Abschlussprüfung für Auslandsspione

Auf der KGB-Auslandskundschafterakademie wird in den finsteren dreissiger Jahren des Stalinismus die gefürchtete, strenge Abschlussprüfung für einen neuen Jahrgang „Friedenskundschafter“ abgehalten. Die schwierigste Frage lautet:

Ein sowjetisches Spionagefluzeug, das Agenten im Ausland absetzen soll, hat sich völlig verflogen. Die Kundschafter landen sogar im falschen Land und haben keine Ahnung, wo sie sind. Sie vermuten, in einem mediterranen Land abgesetzt worden zu sein und pirschen sich vorsichtig durch die Landschaft. Ein Dorf kommt in Sicht. Sie nähern sich dem Dorf und erkennen, dass dort eine Versammlung von Menschen unter freiem Himmel stattfindet. Sie verfügen über ein Richtmikrofon, über das sie versuchen, Hinweise über die Menschen, die Sprache und das Land zu erlangen.

Die versammelten Menschen scheinen etwas Rhytmisches zu skandieren, ein den Kundschaftern grundsätzlich ja nicht ganz unbekanntes Phänomen. Erst ist nur ein Rauschen zu hören, doch dann nach eingen Feineinstellungen siegt die sowjetische Technik über alle Widrigkeiten von möglicherweise klassenfeindlichen Nebengeräuschen.

Dem Kundschafter mit dem besten Gehör gelingt es, Laute zu identifizieren. Er notiert (in deutsche Lautschrift transskribiert) die sich wiederholenbden Silben:

Wa,du - tsche,wi; Wa,du - tsche,wi; Wa,du - tsche,wi

Der Sprachexperte des Kundschaftertrupps ist ratlos und füchtet um seinen Kopf. Er ist doch in allen Sprachen der Weltrevolution bewandert und doch erkennt er nicht, zu welcher Sprache diese Silbenfolgen gehören. Sie sind doch nicht in Amazonien oder bei den Eskimos gelandet, er müßte die Sprache doch verstehen, so wie das Land aussieht.

Das ist die Stunde für den Genossen Genadij Generalistowitsch Genialin; den Experten für die Anwendung der fortgeschrittendsten heuristischen Methoden des streng geheimen sowjetischen Neuererwesens. Er betrachtet den Zettel mit den Silben und springt auf, wie weiland „Heureka“ Archimedes aus der Badewanne. Er meldet dem Truppführer sofort seine Erkenntnis und dieser befiehlt äußerste Wachsamkeit.

Soweit die Aufgabe. Um welche Sprache handelt es sich? Wo sind die Kundschafter gelandet? Was sind das für Leute in dem Dorf und was machen sie? Genosse Genialin ist mit einem Schlag darauf gekommen! Aber wie nur? Wer weis dieses nie geschriebene Ruhmesblatt sowjetischen Kundschafterwirkens zu entschlüsseln?

Ich habe dieses Rätsel selbst erfunden und bei einem Umschulungsseminar, bei dem „Männer ohne Vergangenheit“ zu Bankmanagern „umprofilert“ werden sollten, zur Seminaraneinstimmung gebracht. Die Herren waren begeistert und richtig traurig, dass der Kalte Krieg für sie vorbei sein sollte. Alle Hinweise in der Aufgabenstellung sind plausibel und es ist keinerlei Irreführung dabei. Die Bildungsvoraussetzungen für das Verständnis der Lösung müßte im Bereich der Allgemeinbildung, die für den mittleren Dienst einer Kommunalverwaltung verlangt wird, liegen. Aber wie drauf kommen?

Your turn Mr. Bond now!

Geniales Gründeln wünscht

Thomas

Dabei handelt es sich natürlich um eine Propagandaveranstaltung von uns’ Jürgen und Michel, die in der Zeit zurück ins Italien der 30er Jahre gereist sind (natürlich per Tandem-Fallschirm eingeschwebt), um dort die latenten antisemitischen Tendenzen zu fördern.

Achtung: Lösung!
Das Land heißt Italien.

Und die Menge ist der Meinung, dass Mussolini ein langes Leben beschert sein möge…

Stimmt’s?

fragt
Uschi

Lösung, Kommentar und Gratulation
Kompliment an die ersten zwei Findigen Uschi und Florian!

