Abgrenzung: Vormärz, Junges Deutschland, Stu+Drang

Ich beschäftige mich momentan mit der Literatur des Vormärz, dabei sind mir aufgrund der vielen verschiedenen Forschungsansätze folgende Fragen gekommen:

Ist das „Junge Deutschland“ als parallele Bewegung oder Teil des literarischen Vormärz zu verstehen?

Wie kann man Junges Deutschland und Vormärz voneinander abgrenzen? (Unterschiede, Gemeinsamkeiten?)

Warum wird das „Junge Deutschland“ bzw. auch generell der Vormärz (?) auch als „jungdeutscher Sturm und Drang“ bezeichnet? Welche Gemeinsamkeiten gibt es mit der Periode des Sturm und Drang?

Wäre sehr dankbar um erleuchtende Definitionen, danke.

Hallo Sophie,

ich versuche einmal, deine Fragen so gut wie möglich zu beantworten.

Ist das „Junge Deutschland“ als parallele Bewegung oder Teil des literarischen Vormärz zu verstehen?
Wie kann man Junges Deutschland und Vormärz voneinander abgrenzen? (Unterschiede, Gemeinsamkeiten?)

Das Junge Deutschland war eine literarische Strömung innerhalb des Vormärz. Als Vormärz bezeichnet man grob die politische Literatur zwischen 1815 und 1848, also zwischen den Eckpunkten „Befreiungskriege“, „Wiener Kongress“, „Karlsbader Beschlüsse“ auf der einen und der Märzrevolution auf der anderen Seite. „Vormärz“ ist also ein Sammelbegriff für eine recht lange und vielschichtige Literaturepoche.
Das „Junge Deutschland“ hatte seine „Hoch-Zeit“ in der Mitte der 1830er Jahre, die Hauptwerke lassen sich fast ausnahmslos auf die Zeit 1833-36 datieren. Insgesamt ist das „Junge Deutschland“ eine Bewegung, die zwar auch, aber eben nicht nur politisch ausgerichtet ist, sondern auch eine hochgradig literarische Bewegung. „Junges Deutschland“ ist vor allem auch ein besonderer Schreibstil, sehr leicht lesbar und eingängig (zumindest für damalige Leser), witzig-humorvoll, ironisch, voller Wortspiele und gewagter Metaphern. Die jungdeutschen Autoren verpackten ihre politischen Botschaften in „Romane“ oder „Reisebeschreibungen“, die ein seltsames Konglomerat an unterschiedlichen Textgattungen war. Da legt der Held im Briefwechsel mit seiner Geliebten schon mal ein politisches Manifest zur Pressefreiheit bei, und kurz bevor der Leser von dem trockenen politischen Stoff müde wird und das Buch weglegt, wird schnell eine erotische Szene oder eine Parodie auf einen Prominenten eingefügt. So schafften es die Autoren, ihre Leser auch über die magische Grenze von 320 Seiten wach zu halten, also auch in zensurfreien Büchern politische Ideen zu transportieren.
Das Junge Deutschland lässt sich auch recht genau eingrenzen auf eine ziemlich kleine Autorengruppe. Da sind die vier Verbotenen von 1835: Theodor Mundt, Ludolf Wienbarg, Heinrich Laube und Karl Gutzkow, dazu ihr Vorbild und Ahnherr Heinrich Heine, der ebenfalls mit auf die Verbotsliste des Bundesbeschlusses gesetzt wurde. Man kann noch Gustav Kühne, den engen Vertrauten und das „Alter Ego“ Theodor Mundts mit dazu rechnen. Wenn man den Begriff großzügiger fasst, kann man noch das zweite große Vorbild der vier genannten hinzufügen: Ludwig Börne. Und am Rande noch Autoren wie Georg Büchner, die manchmal als „jungdeutsch“ oder von den Jungdeutschen beeinflusst und angeregt genannt werden, aber damit ist der Personenfundus schon fast erschöpft.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Junge Deutschland nicht nur eine politische/revolutionäre, sondern zu einem nicht geringen Teil auch künstlerische/literarische Bewegung war. Es ist eine Literatur des Übergangs, eine Mischform und wird daher oft auch als Frühform des „echten“, „harten“ Vormärz betrachtet. Manchmal sind entsprechende Kapitel in Literaturgeschichten auch überschrieben als „Junges Deutschland und Vormärz“. Ich habe es auch schon als eine dritte Epoche der Romantik (nach Früh- und Hochromantik) abgehandelt gefunden, der diese Autoren, wie auch Heinrich Heine, noch stark verbunden waren.
Die Einordnung hängt also immer auch vom Standpunkt des Verfassers und von der Zielsetzung seiner Literaturgeschichte ab. Etwas vereinfacht gesprochen: Je weiter „links“ ein Literaturwissenschaftler steht, desto weniger mag er das Junge Deutschland als Vormärz anerkennen (gerade in der sehr umfangreichen DDR-Literatur zum Vormärz werden die Jungdeutschen als bürgerlich und reaktionär gehandelt), während ein konservativer Antiquaritsbesitzer in München selbst den biederen Theodor Mundt unter „Linke Literaten“ einsortiert hat.

