wie war die Hygiene, Zahnpflege, Babypflege?

Nungut, einen Brunnen hat man gehabt. Waschtag war nicht so oft, deswegen gehörte zu einer ordentlichen Aussteuer eine große Menge an Weißzeug, Hemden usw. - Pierre Jakez Hélias erzählt in „Le Cheval d’Orgueuil“, dass im Pays Bigouden ein junger Mann als ordentliche Partie galt, wenn er 25 Hemden hatte - die jeweils zwei Mal im Jahr gewaschen wurden.

Wie war das Haus eingerichtet?

Die Küche: Ein Herd, ein Tisch, einige Stühle und Bänke. Bissel was an Schränken und Borden, ein Kruzifix. Bei Reichen eine Uhr.

Die gute Stube: Tisch, Stühle, Bänke. Ein Kachelofen. Eine Truhe für die wichtigen Habseligkeiten (Truhe, um schnell das wichtigste retten zu können, wenn das Haus brannte). Vielleicht ein Schrank mit dem besseren Geschirr - falls man hatte.

Die Kammern: Bett, Schrank, bei Reichen eine Kommode für das Waschlavor. Vielleicht ein Bild: Herzjesu oder Muttergottes.

Wie groß waren diese Häuser?

Gegendweise unterschiedlich. Die meisten viel kleiner als die heute museal erhaltenen. Für eine Häuslersfamilie vielleicht 50 m² Wohnfläche, schätze ich. Die Höfe im Vergleich zu heutigen Wohnungen eher riesig, aber auch dicht bevölkert. So ein Gulfhaus aus dem Nordwesten war leicht mal von zwanzig Leuten und mehr bewohnt.

In meinem Lehrbetrieb - einem großen Vorderallgäuer Einhaus - waren die Küche und die gute Stube die zwei heizbaren Räume. Meine Kammer lag zwei Stockwerke darüber. Im Winter bin ich mit langer Unterwäsche, dicken Socken und einem großen Federbett ins Bett gegangen, es war in der Kammer leicht einmal 0 - 5° C. Auch im Nordwesten, wo man gern von der Wärme erzählt, die das liebe Vieh den Menschen gibt, die in einem vom Stall nicht abgetrennten Raum leben, wars mit der Wärme nicht so weit her: Bei einem entsprechenden Versuch in den 1980er Jahren in einem alten Hof bei Celle stellte sich heraus, dass die Strafen für das Verschütten von Wasser nach der preussischen Dienstbotenordnung deswegen so hart waren, weil das in der Küche während der Wintermonate sofort Glatteis gab.

Gab es Spielzeug für die Kinder?

Für Bauernkinder wohl vor allem im Säuglingsalter: Sockenpuppen, einfache Greiflinge usw. wird man schon früh zur Unterhaltung der Kurzen hergenommen haben. Auch eine Speckschwarte zum Lutschen, oder einen Schnuller aus einem Fetzen zusammengebunden, den man zum Schlafen mit Obstwasser tränkte. Kleine, leichte Werkzeuge wie Rechen, Gabeln, auch kleine Melkschemel usw. Kind sein hörte für einen Bauernbuben wohl mit einem Alter von etwa 5 Jahren auf, sobald er zum Hüten, Heurechen, Kartoffellesen, Melken taugte. Schulpflicht und Schulbesuch regional unterschiedlich, tendenziell in den schriftversessenen evangelischen Gegenden etwas früher und etwas flächendeckender.

Wie war so ein Tagesablauf, des Mannes, der Frau, der Kinder?

Aufstehen nach Jahreszeit, Sommers etwa 3-4h (Handmähen geht sehr viel leichter, solang Tau auf dem Gras liegt; vorher muss der Stall gemacht und das Morgenessen eingenommen sein), Winters wohl nicht vor 7h (Licht ist teuer). Die Kinder haben, soweit sie zur Schule gehen, einen Fußweg von je nach Lage des Hofes bis zu etwa 2 Stunden (schön beschrieben für den Anfang des 20. Jahrhunderts in den „Langerudkindern“ von Marie Hamsun). Die Familie samt Knechten und Mägden sieht sich eine halbe Stunde beim Morgenessen und beim Vesper, eine Stunde zu Mittag. Morgens und mittags vor dem Essen ein Avemaria, an Feiertagen und an Sterbetagen von Verwandten schon auch einmal ein ganzer Rosenkranz, wenn man grad Zeit hat. Beim Morgenessen wird besprochen, wer was macht. Mittag nach dem Zwölfeläuten - das ist das Signal zum Heimkommen. Im 19. Jahrhundert in Grünlandgegenden eine mittägliche Melkzeit, also eine knappe Stunde Stall - morgens und abends sinds mit Füttern und Misten etwa zwei Stunden. Eintreiben vor dem Brotessen um Fünfe, Feierabend nach dem Stall, etwa Halbachte. Nachher kleinere Arbeiten, Flicken, Schuheputzen usw. Im Winter, wenns etwas ruhiger zugeht, abendliches Treffen reihum zur „Lichtstube“. Die Weibsleute beschäftigen sich mit irgendwelchen Handarbeiten, die Mannsleute sind eher zur Verzierung dabei.

