1923 Hitlerputsch: Festungshaft: Hungerstreik A. H

Mal eine Frage zu folgenden Sachverhalt:

Hitler hat ja nach Inhaftierung in der Festungshaft einen Hungerstreik angedroht, den er aber nach gut 24 h abbrach. Nun behauptet jemand, dass Hitler charakterlos sei, da er diesen Streik abgerbochen hat.
(er bezieht sich genau auf diese Aktion)

Was haltet ihr von dieser Äußerung?

Hallo Nokianavigator,

Hitler fiel in den ersten Tagen seiner Haft in eine schwere Depression. Er schrie und tobte und wollte seinem Leben, wenn er schon keine Waffe dazu bekam, mittels Hungerstreik ein Ende bereiten.
Nach der Behandlung durch den Gefängnispsychologen beruhigte sich Hitler, genas und von Hungerstreik zur Selbsttötung war keine Rede mehr.

Hitler war also psychisch krank und der Hungerstreik das Symptom eines Krankheitschubs aufgrund außergewöhnlicher äußerer Umstände. Leider konnten die folgenden Verschlechterungen von Hitlers psychischen Zustand in den Jahren danach nicht mehr behandelt werden aus bekannten Gründen mit den ebenfalls bekannten leidvollen Auswirkungen.

Aber die Vokabel charakterlos für krankhaftes Verhalten ist vielleicht nicht ganz die richtige, obwohl man immer versucht ist, Hitler mit den schimpflichsten Ausdrücken zu belegen. Die er, umfassend betrachtet, allesamt verdient hat.

Gruß
Hardey

Hallo Hardey,
ich stimme zu in fast alles was Du sagst.

Man möge mich verzeihen, aber ich finde Hitler war nicht charakterlos. Im Gegenteil, vertrete ich die Meinung, dass er einen starker Charakter hatte (evtl. am Anfang seine Karriere in Deutschland nicht so ausgeprägt).

Ich glaube nämlich, dass um all das auf die Beine zu stellen und zu befehlen, was er später tat, sehr wohl einen durchsetzungsfähigen, starken Charakter bedarf. (Das sagt aber nichts von seine Psyche aus)

Selbstverständlich wünsche ich mir, er hätte das nicht gehabt und dass all seine Taten ungeschehen wären!

Schöne Grüße,
Helena

Ich finde die Frage nach Hitlers Charakter ziemlich müßig, weil ich nicht sehe, wohin die Fragestellung führen soll: ändert es irgendetwas daran, ob Hitler „krank“ oder „normal“ war? Eben…

Aber diesbezüglich möchte ich Einspruch erheben:

Ich glaube nämlich, dass um all das auf die Beine zu stellen
und zu befehlen, was er später tat, sehr wohl einen
durchsetzungsfähigen, starken Charakter bedarf. (Das sagt aber
nichts von seine Psyche aus)

Um die Verfolgungs-, Entrechtungs- und Vernichtungsmaschinerie auf die Beine zu stellen, bedurfte es nicht eines „starken Charakters“, sondern vor allem ganz vieler Menschen, die ihn bereitwillig unterstützt haben: Die Überfälle der Wehrmacht ermöglichten die Ermordung der in den überfallenen Ländern lebenden Juden und anderen nicht als „lebenswert“ erachteten Menschengruppen. Das Reichsministerium und die Finanzbehörden organisierten und perfektionierten die Ausplünderung und Entneignung der jüdischen Minderheit vor und während des Genozids, an der (neben Privatpersonen) auch Banken und Versicherungen verdienten, das Auswärtige Amt stellte in Gesprächen mit Verbündeten NS-Deutschlands ihre Akzeptanz für die Deportationen sicher, das Reichsverkehrsministerium und die Reichsbahn organisierten die Transporte, die bei der Durchführung der Deportationen entstandenen „Probleme“ wurden von den Kommunalbehörden bearbeitet, die Mitarbeiter in den Staatsarchiven denunzierten Menschen bei der Gestapo, denen sie kein „Ariernachweis“ ausstellen konnten, und schlussendlich waren an diesem Prozess der freiwilligen (!) Denunziation auch Privatpersonen beteiligt. Von den Juristen, die mit ihren x Sondergesetzen und -verordnungen die Legalisierung der Verfolgungsmaßnahmen sicherstellten und die vielen Unternehmer, die diese nutzten, um missliebige Konkurrenten auszuschalten, und die vielen Wissenschaftler, die mit ihren pseudowissenschaftlichen Rassetheorien dem Ganzen ein „rationales“ Antlitz gegeben haben, mal ganz zu schweigen.