Warum wird das „Junge Deutschland“ bzw. auch generell der Vormärz (?) auch als „jungdeutscher Sturm und Drang“ bezeichnet? Welche Gemeinsamkeiten gibt es mit der Periode des Sturm und Drang?

Die Formulierung geht zurück auf ein Buch von Heinrich Hubert Houben, einem der ersten Wissenschaftler, die sich ausführlich mit dem Jungen Deutschland befasst haben. Das Buch „Jungdeutscher Sturm und Drang“ ist gewissermaßen die „Bibel“ der Jungdeutschlandforscher, in der grundlegende Aufsätze Houbens und vor allem sehr viele wichtige Quellen wie zum Beispiel Briefe der Autoren gesammelt sind. Wenn ein Germanist vom „Jungseutschen Sturm und Drang“ spricht, ist das also zunächst einmal eine Reverenz gegenüber dem Altmeister Houben. (Wenn du dich näher mit dem Jungen Deutschland befassen willst, solltest du das auch unbedingt lesen. Ist zwar vielleicht an einigen Stellen nicht mehr aktuell, aber tausendmal wichtiger als unbedingt ein brandneues Werk aus 2010 auf der Literaturliste zu haben.)
Für Houben wird sich der Name angeboten haben, weil es in beiden Strömungen um „Junge Wilde“ ging, junge Autoren mit einem rebellischen Geist, die gegen vorherrschende Normen, Gesetze, Spießbürgertum und Verkrustungen ankämpften und dabei das Gefühl hatten, mit ihnen bräche eine neue Zeit an. Darin unterschieden sich die Jungdeutschen und de Stürmer und Dränger zum Beispiel von der sehr ruhigen, klaren, rationalen Aufklärung oder von den Autoren der Klassik und des späteren Realismus. Viele Werke und Autoren des Sturm und Drang waren für die Jungdeutschen auch Vorbilder und prägende Jugendlektüre. So verehrten sie den frühen Goethe (Götz, Werther, Faust I) und verachteten den alt gewordenen „Fürstenknecht“.

Ich hoffe, ich konnte dir damit etwas helfen. Falls du noch Fragen hast, stehe ich gern weiter zur Verfügung.

Liebe Grüße

Petra Hartmann

Hallo Petra,

herzlichen Dank für deine so rasche und ausführliche Antwort!

Kann ich das Junge Deutschland folglich als Bewegung verstehen, die zwar für politische bzw. soziale Revolution eingetreten ist, ihre literarische Kritik aber stets unter Beachtung der Ästhetik verwirklicht hat? Und im Gegensatz dazu hat im „Vormärz der 1840er“ die Politisierung der Literatur aufgrund der verschärften sozialen Lage so zugenommen, dass ästhetische Prinzipien zurückgestellt wurden und die politische Gesinnung bzw. Parteinahme den eigentlichen Wert eines Textes ausgemacht haben?