Sonntags am Abend Tanz, Kartenspielen, Kegeln (auf Sandbahnen im Freien).

Wie war es bei den Geburten? Kam da ein Arzt?

Geburten mit Hebamme waren normal, außer bei den Häuslern, die sich die auch nicht leisten konnten und zusehen mussten, wie sie zurecht kamen.

Ein sehr weites Feld …

Im bäuerlichen Alltag hat sich zwischen ca. 1870 und ca. 1955 abgesehen von elektrischem Strom und später den Dieselmotoren nicht so sehr viel verändert. Ich glaube, es ist von heute aus gesehen ein guter Zugang, wenn Du Dir die hervorragend schönen Fotodokumentationen über Alltag auf der Schwäbischen Alb in den 1950er Jahren von dem Schullehrer Eugen Sauter anschaust. Das gibt immerhin einen ersten Einblick, wie das war, beim Melken, beim Holzmachen, beim Wagner, beim Aufrichten eines neuen Dachstuhls, beim Kartoffellesen, beim Heuen, beim Straßenbauen, im Steinbruch usw. - man muss halt für die hundert Jahre Zeitdifferenz einen ziemlichen Abstrich hinsichtlich Wohlstand machen.

Schöne Grüße

MM

Moin Martin,

Ich kenne Kommern nicht - die
bäuerlichen Freilichtmuseen, die ich gut kenne (Vogtsbauernhof
und Kürnbach) zeichnen sich dadurch aus, dass in gut gemeinter
Sammel- und Ausstellungsleidenschaft der Eindruck eines
bäuerlichen Wohlstands erweckt wird,

da kann ich über Kommern recht gutes berichten.
Die sammeln zwar auch wie Teufel, aber die Lebensumstände werden m.E. recht autentisch dargestellt.

Und Deinen Beitrag hab ich mit Genuss gelesen!

Gandalf

Wenn sich in Ravensburg noch bis ins 20. Jahrhundert hinein
auf dem Kindermarkt Tiroler Kinder als Hütebuben, Schweizer
und Hausmägde verdingten, dann kam das daher, dass man sie
daheim schlicht nicht ernähren konnte.

Hallo,
ein bißchen was zu diesen „Schwabenkindern“:
http://alpic.net/region/history/schwabenkinder.php
http://www.schwabenkinder.de/Seiten/startframe.html
Empfehlenswert ist auch dieser Film:
http://archives.arte-tv.com/de/archive_206860.html
Grüße, Peter

Servus,

das klingt ja verlockend! Und Trier - Gerolstein - Blankenheim - Euskirchen wollt ich schon ewig einmal radeln. Gibt es das Museum eigentlich schon lange? Beim Betrachten des Web-Auftrittes entsteht der Eindruck, dass es tatsächlich viel systematischer und sorgfältiger aufgebaut ist als die „frühen“ süddeutschen Sammlungen der 1970er/80er Jahre.

Schöne Grüße

MM

Hallo!

Was heißt denn zu weit weg…
Heutzutage kann man doch ganz günstig Fliegen :wink:

Corinna

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo!

Ich bin beeindruckt! Ja sogar fast sprachlos.
Du schreibst so als wärst du selbst dabei gewesen.
Das sind soviele Informationen.