Der Denkansatz, den ich zeigen wollte sieht folgendermassen aus:

Dem Kundschafter mit dem besten Gehör gelingt es, Laute zu
identifizieren. Er notiert (in deutsche Lautschrift
transskribiert) die sich wiederholenbden Silben:

Wa,du - tsche,wi; Wa,du - tsche,wi; Wa,du - tsche,wi

Der Kundschafter mit dem besten Gehör kann auch nur den ersten Laut, den er versteht, aufschreiben und den zweiten dahinter. Vielleicht hätte man den Sprachexperten lauschen lassen sollen, der hätte erst was aufgeschriben, wenn er was verstanden hätte.

Ein klassisches Problem von Arbeitsteilung und Spezialisierung. Die versteckte Annahme der Kundschafter ist, dass der Lauscher wohl als erstes ein Wort verstehen werde, dass an einem Satzanfang steht, oder eine Silbe, die an einem Wortanfang steht. Mit der Silbenreihenfolge experimentieren zu lassen, hätte der Truppführer anordnen müssen, als er das Sprachgenie rätseln sah. Aber es sollen ja auch noch Jobs für Genies übrig bleiben.

Ansonsten sind natürlich mit den 30-ger Jahren, dem mediterranen Umfeld und dem Politcharakter der Veranstaltung auch schon eine Menge Hinweise gegeben, so dass man oft nur schwer sagen kann, ob es „denken“ oder „Bildung“ war, was zur Lösung führte.

Die „Blitzartigkeit“ der Erkenntnis läßt es oft kaum zu, aufzudröseln, wie man nun drauf gekommen ist nach dem Motto: Das Talent räsoniert; das Genie erblickt.

Andererseits „kann man sich auch denken“, dass wenn ich die Aufgabe als „im Prinzip“ lösbar vorstelle, dass dann fast nur noch Italien übrig bleibt, wegen der „Popularität“ des Sprachverständnisses für viele Formeln aus dem Italienischen. Griechenland, die Türkei, Afrika würden, so gedacht, schon rausfallen; Französissch kann man erst ab Voltaire, aber Italienisch schon ab Pizza. Spanisch wäre, so gesehen, auch noch nicht auszuschliessen, ist aber wohl schon weniger naheliegend als Italien.

Das Problem mit dem „sich denken können“ ist, dass wir uns unmöglich alles denken können, was wir uns denken können. Das wäre, habe ich mir mal von einem Neurologen sagen lassen, eher Epilepsie als Weisheit. Wir denken daher wohl nur, was wir glauben, denken zu müssen, um keinen Fehler zu machen z.B.

Auch ist, was „man sich denken kann“ ja noch nicht bewiesen nud wir verwenden ungern Energie für etwas ungewisses.

Die Annahme, dass das Hörverständnis am Sinnbeginn beginnt ist sozusagen klug und dumm zugleich. Es gibt für Situationen, in denen das „Kluge dumm“ ist, eine schönes Tierexperiment.

Bienen gelten als relativ klug. Wenn sie in einer Enge sind, fliegen sie zum Licht, und damit normalerweise ins Freie.

Fliegen dagegen sind enorm dumm und fliegen kreuz und quer durch die Gegend wenn sie ein Problem haben.

Wenn das Problem darin besteht, sich in einer liegenden offenen Flasche zu befinden mit einre Lichtquelle am Flaschenboden, dann haben die Bienen schlechte Karten. Sie fliegen immer wieder gegen den Flaschenboden, weil sie keinen Plan B haben.

Die Fliegen dagegen, die überhaupt keinen Plan haben, sind nach ein paar Fehlversuchen im Freien.

Das andere Rätsel, mit den Schiffen in der Wüste funktioniert so ähnlich, allerdings sind hier, wie ich sehe auch Rätselnde am Werk, die einfach zu viel wissen, um ihr Denkvermögen unter Beweis stellen zu können. Was man weis, braucht man nicht zu denken, denkt man. Das geht aber nur so lange gut, wie einem auch das Wissen einfällt, auf das es frenudlicherweise auch ankommt.

Sorry für Tippfehler

Thomas