Und zum Vergleich mit dem Sturm und Drang: Der bezieht sich nur auf das Junge Deutschland, nicht den ganzen Vormärz? Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass der Sturm und Drang gar nicht so auf politischen Umsturz aus war und seine Vertreter die Französische Revolution später auch gar nicht so positiv aufgefasst haben. Ich denke, dem Jungen Deutschland und dem Sturm und Drang ist auf jeden Fall die „literarische“ Revolution gemein in Hinsicht auf die Dramentheorien, Gattungsverschmelzungen etc., aufgrund der jeweiligen Gesellschaftskritik die soziale Revolution auch - aber die wirklich politische Revolution war dann eher das Ziel des Jungen Deutschland?

Du hast mir auf jeden Fall schon mal sehr geholfen, vielen Dank!

Liebe Grüße,
Sophie M.

Hallo Sophie,

Kann ich das Junge Deutschland folglich als Bewegung verstehen, die zwar für politische bzw. soziale Revolution eingetreten ist, ihre literarische Kritik aber stets unter Beachtung der Ästhetik verwirklicht hat? Und im Gegensatz dazu hat im „Vormärz der 1840er“ die Politisierung der Literatur aufgrund der verschärften sozialen Lage so zugenommen, dass ästhetische Prinzipien zurückgestellt wurden und die politische Gesinnung bzw. Parteinahme den eigentlichen Wert eines Textes ausgemacht haben?

Ja, die Jungdeutschen waren auf jeden Fall eine Bewegung mit politischen Ideen. Allerdings waren sie untereinander nur sehr locker verbunden, hatten auch kein einheitliches Manifest oder gar „Parteiprogramm“. Und ob es nun eine Revolution oder nur eine Art „Reformation“ geben sollte, darin waren ihre Vorstellungen auch nicht einheitlich. Eine konstitutionelle Monarchie mit gewähltem Parlament zum Beispiel wäre für einige durchaus vorstellbar gewesen.
Die soziale Frage stellte sich den Autoren in den 30er Jahren nicht oder kaum. Da war Armut eher ein romantisch-pittoreskes Motiv, es gab schon mal einen verarmten Adligen oder bohemienhaften Künstler in ihren Romanen oder eine Waise, ein „gefallenes Mädchen“, das sich irgendwie über Wasser halten musste, aber ein Phänomen wie materielle Not, Hunger und Elend spielte in den Büchern keine Rolle.
Erst in den 40er Jahren tauchen in ihren Werken wirklich arme Menschen auf, Tagelöhner, Proletarier, kleine Handwerker, (z.B. bei Mundt im „Thomas Müntzer“ und in der „Carmela“), und hier werden auch Ideen zur Ernährung dieser Menschen, zu Bildung und Ausbildung und zum Recht auf Arbeit entwickelt.
Was die politischen Ideen der Jungdeutschen in den 30er Jahren angeht – hier war das „Verbrechen“ wirklich der Stil. Denn Forderungen nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, nach Emanzipation der Frauen, der Juden, nach freier Liebe etc. waren ja nicht unbedingt neu. Neu war nur, dass die „gefährlichen Ideen“ in Form von Romanen, Novellen und Reiseberichten auf sehr leicht konsumierbare Weise verbreitet wurden und nicht in dicken, gelehrten und staubtrockenen staatsphilosophischen Abhandlungen.

Und zum Vergleich mit dem Sturm und Drang: Der bezieht sich nur auf das Junge Deutschland, nicht den ganzen Vormärz? Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass der Sturm und Drang gar nicht so auf politischen Umsturz aus war und seine Vertreter die Französische Revolution später auch gar nicht so positiv aufgefasst haben. Ich denke, dem Jungen Deutschland und dem Sturm und Drang ist auf jeden Fall die „literarische“ Revolution gemein in Hinsicht auf die Dramentheorien, Gattungsverschmelzungen etc., aufgrund der jeweiligen Gesellschaftskritik die soziale Revolution auch - aber die wirklich politische Revolution war dann eher das Ziel des Jungen Deutschland?