Ich bewundere diese Zewit sosehr weil sie vieles selbst gemacht haben.
Vieles ist für uns heute so selbstverständlich das man sich garkeine Gedanken darum macht wie es ohne ist. Die Menschen schätzen einfach die kleinen Dinge im Leben nicht mehr. Sie gehen so verschwenderisch mit sehr vielen Dingen um.
In mancher Hinsicht denke ich das man früher bestimmt glücklicher, oder zufriedener war.
Nicht das man sich früher nichts gewünscht hätte oder keine Träume hatte. Aber die Einstellung zum Leben war mit Sicherheit eine andere als heute.
Ich kann mir auch nicht vorstellen das die Kinder/Jugendlichen in der damaligen Zeit so eine Respektlosigkeit an den Tag legten.
Wobei natürlich Prügel nicht selten vorkam, das weiß ich. Das heiße ich auch nicht gut!
Meine Kinder kriegen von mir noch Werte und Marnieren vermittelt (ohne Prügel) für die mich andere Leute schief angucken weil sie soetwas nicht mehr kennen! (z.B. Hand vor den Mund beim Husten, sich bedanken…)

Ich muß aber auch ehrlich sein das ich viele Sachen die du beschrieben hast garnicht bedacht habe. Manches hat mich etwas geschockt, wie gesagt schon die selbsterverständlichkeit. Trotzdem bin ich tief beeindruckt.

Es klingt jetzt bestimmt blöd aber wenn wir mal im Lotto gewinnen (ganz viel Geld), oder besser mein Mann denn ich spiele ja nicht, dann kaufen wir uns ein ganz großes Grundstück und ein kleines Holzhäuschen irgendwo am Ende der Welt. Dazu ein paar Hühner, Kühe, Schweine, und was man sonst noch braucht. Aber auf jeden Fall einen klitzekleinen Fernseher, denn ganz ohne möchte ich garnicht mehr Leben.
Und vielleicht ein modernes Häuschen als Ferienhaus :stuck_out_tongue:

Dein Angebot nach Hocheim zu kommen werde ich bestimmt annehmen. Wir fahren öfter zu den Großelertn von meinem Mann nach Germerode (Werra-Meißner-Kreis) von das aus ist es ja nicht mehr so weit :wink:

Vielen Dank für diese beeindruckenden Infromationen!

Corinna

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Petra!

Ja ich lese sehr gern sogar. Ich liebe das Buch der Medicus! Oder das Buch das Parfum war wesentlich besser als der Film. Zumindest was die Informationen zu dem Leben in dieser Zeit betrifft.
Ich habe mir jetzt erst das Buch Unterwegs nach Cold Mountain gekauft. Spielt zwar in dieser Zeit aber handelt mehr vom Krieg. Trotzdem erhoffe ich mir einen kleinen Einblick in diese Zeit, auch wenns in Amerika ist.

Danke für die Tipps die hören sich super an! Sobald ich eins davon finde werde ich es kaufen und lesen.

Liebe Grüße
Corinna

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Corinna,

da habe ich doch etwas für dich:

Alain Corbin: Auf den Spuren eines Unbekannten. Ein Historiker rekonstruiert ein ganz gewöhnliches Leben
ISBN-10: 3593361752 Buch anschauen
ISBN-13: 978-3593361758 Buch anschauen

Corbin schreibt darin die Biografie eines Menschen, den er zufällig aus dem Standesamtregister auswählt. Es trifft den Holzschuhmacher Louis-Francois Pinagot, geboren 1798 und gestorben 1876. Sonst ist nichts über diesen Mann überliefert, abgesehen von seiner Heirat, seinen Kindern. Corbin sammelt nun Puzzlestückchen, um das Bild dieses Mannes wiedererstehen zu lassen, seinen Alltag, seine Verwandtschaft, sein Beruf, …

An sich ein faszinierendes Thema und die zusammengetragenen Einzelheiten sind hochinteressant. Aber der Stil ist ziemlich sperrig und nüchtern. Es ist kein Buch zum Zwiwschendurchlesen, man sollte eine gewisse Freude und Verständnis an der historischen Wissenschaft haben.

Aber du wirst viele viele Anregungen für dein Thema finden.

Rezension: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/…

Gruß
Hardey

zum Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim, wo du viele schöne Bauern- und Handwerkshäuser finden wirst.
http://www.freilandmuseum.de/

Selbst wenn du einen Besuch nicht planst, vielleicht ist die Bücherliste ja interessant.

Noch ein Gruß
Hardey

Moin Martin,

das klingt ja verlockend! Und Trier - Gerolstein - Blankenheim

  • Euskirchen wollt ich schon ewig einmal radeln.

na dann :wink:

Gibt es das
Museum eigentlich schon lange?

es wurde irgendwann anfang der 60er eröffnet.