Das alles auf die „Charakterstärke“ Hitlers zurückzuführen, erscheint mir doch etwas zu einfach als Erklärungsansatz für die Wirkungsmacht Hitlers Gebrabbel. Die Ursache seiner Wirkungsmacht liegt wohl eher in der breit gestreuten Bereitschaft innerhalb der Gesellschaft, auf der Basis der nationalsozialistischen Ideologie ihre eigenen Interessen durchzusetzen, die dem Verfolgungsprozess erst ihre Dynamik und Durchsetzungskraft verliehen. Hitler allein hätte das alles allein sicherlich nicht bewerkstelligen können.

Nur mal so als Denkanstoß.

Nichts für ungut!

Hi Du Grußloser,

Ich finde die Frage nach Hitlers Charakter ziemlich müßig,
weil ich nicht sehe, wohin die Fragestellung führen soll:

Mir geht es genauso.
Ich finde es zu simple zu behaupten er war krank (allein zB die Megalomanie ist ja ein Zeichen dafür, um nur ein einziger Beispiel zu nennen). Es gab viele Faktoren, die dazu führten, zu dem was damals geschah. Und die Zusammenkunft all diese, ´machte all das möglich was wir heute kennen.

ändert es irgendetwas daran, ob Hitler „krank“ oder „normal“
war? Eben…

Um Dich selbst zu zitieren, es war ein Denkanstoß…

Aber diesbezüglich möchte ich Einspruch erheben:

Ich auch, nämlich:

Ich glaube nämlich, dass um all das auf die Beine zu stellen
und zu befehlen, was er später tat, sehr wohl einen
durchsetzungsfähigen, starken Charakter bedarf. (Das sagt aber
nichts von seine Psyche aus)

Um die Verfolgungs-, Entrechtungs- und Vernichtungsmaschinerie
auf die Beine zu stellen, bedurfte es nicht eines „starken
Charakters“, sondern vor allem ganz vieler Menschen, die ihn
bereitwillig unterstützt haben

Dieser Charakter musste aber stark sein (als eine von den vielen Faktoren, die ich vorher angesprochen habe). Ob krank oder gesund ist eine zweite Frage. Aber duchsetzungsvermögen hat er haben müssen.

Mehr habe ich nicht gesagt.

Nur mal so als Denkanstoß.

Dito.

Nichts für ungut!

Sage ich auch.

Gruß,
Helena

Servus,

Dieser Charakter musste aber stark sein (als eine von den
vielen Faktoren, die ich vorher angesprochen habe).

der deutsche Nationalsozialismus ist eine, vielleicht die radikalste, Manifestation der Mittelmäßigkeit und Durchschnittlichkeit in jeder Hinsicht, auch was charakterliche Qualitäten betrifft.

Unabhängig vom Sinn der Einschätzung „starker/schwacher Charakter“: Charakterstärke hätte der Führer bewiesen, wenn er im März 1943, als es die Spatzen von den Dächern pfiffen, daß der Krieg verloren war, diesen beendet hätte, statt noch einige hunderttausend Menschenleben und wichtige Teile der wirtschaftlichen Grundlagen und kulturellen Schätze Deutschlands sinnlos zu verheizen. Der voraussehbare Preis dafür wäre freilich gewesen, daß er aufgehängt (mit etwas Glück auch erschossen oder guillotiniert) worden wäre - wer ein so großes Rad dreht wie AH, muß diese Konsequenz allerdings tragen, sofern er mit einem „starken Charakter“ ausgestattet ist.

