Hallo Sophie,
Kann ich das Junge Deutschland folglich als Bewegung verstehen, die zwar für politische bzw. soziale Revolution eingetreten ist, ihre literarische Kritik aber stets unter Beachtung der Ästhetik verwirklicht hat? Und im Gegensatz dazu hat im „Vormärz der 1840er“ die Politisierung der Literatur aufgrund der verschärften sozialen Lage so zugenommen, dass ästhetische Prinzipien zurückgestellt wurden und die politische Gesinnung bzw. Parteinahme den eigentlichen Wert eines Textes ausgemacht haben?
Ja, die Jungdeutschen waren auf jeden Fall eine Bewegung mit politischen Ideen. Allerdings waren sie untereinander nur sehr locker verbunden, hatten auch kein einheitliches Manifest oder gar „Parteiprogramm“. Und ob es nun eine Revolution oder nur eine Art „Reformation“ geben sollte, darin waren ihre Vorstellungen auch nicht einheitlich. Eine konstitutionelle Monarchie mit gewähltem Parlament zum Beispiel wäre für einige durchaus vorstellbar gewesen.
Die soziale Frage stellte sich den Autoren in den 30er Jahren nicht oder kaum. Da war Armut eher ein romantisch-pittoreskes Motiv, es gab schon mal einen verarmten Adligen oder bohemienhaften Künstler in ihren Romanen oder eine Waise, ein „gefallenes Mädchen“, das sich irgendwie über Wasser halten musste, aber ein Phänomen wie materielle Not, Hunger und Elend spielte in den Büchern keine Rolle.
Erst in den 40er Jahren tauchen in ihren Werken wirklich arme Menschen auf, Tagelöhner, Proletarier, kleine Handwerker, (z.B. bei Mundt im „Thomas Müntzer“ und in der „Carmela“), und hier werden auch Ideen zur Ernährung dieser Menschen, zu Bildung und Ausbildung und zum Recht auf Arbeit entwickelt.
Was die politischen Ideen der Jungdeutschen in den 30er Jahren angeht – hier war das „Verbrechen“ wirklich der Stil. Denn Forderungen nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, nach Emanzipation der Frauen, der Juden, nach freier Liebe etc. waren ja nicht unbedingt neu. Neu war nur, dass die „gefährlichen Ideen“ in Form von Romanen, Novellen und Reiseberichten auf sehr leicht konsumierbare Weise verbreitet wurden und nicht in dicken, gelehrten und staubtrockenen staatsphilosophischen Abhandlungen.
Und zum Vergleich mit dem Sturm und Drang: Der bezieht sich nur auf das Junge Deutschland, nicht den ganzen Vormärz? Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass der Sturm und Drang gar nicht so auf politischen Umsturz aus war und seine Vertreter die Französische Revolution später auch gar nicht so positiv aufgefasst haben. Ich denke, dem Jungen Deutschland und dem Sturm und Drang ist auf jeden Fall die „literarische“ Revolution gemein in Hinsicht auf die Dramentheorien, Gattungsverschmelzungen etc., aufgrund der jeweiligen Gesellschaftskritik die soziale Revolution auch - aber die wirklich politische Revolution war dann eher das Ziel des Jungen Deutschland?
Vormärz und Sturm und Drang zusammenzufassen, das kommt mir etwas merkwürdig vor. Kann aber sein, dass den Autor die kraftvolle Bezeichnung „Sturm und Drang“ einfach als sehr gute Beschreibung für Revolutionsstimmung erschienen ist.
Ich denke, dass der Sturm und Drang politisch, zumindest staatspolitisch gar kein Interesse hatte. Hier stand eher eine Befreiung des Individuums von gesellschaftlichen Zwängen im Vordergrund. Die Stürmer und Dränger verherrlichten „Kraftgenies“ und „Selbsthelfer“, hatten Protagonisten mit sehr starker Persönlichkeit, die sich über Konventionen und Kleinlichkeiten kraftvoll und lautstark hinwegsetzten wie der Teufelsbeschwörer Faust (Goethe, Klinger, Maler Müller), die dämonische Medea, der Kriegsmann Götz, der seinem Kaiser trotzte, oder die wilden Räuber des späten Stürmers und Drängers Schiller. Wenn im „Don Carlos“ der Held pathetisch ausruft, er wolle seinen Leib nicht in die Schnürbrust pressen, ist er damit ein typisches Kind des Sturm und Drang. Die Forderung „Geben Sie Gedankenfreiheit!“, für die Schiller bei den späteren Revolutionären sehr geliebt wurde, ist eine sehr seltene Ausnahme, ein echter Stürmer und Dränger hätte sich vielleicht seine Gedankenfreiheit ertrotzt und erkämpft, aber nur für sich allein als würdigen Siegespreis.
Verglichen damit waren die Jungdeutschen eher mit einem sehr stillen und zahmen Ego gesegnet, und ihre Romanhelden waren meist blasse Salonpflänzchen, eher still, empfindsam, nachdenklich, weniger Persönlichkeit als Träger von über-individuellen philosophischen Gedanken. Ludolf Wienbarg hat einmal geschrieben, es ginge nun nicht mehr um eine Literatur der großen Persönlichkeiten, sondern der großen Sache.
Gattungsverschmelzungen im Sturm und Drang: Ja, es mag ein wenig angefangen haben, zum Beispiel mit eingelegten Ossian-Übersetzungen im Werther. Aber eigentlich sind die Dramen und Romane noch recht konventionell, nur etwas wilder. Richtig losgelegt mit dem Verschmelzen von Gattungen haben erst die Romantiker, von denen die Jungdeutschen viel gelernt haben, auch wenn sie es nicht zugeben wollten …
Liebe Grüße
Petra