Miserable Quellen und blöde Verallgemeinerung
Welchen Nutzen hat eine solche völlig verallgemeinerte Opferzahl, die a) die politischen, wirtschaftlichen, sozialen, persönlichen Motive auf biegen und brechen versucht auf den Glauben zurückzuführen; und
b) auf so haarsträubende Weise aus Halbwahrheiten, schlechter Internetrecherche und Verschwörungstheorien abgeleitet ist?
Was willst Du mit so einer Zahl anfangen? Beweisen, daß die vielen verschiedenen christlichen Konfessionen böse sind? Evtl. noch böser als andere Glaubensrichtungen oder böser als die Taten, die im Geiste der Aufklärung begangen wurden?
Zur Quellenkritik (ich greife hier nur mal ein paar raus):
Ein schönes Beispiel eines „Authentizitätseffektes“ haben wir bei dieser Webseite, deren Argumentation und Quellenbeweise im übrigen typisch sind für Verschwörungstheorien.
Immerhin bemüht sich der Autor gedruckte Quellen aufzuführen, die ihm den Anschein von Sachkundigkeit und Objektivität geben sollen. Doch schon auf den ersten Blick errät man, daß die meisten der aufgeführten Quellen bestenfalls Sekundärliteratur sind.
zu Heiden in der Antike:
Viele dieser von der Antike noch erhaltenen Quellen sind mit Vorsicht zu geniessen, nicht wenige dieser Berichte vermitteln ein symbolisches Bild mit reichhaltigen Ausschmückungen, die in der damaligen Geisteshaltung zwar etwas bezweckten, jedoch fern von einem Tatsachenbericht sind.
zu Mission:
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„Karl der Große ließ 782 etwa 4500 Sachsen, die sich nicht zum Christentum bekehren lassen wollten, den Kopf abschlagen“ [k99]
Die Zahl ist äusserst umstritten. Es kann sich auch um 45 Sachsen gehandelt haben. Zudem ist die politische Dimension des „Massakers“ nämlich die Beendigung eines 30-jährigen Krieges nicht aus den Augen zu verlieren und war sicherlich mehr Antriebskraft, als der Glaube, womit die Tat später als heldenhaft stilisiert wurde.
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„16. und 17. Jahrhundert. Englische Truppen „befriedeten und zivilisierten“ Irland. Dort gab es nur gälische „Wilde“, „unvernünftige Tiere ohne jede Ahnung von Gott oder guten Manieren, die sogar in Gütergemeinschaft ihr Vieh, ihre Frauen, Kinder und alle anderen Dinge teilten.““[k99]
Böser Fehler. Zumindest ein grober Fehler, die Eroberung Irlands durch Strongbow nicht in den Bereich Christen-killen-Christen zu verschieben: Die Iren waren seit dem 8. Jahrhundert christlich und sie waren es, die den gesamten Kontinent rechristianisierten. Der Konflikt spielte sich auch auf der Ebene des Widerstreites des Protestantismus und Katholizismus ab, aber Irland diente dem abgeholzten England vor allem als Holznachschublieferant für den Bau der Seeflotte.
- „Die übrigen Kreuzzüge zusammengefaßt: bis zum Fall von Akkon 1291 etwa 20 Millionen Opfer (im Heiligen Land und Arabisch/Türkischen Gebieten)“[k99]
Oha, die Zahlen der Berichte über Kreuzzüge können ganz sicher massiv nach unten korrigiert werden. Wieder ein Beispiel politischer Propaganda, der man misstrauen sollte. Die Weltbevölkerung im 13. Jahrhundert betrug insgesamt etwa 300 Millionen Menschen mit minimalsten Zuwachsraten im einstelligen Bereich eines Hunderstel Prozentes. Die Zahl von „22 Millionen Toten“ stammt von Hans Wollschläger (einem Übersetzer und nicht Historiker) dessen ausgeschmücktes Buch vielfach kritisiert wurde.
Im übrigen, wie oben schon erwähnt, gab es eine Vielzahl anderer Motive für die Kreuzzüge, z.B. war der politische Hintergedanke des 1. Kreuzzuges die Vereinigung von West- und Ostkirche.
Man sollte etwas Differenzieren zwischen den nachträglich Ereignissen zugeschriebenen Ursachen und den soweit recherchierbaren politischen, wirtschaftlichen, sozialen und individuellen Hintergründen. Viele Ergeignisse wurden später zu einem speziellen Zweck instrumentalisiert. Beruft man sich bei einer Darstellung der Historie nur auf solcher Art Berichte, schlittert man totsicher an den eigentlichen Motiven vorbei.
Allein die Abgrenzung des Untersuchungsbereiches des Autors:
„Im Folgenden sind nur Ereignisse aufgezählt, die auf Befehl oder unter Beteiligung kirchlicher Autoritäten geschahen, sowie Taten, die im Namen des Christentums begangen wurden“[k99] zeigt, daß er gerne Äpfel mit Birnen vergleicht.
Im Übrigen stammt die Argumentation einfach mal alle schrecklichen Taten, die irgendwie und irgendwo von Leuten begangen wurden, die irgendwie und irgendwann christlich waren (und wer war das bis zum Ende der Inquisition in Europa nicht?) und worin man die Argumente der Propaganda („Im Namen der Kirche“) mit den eigentlichen dahinter versteckten Ziele verwechselte, von Voiltaire, der als Aufklärer damit versuchte die Sache der Aufklärung voranzubringen. Also eine typische populistische Argumentation im Krieg zweier Geisteshaltungen.
[k99]: kelsos 1999: http://www.geocities.com/RainForest/3612/opfer.html
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