Schöne Grüße

MM

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Hi!

Der voraussehbare Preis
dafür wäre freilich gewesen, daß er aufgehängt (mit etwas
Glück auch erschossen oder guillotiniert) worden wäre - wer
ein so großes Rad dreht wie AH, muß diese Konsequenz
allerdings tragen, sofern er mit einem „starken Charakter“
ausgestattet ist.

Naja, wenn ich mir so ansehe was aus Pinochet, Videla, aber auch (in „Kleinen“) Honecker bzw. auf der anderen Seite jene, die „ausgesessen“ haben a la Franco, Hirohito, etc. (um nur einige zu nennen) wurde …

1943 wäre der „voraussehbare“ Preis wahrscheinlich nicht einmal ein Nürnberger Prozess gewesen - insofern müßte man eigentlich „froh“ sein, dass A.H. _keinen_ starken Charakter hatte …

Grüße,
Tomh

Monster oder Patient? Verbrecher oder armer Wicht?
Hallo Helena,

das ist eine Diskussion auf ganz dünnem Eis. Ist es statthaft, positive Seiten von Hitler herauszustellen? In diesem Fall Charakterstärke?

Und wenn man Hitler eine psychische Krankheit attestiert, entschuldigt das möglicherweise die Verbrechen des Dritten Reichs? Bekommt Hitler mildernde Umstände?

Aber meine erste Antwort bezieht sich ja ausschließlich auf seine Landsberger Zeit 1924. Dort wurde er von einem Psychologen untersucht und dieser hat eine entsprechende Diagnose erstellt. Zu dieser Zeit war er ziemlich zweifelsfrei krank und wenn er da etwas tat oder nicht tat ist das erst einmal kein Indiz auf charakterliche Eigenschaften in diesem Augenblick.

Nichtsdestotrotz, nie würde ich Hitler als Person mit starkem Charakter bezeichnen. Er war durchsetzungsfähig, das ja. Aber zu einer Charakterstärke gehört zwingend auch eine gewisse moralische Stärke, Rücksicht und Geradlinigkeit und da wüßte ich nicht, was Hitler weniger gehabt hätte. Aber vielleicht gehen unsere Definitionen eines starken Charakters auseinander.

Doch wenn Hitler 1924 nachweislich psychisch krank war und 1944/45 wieder (das Erscheinungsbild Hitlers lässt da woh keinen Zweifel), bekommt das Dritte Reich dann milderne Umstände wegen Unzurechnungsfähigkeit? Zwar schimmern bei manchen Entscheidungen und Strategien Hitlers Paranoia und psychische Labilität durch, aber es gab genügend helle Momente und verantwortliche Stellen um das Schlimmste zu verhindern. Darum ist in meinem Titel falsch gefragt, es muss heißen: Monster UND Patient. Verbrecher UND armer Wicht.

Gruß
Hardey

Servus,

Doch wenn Hitler 1924 nachweislich psychisch krank war und
1944/45 wieder (das Erscheinungsbild Hitlers lässt da woh
keinen Zweifel), bekommt das Dritte Reich dann milderne
Umstände wegen Unzurechnungsfähigkeit?

nein. Es war nämlich keine Einmannshow, sondern eine Massenveranstaltung mit zeitweise (einschließlich aller Quislinge, Pétainisten, Ustaschen etc., abzüglich der tatsächlichen Gegner) rund hundert Millionen Belegschaft.

Über die Schickelgrubersche Psychopathologie sind von Medizinmännern viele Büchelein geschrieben worden, manches spricht dafür, daß bereits sein traumatisches Erlebnis im Lazarett nicht primär von den Umständen des Fronteinsatzes herrührte. Dennoch ist nicht die gesamte NSDAP unzurechnungsfähig, bloß weil ihr ein mutmaßlich zum Zeitpunkt seines Beitritts bereits chronisch Kranker beigetreten ist.

Schöne Grüße

MM