Vormärz und Sturm und Drang zusammenzufassen, das kommt mir etwas merkwürdig vor. Kann aber sein, dass den Autor die kraftvolle Bezeichnung „Sturm und Drang“ einfach als sehr gute Beschreibung für Revolutionsstimmung erschienen ist.
Ich denke, dass der Sturm und Drang politisch, zumindest staatspolitisch gar kein Interesse hatte. Hier stand eher eine Befreiung des Individuums von gesellschaftlichen Zwängen im Vordergrund. Die Stürmer und Dränger verherrlichten „Kraftgenies“ und „Selbsthelfer“, hatten Protagonisten mit sehr starker Persönlichkeit, die sich über Konventionen und Kleinlichkeiten kraftvoll und lautstark hinwegsetzten wie der Teufelsbeschwörer Faust (Goethe, Klinger, Maler Müller), die dämonische Medea, der Kriegsmann Götz, der seinem Kaiser trotzte, oder die wilden Räuber des späten Stürmers und Drängers Schiller. Wenn im „Don Carlos“ der Held pathetisch ausruft, er wolle seinen Leib nicht in die Schnürbrust pressen, ist er damit ein typisches Kind des Sturm und Drang. Die Forderung „Geben Sie Gedankenfreiheit!“, für die Schiller bei den späteren Revolutionären sehr geliebt wurde, ist eine sehr seltene Ausnahme, ein echter Stürmer und Dränger hätte sich vielleicht seine Gedankenfreiheit ertrotzt und erkämpft, aber nur für sich allein als würdigen Siegespreis.
Verglichen damit waren die Jungdeutschen eher mit einem sehr stillen und zahmen Ego gesegnet, und ihre Romanhelden waren meist blasse Salonpflänzchen, eher still, empfindsam, nachdenklich, weniger Persönlichkeit als Träger von über-individuellen philosophischen Gedanken. Ludolf Wienbarg hat einmal geschrieben, es ginge nun nicht mehr um eine Literatur der großen Persönlichkeiten, sondern der großen Sache.

Gattungsverschmelzungen im Sturm und Drang: Ja, es mag ein wenig angefangen haben, zum Beispiel mit eingelegten Ossian-Übersetzungen im Werther. Aber eigentlich sind die Dramen und Romane noch recht konventionell, nur etwas wilder. Richtig losgelegt mit dem Verschmelzen von Gattungen haben erst die Romantiker, von denen die Jungdeutschen viel gelernt haben, auch wenn sie es nicht zugeben wollten …

Liebe Grüße

Petra

Hallo Sophie,

das „Junge Deutschland“ war eine Autorengruppe, deren prominentester Vertretter wohl Heinich Heine war und die von mutigen Verlegern (z.B. Julius Campe) und Druckern unterstutzt wurde.
(Besonders interessant sind hier auch div. Tricks, die strenge Zensur der Zeit zu unterlaufen).

Vormärz ist eher die - politisch geprägte - Bezeichnung einer Zeitspanne. In diesem Sinne ist das Junge Deutschland also ein Teilaspekt des Vormärz.

Der Begriff „jungdeutscher Sturm und Drang“ ist mir leider nicht geläufig. Soweit ich weiß, war „Sturm und Drang“ eine (Gegen-)Reaktion auf die Aufklärung und setzte Emotionen statt Vernunft an erste Stelle. Als einzige Gemeinsamkeit zum Jungen Deutschland fällt mir der Idealismus ein, ein deutlicher Unterschied dürfte die Ironie sein, die von Vertretern des Jungen Deutschland häufig eingesetzt wurde.

Ich hoffe, das konnte ein bisschen helfen.

Beste Grüße,
Helene

Hallo Petra,

tut mir leid, ich hab gerade erst bemerkt, dass ich falsch zu antworten versucht habe. Ich wollte mich jedenfalls nochmal ganz herzlich für deine Erläuterungen bedanken, du hast mir sehr geholfen!

Liebe Grüße,
Sophie