Beim Betrachten des
Web-Auftrittes entsteht der Eindruck, dass es tatsächlich viel
systematischer und sorgfältiger aufgebaut ist als die „frühen“
süddeutschen Sammlungen der 1970er/80er Jahre.

Nun kenne ich die von Dir genannten Museen nicht, aber Kommern hat sich für mich immer positiv von diversen Heimatmuseen abgehoben.
Dazu noch das stimmige pädagogische Konzept - für mich sehr empfehlenswert.

Gandalf

Hi an alle,

ich hab hier auch noch drei interessante Links (und wenn´s nur für´s Archiv ist):

zum einen das Bauernhofmuseum in Kleinlosnitz ( http://www.kleinlosnitz.de ) und dann noch das Handwerkerfest in Hallerstein ( http://www.hallerstein.de/index-Dateien/Page475.htm ) wirklich sehr lohnenswert

und weil einige schon die Textilindustrie in der Zeit angesprochen haben, folgt hier noch ein Link zu einem Textilmuseum in Helmbrechts ( http://www.textilmuseum.de/)

bye

Leo

Hallo, wenns dich mal nach Norden verschlägt solltest du auf jedenfall das Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel besuchen, dort findest du in den Häusern auch eine Menge Details, die anderswo nicht unbedingt mehr zu finden sind zB. irgendwo steht auch ein Leichenwagen(Kutsche), es gibt eine Schule, eine Meierei (in Betrieb! fast jedenfalls), manch eine Mühle wird dann und wann angeschmissen, eine Apotheke, etc.pp.

Ansonsten etwas mehr in deiner Nähe wäre zumindest für die Medizinischen und hygienischen Fragen das medizinhistorische Dorfmuseum Rhede, die haben zwar auch ein wahres Sammelsurium, aber dafür zu allen medizinischen Belangen (Säuglingspflege, Zahnmedizin, Tierarzt und natürlich auch den Hausarzt.)

Ich denke ein bisschen machst du dir zu romantische Vorstellungen, das Leben damals war hart und auch nicht immer schön und auch die Bauern waren damals oft schon Lohnbauern, dh. sie haben von ihren Erträgen nicht unbedingt viel gesehen, sondern bekamen nur ein paar Naturalien und etwas Geld für ihre Dienste vom Gutsbesitzer. Oftmals haben sie ihre Felder verpachtet, da sie durch das damalige Erbrecht in so klitzekleine Handtücher zerteilt war, dass sich der Anbau von irgendwas gar nicht mehr lohnte, sondern erst wenn mehrere zusammenhängende Felder bebaut wurden.

Übrigens, wenn du mehr dazu wissen willst, dann schau nicht nur unter Geschichte 19. Jh. sondern v.a. auch unter Volkskunde/europäische Ethnologie (zB. volkskundliche Museen, oder Uniinstitute), denn das ist die Wissenschaft, die sich vor allem auch mit den nichtschriftlichen Quellen dieser Zeit (bzw. auch soweit die Erinnerung von Zeitzeugen zurückreicht) auseinandersetzt und eher mit der Frage „Wie sah das Leben aus“ während Geschichte eher Politik, Wirtschaftssysteme uä.behandelt; vorzugsweise eben Fragen, die sich aus schriftlichen Quellen beantworten lassen.
Nur Vorweg, falls hier ein Aufschrei kommt, Volkskunde behandelt natürlich auch noch andere Themen, moderne und auch weiter zurückligende, aber gerade das Bäuerliche Leben im 19. Jh ist wegen der vielen passenden Mussen ein wichtiger Schwerpunkt des Faches.

Gruß Susanne

Hallo,
ich weiss schon, dass ich jetzt riskiere,in der Luft zerissen zu werden.
Trotzdem:
Jürgen Kuczynski
„Geschichte des Alltags des deutschen Volkes“. (ab 1600)
5 Bände

Man muss halt nur zwischen inhaltlichen Aussagen und Referenzen an die Parteilinie unterscheiden können.

Eine Darstellung in etwas größeren Zusammenhängen - dadurch leider etwas kurz gefasst - findest Du in

Fernand Braudel
„Sozialgeschichte des 15.-18.Jahrhunderts“
Band 3 „Der Alltag“

Gruß
Peter